Sinn des Lebens im Alter
Wenn ich nun heute junge Frauen sehe, die bereit sind - aus welchen Gründen auch immer - auf ihre Ausbildung zu verzichten und damit auf Unabhängigkeit, dann tut mir das in der Seele weh.
Hallo Oregano,
dieser Aussage kann ich nur beipflichten. Doch es gibt auch eine Kehrseite, solange unsere Welt noch so tickt wie sie es bedauerlicherweise zum großen Teil immer noch tut. Folgendes soll aufzeigen, was ich damit meine.
Der Fokus meiner Erziehung zielte darauf ab, mir eine Ausbildung zu ermöglichen, die mir diese gewollte und sinnvolle Unabhängigkeit sicherte. Dazu kam von Kindesbeinen an noch, daß ich lernte auch in meinen Gedanken frei zu sein und diese jederzeit äußern zu dürfen. Man hätte erwarten können, daß diese Erziehung von meiner Mutter angeregt worden wäre, doch es war mein Vater. Wir lebten in einem Land, in dem die Unterwerfung der Frau unter den Mann noch viel verbreiteter war als in Europa und der Frau auch weit engere Grenzen setzte. Wenn sich die Männer unterhielten, hatten Frauen sich nicht einzumischen, wollte die Frau ausgehen, so war das nur in Begleitung eines männlichen Wesens, oder einer von diesem ausgewählten weiblichen Person erlaubt usw. Es war nicht ganz so schlimm wie im arabischen Kulturkreis, aber es kam dem weit näher als den Zuständen in Europa. Mein Vater wollte verhindern, daß ich in einer Ehe landete, die mir genau dies bescheren würde.
Als ich dann 1960 nach Europa kam, empfand ich die Freiheit der Frauen, die hier herrschte fast als Wunderland. Allein schon, daß ich jederzeit allein zum Einkaufen gehen konnte, ohne angepöbelt zu werden, war einfach herrlich. Doch bald stellte ich fest, daß auch hier die Meinung vorherrschte, Frauen wären dümmer als Männer und sollten daher die Klappe halten. Bei der Erziehung, die ich erhalten hatte, ein herber Schlag ins Gesicht. In Zweierbeziehungen machte ich ähnliche Erfahrungen. Das stieß mich ab.
Im Beruf stieß ich ebenfalls auf diese Vorurteile, fand aber bald heraus, daß ich diese recht mühelos abbauen konnte, wenn ich etwa bei technischen Fragen beweisen konnte, daß ich obwohl angeblich technisch dumme Frau, sehr gut Bescheid wußte und mit Kunden, Technikern usw. auf gleicher Ebene Probleme diskutieren und lösen konnte. Da war es letztlich dann kein Problem mehr und die Gleichberechtigung konnte auf dieser Ebene hergestellt werden. Im technischen Bereich waren Frauen damals noch eine absolute Rarität, ebenso wie in Führungspositionen, letzteres betraf mich jedoch nicht.
Im Privatleben jedoch, war das so nicht möglich. Jedenfalls machte ich diese Erfahrungen. Ich habe mich dann gefragt: soll ich mich auf eine Beziehung einlassen, die von mir verlangt, mein eigenes Denken abzuschalten? Nur noch dem zu folgen, was mein Partner vorgegeben hätte, ohne Einspruch erheben zu dürfen, wenn mich das negativ tangiert hätte? Ich entschied mich gegen eine solche Beziehung zumal ich obendrein in meinem engen Umfeld miterlebte, wie mehrere Beziehungen auseinanderbrachen, das Leiden und den Kummer hautnah beobachten konnte. Auch meine Eltern ließen sich nach 30 Jahren scheiden, was für mich eine äußerst schmerzliche Erfahrung war, obwohl ich schon 27 war und mir die Probleme meiner Eltern wohl bekannt waren. Aber so etwas hatte ich denn doch nicht erwartet. All dies lag vor der Zeit der sog. Emanzipationswelle, nach der sich dann das Eine oder Andere etwas verbesserte. Doch für mich kam sie zu spät, ich hatte meine Weichen schon Jahre vorher gestellt und die Zeit läßt sich nun mal nicht zurück drehen.
Mir ist dadurch vermutlich vieles entgangen, was dem Leben einen tieferen Sinn verleiht. Trotzdem bereue ich meine damalige Entscheidung nicht, denn zu der Zeit war sie für mich richtig. Viele Selbstzweifel plagten mich in jener Zeit, die ich nur unter Schwierigkeiten ausräumen konnte. Das bedingte aber auch zwangsläufig eine gewisse Skepsis gegenüber dem männlichen Teil der Bevölkerung. Als ich dann im reiferen Alter begann therapeutisch zu arbeiten, geschah dies nicht nur mit Frauen, sondern ebenso häufig mit Männern. Man sagt nicht umsonst, daß ein Therapeut viel von seinen Klienten lernt und da war ich keine Ausnahme.
