Wenn also die Forderung nach Schließung aller Atomkraftwerke erhoben wird, muss zumindest in gleichem, wenn nicht in weitaus höherem Maß die Forderung nach atomarer Abrüstung erhoben werden.
Zur Untermauerung dieser Forderung einige nähere Fakten zum derzeitigen Stand der Kernwaffen:
Strategische Kernwaffen sind Kernwaffen mit großer Sprengkraft, die nicht auf dem Gefechtsfeld eingesetzt werden, sondern Ziele im gegnerischen Hinterland zerstören sollen, wie z. B. ganze Städte oder Raketensilos von Interkontinentalraketen. Ihre Sprengkraft reicht vom Kilotonnenbereich bis zu theoretisch über 100 Megatonnen TNT bei der Wasserstoffbombe. Die Nukleare Triade besteht aus Interkontinentalraketen, U-Boot-gestützten ballistischen Raketen und strategischen Bombern. Die Verteilung der Kernwaffen auf mehreren Plattformtypen soll die Schlagkraft einer Nuklearmacht im Konfliktfall sicherstellen.
Strategische Kernwaffen sind:
* freifallende Kernbomben, die von Flugzeugen (meist Langstreckenbombern) direkt auf das Ziel abgeworfen werden;
* landgestützte Interkontinentalraketen (ICBM) mit nuklearem Sprengkopf, die in Silos oder mobil auf dem Festland stationiert sind;
* landgestützte Mittelstreckenraketen (MRBM, IRBM) mit nuklearem Sprengkopf, die in Silos oder auf mobilen Abschussrampen montiert sind. Ein besonderes Problem dieser Waffen ist die extrem kurze Flug- und damit Reaktionszeit von nur wenigen Minuten. Sie gelten deshalb als besonders anfällig für das unbeabsichtigte Auslösen eines Atomschlages, da nach radargestützter (Fehl-)Erkennung einer solchen Rakete praktisch keinerlei Zeit bleibt, politische Entscheidungsprozesse auszulösen. Beispiele für diese Raketen sind die in den 1950er Jahren von den USA in der Türkei stationierten Jupiter-Raketen und jene Raketen, die die UdSSR auf Kuba stationieren wollte – was damals die Kubakrise auslöste. Derartige Waffen werden heute lediglich noch von solchen Staaten stationiert, denen die Technik von Interkontinentalraketen fehlt, wie Pakistan oder Israel.
* U-Boot-gestützte ballistische Raketen (SLBM) mit nuklearem Sprengkopf; * luftgestützte ballistische Raketen (ALBM) mit nuklearem Sprengkopf, gestartet von Flugzeugen;
* Marschflugkörper (Cruise Missiles) mit nuklearem Sprengkopf, die von Flugzeugen (ALCM), Kriegsschiffen oder U-Booten abgefeuert werden können, sind vorwiegend für den "taktischen" Einsatz vorgesehen.
Eine Rakete kann je nach Bauart auch mehrere nukleare Sprengköpfe transportieren (sogenannte MIRV-Bauweise, Multiple Independently targetable Re-entry Vehicle) und so Radien von mehreren Hundert Kilometern verwüsten.
Taktische Kernwaffen
Taktische Kernwaffen (auch nukleare Gefechtsfeldwaffen genannt) sollen ähnlich wie konventionelle Waffen zur Bekämpfung gegnerischer Streitkräfte eingesetzt werden. Ihr Wirkungskreis und in der Regel auch die Sprengkraft sind deutlich geringer als bei strategischen Waffen. Die kleinste taktische Atomwaffe im Truppendienst hat eine Sprengkraft von circa 0,3 kT. Der geringe Wirkradius soll einen Einsatz relativ nahe an den eigenen Positionen erlauben.
