Hermann Hesse

Wir Leben Hin...

Wir leben hin in Form und Schein
Und ahnen nur in Leidenstagen
Das ewig wandellose Sein,
Von dem uns dunkle Träume sagen.

Wir freuen uns an Trug und Schein
Wir gleichen führerlosen Blinden
Wir suchen bang in Zeit und Raum
Was nur im Ewigen zu finden

Erlösung hoffen wir und Heil
In wesenlosen Traumesgaben
Da wir doch Götter sind und teil
Am Urbeginn der Schöpfung haben.


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Chinesisch

Mondlicht aus opalener Wolkenlücke
Zählt die spitzen Bambusschatten peinlich,
Malt der hohen Katzenbuckelbrücke
Spiegelbild aufs Wasser rund und reinlich.

Bilder sind es, die wir zärtlich lieben,
Auf der Welt und Nacht lichtlosem Grunde
Zaubrisch schwimmend, zaubrisch hingeschrieben,
Ausgelöscht schon von der nächsten Stunde.

Unterm Maulbeerbaum der trunkene Dichter,
Der den Pinsel wie den Becher meistert,
Schreibt der Mondnacht, die ihn hold begeistert,
Wehende Schatten auf und sanfte Lichter.

Seine raschen Pinselzüge schreiben
Mond und Wolken hin und all die Dinge,
Die dem Trunkenen vorübertreiben,
Daß er sie, die flüchtigen, besinge,

Daß er sie, der Zärtliche, erlebe,
Daß er ihnen Geist und Dauer gebe.

Und sie werden unvergänglich bleiben.

hesse-library.mokwon.ac.kr/archiv/HeFo13-3.htm
 
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Malerfreude (1918)

Äcker tragen Korn und kosten Geld
Wiesen sind von Stacheldraht umlauert,
Notdurft sind und Habsucht aufgestellt,
Alles scheint verdorben und vermauert.

Aber hier in meinem Auge wohnt
Eine andre Ordnung aller Dinge,
Violett zerfließt und Purpur thront,
Deren unschuldvolles Lied ich singe.

Gelb zu Gelb, und Gelb zu Rot gesellt,
Kühle Bläuen rosig angeflogen!
Licht und Farbe schwingt von Welt zu Welt,
Wölbt und tönt sich aus in Liebeswogen.

Geist regiert, der alles Kranke heilt,
Grün klingt auf aus neugeborener Quelle,

Neu und sinnvoll wird die Welt verteilt
Und im Herzen wird es froh und helle.



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Bücher

Alle Bücher dieser Welt
Bringen dir kein Glück,
Doch sie weisen dich geheim
In dich selbst zurück.

Dort ist alles, was du brauchst,
Sonne, Stern und Mond,
Denn das Licht, danach du frugst,
In dir selber wohnt.

Weisheit, die du lang gesucht
In den Bücherein,
Leuchtet jetzt aus jedem Blatt —
Denn nun ist sie dein.
 
Paradies-Traum
Es duften blaue Blumen hier und dort,
mit bleichem Blick hält Lotus mich gefangen,
In jedem Blatte schwingt ein Zauberwort,
Aus allen Zweigen äugen still die Schlangen.
Aus Blumenkelchen wachsen straffe Leiber,
Mit Tigeraugen blinzeln aus dem Grün
Der blühenden Sümpfe lauernd weiße Weiber,
Aus deren Haaren rote Blumen glühn.
Es duftet feucht nach Zeugung und Verführung,
Nach dunkler Wollust unerprobter Sünden,
Unwiderstehlich aus verschlafnen Gründen
Lockt Frucht an Frucht zu kosender Berührung,
Geschlecht und Wonne atmet jeder Hauch
Der lauen Luft und schwillt vor Lustverlangen,
Wie Liebesfingerspiel um Brust und Bauch
Der Frauen spielen listigen Blicks die Schlangen.
Nicht die, nicht jene zieht mich werbend an,
Sie alle blühn und locken, nicht zu zählen,
Ich fühle alle, alle mir beglückend nahn,
Eine Welt voll Leibern, eine Welt voll Seelen.
Und langsam schwillt der Sehnsucht seliges Weh
Und löst, entfaltet mich nach hundert Seiten,
Zum Weibe schmelz ich hin, zum Baum, zum See,
Zum Quell, zum Lotus, zu den Himmelsweiten,
Auf tausend Flügeln auseinanderfaltet Sich meine Seele,
die ich Eins gemeint, Vertausendfacht, zum bunten All gestaltet,
Erlösch ich mir und bin der Welt vereint

Hermann Hesse
 
Nocturne

Chopins Nocturne Es-dur. Der Bogen
Des hohen Fensters stand voll Licht.
Auch deinem ernsten Angesicht
War eine Glorie angeflogen.

