Therapeut oder Tablette?

Themenstarter
Beitritt
28.03.05
Beiträge
4.226
So die Fragestellung in einem Artikel der Welt am Sonntag.

Therapeut oder Tablette? - WELT am SONNTAG - WELT ONLINE


Therapeut oder Tablette?
Von Susanne Donner 14. September 2008, 03:14 Uhr

Bei Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen greifen immer mehr Menschen zur Psychopille. Doch das ist der falsche Weg

Britney Spears ist zurück. Mit ihren drei Preisen, die sie vergangene Woche bei den MTV Awards in Los Angeles abräumte, zeigte sie allen: Ihre psychischen Probleme sind Historie. Doch so offen wie Spears geht in Deutschland kaum jemand mit seiner kranken Seele um. Betroffene schweigen lieber über psychische Erkrankungen - und über ihre Behandlung. Denn immer noch ranken sich Vorurteile um beide.

Seelenklempner werden die Therapeuten genannt, bezweifelnd, dass dieser Berufsstand die Psyche "reparieren" kann. Psychopharmaka gelten als Glückspillen, Tabletten, die süchtig machen wie Drogen. Die Ressentiments gegenüber den Arzneien sind dabei besonders groß: Als die Leipziger Psychologin Steffi Riedel-Heller knapp 2500 Personen nach ihrer bevorzugten Therapie bei einer Depression fragte, entschieden sich 53,7 Prozent für einen Therapeuten. Nur 10,6 Prozent wählten Psychopharmaka. Allerdings waren die Teilnehmer gesund und hatten das Leid nie am eigenen Leib erfahren.

Die Realität sicht anders aus: Seit 1990 wurden fast doppelt so viele Psychopharmaka an gesetzlich Versicherte verschrieben. Ihr Anteil an allen Medikamenten kletterte von 2,6 Prozent im Jahr 1990 auf 4,3 Prozent im Jahr 2006, so das Wissenschaftliche Institut der AOK. Auch Psychotherapien werden immer häufiger genutzt.

Dies spiegelt weniger eine Vorliebe für eine der beiden Behandlungen wider als eine drastische Zunahme der seelischen Störungen: Laut Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation wird sich die Depression nach den Herz-Kreislauf-Leiden in den Industrieländern bis 2020 zur Volkskrankheit Nummer zwei ausweiten. Düstere Aussichten, die die Frage aufwerfen, wie den Betroffenen wirklich geholfen werden kann.

In den USA scheint man diese Frage inzwischen zugunsten der Psychopharmaka zu beantworten: Von 1993 bis 2002 verfünffachte sich der Verbrauch des Ritalins bei hyperaktiven Kindern. Von 1997 bis 2005 verdoppelten sich die Ausgaben für Antidepressiva. Dagegen ist die Zahl der Psychotherapien rückläufig: Waren es 1996 noch 44,4 Prozent aller Patienten beim Psychiater, schrumpfte der Anteil bis 2005 auf 28,9 Prozent. Die Amerikaner, in den Achtzigern noch Fans des Gespräches auf der Couch, wenden sich vermehrt den Tabletten zu.

Dieser Wandel hat auch monetäre Ursachen: Die amerikanischen Krankenkassen erstatten vorzugsweise die Kosten für die Arzneien, aber nicht für Psychotherapien. "Dies liegt auch daran, dass die Wirksamkeit bei den Psychopharmaka eindeutig belegt ist. Bei den Therapien ist dieser Nachweis viel schwieriger zu führen und fällt nicht immer so eindeutig aus", sagt Ulrich Hegerl, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie an der Universität Leipzig.

