Sehr geehrte Frau
vielen Dank für Ihre Mail vom 21.02.2012, zu der wir Ihnen Folgendes mitteilen können:
Aufgrund Ihrer Nachfrage möchten wir Ihnen noch einmal ausführlich die Grundlagen und Ergebnisse unserer Risikobewertung zu dem dentalen Füllungsmaterial Amalgam erläutern.
Aufgabe des BfArM ist es, bei den in Verkehr befindlichen Medizinprodukten die auftretenden Vorkommnisse zentral zu erfassen und die Risiken zu bewerten. Der Begriff des Vorkommnisses ist im §2 Abs.1 der Medizinprodukte-Sicherheitsplanverordnung (MPSV) definiert: „’Vorkommnis’ ist eine Funktionsstörung, ein Ausfall oder eine Änderung der Merkmale … eines Medizinproduktes, die … zum Tod oder zu einer schwerwiegenden Verschlechterung des Gesundheitszustandes eines Patienten … geführt hat, geführt haben könnte oder führen könnte.“. Eine Meldepflicht von Vorkommnissen besteht für die Inverkehrbringer der Produkte, aber auch für beruflich/gewerbliche Anwender, wie z.B. Ärzte oder Zahnärzte (siehe §3 MPSV).
In dem Zusammenhang ist zu betonen, dass dem BfArM bislang keine Vorkommnismeldungen zu Amalgam, die fachlich begründet auf die Möglichkeit einer schwerwiegenden Gesundheitsbeeinträchtigung durch das Füllungsmaterial hinweisen würden, von Herstellern oder behandelnden Zahnärzten vorliegen.
Gleichwohl hat des BfArM über die Jahre hinweg immer wieder Schreiben und Anfragen zu Amalgam von Patienten und besorgten Bürgern erhalten, was zeigt, dass die Anwendung des Füllungsmaterials zwar nicht in Fachkreisen, so doch in Teilen der Bevölkerung offenbar nach wie vor kontrovers diskutiert wird.
Es ist unstrittig, dass aus Amalgamfüllungen geringe Mengen an Quecksilber freigesetzt und in den Körper aufgenommen werden. Eine große Zahl wissenschaftlicher Arbeiten hat die Problematik möglicher Auswirkungen auf den menschlichen Organismus untersucht. Man kann davon ausgehen, dass Amalgam mit hoher Wahrscheinlichkeit eines der am besten untersuchten Medizinprodukte sein dürfte.
Nach dem gegenwärtigen wissenschaftlichen Kenntnisstand sieht das BfArM keinen begründeten Verdacht dafür, dass Amalgamfüllungen unvertretbare negative Auswirkungen auf die Gesundheit von Patienten haben oder haben könnten. Als Nebenwirkungen des Amalgams sind selten auftretende lichenoide Reaktionen an Gingiva oder Mundschleimhaut sowie seltene Fälle allergischer Reaktionen bekannt.
Unsere Risikobewertung stützt sich dabei auf die Ergebnisse von Einzelstudien und wissenschaftlichen Veröffentlichungen, sowie auf die Aussagen und Schlussfolgerungen von Stellungnahmen der relevanten Fachkreise. Natürlich wurden und werden auch wissenschaftliche Publikationen, die Amalgam-kritische Aspekte ergeben, in unsere Risikobewertung miteinbezogen.
Auf die verschiedenen Einzelstudien sowie auf einzelne Aspekte der Quecksilber-Toxikologie soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Besonders hinzuweisen ist aber auf diejenigen Studien, die mit Patienten durchgeführt wurden, die Krankheitssymptome als Folge ihrer Amalgamfüllungen angaben, und deren Ergebnisse durchweg gegen Quecksilber als Ursache der selbst-vermuteten Amalgam-Krankheit sprechen.
Explizit zu erwähnen sind auch die beiden ersten (und bislang einzigen) randomisierten kontrollierten klinischen Studien zu Amalgam, die im Jahre 2006 im renommierten Journal of the American Medical Association erschienen sind (Bellinger et al., JAMA 295: 1775-1783, 2006; DeRouen et al., JAMA 295: 1784-1792, 2006). Die Untersuchungen wurden mit Kindern und über einen relativ langen Zeitraum (5 bzw. 7 Jahre) durchgeführt, wobei die kariösen Defekte entweder mit Amalgam oder mit Füllungskomposits versorgt worden waren. Im Ergebnis beider Studien konnte kein negativer Einfluss von Amalgam auf Intelligenz, Gedächtnis oder motorische Leistungen festgestellt werden.
