Themenstarter
- Beitritt
- 06.05.09
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- 84
Mein Vater ist älter als 90 Jahre, und er ist etwa ein Jahr nach dem Tod meiner Mutter in ein Seniorenwohnheim (betreutes Wohnen) umgezogen. In den vergangenen Jahren kam ich in der Regel zwei Mal nach Deutschland. Einerseits hat sich unser Verhältnis im Gegensatz zu früher deutlich entspannt: Früher schrie er öfter, oft wegen Dingen, die in meinen Augen Lappalien waren. Dennoch gibt es immer wieder bestimmte, mich innerlich aufwühlende Punkte, die in unseren Begegnungen oder Telefonaten (nicht) zur Sprache kommen.
Ich hatte ihm vor Jahren einmal einen längeren Brief geschrieben, in dem ich offener unsere Beziehung thematisierte und ihn um Rat bat wegen einer für mich wichtigen Entscheidung. Darauf erhielt ich keine Antwort. Ich schätze es, dass ich nicht unter ständiger Beobachtung stehe, was bei meiner Mutter der Fall war; auf der anderen Seite vermisste ich früher ermutigende Worte von ihm: Bei beruflichen oder schulischen Entscheidungen hörte ich meistens, was ich nicht machen sollte.
Unsere Kommunikation verläuft seit Jahren ziemlich einseitig: Ich wende mich an ihn oder rufe (aus dem Ausland) an, während er mich vielleicht ein Mal innerhalb von zehn Jahren angerufen hat. Er lässt andere Menschen kommen, setzt sein Engagement sehr gewählt ein. Es hat ihn dann doch überrascht, dass ich in diesem Jahr an Weihnachten nach Deutschland kam. Er meint, er freue sich. Manchmal weiß ich allerdings nicht, ob er seine Gefühle nicht gut zeigen kann oder ob sie überhaupt existieren, ob ihm mittlerweile vieles einfach
gleichgültig geworden ist. Ich bin selbst oft distanziert und bringe Gefühle nur zurückhaltend zum Ausdruck. In gewisser Weise spiegeln sich natürlich in ihm oder in dem Bild, was ich von ihm habe, meine eigenen Einstellungen und Verhaltensweisen.
Ich schätze vieles an ihm: seine Vielseitigkeit, Lebenserfahrung, seinen Humor und dass er oftmals mit viel Realismus und konstruktiv, die Probleme, die ihn beschäftigen, löst. Auf der anderen Seite will er, so ist mein Eindruck, immer als derjenige erscheinen, der alles überblickt, regelt und im Griff hat. Ich fühle mich oft als Fremder, als jemand, der vielleicht gar nicht sein Sohn ist oder eben als jemand, der in seinen Augen immer noch ein Kind ist. Dazu ein Beispiel: Noch vor zehn Jahren war er im Haus oftmals mit großer Mühe handwerklich tätig. Er reparierte etwas oder baute etwas Neues. Auch wenn seine beiden erwachsenen Söhne in unmittelbarer Nähe waren, wollte er sich nichts aus der Hand nehmen lassen. Das schien sein Selbstbewusstsein zu bedrohen. Wir waren allenfalls Handlanger oder Reinigungskräfte, aber nicht Personen, die eigenständig handwerklich in "seinem Haus" tätig werden sollten / durften. Dasselbe Verhaltensmuster trat auch bei späteren, gewichtigeren Entscheidungen auf, sei es Umzug oder Hausverkauf: "Ich weiß selbst, wie es geht oder ich frage oder engagiere eben Fachleute." Was seine erwachsenen Söhne meinen, schien ihn nicht zu interessieren, eher als unerbetene Einmischung zu stören.
Andererseits sind selbstständige und eigensinnige Eltern sicher auch ein Grund froh zu sein, denn so trägt man nicht die Verantwortung, wie sie Menschen belasten kann, deren Eltern nicht mehr für sich entscheiden können.
Auf der einen Seite spüre ich seit längeren den Wunsch, einmal diese und noch andere Dinge mit ihm zu thematisieren: entweder in einem Brief oder unter vier Augen. Der Unternehmens- und Lebensberater Brian Tracy hat einmal geschrieben, er habe mit vielen Menschen in ihren Fünfzigern gesprochen, die immer noch Bitterkeit über das empfinden, was früher einmal passiert ist, die ihren Eltern nicht verzeihen können. Ich kenne nun Menschen, die niemals eine Aussprache mit ihren Eltern hatten. Dennoch sagten einige von ihnen: "Ich habe meinem Vater, meiner Mutter verziehen, heute kann ich ihn / sie verstehen". Doch wie will man einem Menschen verzeihen, der nicht mehr lebt, wenn man nicht mehr die Chance hat, an ihn ein persönliches Wort zu richten? Drängt nicht die Zeit, sich persönlich an die eigenen Eltern zu wenden, solange man diese Chance noch hat?
Auf der anderen Seite weiß ich nicht so recht, was ein solcher Austausch bringen soll. Würde dieser meinem Vater helfen? Oder würde ihn dies eher aufbringen? Würde ich dies nur wegen mir selbst machen, etwa um ein Gefühl der moralischen Überlegenheit zu gewinnen? Hätte ich dann die Befriedigung nach all den Jahren, endlich einmal ehrlicher meine Meinung zu sagen? Nehmen wir einmal an, es sei sinnvoll, einen Dialog zu beginnen. Wie soll ich das machen? In einem Brief könnte ich mich gewählt ausdrücken und eine hitzige Debatte ließe sich vermeiden. Doch auf einen Brief werde ich vielleicht wieder keine Antwort erhalten, wenngleich er diesen sicher zu Kenntnis nimmt. Ein Gespräch? Ich habe keine Idee, wie ich dies anfangen soll. Einige von euch waren oder sind sicher in einer ähnlichen Situation. Was haltet ihr für hilfreich? Was habt ihr gemacht? Über Antworten würde ich mich freuen.