Dies erklärt teilweise, weshalb die Psychopharmaka im Trend liegen: Bei Depressionen, Schizophrenie und Zwangserkrankungen wird heute kein Arzt auf Tabletten verzichten. "Auch bei akuten Psychosen, bei denen der Patient sich selbst oder andere gefährdet, kann die ärgste Gefahr mit Arzneien abgewendet werden", sagt Hegerl. "Antidepressiva machen auch nicht abhängig, verändern nicht die Persönlichkeit und sind keine Aufputschmittel", sagt er. Die ärztlichen Leitlinien sehen bei schweren Depressionen aber nicht die alleinige Gabe von Psychopharmaka vor, sondern eine Kombination mit der Psychotherapie. Der Mix ist der Einzeltherapie überlegen, heißt es.

Das ist ein allgemeiner Trend: "Früher hat man Psychotherapie und -pharmaka oft als 'entweder - oder' betrachtet", erinnert sich Jörg Frommer, Experte auf dem Gebiet der Psychotherapie an der Universität Magdeburg. Die beiden Zünfte buhlten um Patienten. Heute haben sie sich versöhnt. Eine Reihe von seelischen Störungen profitiert davon: "Bei einer schweren Angsterkrankung kommen wir nicht umhin, zunächst Beruhigungsmittel zu geben", sagt Frommer. Parallel dazu muss aber unverzüglich die Psychotherapie beginnen.

Während die Arzneien vordergründig an den Symptomen ansetzen, die Stimmung aufhellen oder Sorgen vertreiben, will der Psychotherapeut die Ursachen aufspüren und beseitigen helfen. Mittlerweile existieren dafür einige Tausend verschiedene Varianten, angefangen von der Musik- bis zur Familienbehandlung. Aber nur einige Verfahren haben ihre Heilkraft wissenschaftlich belegt.

So sind die kognitive Verhaltenstherapie und die interpersonelle Therapie die beiden einzigen Formen, die nachweislich gegen Depressionen helfen, sagt Hegerl. Bei schwachen oder mittelschweren Erkrankungen sind die Sitzungen beim Seelenarzt sogar den Arzneien überlegen und werden als alleinige Behandlung empfohlen.

In der Verhaltenstherapie steht die Alltagsgestaltung im Mittelpunkt der Gespräche. Der Tag soll nicht mit Pflichten zugepflastert sein, sondern soll Zeit für Müßiggang beinhalten. Negative Denkmuster werden analysiert, mit dem Ziel, sie abzulösen. Eine handlungsorientierte und pragmatische Form der Therapie. Die interpersonelle Therapie hingegen eignet sich vor allem bei älteren Patienten, deren Stimmung durch zwischenmenschliche Konflikte getrübt ist. Der Therapeut hinterfragt, weshalb der Patient Außenseiter, Buhmann oder graues Mäuschen sein soll. Das dadurch erwachsende Bewusstsein soll einen Wandel herbeiführen.

Aus den USA schwappt unterdessen eine neue Therapievariante herüber, die der amerikanische Psychologe James McCullough als "Cognitive and Behavorial Analysis System of Psychotherapy", kurz: CBASP, für Patienten mit chronischer Depression entwickelt hat. Er reagiert damit darauf, dass die Betroffenen häufig jeglichen zwischenmenschlichen Kontakt meiden: Die Post wird nicht aus dem Briefkasten geholt, bei kleinsten Konflikten reagieren sie mit Flucht. Solche Alltagssituationen lässt der Therapeut Revue passieren und sein Gegenüber Ideen entwickeln, wie sie anders ausgehen würden. "Es werden kleine, aber sehr konkrete Schritte erarbeitet, wie der Patient aus seiner Vermeidungshaltung herauskommt", sagt Claudia Dahm-Mory, Psychologin in der Gruppe von Ulrich Hegerl und eine von bislang nur sieben CBASP-Therapeuten in Deutschland.

