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Interview mit Prof. Dr. Lebrecht von Klitzing:
„Die Grenzwerte wurden an Labormodellen entwickelt, nicht an lebenden Systemen": öp-Redakteur Raphael Mankau sprach mit dem renommierten Mobilfunk-Kritiker und Medizinphysiker Prof. Dr. Lebrecht von Klitzing (Langfassung des Interviews, aus: Juli-2003-Ausgabe des ödp-Magazins ÖkologiePolitik).
Der 1939 geborene Medizinphysiker Prof. Dr. Lebrecht von Klitzing war von 1975 bis 2002 Akademischer Oberrat an der Medizinischen Universität Lübeck (MUL), zuletzt als Leiter der Klinisch-Experimentellen Forschungseinrichtung an der Universitätsklinik. Als die Leitung der MUL ihrem Elektrosmog-Experten im Juli 2001 die Aussage vor dem Umweltausschuss des Deutschen Bundestags untersagte und ihm zuletzt die Forschung verbot, trennten sich der populäre Mobilfunkkritiker und die MUL. Seit April 2002 arbeitet von Klitzing als freier Wissenschaftler mit Lehrauftrag in Umwelt- und Medizinphysik an einer ausländischen Universität in Deutschland.
öp: Das im Juni 2001 von Mobilfunk-Betreibern gegründete „Informationszentrum Mobilfunk (IZMF)" beruhigt besorgte Anrufer: Nach dem „derzeitigen Stand der Wissenschaft" gehe vom Mobilfunk keine Gefahr aus. Auf welche Untersuchungen stützt sich das IZMF?
Von Klitzing: Das IZMF hat niemals eigene Untersuchungen gemacht. Es beruft sich darauf, was die Forschungsgemeinschaft Funk oder das Bundesamt für Strahlenschutz verbreiten. Gesprochen wird dabei von angeblich 20.000 bis 30.000 Studien. Doch wenn man genau nachrecherchiert, kommt man zu verblüffenden Ergebnissen. Denn zum einen existiert diese Anzahl an Studien überhaupt nicht: Wenn man nachfragt oder einen Literatur-Nachweis anfordert, erhält man nichts.
Zum zweiten geht es ja beim Mobilfunk um Hochfrequenz. Doch die genannte Zahl enthält viele Studien, die Niederfrequenzen untersuchen - elektrische und magnetische Felder bis 50 Hz. Wir haben - wie auch andere - recherchiert und sind auf ca. 500 Studien gekommen, die sich tatsächlich mit dem Mobilfunk befassen. Doch bei all diesen Untersuchungen geht es ausschließlich - ohne Ausnahme - um die Wirkung von Handys am Kopf, und zwar bei Kurzzeitexposition. Hierzu existieren einige Studien aus skandinavischen Ländern, die eine erhöhte Hirntumorrate - mit der ganzen statistischen Unsicherheit - festgestellt haben. Diese lasse ich allerdings hier außer Betracht, da sie ja ohnehin nicht für die Betreiber sprechen.
Über diejenigen Menschen, die in der Nähe einer Mobilfunkbasisstation leben müssen und diesen Feldern dauerhaft exponiert sind, existiert keine einzige Studie! Das IZMF sagt also schlichtweg die Unwahrheit.
Der Tenor geht immer in die Richtung: Werden die Grenzwerte überschritten - ja oder nein? - Da dies meist nicht der Fall ist, wird eine Untersuchung für uninteressant und nicht relevant gehalten - so die Haltung der Betreiber, die natürlich an der Fragestellung voll vorbeigeht.
Zum ersten Mal hat jetzt das Bundesamt für Strahlenschutz epidemiologische Studien angedacht und ausgeschrieben - gerade hinsichtlich derjenigen Bevölkerung, die in der Nähe von Mobilfunk-Basisstationen wohnt. Das Problem ist jedoch, dass die gesamte dazu gehörige Anamnese systematisch und sorgfältig gemacht werden muss - denn man darf hier nicht monokausal denken.
Das IZMF stützt sich nur auf Fremdaussagen. Außerdem schiebt einer dem anderen den Schwarzen Peter zu: Das IZMF verweist auf die Forschungsgemeinschaft Funk, diese wiederum auf Prof. J. Silny (FEMU, Technische Hochschule Aachen); und von den 20.000 Studien weiß niemand etwas.