Taktische Kernwaffen gab und gibt es in verschiedenen Formen:
* Nukleare Artilleriegranaten, die von konventionellen Artilleriegeschützen verschossen werden können, siehe M65-Geschütz, später Panzerhaubitze M109;
* Infanteriegranaten mit Treibsatz (RPG), siehe Davy Crockett;
* Taktische Boden-Boden-Raketen kurzer Reichweite (z. B. Honest John, FROG, Lance);
* Atomic Demolition Munitions, umgangssprachlich 'Atomminen';
* nukleare freifallende Bomben;
* Luft-Luft-Raketen zur Bekämpfung von Flugzeugen, etwa die AIM-26 Falcon;
* Boden-Luft-Raketen (z. B. Bomarc, Nike) zur Bekämpfung von Flugzeugen;
* Raketen zur U-Boot-Abwehr;
* nukleare Wasserbomben zum Einsatz gegen U-Boote;
* nuklear bestückte Torpedos (etwa der sowjetische Schkwal-Torpedo);
· nuklear bestückte Seezielflugkörper, um mit einem Schlag ganze Trägergruppen ausschalten zu können
Die Bezeichnung „taktisch“ ist insofern verharmlosend, als bereits diese Waffen schwerste Zerstörungen anrichten und erhebliche Radioaktivität freisetzen können, was im Kriegsfall verheerende Auswirkungen hätte. Bei der NATO-Nuklearstrategie "Flexible Response" wurde davon ausgegangen, dass der Einsatz taktischer Kernwaffen kontrollierbar sei. Erwiesen sich konventionelle Kampfmittel als zu schwach, würde der Gebrauch taktischer Kernwaffen die Abwehr von Angriffen auf NATO-Gebiet ermöglichen, ohne dass die Auseinandersetzung zu einem umfassenden nuklearen Schlagabtausch (sog. "all-out war") eskalieren müsste. Auf sowjetischer Seite wurde diese Theorie von Anfang an verworfen. Man hielt eine Begrenzung für unmöglich, sobald es einmal zum Einsatz von Kernwaffen gekommen wäre.
Spezielle Kernwaffen
1. Neutronenbomben
Neutronenbomben sind taktische Kernwaffen, die im Vergleich zur herkömmlichen Bauweise eine geringere Sprengkraft (etwa 1 kT), aber eine stärkere Neutronenstrahlung erzeugen.
Man versprach sich davon vor allem eine erhöhte Effektivität gegen gepanzerte Streitkräfte: Für die Zerstörung von Panzern muss eine Bombe normalerweise in der unmittelbaren Umgebung explodieren, da die Panzerung einen Schutz gegen Druck und Hitze bietet. Gegen Neutronenstrahlung hingegen schützt sie kaum, da Neutronen auch schwere Materialien nahezu ungehindert durchdringen. Die Explosion einer Neutronenbombe könnte daher die Besatzung eines Panzers augenblicklich töten, ohne den Panzer selbst zu vernichten. Allerdings erzeugt die Neutronenstrahlung im Zielgebiet sekundäre Radioaktivität, so dass das Gelände und dort verbliebenes Material dauerhaft unbrauchbar gemacht werden würden. Daneben können Neutronenbomben verwendet werden, um gegnerische Kernwaffen (z. B. anfliegende Raketen) durch Zerstören der Zünd- oder Steuerelektronik unbrauchbar zu machen.
Entwicklung und Stationierung von Neutronenbomben, auch in Deutschland, wurden anfangs so begründet, dass ein damit geführter Krieg selbst bei der größeren benötigten Anzahl von Explosionen Land und Infrastruktur weniger verwüste als herkömmliche Kernwaffen. Modellrechnungen zeigten aber bald, dass dieses in der Praxis kaum zuträfe. Denn in dem wirksam bestrahlten Gebiet wäre bereits die Druck- und Hitzewirkung tödlich, auch Gebäude und Anlagen würden zerstört und das Material durch Einfang radioaktiv. Eine „saubere“ Alternative zu klassischen Atombomben würde somit nicht erreicht.
Weiterhin wurde kritisiert, dass der Tod durch eine Neutronenbombe besonders unmenschlich sei. Menschen, die starken Neutronenstrahlen ausgesetzt sind, würden einen qualvollen und langsamen Tod sterben. Opfer würden mehrere Wochen lang unter Haarausfall, Lähmung, Verlust der Sinneswahrnehmung und Artikulationsfähigkeit, Spasmen, unkontrolliertem Durchfall und Flüssigkeitsverlust leiden, bis sie schließlich sterben. Diese auftretenden Symptome wurden von der Anti-Atom-Bewegung benutzt, um das Bild der „sauberen Bombe“ öffentlich in Frage zu stellen.
Darüber hinaus wurde argumentiert, durch die Neutronenbombe werde die Einsatzschwelle von Kernwaffen herabgesetzt und damit das Risiko einer Eskalation zum Krieg mit stärkeren nuklearen Bomben erhöht.
In den USA wurden seit 1974 etwa 800 Neutronensprengsätze gebaut. Die letzten Neutronenbomben wurden angeblich 1992 offiziell verschrottet.
