Nicht zu lange krank sein

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"Nicht zu lange krank sein

314.

Nicht zu lange krank sein. — Man hüte sich, zu lange krank zu sein: denn bald werden die Zuschauer durch die übliche Verpflichtung, Mitleiden zu bezeigen, ungeduldig, weil es ihnen zuviel Mühe macht, diesen Zustand lange bei sich aufrecht zu erhalten — und dann gehen sie unmittelbar zur Verdächtigung eures Charakters über, mit dem Schlusse: "ihr verdient es krank zu sein, und wir brauchen uns nicht mehr mit Mitleiden anzustrengen".


(Nietzsche - Menschliches Allzusmenschliches II, 1879)
 
denn bald werden die Zuschauer durch die übliche Verpflichtung, Mitleiden zu bezeigen, ungeduldig, weil es ihnen zuviel Mühe macht, diesen Zustand lange bei sich aufrecht zu erhalten — und dann gehen sie unmittelbar zur Verdächtigung eures Charakters über, mit dem Schlusse:

"ihr verdient es krank zu sein, und wir brauchen uns nicht mehr mit Mitleiden anzustrengen"
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Oh wie wahr, und aktuell, Magnus. :eek:
Aber auch nachvollziehbar.
 
Oh wie wahr, und aktuell, Magnus. :eek:
Aber auch nachvollziehbar.


Nun, ich finde es nicht mehr nachvollziehbar, wenn man dieses Verhaltensmuster zu erkennen im Stande ist. Denn wenn man sagt, es sei nachvollziehbar, dass die Menschen lang-erkrankte Menschen alsbald als gerecht Bestrafte empfinden, dann sagt man doch damit aus, dass es nach eigenem Ermessen richtig sei, lang-erkrankten Menschen die Schuld an ihrer Erkrankung selbst zuzusprechen und die Erkrankung als eine "gerechte Strafe" für ein imaginäres WAS zu beurteilen.

So gibt es Menschen aller Art (den Charakter betreffend)
a) Die wirklich Mitfühlenden (die reinen Empathen) - Sie können sich naturbedingt gar nicht sehr lange mit Kranken befassen, da sie sich sonst einer schieren Folter aussetzen würden. (Würde man also je einen reinen Empathen in dauerhafter Nähe zu Kranken sehen, so könnte es sich hierbei nur um einen Masochisten handeln).

b) Die "politischen Empathen" (die "Berechner" von Verhalten) - welche sich solange mitleidsbekundend und Fürsorglich zeigen, wie es ihren Berechnungen nach gesellschaftlich und/oder situativ notwendig ist.

c) Unter denen von b) und weiteren Charakteren gibt es nun auch Tendenzen zum Sadismus. Diese empfinden nie echtes Mitleid und sind daher die einzigen, die sich längerfristig in der Nähe von Kranken aufhalten können.

Ich denke dass nicht mehr viel zum Nachdenken übrig geblieben ist, wenn man überlegte, mit wem langfristig Erkrankte überhaupt noch Kontakt haben können. Oder was Ihnen in Wahrheit gegenübersitzt, wenn sie bei einem Arzt sind.


Was die anderen (gewöhnlichen) mehr oder weniger empathischen Menschen anbelangt, so grenzen dieses sich tatsächlich von dauerhaftem Unbill in ihrer Nähe ab - und sei es auch durch das Austeilen von (verbalen) Schlägen - dem "Dauerkrankheitsopfer" gegenüber, um eben - wenn nötig auch mit Gewalt - dieses Unbill vom Halse zu bekommen.

Ja, gänzlich natürliches Verhalten (siehe auch Naturfilme udgl.); das eigentlich auch einmal die Gesellschaft zur Diskussion einladen könnte.

Generell: weniger die ausbleibende Beachtung stellt ein Problem dar, als die zunehmende Verachtung.
 
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Hallo Magnus,

nur zur Klarstellung.
Mit nachvollziehbar meinte ich nicht den "Gerechtigkeits"-Aspekt, sondern diesen Satz:

denn bald werden die Zuschauer durch die übliche Verpflichtung, Mitleiden zu bezeigen, ungeduldig, weil es ihnen zuviel Mühe macht, diesen Zustand lange bei sich aufrecht zu erhalten
 
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