verliebt in körpereigene Droge

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Körpereigene Droge
Verliebte produzieren das Hormon Phenylethylamin - Es kann Paare vier Jahre aneinander binden

Melbourne - Ist die erste Phase der Liebe nichts weiter als ein "narkotisierter Wahrnehmungszustand"? Die von uns als Verliebtheit bezeichnete heftige Gefühlsregung beginnt mit einer chemischen Substanz namens Phenylethylamin (PEA), die in kleinen Mengen sowohl im Bittermandelöl als auch in Schokolade enthalten ist. Diese These vertritt der australische Chemiker Peter Godfrey von der Monash-Universität in Melbourne. Seine Untersuchungen an frisch verliebten studentischen Probanden offenbarten verräterisch erhöhte PEA-Werte im Blut. "Offenbar ist dieses kleine Molekül für die feuchten Hände der Verliebten, für den Kloß im Hals und die vielzitierten Schmetterlinge im Bauch verantwortlich", zieht Godfrey Bilanz.


Unterstützung findet Godfreys revolutionäre These durch Arthur Aron von der New Yorker Universität in Stonybrook. "Liebe macht blind, und hierfür ist vor allem PEA verantwortlich", schließt er aus seinen Untersuchungen. Aron betrachtet das körpereigene Hormon sogar als Auslöser der romantischen Liebe, was aus der Sicht des Chemikers schon erstaunlich ist. Warum soll ausgerechnet Phenylethylamin - in konzentrierter Form eine ölige und unangenehm nach Fisch und Ammoniak riechende Flüssigkeit - für Verliebte wie ein "Fahrstuhl in den siebten Himmel" wirken?



Eine plausible Erklärung liefert die chemische Struktur des PEA-Moleküls. Obwohl es sich um eine relativ einfache Verbindung handelt, ist sie als Grundgerüst in zahlreichen halluzinogenen Drogen enthalten. Erste Hinweise auf eine starke psychogene Wirkung förderte eine britische Studie zutage. Diese zeigte, daß depressive Menschen oftmals eine unterdurchschnittliche Konzentration von PEA im Blut aufweisen. Weitere Untersuchungen zeigten, daß die Konzentration von PEA nach körperlicher Betätigung um durchschnittlich 77 Prozent in die Höhe schnellte, was wiederum mit positiven Begleiterscheinungen für die Psyche verbunden war. Doch nicht nur das: Fallschirmspringer haben auch nach einem Absprung signifikant erhöhte PEA-Werte, und sogar nach einer Fahrt mit der Achterbahn ließen sich erhöhte PEA-Werte nachweisen.


Dies trifft anscheinend auch für die "Achterbahn der Gefühle" zu, denn für einen Anstieg der PEA-Werte können der Studie zufolge sogar sexuelle Stimulierungen - sei es bei der Lektüre von Liebesromanen oder erotischen Tagträumereien - verantwortlich sein.


Godfrey denkt daher bereits an den nächsten Schritt. "Eines Tages könnte es möglich sein, synthetische Drogen herzustellen, die uns die Euphorie der ersten Liebe vorgaukeln", prophezeit er. Allerdings denkt er nicht daran, sich an derartigen Versuchen zu beteiligen. "Wir denken eher an die Potentiale im medizinischen Bereich", unterstreicht der Wissenschaftler. So gebe es Hinweise, daß PEA zur Therapie motorischer Störungen wie bei der Parkinsonschen Krankheit eingesetzt werden könnte. Die Untersuchungen seien aber längst noch nicht abgeschlossen.


Erste Ergebnisse gibt es hingegen bei der Therapie sogenannter "attraction junkies". Das sind liebessüchtige Menschen, die sich nichts sehnlicher als eine Beziehung wünschen und sich von einer Affäre in die andere stürzen. Ähnlich wie Drogenabhängige leiden sie häufig unter Depressionen. US-Psychiater vermuten bei liebeskranken Menschen eine Störung im Leitungsnetz der Gefühle, vor allem ein Verlangen nach PEA. Sie verabreichten einigen Patienten Monoaminoxidase-(MAO)-Inhibitoren, die zu den Antidepressiva gehören und die rasche Aufspaltung von PEA im Körper verhindern. Damit erhöhen sie den PEA-Spiegel im Blut. Die Ergebnisse waren vielversprechend: Patienten, die mehrere Wochen MAO-Inhibitoren erhielten, begannen ihre Partner sorgfältiger auszuwählen und konnten sogar ohne Partner wieder glücklich sein.