In keiner Nacht hat so mich wieder
Der stille Silbermond berührt,
Daß ich im Innersten verspürt
Unnennbar süß ein Lied der Lieder.

Du schwiegst. Auch ich; die stumme Ferne
Verrann im Licht. Kein Leben war
Als nur im See ein Schwänepaar
Und über uns der Lauf der Sterne.

Du tratest in den Fensterbogen,
Um deine ausgestreckte Hand
War dir vom Mond ein Silberrand
Und um den schmalen Hals gezogen.
 
Traum

Es ist immer derselbe Traum:
Ein rotblühender Kastanienbaum,
ein Garten, voll von Sommerflor,
einsam ein altes Haus davor.

Dort, wo der stille Garten liegt,
hat meine Mutter mich gewiegt;
vielleicht - es ist so lange her -
steht Garten, Haus und Baum nicht mehr.

Vielleicht geht jetzt ein Wiesenweg
und Pflug und Egge drüber weg,
von Heimat, Garten, Haus und Baum
ist nichts geblieben als mein Traum.


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Weihnachten

Ich sehn' mich so nach einem Land
der Ruhe und Geborgenheit
Ich glaub', ich hab's einmal gekannt,
als ich den Sternenhimmel weit
und klar vor meinen Augen sah,
unendlich großes Weltenall.
Und etwas dann mit mir geschah:
Ich ahnte, spürte auf einmal,
daß alles: Sterne, Berg und Tal,
ob ferne Länder, fremdes Volk,
sei es der Mond, sei's Sonnnenstrahl,
daß Regen, Schnee und jede Wolk,
daß all das in mir drin ich find,
verkleinert, einmalig und schön
Ich muß gar nicht zu jedem hin,
ich spür das Schwingen, spür die Tön'
ein's jeden Dinges, nah und fern,
wenn ich mich öffne und werd' still
in Ehrfurcht vor dem großen Herrn,
der all dies schuf und halten will.
Ich glaube, daß war der Moment,
den sicher jeder von euch kennt,
in dem der Mensch zur Lieb' bereit:
Ich glaub, da ist Weihnachten nicht weit!

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Hermann Hesse fühlte sich Zeitlebens für die Wirkungen seiner Arbeit bei seinen Lesern verpflichtet. Er soll an die 35 000 Briefe geschrieben haben. Hier ein paar interessante Auszüge daraus:

Ich denke mir, die richtige Wirkung eines Dichter wäre die, dass eine kleine Zahl von Lesern seine Bücher eine Weile liebt, sie dann weglegt, aber aus ihnen eine Änderung, Festigung, Klärung ihres Lebens mitnimmt. Statt dessen ist bei mir die Wirkung die: dass Hunderte von Lesern entweder ihre ablehnende Kritik oder ihre Zustimmung bei mir abladen, in der Meinung, ich müsse die eingehende Beschäftigung, die sie mir gewidmet haben, dankbar erwidern und selber Tausende von Briefen schreiben.

an Horst Schwarze 1933

oder ...

Wenn ein Mensch sein Leben in den Dienst einer Arbeit oder Leistung gestellt hat, nicht aus Edelmut, sondern weil sein Naturell und seine Art von Begabung ihn dazu trieben, dann, glaube ich, muss er das, was ihm die Welt als Antwort auf seine Arbeit zuträgt, auch auf sich nehmen. Die Berühmtheit und den Nobelpreis einzustecken, die lästigen und verantwortungsvollen anderen Folgen aber abzulehnen, schiene mir ungerecht und eine nachträgliche Entwertung einer solchen Lebensarbeit zu sein.

an seine Schwiegertochter Isa 1952

oder...

Den Morgen nimmt die Post, dann bin ich mit den Augen fertig, und den größeren Teil des Jahres sind Gäste und Besuche da, oft mehrere an einem Tag, im Sommer bis zu 8 und 10, und hängt man einen Zettel an die Tür und bittet um Schonung, dann bleiben die Feineren weg, und die Üblen kommen doch.

an Carl Seelig 1938

und ...

