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Fallbeispiel ADS bzw. frühkindlicher Autismus und Therapieversuche
Ich will euch mal den Fall meines Sohnes aufschreiben. Vielleicht ermutigt der Eltern mit kleinen Kindern, die Probleme in der Richtung haben.
Das erste Jahr war extrem anstrengend. Er schlief zwar viel, aber wenn er nicht schlief, schrie er eigentlich fast ständig. Irgendwo mit ihm hin zu gehen, war nahezu unmöglich. Woran das lag, konnte ich nicht feststellen, vielleicht war er doch nicht ganz "reif" als er geboren wurde, da er fast 4 Wochen zu früh kam. Mit einem Jahr wurde es aber besser.
Später auffällig war, dass er bereits mit reichlich einem Jahr sich z.B. fast 2 Stunden mit einer einzigen Blume beschäftigte, die er auseinander nahm und sich jedes Blättchen einzeln betrachtete. Er vergaß bei solchen Beschäftigungen alles um sich rum und war kam ansprechbar in solchen Momenten. Die Kindergärtnerin, die ihn ab dem 1. Lebensjahr betreute empfand das als sehr bemerkenswert.
Zunächst empfand ich es aber noch nicht als auffällig und er hatte auch noch im Kindergarten etwas Kontakt zu anderen Kindern. Allerdings merkte man auch, dass er eigentlich immer lieber allein war. In der körperlichen und sprachlichen Entwicklung war er immer extrem spät, aber es entsprach immer noch halbwegs der Norm. Er ging eigentlich gern in den Kindergarten, sonderte sich aber schnell ab und machte seinen eigenen "Forschungen" Mit reichlich 2,5 Jahren sprach er nicht mehr im Kindergarten. All die vielen Bemühungen der Kindergärtnerin halfen nicht, ihn einzubeziehen. In der Zeit sprach er aber wenigstens noch mit mir, wenn ich ihn abholte. Ich hatte aber das Gefühl, dass es sprachlich abwärts ging. Manches, was er schon konnte, ging auf einmal nicht mehr. Mit reichlich 3,5 Jahren sprach er dann auch mit mir nicht mehr. Inzwischen zog er sich immer mehr zurück, lag am liebsten sowohl im Kindergarten wie auch zu Hause in der Ecke und zählte vor sich hin. Er hatte zu dem Zeitpunkt bereits die Welt der Zahlen für sich entdeckt. Immer wieder versuchte ich an ihn heran zu kommen. Ich versuchte ganz normale Dinge mit ihm zu tun (Backen usw.), die man eben mit Kindern in dem Alter tut, aber es gelang selbst mir immer schwerer auch nur Blickkontakt herzustellen. Es ging für einen Moment, aber bereits nach wenigen Momenten verschwand er wieder in seine Welt.Auch die Kindergärtnerin holte ihn immer wieder aus seiner Ecke und setzte ihn wenigstens mit zu den anderen Kindern, auch wenn er völlig unfähig war, sich auf Basteln o.a. Beschäftigungen einzulassen.
Ich war völlig ratlos. Nach 3 Monaten, in denen er mit mir keine Wort sprach (nur ab und zu geflüstert) fand ich Kontakt zur Familienberatungsstelle und einer Psychologin, die sich ihn in vier Terminen ihn mal ansah. Sie bestätigte mir die Vermutung, dass das mit einer normalen Reaktion Dreijähriger (Bockigsein o.ä. ) nichts zu tun hat. Sie knüpfte Kontakt zur "Frühförderstelle". Dort kam dann die Meinung auf, dass es in die Richtung "Autistische Züge" geht. Die Psychologin schickte uns nun also dort hin, weil sie der Meinung war, dass er eben kein psychologischer Fall ist und unbedingt die Erfahrungen einer Therapeutin mit den behinderten Kindern gebraucht wird.
Es braucht nur vier Stunden dort in der Frühförderstelle, als er auf einmal im Kindergarten wieder sprach. Die Kindergärtnerin weinte vor Freude. Es war das erste mal nach 1,5 Jahren Schweigsamkeit. Natürlich gab es trotzdem noch sehr sehr viel zu tun, um die erheblichen Defizite zu verringern bzw. wenigstens nicht noch größer werden zu lassen, aber eine wichtige innere Blockade hatte sich gelöst.
Die Therapie war eine Kombination aus Körperwahrnehmungsübungen und Konzentrationsübungen. z.B. wurde er am Anfang der Stunde in eine Kinderbadewanne aus Bohnensamen gesetzt (nur im Schlüpfer), damit überschüttet und auch massiert u.ä.. . nach 15 Minuten solcher Behandlungen konnte er sich viel besser auf anderes konzentrieren.(am Anfang war so was aber viel kürzer, er musste sich erst daran gewöhnen) Am Anfang war er noch sehr unsicher mit den körperlichen Reizen aber nach einer Weile gefiel es ihm und es tat ihm gut.