Die von Ihnen geäußerten Zweifel am Design dieser Studien sind nach unserer Auffassung allerdings nicht nachvollziehbar:
•„Die Kontrollgruppen waren vermutlich amalgamfrei. Es wurde aber nicht überprüft, ob sie auch frei von Quecksilber waren.“
Ziel der Studien war es, den Einfluss von Amalgam (d.h. Quecksilber aus Amalgam) zu untersuchen. Dazu war es wichtig 2 Gruppen miteinander zu vergleichen, die mit Ausnahme der Art der Füllungstherapie möglichst homogen waren, was die Autoren auch entsprechend zeigen konnten (siehe jeweils Tabelle 1 der Veröffentlichungen). Natürlich ist die Möglichkeit zusätzlicher beeinflussender Faktoren bei einzelnen Probanden (z.B. eine Aufnahme von Methylquecksilber aus Fisch) nie auszuschließen, insbesondere über den langen Zeitraum. Hier aber zu unterstellen, dies hätte ja in der Kompositgruppe im Durchschnitt viel mehr als in der Amalgamgruppe geschehen können, so dass ein eventueller Amalgameffekt überlagert worden wäre, ist höchst spekulativ und wird der Qualität derartiger Studien nicht gerecht.
•„Nicht akzeptabel ist die kurze Beobachtungszeit von 5 Jahren. Neurologische Erkrankungen durch Quecksilber-Belastung entwickeln sich in sehr viel längeren Zeiträumen, mindestens 15-20 Jahren.“
Hier ist nicht klar, auf welchem wissenschaftlichen Erkenntnismaterial eine derartige Aussage basieren soll. Auch bei Unterstellung einer sich allmählich entwickelnden, „chronischen Quecksilber-Intoxikation“ durch Amalgam sollten nach einem Zeitraum von 5-7 Jahren Symptome bzw. Erkrankungen deutlich detektierbar sein, sofern die resorbierte und ins ZNS oder andere Organe aufgenommene Quecksilbermenge klinisch/toxikologisch relevant wäre.
Die schädigende Wirkung des Quecksilbers resultiert vor allem aus der hohen Affinität der Metallionen zu SH-Gruppen von Proteinen (z.B. von Enzymen) und einer damit verbundenen Schädigung dieser Proteine. Die Behauptung, dass Quecksilber ein ‚Speichergift’ und die Konzentration in Blut und Urin irrelevant sei, ist aus unserer Sicht nicht zutreffend. Daten die zeigen, dass für Quecksilber der Mechanismus einer Wirkkumulation (so wie etwa bei Kanzerogenen) und nicht der einer Stoffkumulation relevant ist, sind nicht bekannt. Es ist davon auszugehen, dass (bei längerer Exposition) die Quecksilber-Konzentrationen in Geweben und Organen proportional zu denen im Blut oder anderen Körperflüssigkeiten verlaufen und somit einer kritischen Konzentration in einem Organ eine bestimmte Konzentration im Blut oder Urin entspricht. Hinweise auf fehlende Erkenntnisse bezüglich der in vivo Quecksilber-Konzentrationen in einzelnen Organen (für kaum einen Schadstoff oder ein Arzneimittel sind solche Werte bekannt) entkräften nicht die Richtigkeit von Blut- und Urinwerten als derzeit realisierbare Bezugswerte. Auch die Kenntnis der Quecksilber-Konzentration im Gehirn oder einzelnen Hirngebieten würde es nicht gestatten, das Ausmaß von ZNS-Nebenwirkungen im Einzelfall zu prognostizieren (Konzentrations¬unterschiede innerhalb von Neuronenverbänden, intra- und interindividuelle Unterschiede in der Sensitivität von Nervenzellen etc.).
Eine weitere wesentliche Grundlage unserer Risikobewertung zu Amalgam sind die wissenschaftlichen Veröffentlichungen der relevanten Fachkreise, wie z.B. Folgende:
•WHO-Konsenserklärung zum Thema Dentalamalgam (1997);
•Abschlussbericht der ad hoc Arbeitsgruppe zu Amalgam der Europäischen Kommission (1998);
•„Amalgam im Spiegel kritischer Auseinandersetzungen“, Interdisziplinäre Stellungnahme zum ‚Kieler Amalgam-Gutachten’, Institut der Deutschen Zahnärzte (Halbach et al., 1999);
•„Amalgam: Stellungnahme aus umweltmedizinischer Sicht“ Kommission ‚Methoden und Qualitätssicherung in der Umweltmedizin’ des Robert Koch-Instituts, Mitteilung und Materialienband, 2007;
•„The safety of dental amalgam and alternative dental restoration materials for patients and users.“ Scientific Committee on Emerging and Newly Identified Health Risks (SCENIHR) der Europäischen Kommission, 2008;
•“FDA Update/Review of Potential Adverse Health Risks Associated with Exposure to Mercury in Dental Amalgam”. U.S. Food and Drug Administration, 2009.
Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass sich auch unter Berücksichtigung Ihres o.g. Schreibens und der beigefügten Anlagen keine neuen Erkenntnisse oder Hinweise für unsere Risikobewertung zu Amalgam ergeben. Es besteht gegenwärtig kein wissenschaftlich begründbarer Verdacht dafür, dass ordnungsgemäß gelegte Amalgamfüllungen negative Auswirkungen auf die Gesundheit zahnärztlicher Patienten haben (mit Ausnahme seltener Allergien).
Wir hoffen, mit unserer ausführlichen Stellungnahme Ihre Fragen zu Amalgam abschließend beantwortet zu haben.
Mit freundlichen Grüßen.
Im Auftrag
Dr. R. Harhammer
[email protected]