Das fast schon Revolutionäre von McCulloughs Methode ist, dass der Therapeut nicht neutral bleibt, sondern seinen Standpunkt zu einem gewissen Grad einbringt. Er kann beispielsweise sein Bedauern ausdrücken, wenn der Patient einige Sitzungen unentschuldigt ausfallen lässt. Sigmund Freud würde bei dieser Vorstellung wohl die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Für ihn war die Neutralität stets oberstes Gebot. McCullough beabsichtigt jedoch mit dieser Neuerung den Kokon, in denen sich chronisch Depressive einwickeln, zu durchdringen. In trauter Zweisamkeit sollen neue Verhaltensweisen eingeübt werden. Eine umstrittene Herangehensweise, wie Claudia Dahm-Mory einräumt. Gleichwohl ist CBASP laut mehrerer Studien eine der wirksamsten Behandlungen bei chronischer Depression.

Obwohl CBASP als neues Verfahren in der Psychotherapie eine Ausnahme bildet, zeigt es doch einen Trend: "Es gibt eine immer stärkere Professionalisierung und Spezialisierung der Therapie", sagt Psychologe Frank Meiners von der Deutschen Angestellten-Krankenkasse DAK in Hamburg. Traumatherapeuten betreuen Überlebende eines Flugzeugabsturzes, spezifische Gruppentherapien bewähren sich bei Essstörungen, mit Konfrontation werden Phobien behandelt.

Die freudsche Psychoanalyse hat sich stark verästelt und vielfach weiterentwickelt. Ihre Ursprungsform wurde unterdessen zurückgedrängt, vor allem auf Kosten der Verhaltenstherapie. Jürgen Deckert, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Würzburg, sagt: "Die Psychoanalyse erinnert an den sokratischen Hebammenstil." Der Betroffene bekommt keine Handlungsanweisungen und soll seine Probleme selbst erkennen, im gelenkten Gespräch. Das kann langwierig sein. Genau darin liegt die Krux: "Wir stehen zunehmend unter Druck, rasche Erfolge auf Ebene der Symptome vorzuweisen. Dafür ist die praxisorientierte Verhaltenstherapie oft besser", so Deckert.

Allerdings rührt diese Methode tief liegende seelische Ursachen für Krankheiten, etwa den frühen Verlust des Vaters oder einen Schwangerschaftsabbruch, nicht an. Hierher dringt nur die freudsche Tiefenanalyse vor. Darin liegt bis heute ihre unangefochtene Stärke. Nur sie hat zum Ziel zu erkennen, warum man in ein Muster verfällt, um daraus zu lernen, wie sich ein Rückfall vermeiden lässt. Was viele nicht wissen: Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen nach einer Verhaltenstherapie sogar die Kosten einer Psychoanalyse, aber nicht die einer weiteren Verhaltenstherapie.

Die Methode des Gespräches ist jedoch nur das eine. Mindestens genauso wichtig ist die Chemie zwischen Therapeut und Teilnehmer. "Wenn das Arbeitsverhältnis von beiden Seiten als gut bezeichnet wird, ist das ein entscheidender Erfolgsfaktor, unabhängig von der Schule", sagt Frommer. Trotzdem sind die Sitzungen kein Couchgeplauder. Sie fordern beide Seiten.

Liebe Grüße
Anne S.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Hallo Heather,

der Auffassung bin ich ja ebenfalls.

Ich habe den Artikel nur reingestellt, um zu zeigen, wie das Thema in diversen Zeitungen publiziert wird.

Natürlich ist es nur Symptombekämpfung und die wirklichen Ursachen interessieren doch augenscheinlich nicht.

Liebe Grüße
Anne S.
 
Liebe Anne S.,

natürlich weiß ich, dass Du ebenso denkst ;)! Wenn jedoch jemand der nicht dieser Ansicht ist diesen Artikel liest soll er sich über unsere Meinung doch ein paar Gedanken machen - gelle :rolleyes:.


Liebe Grüße :wave:.