Zur geistigen Entwicklung: Es wurden ihm z.B. Bilder mit Gesichtern gezeigt, wo mal ein Kind lacht oder mal weint. Zusammen wurde besprochen, was das Kind da macht usw. . Er musste solche Beobachtung richtig lernen und üben. Am Anfang war da gar nichts da, es war für ihn völlig unmöglich zu erkennen, dass das Kind weint, weil es vielleicht traurig ist usw.
Am Anfang schaffte er nur ein solches Bild, es wurden dann aber mehr. Vor dem Ansehen solcher Bilder erfolgte immer erst einmal ein Teil zur Körperwahrnehmung s.o.. Zum Beispiel gab es dort auch ein Bällchenbad usw.. Ohne solche "Vorbereitung" war an konzentrazionsaufwendige Dinge nicht zu denken.
Natürlich gab es noch viele anderen Übungen. Falls es jemand interessiert, kann ich versuchen, noch mehr zu beschreiben.
Ich weiß bis heute nicht, wie genau man die Probleme meines Sohnes von damals einstufen würde, ob das wirklich autistische Züge, oder Asperger Syndrom, ADS oder einfach nur extreme Verträumtheit war. Bei der Therapie wurde auch gar kein Wert drauf gelegt, nun nach einem passenden Schubfach zu suchen. Man stellte fest, welche Defizite er hatte und es wurde versucht, daran zu arbeiten. Er war eben „Andreas“ und nicht „Autist“ o.ä. Demzufolge weiß ich aber nicht so genau, ob das nun so ganz genau, ob meine Schilderungen irgend jemand wirklich nutzen können. Es wurde auch keine bestimmte Therapie mit irgendeinem bestimmten Namen gemacht. Ich gehe davon aus, dass da ganz verschiedene Ideen verknüpft wurden aufbauend auf den Erfahrungen, die man dort mit auffälligeren Kindern gesammelt hat. In dieser Frühförderstelle und dem ebenfalls dort ansässigen integrativen Kindergarten gibt es langjährige Erfahrungen mit Kindern, die ganz verschiedene Behinderungen haben.
Die Förderungen erfolgte hier: Frühförderstelle : Integrative Konzepte in Jena es war lediglich eine Stunde pro Woche aber es hat sehr große Wirkung gehabt.
Mir geht es mit dem Aufschreiben dieses Falls eigentlich nur darum, Mut zu machen, wirklich frühzeitig sich um solche Auffälligkeiten zu kümmern. Ich las mal, dass man etwa bis zum 6.Lebensjahr noch gute Chancen hat, an der "Hardware" des Gehirns noch was zu verändern. Jenseits des 6.Lebensjahres ist das kaum noch möglich. Man wird dann beiweiten nicht mehr die Effekte erzielen können wie bei deinem kleinen Kind. Falls ihr noch Fragen habt zu diesem Fall, kann ich die gern beantworten, ihr braucht aber jetzt keine Hinweise mehr auf eine Therapie geben, weil das Thema für mich eigentlich abgeschlossen ist.
Inzwischen ist das Kind 12 und relativ unauffällig, wenn man das von einem Kind, was lieber rechnet als Fußball spielt sagen kann. Probleme gibts eigentlich hauptsächlich nur wegen seiner etwas anderen Interessen. Da er aber in eine Mathespezialschule gehen kann, ist er dort weniger auffällig als woanders. Er hat auch einige wenige Freunde, mit denen er ein enges Verhältnis hat und zu zweit ist die Beschäftigung mit anderen immer am schönsten. In größeren Gruppen hat er gewisse Probleme, die aber auch ihre Ursachen in Problemen des sprachlichen Ausdrucksvermögens haben, an denen wir immer wieder versuchen zu arbeiten. Ich bin jetzt froh, im Moment davon ausgehen zu können, dass er seinen Weg gehen wird und meine großen Ängste gehören der Vergangenheit an. Klar hat er immer noch Phasen, wo er sich geradezu versenkt in mathematische Überlegungen, Überlegungen zu Schachstrategien o.ä., aber ich würde diese Besonderheit nicht "wegtherapieren" wollen. Es ist eine besondere Begabung, die ihn zu dem macht, was er ist, auch wenn sie kleine Probleme macht, weil manche Menschen das nicht nachvollziehen können.
Er ist aber recht selbstständig, so dass ich mir recht sicher bin, dass er im Leben mal klar kommen wird.
Der Grundstein dazu wurde dazu aber wahrscheinlich zwischen 4 und 6 Jahren gelegt und mir ging es eigentlich nur darum, darauf hinzuweisen, wie eintscheidend das sein kann.
