Mein Bruder rutscht immer mehr ab

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11.06.07
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Hallo ich wollte euch einmal um Rat fragen:

mein Bruder ist Alkoholiker, schon fast 30 Jahre, eer war schon zweimal in Kur aber hat anscheinend nichts gebracht.

Nun hat er seinen Job verloren wegen dauernder Krankmeldung usw.

Seine langjährige Freundin, bei der er noch in der Firmenwohnung wohnt, ist ganz verzweifelt. Die Firma gibt eine Abfindung aber das geld ist natürlich auch ruck zuck weg.
Er hat eine neue Freundin in seiner Kneipe gefunden die ihn noch mehr runterzieht, diese ist auch arbeitslos und Hartz Vier und gibt ihm Tipps wie auch arbeitslos zu werden usw. also schlecht für ihn.
Angeblich hat er die Freundin nur wegen Sex, ich weiss das nicht.

Ich würde eine Chance sehen, wenn er mit seiner alten Freundin nach Bayern ziehen würde, aufs Land. .um von den schlechten Einflüssen wegzukommen.

Anscheinend nimmt der Alk Konsum auch immer mehr zu und er vernachlässigt sich auch körperlich. Jetzt hat er auch noch VErdacht auf SchilddrüsenUF.

die letzten Jahre hab ich ihn "machen lassen" aber so langsam krieg ich ein mulmiges Gefühl.
WAs kann ich überhaupt tun?

Reden wird ja wohl wenig nutzen oder?

vielen dAnk für Eure Tipps,

liebe Grüsse
B.Anna
 
Hallo B.Anna,

ich glaube nicht, daß man einem Suchtkranken helfen kann, wenn er das nicht selbst will. Deshalb schließe ich mich diesen Ratschlägen an:

...
Zunächst sollte Ihnen aber klar sein, dass der Alkoholkranke in jedem, der ihm helfen will einen Gegner sieht, der ihm seinen Alkohol wegnehmen will. Rechnen Sie in jedem Fall mit zum Teil aggressiver Gegenwehr! Erst wenn der Betroffene selbst erkannt hat, dass er ein Alkoholproblem hat, ist er bereit sich helfen zu lassen und etwas zu unternehmen. Diese Einsicht wird aber nur erreicht, wenn der Betroffene an den Folgen seiner Trinkerei mehr leidet, als der Alkoholkonsum ihm andererseits noch Lustgewinn oder Trost verschafft. Erst unter diesem Leidensdruck wird er bereit sein, sich helfen zu lassen.

Bis zu dieser Erkenntnis des Alkoholkranken haben Sie es in der Angehörigenrolle sehr schwer.
...
Alkoholkrank? Helfen, aber wie?

Grüsse,
Oregano
 
mein Bruder ist Alkoholiker, schon fast 30 Jahre, eer war schon zweimal in Kur aber hat anscheinend nichts gebracht.
Ich würde eine Chance sehen, wenn er mit seiner alten Freundin nach Bayern ziehen würde, aufs Land. .um von den schlechten Einflüssen wegzukommen.
die letzten Jahre hab ich ihn "machen lassen" aber so langsam krieg ich ein mulmiges Gefühl. WAs kann ich überhaupt tun? Reden wird ja wohl wenig nutzen oder?

Hallo Anna,

Dein Sorge um Deinen Bruder und der Wunsch ihm zu helfen ist nur natürlich. Da Dein Bruder aber schon zwei Entziehungskuren hinter sich hat, gehört er wohl zu den "schweren Fällen". Da wird mit ihm reden auch nichts bewirken. Den Vorschlag aufs Land zu ziehen, kannst Du ihm ja mal machen, doch ob er darauf eingeht, ist eine andere Frage.

Bei Alkoholikern können selbst Ehepartner, die den Alkoholiker wirklich sehr lieben, nur in ganz seltenen Fällen etwas bewirken, meist jedoch nicht.

Letztlich ist die Situation für Dich selbst problematisch - wenn Du Dich zu sehr sorgst, Ohnnmachtsgefühle entwickelst, weil Du helfen willst, das aber nicht kannst, könntest Du selber krank werden. Insofern ist es besser, wenn Du Dich von dem Problem löst - Du bist nicht dafür verantwortlich, was Dein Bruder macht.

Jeder erwachsene Mensch ist für sich selbst verantwortlich, hat es selbst in der Hand, was er aus seinem Leben macht und wie er sich verhält. Das mag jetzt in Deiner Sorge hart klingen, doch nutzt es nichts, gegen etwas ankämpfen zu wollen, für das ein anderer die Verantwortung hat und der trotz zwei Kuren wieder rückfällig wurde.

