von Philipp Graetzel, 20.06.2011
Meldepflicht: Schluss mit den Faxen!
Durch die EHEC-Welle ist auch das deutsche Meldewesen für Infektionskrankheiten in die Kritik gekommen. Es ist aber nicht so schlecht wie sein Ruf. Einiges verbessern ließe sich, wenn am Beginn der Meldekette endlich der Sprung ins digitale Zeitalter gelingen würde.
Mehr zu diesem Thema: Infektionsschutzgesetz (IfSG) ZTG eGesundheit.nrw
Wenn in Deutschland etwas schief geht, ist immer erst einmal der Föderalismus Schuld. Insofern kann es nicht weiter erstaunen, dass sechs Wochen nach Beginn der EHEC-Welle jetzt an diversen Stellen der Ruf nach einer Art Bundesseuchenamt erklingt. Was hinter diesen Diskussionen letztlich steckt, ist die Frage, ob das in Deutschland föderal organisierte Meldewesen für Infektionskrankheiten nicht besser zentralisiert werden sollte. Blutiger Durchfall in der Praxis, Mausklick auf den EHEC-Button, elektronische Meldung an die Bundeszentrale, alles wird gut. Das ist, etwas überspitzt formuliert, das Szenario der Apologeten des elektronischen Meldezentralismus.
Die Meldekette in ihrer ganzen Schönheit
Das deutsche Meldewesen ist bekanntlich im Infektionsschutzgesetz (IfSG) geregelt. Dort wird unterschieden zwischen der namentlichen Meldung von „Verdacht auf“, „Erkrankung an“ oder „Tod an“ bestimmten Erkrankungen an das Gesundheitsamt, der namentlichen Meldung bestimmter Erreger- oder Toxinnachweise an das Gesundheitsamt sowie der vor allem bei Geschlechtserkrankungen und HIV relevanten, nicht-namentlichen (Labor-)Meldung an das Robert Koch Institut (RKI). Pro Jahr bearbeiten die rund 420 deutschen Gesundheitsämter mehrere hunderttausend eingehende Meldungen. Schon diese vergleichsweise geringe Zahl illustriert, dass die allermeisten Arztpraxen mit dem Thema Meldung von Infektionskrankheiten nicht viel bis gar nichts zu tun haben. „Vielmelder“ sind die Labors und danach kommt lange nichts. Mit deutlichem Abstand folgen Kinderärzte, Dermatologen, Gynäkologen, Allgemeinärzte und hausärztliche Internisten. Die so genannte Arztmeldung soll gemäß IfSG innerhalb von 24 Stunden erfolgen, und zwar an das Gesundheitsamt, das für den Patienten zuständig ist. Demgegenüber meldet das Labor an das Gesundheitsamt des einsendenden Arztes, ebenfalls innerhalb von 24 Stunden. Vom Gesundheitsamt geht die Meldung dann spätestens am dritten Arbeitstag der auf die Meldung folgenden Woche an die zuständige Landesstelle. Von dort wandern die Daten wieder innerhalb von einer Woche an das RKI. Daraus errechnet sich theoretisch eine „erlaubte“ Frist zwischen Eingang der Meldung beim Gesundheitsamt und Bearbeitung im RKI von plus minus zwei Wochen, je nachdem wie die Wochenenden liegen.
Nicht alle Bundesländer arbeiten gleich schnell
Nun ist es ohne Zweifel so, dass Krankheitsausbrüche, die die Grenzen der Kreise überschreiten, unter Umständen erst durch die Zusammenführung von Meldedaten der unterschiedlichen Gesundheitsämter erkannt werden. Entsprechend werden jetzt Forderungen laut, die Zusammenführung der Meldedaten zu beschleunigen. Die Frage ist, ob alles besser würde, wenn die Meldungen erstens elektronisch und zweitens zentral erfolgten. Hier muss sehr genau unterschieden werden, wovon man redet. „Der Weg von den Gesundheitsämtern über die Landesstellen zum RKI läuft in Nordrhein-Westfalen elektronisch“, betont Lars Treinat, der sich innerhalb der Landesinitiative eGesundheit.nrw am Bochumer Zentrum für Telematik im Gesundheitswesen (ZTG) mit dem Thema Meldewesen beschäftigt.