Wenn ein Autor wie ich zehn oder fünf oder zwei Menschen findet, die infolge seiner Schriften ihr leben ändern, ihren Willen zum Guten stärken und aus ihrem Herzen heraus der zerfallenen Welt einen neuen Halt zu geben suchen, wiegt das 100 000 Leser auf, denen die Lektüre bloß eine Angelegenheit des Genussses und der Bildung ist.

an Helene Welti 1933

Viele Grüße, Anne
 
Weihnachten
Hermann Hesse (1877-1962)

Ich sehn' mich so nach einem Land
der Ruhe und Geborgenheit
Ich glaub', ich hab's einmal gekannt,
als ich den Sternenhimmel weit
und klar vor meinen Augen sah,
unendlich großes Weltenall.
Und etwas dann mit mir geschah:
Ich ahnte, spürte auf einmal,
daß alles: Sterne, Berg und Tal,
ob ferne Länder, fremdes Volk,
sei es der Mond, sei's Sonnnenstrahl,
daß Regen, Schnee und jede Wolk,
daß all das in mir drin ich find,
verkleinert, einmalig und schön
Ich muß gar nicht zu jedem hin,
ich spür das Schwingen, spür die Tön'
ein's jeden Dinges, nah und fern,
wenn ich mich öffne und werd' still
in Ehrfurcht vor dem großen Herrn,
der all dies schuf und halten will.
Ich glaube, daß war der Moment,
den sicher jeder von euch kennt,
in dem der Mensch zur Lieb' bereit:
Ich glaub, da ist Weihnachten nicht weit!
 
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Hermann Hesse verdeutlicht seine Gefühle zum Weihnachtsfest in einem Auszug aus seinem Buch "In Weihnachtszeiten":

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„Unsere Weihnacht ist, von den paar wirklich Frommen abgesehen, ja schon sehr lange eine Sentimentalität. Zum Teil ist sie noch Schlimmeres geworden, Reklameobjekt, Basis für Schwindelunternehmungen, beliebtester Boden für Kitschfabrikation.
Das kommt daher: die Weihnacht und das Fest der Liebe und Kindlichkeit ist für uns alle schon längst nicht mehr Ausdruck eines Gefühls. Es ist das Gegenteil, ist längst nur noch Ersatz und Talmi-Nachahmung eines Gefühls. Wir tun einmal im Jahre so, als legten wir großen Wert auf schöne Gefühle, als ließen wir es uns herzlich gern etwas kosten, ein Fest unserer Seele zu feiern. Dabei kann die vorübergehende Ergriffenheit von der wirklichen Schönheit solcher Gefühle sehr echt sein; je echter und gefühlvoller sie ist, desto mehr ist sie Sentimentalität. Sentimentalität ist unser typisches Verhalten der Weihnacht und den wenigen anderen äußeren Anlässen gegenüber, bei denen noch heute Reste der christlichen Lebensordnung in unser Tagesleben eingreifen. Unser Gefühl dabei ist dieses: »Wie schön ist doch dieser Liebesgedanke, wie wahr ist es, daß nur Liebe erlösen kann! Und wie schade und bedauerlich, daß unsere Verhältnisse uns nur einen einzigen Abend im Jahr den Luxus dieses schönen Gefühls gestatten, daß wir sonst jahraus jahrein durch Geschäfte und andere wichtige Sorgen davon abgehalten sind!« Dies Gefühl trägt alle Merkmale der Sentimentalität. Denn Sentimentalität ist das Sich-Erlaben an Gefühlen, die man in Wirklichkeit nicht ernst genug nimmt, um ihnen irgendein Opfer zu bringen, um sie irgend je zur Tat zu machen.
...
Zündet euren Kindern die Weihnachtsbäume an! Laßt sie Weihnachtslieder singen! Aber betrügt euch selber nicht, seid nicht immer und immer wieder zufrieden mit diesem ärmlichen, sentimentalen, schäbigen Gefühl, mit dem ihr eure Feste alle feiert! Verlangt mehr von euch! Denn auch die Liebe und Freude, das geheimnisvolle Ding, das wir »Glück« nennen, ist nicht da und nicht dort, sondern nur »inwendig in uns«.“

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In Weihnachtszeiten - hhesse.de - Das Hermann Hesse-Portal der Morgenlandfahrer
 
Knarren eines geknickten Astes

Geknickter Ast, an Splittersträngen
Noch schaukelnd, ohne Laub noch Rinde,
Ich seh ihn Jahr um Jahr so hängen,
Sein Knarren klagt bei jedem Winde.

So knarrt und klagt es in den Knochen
Von Menschen, die zu lang gelebt,
Man ist geknickt, noch nicht gebrochen,
Man knarrt, sobald ein Windhauch bebt.

