hallo admin,
also meine grabrede habe ich noch nicht geschrieben.
ich kam nie auf die idée, weil ich dachte, dass das sache der anderen ist.
die idée, sich seine eigene zuschreiben, finde ich aber sehr, sehr gut.
besonders gut erscheint mir die idée, wenn ich zurück denke, wie es war, als ich wegen zwei tödlich- multiresistenten krankenhauskeimen (doppelinfektion) im sterben lag.
als ich bewusstseinsgetrübt vor mich hindämmerte, erlebte ich so ziemlich viel.
einerseits war ich glücklich, weil es schön war "da oben", andererseits war ich traurig, weil ich realisiert habe, dass ich jetzt weg gehen "muss" von der erde, obwohl ich sie noch gar nicht wirklich richtig kenne.
ich hätte schier weinen können ab allem, was ich verpasst habe.
und da kam auch die angst.
die angst, dass ich "dies und das" nicht mehr erledigen werden kann.
beim thema "grabrede", musste ich wegen diesem "dies und das" an mein erlebnis zurückdenken.
ich denke, es ist nicht nur wichtig, wie wir gelebt haben wollen.
also ich meine: was dann die anderen bei der rede über uns sagen.
wichtiger waren mir folgende dinge.
ja und das tönt jetzt lächerlich.
aber es ist der grund, warum ich kämpfte, und kämpfte, dass ich auf der erde bleiben darf.
ich wäre gegangen, wenn ich erledigt hätte, was noch zu erledigen ist.
also es war so:
es war mir sowas von peinlich, so zu gehen und alles zurück zu lassen, wie ich es momentan "gerichtet" habe.
ich dachte daran, wie ich tod bin und meine eltern meine unordnung aufräumen müssen.
ja genau!
es war mir peinlich, gestorben sein zu müssen und so eine peinliche angelegenheit hinter mir zu lassen.
meine freundin verbrennt deswegen auch regelmässig ihre tagebücher.
sie will nicht, dass nach ihrem tod peinlichkeiten zum vorschein kommen.
was also wieder zum thema "grabrede" passt.
wir wollen bestimmt nicht in peinlicher erinnerung bleiben.
ich denke auch, dass ich erst sterben kann, wenn ich hier auf der erde alles erledigt habe, was ich noch erledigen will.
und wenn ich aufgeräumt habe.
vorher werde ich kämpfen, dass ich überleben kann.
ich habe deswegen auch extra mein testament noch nicht geschrieben.
ich weiss zwar schon, was ich wem vermache.
ich bin schon alles durchgegangen.
oder ziemlich alles.
eigentlich sollte man ja immer sein testament schreiben, bevor man in ein krankenhaus geht.
doch bei mir wäre es eben nicht so ganz gut, wenn ich alles erledigt habe, weil dann werde ich nächstes mal gehen, wenn ich wieder die möglichkeit dazu habe.
ich werde nicht mehr den todeskampf kämpfen, sondern loslassen.
es ist also immer gut, wenn man einen grund hat, um noch nicht zu sterben.
wie anne schreibt mit den kindern.
ich habe deswegen auch noch nicht schriftlich festgehalten, wie mein grab aussehen soll.
ich habe aber alles genau einer freundin gesagt, wie es werden muss.
ich weiss schon, welchen grabstein mit welcher gravierung - nur den spruch muss ich noch aussuchen, doch ich habe schon ein paar zur wahl - ich wünsche, welche blumen auf dem grab liegen sollen, wie die beerdigung ablaufen soll, welche musik sie an meinem grab spielen sollen und ja; ich wünsche mir das kaddish, obwohl ich nicht jüdisch bin.
ich finde den klang der sprache sehr schön.
und das will ich hören, bevor ich mich von der beerdigung zurückziehe.
ich denke eben, dass die seele nach dem tod noch ein paar tage in der nähe des körpers bleibt.
das spürt man ja übrigens auch, wenn man sich neben frisch gestorbene menschen setzt.
