"Über all die Jahre gingen Bohr und Einstein nicht nur überaus höflich miteinander um, sie bewahrten sich auch ein Höchstmaß an aufrichtiger Hochachtung, Wertschätzung und Zuneigung füreinander.
[...]
»Die Auseinandersetzungen begannen meist schon am frühen Morgen damit, dass Einstein uns zum Frühstück ein neues Gedankenexperiment erklärte, das nach seiner Ansicht die Unbestimmtheitsrelationen widerlegte. Wir begannen natürlich sofort mit der Analyse, und auf dem Weg zum Konferenzraum, auf dem ich [= Werner Heisenberg] Bohr und Einstein meist begleitete, wurde eine erste Klärung der Fragestellung und der Behauptung erreicht. Es wurden dann im Laufe des Tages viele Gespräche darüber geführt, und in der Regel war es am Abend so weit, dass Niels Bohr bei der gemeinsamen Mahlzeit Einstein beweisen konnte, dass auch das von ihm vorgeschlagene Experiment nicht zu einer Umgehung der Unbestimmtheitsrelationen führen könnte. Einstein war dann etwas beunruhigt, aber schon am nächsten Morgen hatte er beim Frühstück ein neues Gedankenexperiment bereit, komplizierter als das Vorhergehende, das nun die Ungültigkeit der Unbestimmtheitsrelationen wirklich demonstrieren sollte. Diesem Versuch ging es freilich am Abend nicht besser als dem ersten ... «
[...]
»Für Bohr bedeutete dies [ein neues Argument Einsteins] einen schweren Schlag. Im Augenblick sah er keine Lösung. Den ganzen Abend war er äußerst unglücklich, ging vom einen zum andern und versuchte alle zu überreden, dass es nicht wahr sein könne, denn es würde das Ende der Physik bedeuten, hätte Einstein Recht. Doch er konnte keine Widerlegung finden. Ich werde niemals den Anblick vergessen, den die beiden Gegner beim Verlassen des Universitätsklubs boten: Einstein, eine majestätische Gestalt, ging ruhig mit einem leicht ironischen Lächeln, und Bohr trottete neben ihm, höchst aufgeregt ... Am nächsten Morgen kam Bohrs Triumph.«
Bohr verbrachte eine schlaflose Nacht, bis er schließlich Einsteins Irrtum entdeckte: Einstein hatte vergessen, einen bestimmten Effekt zu berücksichtigen, der einen wesentlichen Teil der allgemeinen Relativitätstheorie bildete!
Natürlich hatte Bohr seine helle Freude an der Widerlegung des Einstein'schen Gedankenexperiments und besonders daran, dass Einstein ausgerechnet über seine eigene Relativitätstheorie gestolpert war. In Kapitel 3, S. 63, erwähnte ich [= Shimon Malin] einen Vortrag Bohrs, den ich im Mai 1958 in Israel hörte. Das einzige, woran ich mich aus dem Vortrag erinnere, ist ein Dia, das die Messvorrichtung des Einstein'schen Gedankenexperiments zeigte, des letzten Versuchs Einsteins, das Unschärfeprinzip zu widerlegen. Noch 28 Jahre nach dem Ereignis freute sich Bohr über seinen Sieg!"
(Shimon Malin)
Quelle:
https://www.stauff.de/matgesch/dateien/liebenswert.htm