Ich lausche deinem Liede lange,
Dem fasrig trocknen, alter Ast,
Verdrossen klingts und etwas bange,
Was du gleich mir zu knarren hast.

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Seetal im Februar

O dünne Sonnenluft im Februar!
Braun schleicht und gelb der fahle Strand dahin,
See starrt und Himmel glasig, kühl und klar,
In Trauerzügen kahle Bäume ziehn.

Ach, graue Haare fand ich jüngst im Bart!
Alt wird und müd, was einst so hell gebrannt,
Zu Ende neigt, o Maler, deine Fahrt
Und führt durch Friedhofluft und Winterland.

Doch leis im Nacken brennt die Sonne schon,
Die zärtlich mir vom künftigen Sommer singt:
Noch einmal schreite glühend und beschwingt
Durch einen Sommer, du verlorener Sohn!

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Bei Arcegno

Hier ist mir jeder Wegesrank vertraut,
Ich geh den alten Eremitensteig,
Der zage Frühlingsregen tröpfelt sacht,
Im kühlen Wind aufflimmert Birkenlaub,
Braunspiegelnd widerglänzt der nasse Fels...
O Fels, o Pfad, o Wind und Birkenlaub,
Wie duftet ihr den alten Zauber ernst,
Du keusches Land, wie flüchtet deine Anmut
Scheu hinter Fels und rauhe Schattenkluft!
Dazwischen blüht aus rötlich kahlem Wald
Der wilde Kirschbaum selbstvergessen hin.
Hier ist mein heiliges Land, hier bin ich hundertmal
Den stillen Weg der Einkehr in mich selbst
Im Sinnbild einsamen Geklüfts gegangen
Und geh ihn heute neu, mit anderem Sinn,
Doch altem Ziel, und geh ihn niemals aus.
Hier atmen falterhaft Gedanken fort,
Die ich vor Jahren hier in Fels und Ginster,
In Sonnenhauch und Regenwind erjagt -
Nimm hin, du Stein und Bach und Birkental,
Nimm wieder hin ein aufgetanes Herz,
Das nichts mehr will, als euern heiligen Stimmen
Mit willigen Sinnen dankbar offenstehn.
 
Dunkelste Stunden


Das sind die Stunden, die wir nicht begreifen!
Sie beugen uns in Todestiefen nieder
Und löschen aus, was wir von Trost gewußt,
Sie reißen uns geheimgehaltene Lieder
Mit blutend wunden Wurzeln aus der Brust.

Und doch sind das die Stunden, deren Last
Uns Stille lehrt und innerlichste Rast
Und die zu Weisen uns und Dichtern reifen.

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Malve
 
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SYMPHONIE

Aus dunkler Brandung gärend
Des Lebens bunter Braus
Und drüber immerwährend
Der Sterne hochgewölbtes Haus.

Mein Leben ist versunken,
Ich schweb am Weltenrand
Und atme tief und trunken
Der Feuerlüfte süßen Brand.

Und der ich kaum entronnen,
Des Lebens Zauberglut
Spült mich mit tausend Wonnen
Aufs neue in die große Flut.

www.deutsche-liebeslyrik.de/hess26.htm​

Dunkle_Brandung.jpg
 
Hallo,

eine Richtigstellung:

und nicht zuletzt Freimaurer
https://www.symptome.ch/threads/hermann-hesse.6810/#post-68895

und das war er nun nicht.

Diese Behauptung geistert immer mal wieder durch's Internet und hier zählt sogar
der Meister vom Stuhl einer Af/AM - Loge, ihn mit auf:

Schriftsteller: Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller, Gotthold Ephraim Lessing, Mark Twain, Heinrich Heine, Hermann Hesse, Sir Arthur Conan Doyle, Kurt Tucholsky, Carl von Ossietzky, Rainer Maria Rilke, Voltaire, Oscar Wilde.
Einzelansicht[tt_news]=96&tx_ttnews[backPid]=6&cHash=ada2f70a9b

Richtig dürfte dagegen sein:

...Als Logenname wurde der Titel eines Romans von Hermann Hesse gewählt. Dieser Autor wird von vielen Brüder sehr geschätzt und zuweilen sogar als "Bruder ohne Schurz" bezeichnet, also als Mann, der zwar formell kein Freimaurer ist, aber wie solcher denkt und handelt....
Freimaurer Loge "Zur Morgenlandfahrt" No. 35 im "Orient" Brssel, Belgien