In anderen Bundesländern ist das zum Teil etwas anders. Das belegen Daten des RKI. Im Jahr 2009 betrug der so genannte „Verzug auf dem Übermittlungswege“, also die Zeit zwischen Dateneingabe im Gesundheitsamt und Eingang der Meldung im RKI, deutschlandweit im Median nur zwei Tage. Es gibt allerdings Bundesländer, die bei einem Tag liegen und andere, die sich im Median sechs Tage Zeit lassen. Wird die Zeit zwischen Eingang im Amt und Eingang im RKI analysiert, liegt die Spanne zwischen vier und elf Tagen. Der deutschlandweite Median lag 2009 bei sechs Tagen. Hier scheint also durchaus an einigen Stellen Prozessoptimierung angesagt zu sein. Derzeit nutzt etwa ein Drittel der Gesundheitsämter für die Prozessierung und Auswertung der Meldungen die EDV-Lösung SurvNet des RKI. Viele andere setzen auf kommerzielle Lösungen, die ähnliches leisten. Vollständig digital ist die Achse „Gesundheitsamt-RKI“ in Deutschland noch längst nicht.
An der Front regiert das Fax. Warum eigentlich?
Eine ganz andere Baustelle ist die Meldung an das Gesundheitsamt, die von Labors, Kliniken und niedergelassenen Ärzten vorgenommen wird. Und das macht eine ganze Reihe von Problemen, die mit dem Föderalismus aber rein gar nichts zu tun haben. Da ist zum einen die Geschwindigkeit. Die gesetzliche Frist von 24 Stunden für die Datenübermittlung ans Gesundheitsamt wird RKI-Daten zufolge nur zu 64 Prozent eingehalten. Das umständliche Prozedere mit dem Fax-Formular dürfte zudem einen Teil der Ärzte vor einer Meldung komplett zurückschrecken lassen. Im Amt selber führt das Fax-Verfahren zu weiteren Verzögerungen, denn die analogen Daten müssen natürlich erst einmal eingegeben werden. Wer die oben genannten Verzugszeiten subtrahiert, kommt rein formal auf drei bis fünf Tage, die in den Gesundheitsämtern zwischen Eingang und Eingabe der Daten verstreichen. „Hier ist es allerdings wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass die Gesundheitsämter auch eine Filterfunktion haben. Hier erfolgen zum Beispiel die ersten Prüfungen auf Vollständigkeit und Plausibilität“, betont Treinat.
Pilotprojekt eMeldewesen noch für 2011 geplant
Die Überprüfung von Meldungen vor Ort ist ein starkes Argument für ein föderales System. Eine Digitalisierung der Erstmeldung dürfte aber trotzdem ein deutlicher Schritt in Richtung eines effizienteren und dennoch föderalen Meldewesens sein. Wenn die Daten via Praxis-EDV digital übermittelt werden, dann ist das für den Arzt und für das Gesundheitsamt unbürokratischer. Die Hoffnung wäre, dass dadurch einerseits die föderalen Daten ein paar Tage schneller zusammengeführt werden können. Andererseits steigt vielleicht auch die Meldequote bereits bei den Verdachtsfällen und damit bei den niedergelassenen Ärzten. Und das wiederum wäre ein wichtiger Hebel, um Ausbrüche tatsächlich früher zu erkennen.
Im Rahmen der Initiative eGesundheit.nrw befasst man sich seit einiger Zeit unter dem Schlagwort „eMeldewesen“ mit dieser Thematik. „Wir sind bestrebt, ein erstes Pilotprojekt mit engagierten Gesundheitsämtern und Ärzten auf den Weg zu bringen, um hier endlich voranzukommen“, so Treinat im Gespräch mit den DocCheck-News. Einfach ist das nicht. Zum einen müssen die Praxis-EDV-Hersteller überzeugt werden, ein eMeldewesen-Modul zu implementieren. Aufgrund der geringen Zahl an Meldungen werden die Ärzte dafür sicher nicht zahlen wollen. Der Datenschutz ist natürlich auch ein Thema. Unverschlüsselt geht sicher nicht. Die Quote der Ärzte mit sicheren Online-Anbindungen schwankt aber nach wie vor erheblich. Es gibt in Nordrhein-Westfalen Städte, in denen haben neun von zehn Ärzten KV SafeNet-Anschlüsse, mit denen sie Daten verschlüsselt übertragen können. Anderswo ist es nicht einmal jeder zehnte.
Die Frage der Unterschrift schließlich ist auch noch ein Thema. Die Infektionsmeldung signaturgesetzkonform per elektronischem Heilberufsausweis zu signieren, wäre das Idealszenario. Andererseits ist die gefaxte Unterschrift der derzeitigen Meldewelt ja auch schon ein Kompromiss. So gesehen muss man auch in einer digitalen Welt nicht päpstlicher als der Papst sein. „In unserem Pilotprojekt überlegen wir für den Anfang aus pragmatischen Gründen geeignete Alternativen einzusetzen“, so Treinat.
Quelle:
Meldepflicht: Schluss mit den Faxen! (20.06.2011) - DocCheck News