Dem 23-jährigen Deutschen missfällt der Ton – und die Attitüde, die in einer urbanen Komfortzone verhaftet sei. Vom Anliegen der Bewegung ist er aber nach wie vor überzeugt.
Hansjörg Friedrich Müller, Berlin25.09.2020, 11.30 Uhr
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«Wichtig ist, dass man seine eigenen Privilegien kennt und aus seinen Wohlfühlzonen rausgeht»: Der Autor Clemens Traub fordert eine inklusivere Klimabewegung.
PD
Herr Traub, am Freitagmittag hat Fridays for Future wieder zum Klimastreik aufgerufen. Werden Sie dabei sein?
Ich werde die Demonstration in Mainz kritisch verfolgen. Ich bin gespannt, wie die Teilnehmer auf der ersten Kundgebung nach der Corona-Pause auftreten.
Was erwarten Sie? Werden viele kommen, oder hat die Bewegung ihren Zenit überschritten?
Es wird wohl vor allem der innerste Kreis da sein. Den ganz grossen Auflauf, den wir letztes Jahr erlebt haben, wird es wohl kaum noch einmal geben. Viele Menschen in Deutschland haben gerade dringendere Probleme als die Waldbrände in Kalifornien.
Letztes Jahr befanden auch Sie sich noch unter den Demonstranten. Warum sind Sie seither zu einem Kritiker der Bewegung geworden?
Vor allem aufgrund von zwei Erlebnissen: Ich komme aus einem kleinen pfälzischen Weindorf. In Mainz, wo ich studiere, waren die Proteste ein grosses Thema. In meinem Dorf wurde dagegen kaum darüber gesprochen und wenn doch, schüttelten die Leute nur den Kopf. Es war, als stünden sich zwei Welten gegenüber. Am Anfang tat ich die Leute im Dorf als schlecht informiert ab, was übrigens ein typischer Ausgrenzungsmechanismus der Fridays-for-Future-Bewegung ist. Irgendwann merkte ich, dass meine Freunde auf dem Land in vielem recht hatten. Später erlebte ich, wie es in der Mensa der Mainzer Universität zu einem heftigen Streit über Plastikgeschirr kam. Die Aktivisten verloren dabei jeden Anstand und beschimpften die Kassiererinnen.
«Ich will kein plumpes Greta-Thunberg-Bashing betreiben, aber ich habe gesehen, dass diese Bewegung als abgehoben empfunden wird. Dadurch bringt sie viele gegen sich auf.»
Was für Worte fielen dort?
Solche, die ich hier nicht wiederholen möchte.
Aber vom Anliegen der Bewegung sind Sie nach wie vor überzeugt?
Ja. Ich will auch kein plumpes Greta-Thunberg-Bashing betreiben, aber ich habe gesehen, dass diese Bewegung von vielen als abgehoben und lebensfremd empfunden wird. Durch ihr teilweise überhebliches Auftreten bringt sie viele gegen sich auf. Ich plädiere für eine inklusive Klimabewegung, die lebensnah ist und es schafft, sowohl Akademiker als auch Handwerker und Fabrikarbeiter hinter sich zu versammeln.
Was würden Sie anders machen?
Wichtig ist, dass die Bewegung Fridays for Future aus der urbanen Komfortzone herauskommt. Bis jetzt sind die Aktivisten vor allem in ihrem eigenen Milieu unterwegs, wo sie wissen, dass sie Applaus bekommen. Wenn sie einmal in ein Dorf oder in einen Handwerksbetrieb gingen, wäre das eine Geste, die viele Leute sehr schätzten. Sie müssten den Menschen dort zuhören und deren Sorgen und Ängste ernst nehmen. Dann würde umgekehrt auch ihnen zugehört werden. Klimaschutz darf nicht an der Lebensrealität der Menschen vorbei gedacht werden.
In Ihrem Heimatort haben Sie bereits mit den Leuten diskutiert. Konnten Sie irgendjemanden davon überzeugen, dass der Klimawandel ein grosses Problem ist?