wie gesagt; ich finde schon wichtig, wenn man alles weiss, wie es am grab werden soll, doch man sollte auch immer aufgaben im leben haben, welche einem das sterben nicht so leicht machen.
damit man kämpft!
man stirbt zwar ruhiger, wenn man loslassen kann.
doch loslassen ist erst für seelen richtig, welche keine aufgaben mehr haben und wirklich schon genug erledigt haben.
ich denke auch, dass wer die erde "geniessen" sollten.
die erde, die menschen und alles, was uns geboten wird.
jemand, der ein erfülltes leben hatte, stirbt leichter, denke ich.
das habe ich auch gemerkt, als ich dann überlebte und zum ersten mal an mein bett sitzen konnte.
ich war noch in lebensgefahr, weil ich noch tödlich krank war und deswegen war ich die angst.
ich hatte die angst nicht, sondern ich war so erfüllt von ihr, dass ich sie war.
sie hat mich gepackt und in ihrer ganzen gewalt gepackt, bis ich zu ihr geworden bin.
in dieser zeit hielten mich nicht mehr die unvernichteten peinlichkeiten am leben, sondern die dinge, welche ich verpasst habe.
ich wollte alles nachholen.
ich schrieb meinem lehrer an und er musste mir versprechen, welche musik wir spielen werden.
ich lebte dafür.
es gab mir halt.
ich rief kollegen an und sagte ihnen, wie schön es ist, dass ich sie kennen darf und ich mich freue, sie wieder zu sehen.
ich rief meinen bruder an und sagte, dass ihn sein schwesterchen braucht, weil es ihn ja noch gar nicht richtig kennt und das nachholen will.
und was mich auch durch die schlimmste zeit durchbrachte:
die vorfreude auf spaghetti mit tomatensauce.
ich freute mich, einmal ein richtiges frühstück essen zu dürfen.
ich freute mich, zu leben.
zu hause dann schmückte ich mein zimmer mit rosengirlanden, lichterketten und glockenspiele.
warum gibt es so schöne dinge auf der welt, wenn man an ihnen vorbeiläuft und dann im himmel merkt:
"mist! ich hätte auf der erde so viele schöne dinge erleben können und nun habe ich alles verpasst, ich depp!"
schliesslich will ich eine glückliche und nicht eine unglückliche leiche sein.
unglücklich wurde ich erst, als ich merkte, dass ich gar nicht so leben kann, für was ich eigentlich lebe.
dass ich nicht einfach so ein richtiges frühstück geniessen kann, weil ich es gar nicht ertrage und gar keine kraft habe, es mir schön zu zu bereiten.
ja und einfach bei allem musste ich merken, dass ich halt dummerweise nicht gesund wurde, obwohl ich das hoffte, als ich im sterben lag.
so gesehen habe ich bereut, dass ich nicht gegangen bin.
na, ja.
auf alle fälle denke ich immer noch, dass es das wichtigste ist, dass wir jeden tag und jeden augenblick geniessen.
dass wir uns über das freuen, was wir haben und nicht dem nachweinen, was wir nicht mehr oder nicht haben.
dass wir einfach die zeit auf dieser welt ausnutzen.
dass wir alle möglichkeiten, welche wir haben, am hut packen.
es ist nicht immer einfach, doch es lohnt sich.
ich denke auch, wenn wir glücklich leben, strahlen wir das aus.
und so wird dann auch unsere grabrede positiv ausfallen.
viele liebe grüsse von shelley :wave:
p.s.: sorry, das war jetzt lang. doch ich habe mir schon sehr viele gedanken rund um das thema grabrede gemacht. nicht um das thema selbst, aber um alles andere darum. ich weiss sogar, welche kleider meine gäste auf meiner beerdigung nicht anhaben dürfen. nämlich keine trauerkleider! sie müssen tanzen und fröhlich sein. schliesslich will ich ein freudefest feiern, so lange ich noch in der nähe dieser erde sein kann. es wird dann schon genug traurig sein, dass ich gehen muss, da möchte ich wenigstens die letzten augenblicke in freude geniessen können.