Ich hatte ihm vor Jahren einmal einen längeren Brief geschrieben, in dem ich offener unsere Beziehung thematisierte und ihn um Rat bat wegen einer für mich wichtigen Entscheidung. Darauf erhielt ich keine Antwort. Ich schätze es, dass ich nicht unter ständiger Beobachtung stehe, was bei meiner Mutter der Fall war; auf der anderen Seite vermisste ich früher ermutigende Worte von ihm: Bei beruflichen oder schulischen Entscheidungen hörte ich meistens, was ich nicht machen sollte.
Unsere Kommunikation verläuft seit Jahren ziemlich einseitig: Ich wende mich an ihn oder rufe (aus dem Ausland) an, während er mich vielleicht ein Mal innerhalb von zehn Jahren angerufen hat. Er lässt andere Menschen kommen, setzt sein Engagement sehr gewählt ein. Es hat ihn dann doch überrascht, dass ich in diesem Jahr an Weihnachten nach Deutschland kam. Er meint, er freue sich. Manchmal weiß ich allerdings nicht, ob er seine Gefühle nicht gut zeigen kann oder ob sie überhaupt existieren, ob ihm mittlerweile vieles einfach
gleichgültig geworden ist. Ich bin selbst oft distanziert und bringe Gefühle nur zurückhaltend zum Ausdruck. In gewisser Weise spiegeln sich natürlich in ihm oder in dem Bild, was ich von ihm habe, meine eigenen Einstellungen und Verhaltensweisen.
Ich schätze vieles an ihm: seine Vielseitigkeit, Lebenserfahrung, seinen Humor und dass er oftmals mit viel Realismus und konstruktiv, die Probleme, die ihn beschäftigen, löst. Auf der anderen Seite will er, so ist mein Eindruck, immer als derjenige erscheinen, der alles überblickt, regelt und im Griff hat. Ich fühle mich oft als Fremder, als jemand, der vielleicht gar nicht sein Sohn ist oder eben als jemand, der in seinen Augen immer noch ein Kind ist. Dazu ein Beispiel: Noch vor zehn Jahren war er im Haus oftmals mit großer Mühe handwerklich tätig. Er reparierte etwas oder baute etwas Neues. Auch wenn seine beiden erwachsenen Söhne in unmittelbarer Nähe waren, wollte er sich nichts aus der Hand nehmen lassen. Das schien sein Selbstbewusstsein zu bedrohen. Wir waren allenfalls Handlanger oder Reinigungskräfte, aber nicht Personen, die eigenständig handwerklich in "seinem Haus" tätig werden sollten / durften. Dasselbe Verhaltensmuster trat auch bei späteren, gewichtigeren Entscheidungen auf, sei es Umzug oder Hausverkauf: "Ich weiß selbst, wie es geht oder ich frage oder engagiere eben Fachleute." Was seine erwachsenen Söhne meinen, schien ihn nicht zu interessieren, eher als unerbetene Einmischung zu stören.
Andererseits sind selbstständige und eigensinnige Eltern sicher auch ein Grund froh zu sein, denn so trägt man nicht die Verantwortung, wie sie Menschen belasten kann, deren Eltern nicht mehr für sich entscheiden können.
Auf der einen Seite spüre ich seit längeren den Wunsch, einmal diese und noch andere Dinge mit ihm zu thematisieren: entweder in einem Brief oder unter vier Augen. Der Unternehmens- und Lebensberater Brian Tracy hat einmal geschrieben, er habe mit vielen Menschen in ihren Fünfzigern gesprochen, die immer noch Bitterkeit über das empfinden, was früher einmal passiert ist, die ihren Eltern nicht verzeihen können. Ich kenne nun Menschen, die niemals eine Aussprache mit ihren Eltern hatten. Dennoch sagten einige von ihnen: "Ich habe meinem Vater, meiner Mutter verziehen, heute kann ich ihn / sie verstehen". Doch wie will man einem Menschen verzeihen, der nicht mehr lebt, wenn man nicht mehr die Chance hat, an ihn ein persönliches Wort zu richten? Drängt nicht die Zeit, sich persönlich an die eigenen Eltern zu wenden, solange man diese Chance noch hat?
Auf der anderen Seite weiß ich nicht so recht, was ein solcher Austausch bringen soll. Würde dieser meinem Vater helfen? Oder würde ihn dies eher aufbringen? Würde ich dies nur wegen mir selbst machen, etwa um ein Gefühl der moralischen Überlegenheit zu gewinnen? Hätte ich dann die Befriedigung nach all den Jahren, endlich einmal ehrlicher meine Meinung zu sagen? Nehmen wir einmal an, es sei sinnvoll, einen Dialog zu beginnen. Wie soll ich das machen? In einem Brief könnte ich mich gewählt ausdrücken und eine hitzige Debatte ließe sich vermeiden. Doch auf einen Brief werde ich vielleicht wieder keine Antwort erhalten, wenngleich er diesen sicher zu Kenntnis nimmt. Ein Gespräch? Ich habe keine Idee, wie ich dies anfangen soll. Einige von euch waren oder sind sicher in einer ähnlichen Situation. Was haltet ihr für hilfreich? Was habt ihr gemacht? Über Antworten würde ich mich freuen.