2. Mini-Nukes
Sogenannte Mini-Nukes sind Kernwaffen mit einer Sprengkraft unter fünf Kilotonnen. Die neue Forschung über kleine, technisch hoch entwickelte Kernwaffen ist in den USA geplant. Der US-Senat hob im Mai 2003 ein 10 Jahre altes Verbot der Entwicklung von Mini-Nukes auf. Diese Entscheidung wurde im Kongress durch eine Resolution geschwächt, welche die Forschung erlaubt, jedoch ein Verbot der Entwicklung oder Herstellung neuer Atomwaffen mit geringer Sprengkraft beibehält. Kofferbomben, beispielsweise zum Einsatz durch Geheimdienste oder Terroristen, wurden beschrieben und werden auch auf dem High Energy Weapons Archive vorgestellt; dort wird aber auch betont, dass die physikalische Umsetzbarkeit mehr als zweifelhaft ist (beispielsweise wären zu hohe Mengen an konventionellem Sprengstoff zur Zündung nötig gewesen). Andererseits lag bereits das Gewicht des amerikanischen W-54-Gefechtskopfs zum Davy-Crockett-Leichtgeschütz bei nur 23 Kilogramm. Die eiförmige Waffe aus den 1950er Jahren hatte einen Durchmesser von nur etwa 27 cm bei 40 cm Länge und erreichte eine maximale Sprengkraft von etwa 1 kT.
3. Bunkerbrecher
Nukleare bunkerbrechende Waffen sollen tief in die Erde eindringen, um unterirdische und gehärtete Bunker zu zerstören. Es ist ausgeschlossen, dass die Bomben, aus der Luft abgeworfen, tief genug unter die Oberfläche eindringen und die Explosion vollkommen unterirdisch abläuft. Somit wird ein Bombenkrater erzeugt und hochradioaktives Material wird in die Luft ausgeworfen. Ebenso sind durch die erzeugten Erschütterungen großflächige Zerstörungen um das eigentliche Ziel herum zu befürchten. Es gibt im US-Arsenal bereits eine »Bunker Buster«: die B-61-11, die laut des im Januar 2002 veröffentlichten Überprüfungsberichts (Nuclear Posture Review, NPR) der US-Atomwaffenpolitik eine Sprengkraftgröße von mehr als fünf Kilotonnen hat und damit keine »Mini-Nuke« ist. Diese Waffe dringt aus einer Höhe von gut 13.000 Metern nur bis zu sieben Meter in die Erde und 2–3 Meter in gefrorenen Boden ein. Die USA haben etwa 50 dieser Bomben zur Verfügung.
Kernwaffen in Europa
Die in Europa gelagerten Kernwaffen sind nach Ende des Kalten Krieges drastisch reduziert worden. Auf den europäischen Luftwaffenstützpunkten sind von 1990 bis 1996 rund 208 Kernwaffensilos der NATO gebaut worden. Ursprünglich waren hierfür 438 NATO-Bunker vorgesehen, die aber nicht mehr benötigt wurden. Die von den US-Streitkräften kontrollierten Bunker für Bomben, die im Ernstfall den NATO-Streitkräften zur Verfügung standen, waren nicht alle bestückt worden. Bis 1998 hatte Großbritannien sein Arsenal an Fallbomben auf den Stützpunkten abgebaut. Ab 1996 wurden dann die weiteren Arsenale geleert.
Die USA und Großbritannien lagerten während des Kalten Krieges bis zu 5.000 Kernwaffen in deutschen Bunkern, darunter das für den Einsatz innerhalb Deutschlands bestimmte Zebra-Paket. Es wird vermutet, dass heute in Europa im Rahmen der nuklearen Teilhabe schätzungsweise 480 Nuklearwaffen gelagert sind, davon 20 auf dem deutschen Fliegerhorst Büchel. Dort trainiert die Luftwaffe im Rahmen der nuklearen Teilhabe den Einsatz von Kernwaffen durch Jagdbomber vom Typ Tornado. Die deutschen Luftwaffenstützpunkte in Memmingen und Nörvenich verfügten schon ab 1995 über keinerlei Kernwaffen mehr. Auch wird davon ausgegangen, dass die 130 Sprengköpfe aus der Ramstein Air Base abgezogen wurden.
Die beiden westeuropäischen Atommächte Großbritannien und Frankreich begannen bereits in den 1960ern bzw. 1970ern Teile ihrer Arsenale auf seegestützte Systeme umzustellen. Beide Staaten unterhalten heute je vier ballistische Atom-U-Boote, von denen jedes mit jeweils 16 Atomraketen ausgestattet werden kann. Frankreich hält lediglich noch 60 Sprengköpfe zum Einsatz durch Bomber bereit, Großbritannien verfügt seit dem Jahr 2000 ausschließlich über seegestützte Systeme. Infolge dieser Veränderung wurde auch die Anzahl der Lagerstätten auf Luftwaffenstützpunkten reduziert. Die seegestützten Sprengköpfe machen heute den größten Teil der in Europa stationierten Atomwaffen aus. Die britischen Sprengköpfe werden komplett in der Marinebasis Clyde gelagert, die französischen in Brest.