öp: In welcher Form wirken Sendeanlagen und Handys denn auf den Menschen?
Von Klitzing: Grundsätzlich existiert hier kein Wirkungsmodell. Deshalb bleibt uns nur die Beschreibung der biologischen Reaktionen im niederenergetischen oder auch athermischen Bereich. Für den thermischen Bereich gibt es Wirkungsmodelle aus der Physik, die besagen, dass absorbierte Feldenergie in Wärme umgesetzt wird, was dann kritisch werden kann. Bei der üblichen Exposition in den elektromagnetischen Feldern des Mobilfunks befinden wir uns allerdings im niederenergetischen oder auch athermischen Bereich mit ganz anderen Wirkungsmustern.
Des weiteren haben wir es beim Mobilfunk mit einer besonderen Modulationsart zu tun, die sich grundlegend von den bisherigen zur Informationsübertragung eingesetzten Feldern unterscheidet. Sie müssen bedenken, dass die Grenzwerte festgelegt wurden auf der Basis eines kontinuierlichen, nicht modulierten Hochfrequenzstrahlers. Zudem wurden sie an Labormodellen entwickelt, nicht an lebenden Systemen.
Doch beim Mobilfunk liegen gepulste Felder vor - und die haben ein völlig anderes Wirkungsmuster. Aber wir haben eben kein Wirkungsmodell - wir können nur den Effekt sehen, mit der gegebenen statistischen Unsicherheit.
öp: Bitte erläutern Sie kurz die Begriffe „thermisch" und „athermisch".
Von Klitzing:„Thermisch" heißt, dass die gesamte Feldenergie in Wärme umgesetzt wird. „Athermisch" heißt, dass diese Wärme zwar auch - rein theoretisch - entsteht und vielleicht bei Hundertstel Grad liegt, somit kaum oder gar nicht biologisch relevant ist; hier sind zwar auch Temperaturänderungen berechenbar, die aber real für das biologische System nicht eintreten, da dieses gegenreguliert.
Beim Mobilfunk treten fast ausschließlich athermische Effekte auf, oder besser: Wirkungen im Niedrigenergiebereich.
öp: Wie sieht der athermische Effekt aus?
Von Klitzing: Wir können am vegetativen Nervensystem beobachten und auch messen, dass Menschen z.B. gegenüber Mobilfunkstrahlungen elektrosensibel sind. Das vegetative Nervensystem spiegelt die Bioregulation wider, die vom Gehirn (Hypothalamus) gesteuert wird. Auf diese Steuerung hat der Mensch keinen unmittelbaren Einfluss - dazu gehören z.B. der Herzschlag, die Hautdurchblutung, die Aktivität der Kapillargefäße, das EKG und teilweise auch das EEG. Beim EKG ist die Variabilität der Herzrate der Parameter, der uns entscheidende Informationen darüber gibt, ob das Bioregulationssystem funktioniert.
öp: Was können Sie konkret feststellen?
Von Klitzing: Wir machen Tests in einer Klinik in der Nähe von Würzburg. Zu uns kommen Menschen, die - vermeintlich oder zurecht - Probleme mit Elektromagnetismus haben. Wir leiten das EKG, die Hautdurchblutung und andere physiologische Parameter ab. Dann werden die Testpersonen während der Sitzung einem Feld von etwa 1 mW/qm Leistungsflussdichte ausgesetzt - wir simulieren hier ein Telefonat mit Handy und Testkarte; im Vergleich: Der Grenzwert für das D-Netz liegt bei 4.600 mW/qm. Der von uns verwandte Wert liegt somit im niederenergetischen Bereich ohne relevante Wärmeentwicklung.
Wenn die Menschen nun in einen Stresszustand geraten, ändert sich die Variabilität der Herzrate. Diese Variabilität ist für die Bioregulation notwendig, wird aber bei Stresszuständen - z.B. auch aufgrund von Chemikalien oder elektromagnetischen Feldern zu Hause - eingeschränkt. Eine Stresssituation durch Mobilfunk-Strahlung lässt sich somit sehr gut und zuverlässig darstellen.