Bei dieser Arbeit stellte ich dann fest, daß die sog. "Herren der Schöpfung" u.a. ebenso unter dem ihnen aufgezwungenen Bild dessen, was sie zu sein haben, leiden, wie die Frauen unter dem Ihrigen. Der Mann soll stark sein, möglichst keine Gefühle zeigen, ja selbst der kleine Junge darf nicht weinen, denn dann ist er eine Memme. Die Männer werden durch diese Erziehung verbogen, daß sie nicht "gefühlsduselig" sein dürfen, erschwert den Austausch zwischen Mann und Frau in einer Zweierbeziehung ungemein. Dies sind nur einige wenige beispielhafte Probleme, das alles ist weit facettenreicher, bei beiden Geschlechtern.
Mein Bild vom männlichen Teil der Bevölkerung veränderte sich allmählich, auch die allgemeine Richtung hatte sich öffentlich gewandelt und erleichterte ein aufeinander Zugehen, eine ausgewogenere Beziehung. Ich lernte Männer kennen, die auch bereit waren Gedanken mit einer Frau auszutauschen, für mich erstaunlich, daß dies ausgerechnet die reiferen Jahrgänge waren. Eigentlich hätte ich ein Umdenken eher bei den Jüngeren erwartet - doch hier spielt wohl eine gewisse Unsicherheit eine Rolle, die von den älteren Jahrgängen bereits überwunden worden ist. Die früheren, wenig erfreulichen Erfahrungen, traten in den Hintergrund, schöne Freundschaften entstanden.
Heute sehe ich es so, daß Mann und Frau, Gegenpole sind, die sich in einer Beziehung gegenseitig ergänzen und so eine abgerundete Einheit bilden, Liebe zueinander, verbunden mit gegenseitigem Respekt und Toleranz, führt dann zu Harmonie. Das wäre eine Art Idealzustand, der jedoch aufgrund der oft "verkorksten" Erziehung und der teils immer noch vorherrschenden alten Denkmuster nicht immer erreichbar ist und zu vielerlei Problemen führt. Übertreibungen in die eine oder andere Richtung, liefern hier Zündstoff, etwa wenn bestritten wird, daß es physische und seelische Unterschiede zwischen Mann und Frau gibt, oder wenn sich eine Frau bei einem Vortrag vor 300 Personen damit brüstet, sieben Abtreibungen hinter sich zu haben. Dies jetzt nicht falsch verstehen, die Entscheidung für eine Schwangerschaft sollte aus meiner Sicht der Frau, ggfs. auch in Absprache mit ihrem Partner überlassen werden. In jedem Falle eine sehr schwere Entscheidung, die von den Meisten nur nach reiflicher Überlegung getroffen wird.
Aber zurück zum Sinn des Lebens. Habe ich wegen meiner damaligen Entscheidung, mich nicht zu unterwerfen, den Sinn meines Lebens verfehlt? Vielleicht einen Teil davon. Andererseits habe ich dadurch aber Lernprozesse durchlaufen, die ich sonst nicht hätte erleben können, Tätigkeiten ausgeübt, die meinem Leben Sinn gaben - auf eine andere Art. Doch ohne Berufsausbildung und die Freiheit selbst zu entscheiden, hätte ich das nicht machen können. Wie immer man das auch beantworten mag, ich habe die Folgen akzeptiert und bin irgendwann damit ins Reine gekommen, so war es damals, so ist es heute, und in der gleichen Situation von damals, würde ich auch aus heutiger Sicht, die gleiche Entscheidung wieder treffen.
Vielleicht hilft diese Schilderung ja dem einen oder anderen jüngeren Menschen, einen Weg für sich selbst zu finden, der natürlich völlig anders aussehen kann und wohl auch wird, als der hier Beschriebene. Da beide, Frau und Mann jeweils ihre eigenen Probleme haben und beide auch darunter leiden, könnte das Verstehen der Probleme des Anderen eine Brücke sein, auf der man sich näher kommen kann und das bis ins hohe Alter hinein. Voraussetzung dafür ist und bleibt, die Freiheit und Unabhängigkeit, sich frei entscheiden zu dürfen, die auch zwei von mehreren Grundlagen für ein gesundes Selbstwertgefühl sind.
Ich halte mich von Menschen (Männern und Frauen) fern, die mir nicht gut tun, aber deshalb hasse ich diese Menschen nicht, warum auch? Hass ist für mich selbst bedrückend, kein wachstumsförderndes Gefühl, und da ich mich und mein Wohlergehen wichtig nehme, lasse ich lieber gute, heilsame Gefühle fließen, zu allen, und allem, auch zu denen, die mir nicht gut tun, (nicht immer, muss auch nicht), dennoch kann ich mich fernhalten.
Auch ich habe diese gleiche Entscheidung getroffen, aus den gleichen Gründen und mit den gleichen Folgen, wie Du. Ich bin sicher, daß jeder das Recht hat sich vor unliebsamen Einflüssen zu schützen. Das Leben ist auch ohne derartiges schon kompliziert genug.
Liebe Grüße,
Clematis