Doch so rauschhaft die Wirkung der körpereigenen Droge auch sein mag, sie hält nicht lebenslang an. "Nach spätestens zwei bis vier Jahren gewöhnen sich die Nervenenden im Gehirn an die erhöhten PEA-Werte", versichert Aron. Der Reiz klinge ab und die Phase der Verliebtheit sei - zumindest neurochemisch betrachtet - vorüber. "Für manche ist es das Ende der Liebe, und Langeweile setzt ein - für andere ist es aber erst der Anfang", versichert der polnische Chemiker Janusz Wisniewski von der Universität Warschau. Seiner Meinung nach verkörpert diese Phase einer Partnerschaft den Übergang von romantischer Liebe zum komplexen Glück einer gereiften Beziehung.

Die New Yorker Anthropologin Helen Fisher weist dem PEA-Hormon wiederum im Rahmen der Evolutionsgeschichte eine überaus wichtige Rolle zu. "Seine Wirkungsdauer hält ein Paar so lange zusammen, bis ein Kind die schwierigen ersten Jahre überstanden hat", argumentiert die Wissenschaftlerin. So würden bei archaischen Völkern wie den australischen Aborigines, den Eskimos und den Amazonas-Indianern die meisten Kinder tatsächlich im Abstand von vier Jahren geboren. Andererseits steige laut einer Untersuchung in 61 Kulturen der heutigen Welt die Scheidungsrate bis zu einem Gipfel um das vierte Ehejahr an und falle danach wieder ab.

Inwieweit sich Schokolade als schmackhafter PEA-Lieferant segensreich auswirken könnte, darüber schweigt sich die Anthropologin allerdings aus.


www.welt.de/data/2006/04/29/880168.html erschienen in "die Welt" am Sa, 29. April 2006

Diagnose Liebeskummer

Bei Liebeskummer spielt das Gehirn verrückt: Ein Mangel an Neurotransmittern verursacht Entzugssyndrome, macht depressiv und Männer - durch Stresshormone - aggressiv. Helfen kann nur die Zeit. Oder eine neue Liebe!


„Liebeskummer lohnt sich nicht, my Darling“, trällerte 1964 die schwedische Schlägersängerin Siw Malmqvist und erzielte mit dem Song über Nacht den großen Durchbruch. Doch mit der Realität hat der fröhliche Schlager nur wenig gemeinsam. „Die Betroffenen leiden unter Appetitlosigkeit, und das Herz bricht vor Trauer und Schmerz“, stellt Professor Dr. Gereon Heuft von der Poliklinik für Psychosomatik und Psychotherapie der Universität Münster nüchtern fest. Auch die Münchener Frauenärztin Dr. Birgit Delisle findet das Thema keineswegs lustig. Stattdessen gründete sie im November vergangenen Jahres im Stadtteil Schwabing eine kostenlose Ambulanz für Jugendliche mit Liebeskummer.



Das Projekt ist bundesweit bisher einzigartig, und die gezielte Behandlung von Liebeskummer gehört weitgehend zu den weißen Flecken auf der therapeutischen Landkarte. Für den Stuttgarter Psychotherapeuten und Diplom-Psychologen Dietmar Luchmann ist aber dringend Handlungsbedarf angesagt. „Liebesschmerz kann rasch zur existenziellen Krise werden“, argumentiert er. Unerwiderte Liebe oder der Verlust des Partners seien die häufigste Ursache für Selbstmord. Dies gelte insbesondere für Jugendliche, aber auch Erwachsene seien gefährdet.