Herzliche Grüße von
Leòn
 
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Gedichte

Das Gedicht wirkt der Angst, des Loslassens entgegen, will trösten und Hoffnung geben. Es will uns versichern, dass wir nur das innige Gefühl, lebendig zu sein, behalten, wenn wir Stufe und Stufe erleben und das Erlebte bzw. die Bindungen dieser Stufe auch wieder loslassen können, um Bindungen einzugehen, die unserem Gewordensein entsprechen und uns bei unserer Weiterentwicklung dienlich sind. Leben ist Bewegung, Stehenbleiben führt zu Erstarrung und innerem Versteinern. Der Sinn des Lebens ist das Werden, die Entwicklung, die Entfaltung, individuell und generell.
Wenn die Angst mich beschränkt und ich nur festhalte, Menschen und Dinge besitzen will, weil ich glaube, damit Sicherheit auf dieser Welt zu "haben" um der Lebensangst zu entkommen, dann bin ich mitten in dieser Angst. Nur ein Bewusstsein eines höheren Sinnes des Lebens und die Geborgenheit in dieser Sicherheit, macht mich frei und lässt mich Wachstum und Erneuerung riskieren. So kann meine Menschlichkeit reifen und das befreit mich dazu, wirklich zu lieben,
mich, meinen Nächsten, das Leben und das Sein jeglicher Art um mich herum.
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Wie sagte schon Melanchthon, dass die einzige Revolution, die die Freiheit des Menschen ermöglicht, nur eine der Bildung und des gehobenen Bewusstseins sein kann und dass jegliche Gewalt Zeugnis des Gegenteiles ist, der Verrohung, Verdummung, die den Rückfall in die Angst bewirkt und wiederum Gewalt gebiert, und damit den Menschen in der Sünde (Abgespaltenheit von seinem eigentlichen Sein) fesselt.
Obwohl Hesse sein Bewusstsein mehr aus asiatischen Religionen bezog, so kommt sein Denken doch auf den Konsens, den Jesus in der Bergpredigt verkündigt.
Das Gedicht beinhaltet die Aussage, die Jesus mit einem Grundsatz macht:
"Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben", also, wenn du leben willst, dann lasse alles Bisherige hinter dir und folge mir nach. Das bedeutet: Lasse alles los gegen deine Existenzangst, was dich an der Entfaltung deinerselbst, deines gewollten Wesens, hindert. Vertraue in das Lebensprinzip, das dich geschaffen hat, das das Gute will und nach Erfüllung strebt. Empfinde dich als eine Schöpfung des alles durchdringenden und schließlich alles in sich vereinenden Geistes, der Liebe ist. Sei ein materielles und geistiges Abbild dieser Liebe. Lass dein Bewusstsein davon von dem Wissen beflügeln, dass Du als Wesen erschaffen wurdest, dass soviel mehr kann als es zu einem materiellen Leben bräuchte. Dass der Sinn deines Lebens nur ein transzendenter sein kann, ein Bewusstsein zu erlangen, dass in das Lebensprinzip Liebe eingehen kann. Erklimme in dem Vertrauen, gewollt und ein Teil dieser Liebe zu sein, Stufe um Stufe. So wie du eben geschaffen bist, bist du gewollt unvollkommen. Um eine lebendige Entwicklung zu vollziehen, sollst du durch Raum und Zeit schreiten, der wachsenden Erkenntnis über die Dinge und dem Wesen des Lebens entgegen. Dein Leben findet schließlich Erfüllung in der Liebe zu allem Lebendigen, zum Leben selbst. Dieses Bewusstsein schenkt die Freiheit von den Sorgen dieser Welt, weil sie ihre Wichtigkeit und angstmachende Wirkung für dich verlieren. Du kannst Besitz jeglicher Art loslassen.
Hermann Hesse, ein großer Denker, der gerade der heutigen Welt viel zu sagen hat.
copyright: Antje Di Bella

Hallo,:)

ich weiß, dass dieses Gedicht schon an mehreren Stellen im Forum steht. Im Moment habe ich allerdings eine deutliche Sehnsucht danach. Weil ich es immer wieder als sehr tröstlich empfinde.

Herzliche Grüße von

Leòn

Stufen

(von Hermann Hesse)

Wie jede Blüte welkt
und jede Jugend dem Alter weicht,
blüht jede Lebensstufe,
blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
in and're, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
der uns beschützt und der uns hilft zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
an keinem wie an einer Heimat hängen,
der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten!
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
und traulich eingewohnt,
so droht Erschlaffen!
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
mag lähmender Gewohnheit sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
uns neuen Räumen jung entgegen senden:
des Lebens Ruf an uns wird niemals enden.
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!​
 
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