Ja. Auch auf das Buch, das ich im Februar veröffentlicht habe, bekomme ich zahlreiche Rückmeldungen von Leuten, die Klimaschutz grundsätzlich richtig finden, vom Auftreten von Fridays for Future aber abgestossen sind. 90 Prozent der Aktivisten haben das Abitur oder werden es bald haben. Sie schauen auf diejenigen herab, die einen Diesel fahren. In meinem Dorf brauchen die Leute aber ein Auto, um ihren Alltag bewältigen zu können.
Sie haben Fridays for Future als eine Bewegung bezeichnet, in der Arzttöchter anderen die Welt erklärten. Aus welchem Milieu stammen Sie?
Mein Vater ist Jurist. Ich habe nichts gegen Akademiker. Wichtig ist, dass man seine eigenen Privilegien kennt und aus seinen Wohlfühlzonen rausgeht. In meinem Dorf war ich immer in einem Fussballverein, mit Menschen, die aus einer ganz anderen Bevölkerungsschicht kamen und auf andere Schulen gingen. Auch mein Bekanntenkreis ist bunt gemischt, das ist so bereichernd in unserer heutigen Zeit. Doch genau das ist das Problem von Fridays for Future: Mit solchen Leuten können die nur wenig anfangen. Sie kapseln sich lieber in ihrem grossstädtischen Milieu von der Restbevölkerung ab.
«Mich stören diese Schwärmereien von einem Systemsturz. Fragen Sie einmal einen Arbeiter, was er davon halte. Derartige Forderungen kann man nur stellen, wenn es einem selbst gutgeht.»
Sie meinen, für viele seien die Proteste auch eine Gelegenheit, ihr eigenes Talent zur Schau zu stellen. Glauben Sie, dass sich manche vor allem aus Karrieregründen engagieren?
Das ist definitiv so. Viele sehen, dass sie da sehr viel Aufmerksamkeit bekommen. Das ist sicher auch ein Motiv, sich dort in der ersten Reihe zu positionieren.
Mit Ihrem Buch wollen Sie doch auch öffentliche Aufmerksamkeit erreichen.
Das ist an sich auch noch nicht schlecht. Aber bei Fridays for Future stört mich, dass sich viele dort als unverstandene Aussenseiter der Gesellschaft sehen. In Wahrheit sind sie aufgrund ihres Elternhauses und ihrer Bildung Profiteure des Systems. Und dann zeigen sie mit erhobenem Zeigefinger auf den Diesel-Fahrer, der nicht genug Geld hat, um sich das teuerste Bio-Steak leisten zu können. Ich kann mir gut vorstellen, dass das für die betroffenen Familien sehr verletzend ist.
Die soziale Herkunft der Aktivisten nannten Sie den Geburtsfehler von Fridays for Future. Wer sollte denn anfangen, sich zu engagieren, wenn nicht diejenigen, die privat von Sorgen relativ unbelastet sind?
Natürlich war es in der Geschichte häufig so, dass derartige Bewegungen eher von bürgerlichen Akademikern angestossen wurden, denken Sie nur an die Achtundsechziger. Ich mache auch niemandem seine Herkunft oder seinen Werdegang zum Vorwurf. Was ich schlimm finde, ist dieses überhebliche und unsolidarische Auftreten.
Sie fordern eine sozial ausgewogenere Klimapolitik. Ist eine solche überhaupt möglich, oder stösst man dabei nicht früher oder später auf unlösbare Zielkonflikte?
Da hoffe ich auf den technischen Fortschritt. Wir müssten überlegen, wie Deutschland eine Green Economy und damit auch eine Art Leuchtturm werden könnte. Wenn chinesische Politiker heute nach Deutschland schauen, haben sie sicher nicht das Gefühl, dass sie von dort etwas lernen können. Fridays for Future denkt immer nur in apokalyptischen Bildern. Doch Apokalypse lähmt unseren innovativen Diskurs. Mich stören auch diese abstrakten Schwärmereien von einem Systemsturz, die ich bei Fridays for Future höre. Fragen Sie einmal einen Bandarbeiter bei Volkswagen oder einen selbständigen Handwerker, was er von einem Systemsturz halte. Derartige Forderungen kann man nur stellen, wenn es einem selbst gutgeht.