Viele Grüße Anne
Ich will euch mal den Fall meines Sohnes aufschreiben. Vielleicht ermutigt der Eltern mit kleinen Kindern, die Probleme in der Richtung haben.
Das erste Jahr war extrem anstrengend. Er schlief zwar viel, aber wenn er nicht schlief, schrie er eigentlich fast ständig. Irgendwo mit ihm hin zu gehen, war nahezu unmöglich. Woran das lag, konnte ich nicht feststellen, vielleicht war er doch nicht ganz "reif" als er geboren wurde, da er fast 4 Wochen zu früh kam. Mit einem Jahr wurde es aber besser.
Später auffällig war, dass er bereits mit reichlich einem Jahr sich z.B. fast 2 Stunden mit einer einzigen Blume beschäftigte, die er auseinander nahm und sich jedes Blättchen einzeln betrachtete. Er vergaß bei solchen Beschäftigungen alles um sich rum und war kam ansprechbar in solchen Momenten. Die Kindergärtnerin, die ihn ab dem 1. Lebensjahr betreute empfand das als sehr bemerkenswert.
Zunächst empfand ich es aber noch nicht als auffällig und er hatte auch noch im Kindergarten etwas Kontakt zu anderen Kindern. Allerdings merkte man auch, dass er eigentlich immer lieber allein war. In der körperlichen und sprachlichen Entwicklung war er immer extrem spät, aber es entsprach immer noch halbwegs der Norm. Er ging eigentlich gern in den Kindergarten, sonderte sich aber schnell ab und machte seinen eigenen "Forschungen" Mit reichlich 2,5 Jahren sprach er nicht mehr im Kindergarten. All die vielen Bemühungen der Kindergärtnerin halfen nicht, ihn einzubeziehen. In der Zeit sprach er aber wenigstens noch mit mir, wenn ich ihn abholte. Ich hatte aber das Gefühl, dass es sprachlich abwärts ging. Manches, was er schon konnte, ging auf einmal nicht mehr. Mit reichlich 3,5 Jahren sprach er dann auch mit mir nicht mehr. Inzwischen zog er sich immer mehr zurück, lag am liebsten sowohl im Kindergarten wie auch zu Hause in der Ecke und zählte vor sich hin. Er hatte zu dem Zeitpunkt bereits die Welt der Zahlen für sich entdeckt. Immer wieder versuchte ich an ihn heran zu kommen. Ich versuchte ganz normale Dinge mit ihm zu tun (Backen usw.), die man eben mit Kindern in dem Alter tut, aber es gelang selbst mir immer schwerer auch nur Blickkontakt herzustellen. Es ging für einen Moment, aber bereits nach wenigen Momenten verschwand er wieder in seine Welt.Auch die Kindergärtnerin holte ihn immer wieder aus seiner Ecke und setzte ihn wenigstens mit zu den anderen Kindern, auch wenn er völlig unfähig war, sich auf Basteln o.a. Beschäftigungen einzulassen.
Ich war völlig ratlos. Nach 3 Monaten, in denen er mit mir keine Wort sprach (nur ab und zu geflüstert) fand ich Kontakt zur Familienberatungsstelle und einer Psychologin, die sich ihn in vier Terminen ihn mal ansah. Sie bestätigte mir die Vermutung, dass das mit einer normalen Reaktion Dreijähriger (Bockigsein o.ä. ) nichts zu tun hat. Sie knüpfte Kontakt zur "Frühförderstelle". Dort kam dann die Meinung auf, dass es in die Richtung "Autistische Züge" geht. Die Psychologin schickte uns nun also dort hin, weil sie der Meinung war, dass er eben kein psychologischer Fall ist und unbedingt die Erfahrungen einer Therapeutin mit den behinderten Kindern gebraucht wird.
Es braucht nur vier Stunden dort in der Frühförderstelle, als er auf einmal im Kindergarten wieder sprach. Die Kindergärtnerin weinte vor Freude. Es war das erste mal nach 1,5 Jahren Schweigsamkeit. Natürlich gab es trotzdem noch sehr sehr viel zu tun, um die erheblichen Defizite zu verringern bzw. wenigstens nicht noch größer werden zu lassen, aber eine wichtige innere Blockade hatte sich gelöst.
Die Therapie war eine Kombination aus Körperwahrnehmungsübungen und Konzentrationsübungen. z.B. wurde er am Anfang der Stunde in eine Kinderbadewanne aus Bohnensamen gesetzt (nur im Schlüpfer), damit überschüttet und auch massiert u.ä.. . nach 15 Minuten solcher Behandlungen konnte er sich viel besser auf anderes konzentrieren.(am Anfang war so was aber viel kürzer, er musste sich erst daran gewöhnen) Am Anfang war er noch sehr unsicher mit den körperlichen Reizen aber nach einer Weile gefiel es ihm und es tat ihm gut.
