Mammografie-Screening Krebsvorsorge
ich bin keine frau, find es aber trotzdem mal interessant, schon weil es in der form selten gebracht wird..
tagesanzeiger.ch: Nichts verpassen
und falls/wenn der kink nicht funktioniert:
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«Den Behörden können sogar Todesfälle verschwiegen werden»
29. Mai 2008, 05:00
Pharmafirmen würden bewusst den Tod von Patienten in Kauf nehmen, sagt der dänische Chefarzt Peter Gøtzsche.
Mit Peter Gøtzsche sprach Martin Frei in Lausanne
Herr Gøtzsche, haben Sie eigentlich gern Ärger?
Nein, überhaupt nicht. Ich bin ein glücklicher Familienmensch, und ich suche keinen Ärger. Aber irgendwie endet meine Forschung oft damit.
Von Ihren Gegnern sind Sie schon als «statistischer Masturbateur», «amateurhaft» und «ignorant» bezeichnet worden. Wurden Sie auch bedroht?
Ja. Jeder, der als Gefahr für die opulenten Gewinne betrachtet wird, erhält früher oder später Drohungen.
Zuletzt haben Sie die Asthmaspezialisten gegen sich aufgebracht.
Wir haben 54 Studien mit insgesamt 3002 Patienten unter die Lupe genommen, um herauszubekommen, was bei Asthma mit Hausstaubmilbenallergie hilft. Der durchschnittliche Effekt der Anti-Milben-Staubsauger, -Matratzenbezüge und Chemikalien ist null Komma null, null. Die Leute hassen mich dafür, aber ich bin nicht schuld. Es hilft halt nicht.
Warum suchen Sie regelmässig Themen, bei denen Sie anecken?
Es war immer Zufall, auf welchen Gebieten ich geforscht habe. Die Forschung zum Mammografie-Screening wurde mir angetragen – ich hatte daran ursprünglich gar kein Interesse.
Damit haben Sie im Jahr 2000 viele Onkologen, Frauenärzte und Radiologen auf die Palme gebracht. Ihre Arbeit trug dazu bei, dass es in der Schweiz kein flächendeckendes Mammografie-Screening gibt.
Wir waren damals die Ersten, die geschrieben haben, dass es beim Screening zu 30 Prozent Überdiagnosen kommt.
Was heisst das?
Das bedeutet, dass ein Tumor gefunden wird, der nie Beschwerden verursacht hätte. Das konnte man aus den Mammografie-Studien herauslesen. Aber niemand wollte das sehen. Selbst jetzt, so viele Jahre später, sträuben sich viele gegen diese Daten. Dabei weiss jeder, der sich mit Krebs auskennt, dass wir – jedenfalls in meinem Alter – alle irgendwo im Körper Krebszellen haben. Es gibt zum Beispiel eine finnische Studie. Dort wurden bei Autopsien die Schilddrüsen genau untersucht. In den meisten fanden die Ärzte Krebszellen – aber gestorben waren die Patienten an etwas ganz anderem. Das grosse Problem in der Medizin ist die Verzerrung.
Was meinen Sie damit?
Zum Beispiel werden viele Studien, die ein ungünstiges Licht auf ein Medikament werfen, der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht. So hat eine Analyse von Studien, die bei der US-Arzneimittelbehörde eingereicht wurden, gezeigt, dass von 38 Studien, die ein für den Sponsor positives Ergebnis hatten, 37 auch veröffentlicht wurden. Von 24 Studien mit negativem Ergebnis wurden hingegen nur 8 publik – und 5 davon hatten in der Publikation plötzlich ein positives Ergebnis! In der medizinischen Forschung ist so vieles verzerrt, ich habe dort so viel Unredlichkeit gesehen – es macht mich zynisch. Das Mammografie-Screening ist dafür nur ein Beispiel.
Moment mal: Die Sterblichkeit an Brustkrebs sinkt seit Jahren. Alle, die mit qualitativ gutem Screening zu tun haben, sind davon überzeugt.
Wir haben Länder mit und ohne Mammografie-Screening verglichen. In Österreich zum Beispiel stieg die Sterblichkeitskurve bei Brustkrebs erst, dann fiel sie. In Schweden dagegen sank sie kontinuierlich. Nun raten Sie: Welches Land hat ein Screening eingeführt? Es war nicht Österreich, wie man meinen würde, sondern Schweden! Die Argumente der Mammografie-Befürworter sind wie Rosinenpickerei: Man sucht sich das raus, was einem passt.
Sie glauben also, dass das Mammografie-Screening unbegründet ist?
Die Sterblichkeit an Krebserkrankungen insgesamt ändert sich nicht, egal ob mit oder ohne Screening. Ich glaube, es könnte einen kleinen Effekt haben. Nur wissen wir nicht, wie gross er ist. Aber der Schaden, den es anrichtet, den kennen wir. Und er ist ziemlich gross. Der durchschnittliche Lebensgewinn für Frauen, die zehn Jahre lang jedes zweite Jahr zum Mammografie-Screening gingen, ist nur ein Tag! Wie viel Zeit, denken Sie, haben die Frauen allein dafür gebraucht, um jeweils zum Screening zu gehen?
Es gibt jede Menge Informationsbroschüren, in denen das Mammografie-Screening viel besser wegkommt.
Ja, und das ist die grösste Unaufrichtigkeit gegenüber den Frauen. Es ist unglaublich. In einem Bericht des britischen National Health Service stehen zum Beispiel Zahlen, die, wenn sie stimmen würden, bedeuteten, dass das Screening das Risiko an Brustkrebs zu sterben, um 75 Prozent reduziert – das wäre mehr, als alle Screening-Befürworter je behauptet haben! Viele Frauen werden falsch informiert. Das ist wie bei den Pharmafirmen.