„Die Grenzwerte wurden an Labormodellen entwickelt, nicht an lebenden Systemen": öp-Redakteur Raphael Mankau sprach mit dem renommierten Mobilfunk-Kritiker und Medizinphysiker Prof. Dr. Lebrecht von Klitzing (Langfassung des Interviews, aus: Juli-2003-Ausgabe des ödp-Magazins ÖkologiePolitik).
Der 1939 geborene Medizinphysiker Prof. Dr. Lebrecht von Klitzing war von 1975 bis 2002 Akademischer Oberrat an der Medizinischen Universität Lübeck (MUL), zuletzt als Leiter der Klinisch-Experimentellen Forschungseinrichtung an der Universitätsklinik. Als die Leitung der MUL ihrem Elektrosmog-Experten im Juli 2001 die Aussage vor dem Umweltausschuss des Deutschen Bundestags untersagte und ihm zuletzt die Forschung verbot, trennten sich der populäre Mobilfunkkritiker und die MUL. Seit April 2002 arbeitet von Klitzing als freier Wissenschaftler mit Lehrauftrag in Umwelt- und Medizinphysik an einer ausländischen Universität in Deutschland.
öp: Das im Juni 2001 von Mobilfunk-Betreibern gegründete „Informationszentrum Mobilfunk (IZMF)" beruhigt besorgte Anrufer: Nach dem „derzeitigen Stand der Wissenschaft" gehe vom Mobilfunk keine Gefahr aus. Auf welche Untersuchungen stützt sich das IZMF?
Von Klitzing: Das IZMF hat niemals eigene Untersuchungen gemacht. Es beruft sich darauf, was die Forschungsgemeinschaft Funk oder das Bundesamt für Strahlenschutz verbreiten. Gesprochen wird dabei von angeblich 20.000 bis 30.000 Studien. Doch wenn man genau nachrecherchiert, kommt man zu verblüffenden Ergebnissen. Denn zum einen existiert diese Anzahl an Studien überhaupt nicht: Wenn man nachfragt oder einen Literatur-Nachweis anfordert, erhält man nichts.
Zum zweiten geht es ja beim Mobilfunk um Hochfrequenz. Doch die genannte Zahl enthält viele Studien, die Niederfrequenzen untersuchen - elektrische und magnetische Felder bis 50 Hz. Wir haben - wie auch andere - recherchiert und sind auf ca. 500 Studien gekommen, die sich tatsächlich mit dem Mobilfunk befassen. Doch bei all diesen Untersuchungen geht es ausschließlich - ohne Ausnahme - um die Wirkung von Handys am Kopf, und zwar bei Kurzzeitexposition. Hierzu existieren einige Studien aus skandinavischen Ländern, die eine erhöhte Hirntumorrate - mit der ganzen statistischen Unsicherheit - festgestellt haben. Diese lasse ich allerdings hier außer Betracht, da sie ja ohnehin nicht für die Betreiber sprechen.
Über diejenigen Menschen, die in der Nähe einer Mobilfunkbasisstation leben müssen und diesen Feldern dauerhaft exponiert sind, existiert keine einzige Studie! Das IZMF sagt also schlichtweg die Unwahrheit.
Der Tenor geht immer in die Richtung: Werden die Grenzwerte überschritten - ja oder nein? - Da dies meist nicht der Fall ist, wird eine Untersuchung für uninteressant und nicht relevant gehalten - so die Haltung der Betreiber, die natürlich an der Fragestellung voll vorbeigeht.
Zum ersten Mal hat jetzt das Bundesamt für Strahlenschutz epidemiologische Studien angedacht und ausgeschrieben - gerade hinsichtlich derjenigen Bevölkerung, die in der Nähe von Mobilfunk-Basisstationen wohnt. Das Problem ist jedoch, dass die gesamte dazu gehörige Anamnese systematisch und sorgfältig gemacht werden muss - denn man darf hier nicht monokausal denken.
Das IZMF stützt sich nur auf Fremdaussagen. Außerdem schiebt einer dem anderen den Schwarzen Peter zu: Das IZMF verweist auf die Forschungsgemeinschaft Funk, diese wiederum auf Prof. J. Silny (FEMU, Technische Hochschule Aachen); und von den 20.000 Studien weiß niemand etwas.
