Fahnenflucht/Desertion im 2. Weltkrieg. Neue Studie.

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Es ist kein Buch sondern eine Studie, die sich mit Deserteuren im 2. Weltkrieg beschäftigt:
Nach heutigem Verständnis setzten Deserteure der Wehrmacht durch ihre Fahnenflucht ein Zeichen des Widerstands gegen Krieg und NS-Regime. Eine aktuelle Studie stellt dieses Bild in Frage.

https://www.spektrum.de/pdf/palaeodiaet-spektrum-geschichte-6-2021/1807280

... Die Suche nach Fahnenflüchtigen in rund 4000 Akten

Für seine Fahnenflucht hatte er kein erkennbar politisches Motiv, er zählte zu den jüngsten Alterskohorten in der Truppe und war zuvor bereits durch Disziplinarverstöße und kleinere Delikte auffällig geworden. Insgesamt also, wie der Historiker Stefan Treiber es sieht, unter den Deserteuren der Wehrmacht ein durchaus typischer Fall. Seit 2018 hat Treiber, Referent in der KZ-Gedenkstätte Dachau, für seine Dissertation in der schriftlichen Hinterlassenschaft von 150 Infanteriedivisionen, die zwischen 1941 und 1944 an der Ostfront eingesetzt waren, nach Fahnenfluchtfällen gefahndet. Er hat rund 4000 Akten gesichtet und wurde in jeder vierten fündig. Seine Arbeit ist 2021 im Campus Verlag mit dem Titel »Helden oder Feiglinge?« erschienen.
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ist aus heutiger Betrachtung das Thema der Desertion im Zweiten Weltkrieg in zweierlei Hinsicht von historischem Interesse: Zum einen geht es um den Charakter der damaligen Militärgerichtsbarkeit, einer, wie Treiber formuliert, »strikten, konsequenten und sehr brutalen Justiz«. Der Forscher spricht von mindestens 17 000 vollstreckten Todesurteilen wegen Fahnenflucht in der Zeit von 1941 bis 1944. Während des Zweiten Weltkriegs wurde in der US-Armee ein Deserteur erschossen, in der britischen keiner. Während des ganzen Ersten Weltkriegs waren es im deutschen Heer nicht mehr als 48 gewesen, was den Nationalsozialisten später als Ausweis einer geradezu fahrlässigen Langmut erschien. Sie schärften das aus der Kaiserzeit überkommene Militärstrafrecht entsprechend nach. Namentlich in der Marine, wo der Kieler Matrosenaufstand vom November 1918 als bleibende Schande empfunden wurde, bestand die Neigung, den Strafrahmen zum Nachteil des Angeklagten unnachsichtig auszuschöpfen. Der Matrosenaufstand hatte den Weg zur Novemberrevolution 1918 und 1919 geebnet, die zum Sturz des deutschen Kaiserreichs und zur Entstehung der Weimarer Republik führte.

Der zweite historisch relevante Aspekt der Desertion betrifft die von scharfen Kontroversen begleitete Debatte, die Jahrzehnte nach dem Krieg in der Bundesrepublik einsetzte und erst im Mai 2002 ihr politisches Ende fand, als der Bundestag mit den Stimmen der damaligen rot-grünen Mehrheit und der PDS die pauschale Aufhebung der Urteile gegen Deserteure der Wehrmacht beschloss. Am Anfang dieser Auseinandersetzung hatte die Filbinger-Affäre gestanden, wenig später folgte die westdeutsche Friedensbewegung, der Protest gegen den Nachrüstungsbeschluss der Nato zu Beginn der 1980er Jahre, dessen Protagonisten die Deserteure der Wehrmacht als historische Vorbilder entdeckten. Die Vorstellung von Fahnenflucht als einer in jedem Fall politischen Tat, als »Widerstand des kleinen Mannes und einfachen Soldaten«, wie der Dichter und einstige Deserteur Gerhard Zwerenz (1925–2015) es formulierte, hatte hier ihren Ursprung.
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Aus heutiger Sicht ein immer noch schwieriges Thema. Ich kann für mich nur sagen, daß ich froh bin, in einer Zeit geboren zu sein, in der Desertion als Thema in Deutschland kaum zur Sprache kam und kommt. Trotzdem bin ich davon überzeugt, daß die Situation und die Gedanken unserer Vorfahren im 2. Weltkrieg als Soldaten sich bis heute auswirken. Und deshalb sind auch solche Studien immer noch gerechtfertigt - meine ich.
U.a. Bruce H. Lipton bestärkt mich in dieser Ansicht mit seinem Buch „Intelligente Zellen - Wie Erfahrungen unsere Gene steuern“.

Grüsse,
Oregano
 
Zuletzt bearbeitet:
Es ist kein Buch sondern eine Studie, die sich mit Deserteuren im 2. Weltkrieg beschäftigt ...
Hm, "kein Buch" in der Rubrik 'Andere Bücher'?

In dem Zitat aus dem Spektrum-Artikel liest man das folgende:
Seit 2018 hat Treiber, Referent in der KZ-Gedenkstätte Dachau, für seine Dissertation in der schriftlichen Hinterlassenschaft von 150 Infanteriedivisionen, die zwischen 1941 und 1944 an der Ostfront eingesetzt waren, nach Fahnenfluchtfällen gefahndet. Er hat rund 4000 Akten gesichtet und wurde in jeder vierten fündig. Seine Arbeit ist 2021 im Campus Verlag mit dem Titel »Helden oder Feiglinge?« erschienen.
Es ist demnach eine Dissertation, eine sogenannte Doktorarbeit, die auch im Campus-Verlag erschienen ist, als Buch, und der Titel wird ja genannt und verlinkt. Es gibt dort auch eine Leseprobe der ersten 19 Seiten und des Inhaltsverzeichnisses. Insgesamt hat das Buch rund 340 Seiten.

Der Spektrum-Artikel spricht in der Überschrift von "Studie", im Text selber von "Dissertation" und verlinkt den Buchtitel dazu im 3. Absatz. Etwas verwirrend geschrieben vom Autor des Artikels, Winfried Dolderer, der selber einen Doktortitel hat, und Historiker und Journalist ist, 1954 geboren.

Man muss also auch bekannte und anerkannte Quellen (Spektrum), und ebenso ältere und erfahrene Schreiber (Historiker, Journalist, 67 Jahre alt) immer wieder genau lesen und prüfen.

Es ist ein Buch, ja, entstanden aus der Doktorarbeit von Stefan Treiber.
 
Hallo Gleerndil,

ob nun Buch oder Studie oder beides: schön, daß Du es so genau aufdröselst, Gleerndil.
Mir geht es um den Inhalt.

Grüsse,
Oregano
 
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