Lieber Horaz,
hab ganz vielen Dank, dass du den Thread zur Teilung Deutschlands mit dem besonderen Gruß in Richtung Osten Deutschlands begonnen hast.
Stellvertretend für alle anderen Ossis außerdem einen besonderen Dank besonders an Leon, Notoo und Bodo für die freundlichen Beiträge.
Natürlich wird es Zeit, dass sich nun auf Seite 2 endlich jemand aus der ehemaligen DDR äußert. Ich bin nun aber am Überlegen, was ich da schreibe, weil selbst hier die Menschen sehr verschieden empfinden.
Als erstes stelle ich fest, dass der 3. Oktober eigentlich für mich gar nicht so wichtig ist. Sehr viel mehr berührt mich der 9. November. Vielleicht werde ich mal demnächst in einem Extrabeitrag schreiben, wie ich diesen Tag erlebt habe (ist doch eine gute Idee, stimmts Leon

). Der 9. November war befreiend. Ja so muss ich es wirklich sagen. Ich gebe zu , dass ich bei den so nett dargestellten Montagsdemos, die es in ähnlicher Weise auch in Jena gab, bis zum letzten Mal immer Angst hatte. Ich wusste, dass paar Häuserzüge weiter im Hof eines großen Betriebes genug schwere Fahrzeuge standen, für die es ein Leichtes gewesen wäre, die ganze Demo mit Gewalt niederzumetzeln. Es hätte ein Kurzschluss von einer Person gereicht. Nach dem denkwürdigen 9. November war klar, dass das nicht passieren würde. Es war auch das Ende einer sehr ängstigenden Zeit, als zeitweilig sogar noch die Grenze zur CSSR verschlossen wurde (nach Polen kam man ohnehin nicht so leicht). Im Moment der Grenzschließung zur CSSR kam erstmalig wirklich ernsthaft die Sorge auf, dass die Entscheidung falsch gewesen sein könnte, nie über eine Flucht in den Westen nachgedacht zu haben. Der Fakt des Wegfallens der Mauer war für mich so sehr viel wichtiger, als endlich tatsächlich das erste Mal im Leben westdeutschen Boden zu betreten. Es war eine zentnerschwere Last, die man wirklich gerade in den letzten Monaten extrem gespürt hatte.
Zu der anderen Seite (materiellen) der ganzen Sache, die nun andiskutiert wurde. Gewiss, auch Ossis sind extrem verschieden. Meine persönliche Empfindung ist folgende: Ich gebe zu, dass ich froh und dankbar bin, dass die Zeiten, wo man im Winter kaum durch die Straßen laufen konnte, weil der Gestank und Schmutz der Kohlenheizungen einen die Tränen in die Augen trieb, vorbei ist. Ich bin froh, dass so nach und nach sehr viele Abwasserkanäle erneuert wurden, die schon seit Jahrzehnten leckten. Ich bin froh, dass einkaufen so sehr einfach ist. Wenn ich einen Joghurt brauche, geh ich in ein Geschäft und kaufe einen. 20 Sorten müsste ich da allerdings nicht vorfinden. Mir würden auch 2 Sorten Butter reichen oder 2 Sorten Haferflocken. Ich bin dankbar, dass ich für meinen Sohn jederzeit genug Obst und Gemüse vorfinde in den Geschäften und das noch dazu ohne anzustehen. Ich nehme das auch jetzt noch nicht als völlige Selbstverständlichkeit wahr sondern als extreme Erleichterung im Vergleich zur der Zeit vor der Wende. Bitte verdenkt mir das nicht, dass ich mich tatsächlich über den Wohlstand in der Form freue, weil das Leben vorher zum Teil auch extrem hart war. Ich erinnere durchaus auch jetzt immer mal noch die eine oder andere Kollegin daran, wenn sie Grund zum jammern finden, dass das Leben in einer Art angenehm ist, wie es das früher nicht war. Manche Probleme hatten wir natürlich nicht: z.B. diesen oder jenen Joghurt..? Entweder gabs eine Sorte oder gar keinen. So einfach war das.
Hallo Notoo, ja ich freue mich auch daran, dass inzwischen z.B. auch Jena ansehnlich ist, die Zeit bröckelnder Fassaden ist vorbei und man stellt fest, dass das was darunter verborgen war, durchaus ansehnlich ist. Schön, dass du ein solches Beispiel hattest.
Mister X, ich gebe dir nur insofern Recht, dass ich auch etwas erschüttert war, wie sehr viele so sehr schnell nur noch im Konsumrausch versanken und die Ziele für die sie eigentlich gekämpft hatten aus dem Blick verloren. Nur so konnte es dann auch zu dem Ausverkauf der DDR kommen, in dem im Westen auf diese Weise ordentlich verdient wurde und im Osten Betriebe massenhaft starben, weil sie ausstattungsmäßig dem Druck aus dem Westen zunächst nicht gewachsen waren.
Über die politische Lösung, die entstand, war ich auch nicht gerade glücklich, aber sie war auf jeden Fall erstmal besser als die alte. Ob man die Währungsunion so schnell übers Knie hätte brechen müssen, ist eine andere Frage, die aber nun keine Rolle mehr spielt.
Hallo Binnie, ja manche Konzepte waren wirklich ganz gut. Inzwischen entstehen hier z.B. auch wieder Ärztehäuser, wo sich Praxen in Labors teilen und es gäbe durchaus einige Beispiele, wo man erst Oststrukturen abgeschafft und dann neu erfunden wurden.
Nochmal an Mister X zu Mecklenburg Vorpommern. Dort kann man wirklich auf besondere Weise gut leben, aber als junge Familie überlegst du dir schon, ob du es deinen Kindern antun willst, täglich je 2 Stunden Schulweg in Kauf zu nehmen. Für einen Rentner, der auch keine riesigen Arbeitswege in Kauf nehmen muss und sein Gemüse selber züchten will, ist es perfekt.
Zum Arbeit finden: Du bist ganz schön blauäugig: Mein Bruder ist als Elektriker eigentlich schon seit der Wende auf immer wechselnden Baustellen extrem viel im Westen beschäftigt gewesen(verliehen von Arbeitskräfteverleihfirmen wegen mangelnder Aufträge im Osten), obwohl er nach wie vor seine Familie im Osten hat und eben pendeln muss. So ein Leben ist extrem belastend aber es bleibt ihm nicht anderes übrig, weil die Frau nicht arbeiten kann und irgendwo das Geld herkommen muss. Es geht wirklich nicht um Luxus sondern nur um bescheidene Grundausstattung.Ab und zu gabs auch mal paar Baustellen im Osten, leider aber eben nicht genug. Lustig und auch freiwillig ist das aber nicht. Das ist leider die andere Seite der Medaille.
Oh das ist jetzt aber ganz schön viel geworden. Liest hier überhaupt noch jemand? Wo ging es eigentlich los...Ja, der Tag der Deutschen Einheit, der vom Datum her eigentlich in der Luft hängt. Ich hätte mir den 9. November gewünscht. Nun ist es der 3. Oktober und ich grüße hiermit deshalb gerade heute auch alle im Westen Deutschlands, die aus dem Osten gegrüßt werden wollen.