öp: In welcher Form wirken Sendeanlagen und Handys denn auf den Menschen?
Von Klitzing: Grundsätzlich existiert hier kein Wirkungsmodell. Deshalb bleibt uns nur die Beschreibung der biologischen Reaktionen im niederenergetischen oder auch athermischen Bereich. Für den thermischen Bereich gibt es Wirkungsmodelle aus der Physik, die besagen, dass absorbierte Feldenergie in Wärme umgesetzt wird, was dann kritisch werden kann. Bei der üblichen Exposition in den elektromagnetischen Feldern des Mobilfunks befinden wir uns allerdings im niederenergetischen oder auch athermischen Bereich mit ganz anderen Wirkungsmustern.
Des weiteren haben wir es beim Mobilfunk mit einer besonderen Modulationsart zu tun, die sich grundlegend von den bisherigen zur Informationsübertragung eingesetzten Feldern unterscheidet. Sie müssen bedenken, dass die Grenzwerte festgelegt wurden auf der Basis eines kontinuierlichen, nicht modulierten Hochfrequenzstrahlers. Zudem wurden sie an Labormodellen entwickelt, nicht an lebenden Systemen.
Doch beim Mobilfunk liegen gepulste Felder vor - und die haben ein völlig anderes Wirkungsmuster. Aber wir haben eben kein Wirkungsmodell - wir können nur den Effekt sehen, mit der gegebenen statistischen Unsicherheit.
öp: Bitte erläutern Sie kurz die Begriffe „thermisch" und „athermisch".
Von Klitzing:„Thermisch" heißt, dass die gesamte Feldenergie in Wärme umgesetzt wird. „Athermisch" heißt, dass diese Wärme zwar auch - rein theoretisch - entsteht und vielleicht bei Hundertstel Grad liegt, somit kaum oder gar nicht biologisch relevant ist; hier sind zwar auch Temperaturänderungen berechenbar, die aber real für das biologische System nicht eintreten, da dieses gegenreguliert.
Beim Mobilfunk treten fast ausschließlich athermische Effekte auf, oder besser: Wirkungen im Niedrigenergiebereich.
öp: Wie sieht der athermische Effekt aus?
Von Klitzing: Wir können am vegetativen Nervensystem beobachten und auch messen, dass Menschen z.B. gegenüber Mobilfunkstrahlungen elektrosensibel sind. Das vegetative Nervensystem spiegelt die Bioregulation wider, die vom Gehirn (Hypothalamus) gesteuert wird. Auf diese Steuerung hat der Mensch keinen unmittelbaren Einfluss - dazu gehören z.B. der Herzschlag, die Hautdurchblutung, die Aktivität der Kapillargefäße, das EKG und teilweise auch das EEG. Beim EKG ist die Variabilität der Herzrate der Parameter, der uns entscheidende Informationen darüber gibt, ob das Bioregulationssystem funktioniert.
öp: Was können Sie konkret feststellen?
Von Klitzing: Wir machen Tests in einer Klinik in der Nähe von Würzburg. Zu uns kommen Menschen, die - vermeintlich oder zurecht - Probleme mit Elektromagnetismus haben. Wir leiten das EKG, die Hautdurchblutung und andere physiologische Parameter ab. Dann werden die Testpersonen während der Sitzung einem Feld von etwa 1 mW/qm Leistungsflussdichte ausgesetzt - wir simulieren hier ein Telefonat mit Handy und Testkarte; im Vergleich: Der Grenzwert für das D-Netz liegt bei 4.600 mW/qm. Der von uns verwandte Wert liegt somit im niederenergetischen Bereich ohne relevante Wärmeentwicklung.
Wenn die Menschen nun in einen Stresszustand geraten, ändert sich die Variabilität der Herzrate. Diese Variabilität ist für die Bioregulation notwendig, wird aber bei Stresszuständen - z.B. auch aufgrund von Chemikalien oder elektromagnetischen Feldern zu Hause - eingeschränkt. Eine Stresssituation durch Mobilfunk-Strahlung lässt sich somit sehr gut und zuverlässig darstellen.