Heather
 
Hallo Anne S. und Heather,

nur eine kleine Anmerkung von mir. Ebenso wie es sich bei den meisten psychischen, psychosomatischen und somatopsychischen Erkrankungen um Symptome bzw. Syndrome, handelt, handelt es sich bei einer jeweils einseitigen Diagnostik und Behandlung, um Symptombekämpfung. Gerade deswegen sollte man mit monokausalen (sich auf nur eine Ursache beziehenden) Sichtweisen vorsichtig sein und auch hier wieder den Mensch als Ganzes/n betrachten.

Auch den Glauben, es handele sich bei psychischen "Störungsbildern" um ausschließlich somatisch verursachte Phänomene, halte ich für zu einfach. Da hierbei andere Kausalitäten, wie genetische Dispositionen, (früh)kindliche und weitere beeinflussende Erlebnisse (auch sogenannte Traumata - z.B. Gewalt- und Unfallerfahrung) im Erwachsenenalter, Umwelt- und Umgebungsfaktoren, gelernte Verhaltensweisen, Lebensweisen (wie z.B. Schlaf- und Ernährungsverhalten), Stress und Stressbewältigungsstrategien etc. nicht berücksichtigt werden.

Es gibt die unterschiedlichsten Entwicklungsverläufe - zum Beispiel von Depressionen - mit sehr unterschiedlichen Ursache - Wirkungsverhältnissen, und ich möchte deshalb anregen, von Vereinfachungen abzusehen!

Herzliche Grüße
von Leòn
 
Hallo Leon,

deshalb habe ich bewusst geschrieben:
meiner Meinung nach ist beides, die Psychotherapie sowie der Einsatz von Psychopharmaka, in den meisten Fällen nicht mehr als eine Symptombekämpfung.

Nicht in allen Fällen, das sehe ich auch so, doch hat wohl nicht jeder der mit psychischen Störungen zu kämpfen hat eine schwierige Vergangenheit.
Und selbst wenn, wie es bei mir tatsächlich war, darf man nicht vergessen die Möglichkeit einer physischen Ursache in Betracht zu ziehen. Doch das wird leider viel zu oft nicht getan. So habe ich das ebenfalls erfahren müssen.


Liebe Grüße.

Heather
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Leòn,

Auch den Glauben, es handele sich bei psychischen "Störungsbildern" um ausschließlich somatisch verursachte Phänomene, halte ich für zu einfach.

ich habe auch nie behauptet, dass bei psychischen Störungen aller Art nur physische Ursachen vorliegen, natürlich gehören Psyche und Physis zusammen.
Aber meine Auffassung ist, dass die physischen Ursachen im Vordergrund stehen.

Umweltgifte schädigen nun mal den Gehirnstoffwechsel und durch diesen physischen Einfluss wird dann natürlich die Psyche beeinflusst, wenn Melatonin, Serotonin etc. in Mitleidenschaft gezogen wurden.
Da gibt es sicher noch viele andere Beispiele.
Ich denke die wenigeren Fälle lagern umgekehrt, dass die Psyche durch Schock, Traumata usw. gestört wurde und daraus körperliche Beschwerden entstehen.
Das sind auch einfach meine eigenen Beobachtungen und Erfahrungen.
Ich kenne viele positive, fröhlich Menschen, die keine schwerwiegenden negativen Erfahrungen im Leben gemacht haben und trotzdem durch Amalgam oder andere Umweltgifte krank wurden.
Ob man krank wird, rechne ich mehr der Genetik und anderen Einflüssen zu, wie der Psyche.
Ein Beispiel ist für mich mein Opa..........ich habe ihn eigentlich nur als einen grummeligen Miesepeter, der kaum etwas gegenüber positiv eingestellt war und sehr in sich gekehrt war, in Erinnerung.
Man muss dazusagen, dass er schlimme Kriegsjahre miterlebt hatte.
Sicher war es mit seiner Psyche nicht zum Besten gestellt.
Trotzdem wurde er bei bester Gesundheit 94 Jahre alt.

Liebe Grüße
Anne S.
 
Oben