Psychologen wie Luchmann sprechen von vier Phasen der Trauer, sobald die Trennung vollzogen ist. Zunächst breche eine Zeit des „Nicht-Wahrhaben-Wollens“ an, verlassen worden zu sein. Erst danach beginne die „unangenehmste“ Etappe auf dem Weg zu neuem Glück: Dann nämlich brechen starke Gefühle über den Leidenden herein – Trauer, Verzweiflung, Wut, Depressionen und das Gefühl der Hilflosigkeit. Luchmann: „Die Tränen, die bei fast allen hier fließen, sind keine Tränen der Trauer, sondern eine Stressreaktion, die die unerträgliche innere Spannung reduziert.“

Wenn diese Phase ausgestanden sei, beginne die Verarbeitung, sagt Luchmann. So suche der Liebeskranke bald das Gespräch mit Freunden und stürze sich vielleicht in sexuelle Abenteuer, ohne jedoch schon für eine neue Partnerschaft bereit zu sein. Erst in der letzten, der „Akzeptanz-Phase“ werde die endgültige Loslösung vollzogen, in der die vielschichtigen Ursachen für das Scheitern der Beziehung zur Kenntnis genommen werden. „Das alles braucht Zeit“, sagt der Psychologe.

Frauen, die unter Liebeskummer leiden, greifen im Gegensatz zu Männern eher zu Medikamenten oder plündern den Kühlschrank. Appetitlosigkeit und Gewichtsabnahme kann oft ebenso die Folge sein wie Essattacken und Gewichtszunahme. Die New Yorker Anthropologin Helen Fisher hat herausgefunden, dass die Symptomatik von Liebeskummer insbesondere bei Frauen an eine schwere Depression erinnert. „Unfähig, den Alltag zu bewältigen, greifen viele Betroffene in dieser Phase zu Antidepressiva“, erklärt Fisher. Zu den beliebtesten Mitteln gehörten Medikamente, die den Serotonin-Spiegel im Gehirn erhöhen. Serotonin erhöhende Medikamente seien heute allein in den USA eine 12-Milliarden-Dollar-Industrie.

Bei akutem Liebeskummer versiegt nicht nur die Produktion von Serotonin, sondern auch die Blutkonzentrationen anderer „Glückshormone“ wie Dopamin und Phenylethylamin (PEA) sacken buchstäblich in den Keller. Das hat unter anderem der französische Arzt Dr. Michel Odent erkannt. „Liebeskummer ist folgerichtig als Entzugssyndrom zu interpretieren“, beteuert er. Dies sei keine Spekulation, sondern biete die Möglichkeit einer zielgerichteten Behandlung mit Medikamenten, die den Spiegel der entsprechenden Hormone und Neurotransmitter wieder ins Lot bringen.

Entzugssyndrome sind aber nur die eine Seite des akuten Liebeskummers. Während die Körperchemie sich bei der Produktion von Glückshormonen quasi im Streik befindet, werden Stresshormone wie Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol nunmehr im Überschuss gebildet. Die Folge: Die Betroffenen reagieren aggressiv und gereizt. „Ziehen sich derartige Stresszustände über Wochen und Monate hin, ohne dass sich der Organismus abreagieren kann, schaukeln sich die Symptome immer weiter auf“, warnt die Rottweiler Ärztin Dr. Martha Ritzmann-Widderich.

Dieses „zweite Gesicht“ des Liebeskummers tritt vor allem bei Männern in Erscheinung. Während Frauen mehrheitlich eine Depression durchleben, zeigt das „starke Geschlecht“ einen verstärkten Hang zur Aggressivität. „Besonders beliebt ist das Stalking“, sagt der Darmstädter Kriminalpsychologe Jens Hoffmann. Hierbei werde das Objekt der Begierde in allen erdenklichen Situationen abgefangen, bedrängt oder telefonisch terrorisiert. Unter einem Überschuss an Stresshormonen musste auch Bismarck einmal leiden: Als ihm während seiner Göttinger Studienzeit seine Angebetete die kalte Schulter zeigte, warf ihr der spätere Reichskanzler die Fensterscheiben ein, nachdem er sich zuvor mit diversen Bierchen „getröstet“ hatte.

Auch heute noch greifen Männer viel seltener als Frauen zu Medikamenten, sondern betäuben ihren Schmerz lieber mit Alkohol – ein Verhalten, das auch „Diana und Dodi“ zum Verhängnis wurde. Nach dem Unfall in Paris fand die Polizei im Blut des Vize-Sicherheitschefs des Ritz-Hotels, Henri Paul, satte 1,7 Promille Alkohol. Dessen Freunde gaben nach dem Unfall der Polizei zu Protokoll, dass Paul kurz zuvor von seiner Freundin verlassen worden war und nächtelang trank.

Artikel erschienen in der www.morgenwelt.de/685.html am 14.03.2006

Beide Artikel von Dr.Rolf Froböse
 
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