NATO-Luftwaffenstützpunkte mit Kernwaffen
Großbritannien: Lakenheath, Marham, Wittering
Niederlande: Volkel
Belgien: Kleine Brogel
Deutschland. Fliegerhorst Büchel (elf WS3-Lagersysteme für 22 Bomben B-61); Ramstein Air Base (elf WS3-Lagersysteme für 22 Bomben B-61, z.Zt keine Waffen gelagert)
Italien: Aviano (achtzehn WS3-Lagersysteme für 36 Bomben B-61), Ghedi-Torre (elf WS3-Lagersysteme für 22 Bomben B-61)
Griechenland: Araxos (angeblich geschlossen)
Türkei: Balıkesir (sechs Unterflurdepots, z.Zt keine Waffen gelagert), Incirlik Air Bas, Murted (sechs Unterflurdepots, z.Zt keine Waffen gelagert)
Aktueller Stand der Atomwaffen
Die fünf ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsrats (China, Frankreich, Russland, Großbritannien, USA) gelten als offizielle Atommächte. Sie sind im Atomwaffensperrvertrag als Staaten mit Kernwaffen aufgeführt. Zwei Staaten haben bislang ihre Anzahl Sprengköpfe öffentlich gemacht. Allerdings beziehen sich diese Zahlen lediglich auf die einsetzbaren Sprengköpfe, nicht auf deaktivierte.
* Großbritannien: 225
* USA: 5113
Die genaue Anzahl der nuklearen Gefechtsköpfe ist oft unklar und muss geschätzt werden. Die "Federation of American Scientists" gab für 2009 folgende Zahlen bekannt: * China: ≈ 180
* Frankreich: ≈ 300
* Großbritannien: ≈ 160
* Russland: ≈ 13.000 (4.830 operativ)
* USA: 9.400 (2.700 operativ)
Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea sind nicht im Atomwaffensperrvertrag aufgeführt, besitzen aber trotzdem Kernwaffen und Trägersysteme (Zahlen für 2008)

> * Indien: ≈ 50
* Israel: ≈ 80
* Pakistan: ≈ 60
* Nordkorea: Die Stiftung Carnegie Endowment for International Peace gab für 2007 folgende Angaben im Proliferation-Report heraus:
* China: 410
* Frankreich: 350
* Großbritannien: 200
* Russland: ≈ 16.000
Vereinigte Staaten: ≈ 10.300
sowie
* Indien: ≈ 75 bis 110
* Israel: ≈ 100 bis 170
* Pakistan: ≈ 50 bis 110
Die Vereinigten Staaten gaben im Mai 2010 die Anzahl ihrer einsatzbereiten nuklearen Sprengköpfe mit Stand vom September 2009 mit 5.113 an. Im Jahr 1967 seien es noch 31.255 Sprengköpfe gewesen.
Das Vereinigte Königreich gab Ende Mai 2010 die vollständige Anzahl seiner Sprengköpfe ab. In einer Fragestunde gab der britische Außenminister William Hague bekannt, dass das Land über 225 Kernwaffen verfüge. Damit änderte die britische Regierung ihre traditionelle Haltung, ausschließlich die Anzahl der einsatzbereiten Sprengköpfe bekanntzugeben.
Obwohl lange Zeit nicht von offizieller Seite bestätigt, gilt es als unstrittig, dass auch Israel seit den 1970er Jahren im Besitz von Kernwaffen ist. Weiterhin hat Premierminister Olmert am 12. Dezember 2006 innerhalb eines Interviews Israel als ein Land aufgezählt, das Atomwaffen besitzt. Mordechai Vanunu hat die Welt vom israelischen Kernwaffenprojekt unterrichtet, nachdem er am Dimona-Reaktor arbeitete. Am 11. Dezember 2006 gab der israelische Ministerpräsident Olmert gegenüber dem deutschen Sender Sat.1 zu, dass Israel eine Atommacht sei. Dieses wurde jedoch später von ihm wieder dementiert. Zuvor gab es Proteste in In- und Ausland als Reaktion auf diese Aussage. Im Januar 2007 meldeten iranische Medien, Israel plane einen atomaren Angriff auf den Iran, was von Tel Aviv dementiert wurde.
KomInform: Hans Heinrich Fehlmann: Atomare Abrüstung jetzt !