Zur geistigen Entwicklung: Es wurden ihm z.B. Bilder mit Gesichtern gezeigt, wo mal ein Kind lacht oder mal weint. Zusammen wurde besprochen, was das Kind da macht usw. . Er musste solche Beobachtung richtig lernen und üben. Am Anfang war da gar nichts da, es war für ihn völlig unmöglich zu erkennen, dass das Kind weint, weil es vielleicht traurig ist usw.
Am Anfang schaffte er nur ein solches Bild, es wurden dann aber mehr. Vor dem Ansehen solcher Bilder erfolgte immer erst einmal ein Teil zur Körperwahrnehmung s.o.. Zum Beispiel gab es dort auch ein Bällchenbad usw.. Ohne solche "Vorbereitung" war an konzentrazionsaufwendige Dinge nicht zu denken.
Natürlich gab es noch viele anderen Übungen. Falls es jemand interessiert, kann ich versuchen, noch mehr zu beschreiben.
Ich weiß bis heute nicht, wie genau man die Probleme meines Sohnes von damals einstufen würde, ob das wirklich autistische Züge, oder Asperger Syndrom, ADS oder einfach nur extreme Verträumtheit war. Bei der Therapie wurde auch gar kein Wert drauf gelegt, nun nach einem passenden Schubfach zu suchen. Man stellte fest, welche Defizite er hatte und es wurde versucht, daran zu arbeiten. Er war eben „Andreas“ und nicht „Autist“ o.ä. Demzufolge weiß ich aber nicht so genau, ob das nun so ganz genau, ob meine Schilderungen irgend jemand wirklich nutzen können. Es wurde auch keine bestimmte Therapie mit irgendeinem bestimmten Namen gemacht. Ich gehe davon aus, dass da ganz verschiedene Ideen verknüpft wurden aufbauend auf den Erfahrungen, die man dort mit auffälligeren Kindern gesammelt hat. In dieser Frühförderstelle und dem ebenfalls dort ansässigen integrativen Kindergarten gibt es langjährige Erfahrungen mit Kindern, die ganz verschiedene Behinderungen haben.
Die Förderungen erfolgte hier: Frühförderstelle : Integrative Konzepte in Jena es war lediglich eine Stunde pro Woche aber es hat sehr große Wirkung gehabt.
Mir geht es mit dem Aufschreiben dieses Falls eigentlich nur darum, Mut zu machen, wirklich frühzeitig sich um solche Auffälligkeiten zu kümmern. Ich las mal, dass man etwa bis zum 6.Lebensjahr noch gute Chancen hat, an der "Hardware" des Gehirns noch was zu verändern. Jenseits des 6.Lebensjahres ist das kaum noch möglich. Man wird dann beiweiten nicht mehr die Effekte erzielen können wie bei deinem kleinen Kind. Falls ihr noch Fragen habt zu diesem Fall, kann ich die gern beantworten, ihr braucht aber jetzt keine Hinweise mehr auf eine Therapie geben, weil das Thema für mich eigentlich abgeschlossen ist.
Inzwischen ist das Kind 12 und relativ unauffällig, wenn man das von einem Kind, was lieber rechnet als Fußball spielt sagen kann. Probleme gibts eigentlich hauptsächlich nur wegen seiner etwas anderen Interessen. Da er aber in eine Mathespezialschule gehen kann, ist er dort weniger auffällig als woanders. Er hat auch einige wenige Freunde, mit denen er ein enges Verhältnis hat und zu zweit ist die Beschäftigung mit anderen immer am schönsten. In größeren Gruppen hat er gewisse Probleme, die aber auch ihre Ursachen in Problemen des sprachlichen Ausdrucksvermögens haben, an denen wir immer wieder versuchen zu arbeiten. Ich bin jetzt froh, im Moment davon ausgehen zu können, dass er seinen Weg gehen wird und meine großen Ängste gehören der Vergangenheit an. Klar hat er immer noch Phasen, wo er sich geradezu versenkt in mathematische Überlegungen, Überlegungen zu Schachstrategien o.ä., aber ich würde diese Besonderheit nicht "wegtherapieren" wollen. Es ist eine besondere Begabung, die ihn zu dem macht, was er ist, auch wenn sie kleine Probleme macht, weil manche Menschen das nicht nachvollziehen können.
Er ist aber recht selbstständig, so dass ich mir recht sicher bin, dass er im Leben mal klar kommen wird.
Der Grundstein dazu wurde dazu aber wahrscheinlich zwischen 4 und 6 Jahren gelegt und mir ging es eigentlich nur darum, darauf hinzuweisen, wie eintscheidend das sein kann.
Viele Grüße Anne