... von denen Sie ebenfalls kein gutes Bild haben. In Ihrem Vortrag in Lausanne haben Sie unter anderem behauptet, Forscher würden – sogar durch ihre Vorgesetzten – unter Druck gesetzt, wenn sie herausfinden, dass ein Medikament zu Todesfällen führt. Die Firmen können doch kein Interesse daran haben, mit ihren Wirkstoffen Menschen ins Jenseits zu befördern. Das kommt doch früher oder später heraus.
Das sind Mythen, wie sie die Pharmaindustrie propagiert. Ich bin überzeugt: Wenn eine Firma einen Blockbuster mit gefährlichen Nebenwirkungen hat, rechnet sie durch, wie teuer es käme, wenn sie mit den Informationen herausrücken würde respektive wie teuer allfällige Prozesse würden. Es geht da um viel Geld.
Sie schlagen unter anderem vor, dass die öffentliche Hand bei neuen Medikamenten vor der Zulassung erst klinische Langzeitstudien durchführt und finanziert. Aber viele Patienten, allen voran Krebskranke, fordern schnellen Zugang zu neuen Wirkstoffen.
Das liegt daran, dass sie die Fachliteratur nicht kennen. Ich weiss von zwei Analysen, die beide gezeigt haben, dass neue Krebsmedikamente nicht wirksamer sind als alte. Es ist eine sehr schlechte Idee, die neuen Wirkstoffe möglichst schnell haben zu wollen. Wenn sie nicht ausreichend getestet sind, kann es sein, dass sie den Patienten mehr schaden als nützen.
Die Krebsspezialisten – und die müssen es ja wissen – sind überzeugt, dass einige der neuen Wirkstoffe durchaus Fortschritte darstellen. Und selbst wenn ein neuer Wirkstoff «nur» dazu führt, dass jemand bei einer Chemotherapie die Haare nicht verliert.
Entscheidend ist, ob die Patienten länger leben. Wie wollen Sie das wissen ohne grosse Studien, bei denen die Behandlungsmöglichkeiten verglichen wurden?
Sie verlangen, dass die Firmen alle Studienergebnisse offen legen. Kein Mensch käme auf die Idee, so etwas von einem Autohersteller zu fordern. Messen Sie nicht mit zweierlei Mass?
In der Pharmaforschung geht es um Menschen. Ich bezweifle, dass sich viele Patienten für Studien zur Verfügung stellen würden, wenn sie wüssten, dass der Sponsor es sich vorbehält, die Ergebnisse nur zu veröffentlichen, wenn sie ihm passen. Das aber ist die Realität. Ausserdem habe ich viele Studienprotokolle einsehen können. Und ich sehe nichts, aber auch gar nichts, was man da, zum Beispiel aus Sicht des Patentschutzes, geheim halten müsste. Aber gegenwärtig können den Behörden sogar Todesfälle verschwiegen werden.
Tatsächlich?
In einer Postmarketing-Studie zum Antidepressivum Fluoxetin wurden 76 von 97 Suiziden ausgeschlossen. Und Suizidabsichten wurden von verschiedenen Firmen als «emotionale Instabilität» bezeichnet. In der Medizin herrscht viel Unehrlichkeit.
Gibt es auch Korruption?
Ich würde es so nennen. In Deutschland zum Beispiel haben Allgemeinärzte an einer so genannten Beobachtungsstudie zum Magensäure-Blocker Nexium teilgenommen. Die Ärzte mussten den Patienten das vergleichsweise teure Medikament geben und dann notieren, wie die Wirkung war. So etwas hat keinen wissenschaftlichen Wert. Aber pro ausgefüllten Bogen bekamen die Ärzte Geld.
Welche Rolle spielen die Fachzeitschriften?
Firmen bestellen Nachdrucke von Studien, bei denen das Medikament gut abgeschnitten hat und verteilen sie an die Ärzte. Merck etwa hat von einer Vioxx-Studie fast eine Million Kopien geordert.
Das kann den Fachblättern doch egal sein.
Nein, sie können dadurch unter Druck geraten. Der Herausgeber des «Lancet» berichtete zum Beispiel, dass eine Firma ihn vor der Publikation einer Studie gebeten habe, «nicht so kritisch zu sein». Die Firma drohte damit, die Studie andernfalls zurückzuziehen, und verwies auf die Einnahmen durch die Nachdrucke, die dem Blatt dann entgehen würden.
Glauben Sie, dass diese Dinge sich allmählich bessern?
Ja, das ist so. Es gibt einige Kritiker wie mich, die sich Gehör verschaffen.
Peter Gøtzsche
Peter Gøtzsche hat Biologie, Chemie und Medizin studiert. Er ist Internist, hat von 1975 bis 1995 zunächst in der Pharmaindustrie, dann in verschiedenen Spitälern gearbeitet. Seit 1993 ist Gøtzsche Direktor des Nordic Cochrane Center, seit 1997 auch Chefarzt am Rigshospitalet in Kopenhagen. In der Cochrane Collaboration fassen Forscher Studien zu medizinischen Diagnose- und Behandlungsmethoden systematisch zusammen. Ärzte, Krankenkassen und öffentliche Gesundheitseinrichtungen orientieren sich häufig an den Ergebnissen. Der 1949 geborene Gøtzsche sprach am Internistenkongress in Lausanne. (mfr)