Dein Bruder kann nur "trocken" werden, wenn er es aus eigenem Antrieb selbst wirklich will. Wenn er etwa aus eigenem Antrieb zu den "Anonymen Alkoholikern" gehen würde oder ähnliches. Das einzige, was Du machen könntest, wäre ihm mal ein Informationsblatt dieser Vereinigung zu geben und ihn zu bitten, dort Hilfe zu suchen. Du solltest Dich jedoch nicht grämen, wenn er das nicht tut - es ist dann seine Entscheidung und so schwer das auch ist, wirst Du das akzeptieren müssen.

Liebe Grüße,
Clematis
 
Danke Euch für die Tipps..
ich kenne diese Tipps, frage mich aber ob es nicht unverantwortich ist, sehendes Auges zuzusehen wie jemand abrutscht, nur mit dem Argument, er muss da selber rauskommen usw.
ich glaube irgendwie nicht dass ein Schwerstalkoholiker noch in der Lage ist, irgendwo "selbst rauszukommen."

Ich bin schon schwer krank, habe auch Hashimoto und NNS. und mit mir selber genug zu tun. So habe ich auch die letzten Jahre mich nicht darum gekümmert, was er macht und alles abgeblockt.
Ich denke mal die AAs kennt er schon, das weiss er bestimmt das es die gibt.

ich danke euch, bin echt ratlos, ach es ist schwer..zu sehen wie der "kleine Bruder" vor die Hunde geht.

liebe Grüsse
B.Anna
 
ich kenne diese Tipps, frage mich aber ob es nicht unverantwortich ist, sehendes Auges zuzusehen wie jemand abrutscht, nur mit dem Argument, er muss da selber rauskommen usw.
ich glaube irgendwie nicht dass ein Schwerstalkoholiker noch in der Lage ist, irgendwo "selbst rauszukommen."
Ich bin schon schwer krank...
ach es ist schwer..zu sehen wie der "kleine Bruder" vor die Hunde geht.

Hallo Anna,

nein, es ist nicht unverantwortlich und Du bist es auch nicht, sonst würdest Du Dir nicht solche Sorgen um Deinen Bruder machen. Dein Bruder rutscht ja schon seit 30 Jahren ab, so wie Du es beschrieben hast. Und er wird sich auch nicht helfen lassen, selbst wenn Du Dich noch so sehr darum bemühst.

Wie in Oreganos Zitat beschrieben, wird Dein Bruder erst da heraus kommen, wenn ihm der Alkohol mehr zu schaffen macht als das, weswegen er sich betäubt. Und wann dieser Punkt erreicht ist, kann niemand voraussagen.

Wenn Du selbst schwer krank bist, ist es umso wichtiger, daß Du für Dich entscheidest, daß Du machtlos bist an der Situation etwas zu verändern, damit sie Dich nicht noch mehr belastet. Für Dich ist jetzt vorrangig und am allerwichtigsten selbst gesund zu werden. Das bist Du Dir selbst schuldig. Es nutzt niemandem und am allerwenigsten Dir selbst, wenn Du vor Kummer noch kränker wirst.

Du solltest auch gesund werden, damit, falls Dein Bruder den Absprung irgendwann schafft, Du ihm dann später vielleicht dabei helfen kannst trocken zu bleiben. Dieser Beistand kostet viel Kraft und Du könntest ihn dann nicht leisten, wenn Du noch krank bist. Wenn Du das mal aus dieser Perspektive betrachtest, ist an Dich selbst denken auch keineswegs unverantwortlich, sondern genau das Gegenteil davon. Was Du für Dich tust, tust Du auch für ihn.

Leider gibt es im Leben immer wieder mal Situationen, wo man nicht helfen kann. Dazu gibt es einen kleinen Spruch:
Laß mich die Dinge ändern, die ich ändern kann.
Laß mich die Dinge akzeptieren, die ich nicht ändern kann
und gib mir die Weisheit das Eine vom Anderen zu unterscheiden.

Liebe Grüße,
Clematis
 
Hallo B.Anna,

wenn es Dir wichtig ist, jetzt mit Deinem Bruder zu reden, dann tu' das doch! - Vielleicht reagiert er ja durchaus positiv. Vielleicht aber auch nicht.
Es ist besser, es jetzt auszuprobieren als sich später immer Vorwürfe zu machen "hätte ich doch nur...".

Grüsse,
Oregano
 
Guten Morgen Anna,

eine Zuflucht für verzweifelte Fälle - so scheint es mir: Willkommen bei der Sucht-Selbsthilfegemeinschaft. Der "Hof Fleckenbühl" am Rand des Dorfs Schönstadt, gut 10 km von Marburg entfernt. Ich habe früher in der Gegend gelebt und im Laufe der Zeit 6 Menschen dorthin gebracht. Einer lebt nun schon Jahre dort, drei sind clean entlassen, 2 flüchteten nach wenigen Tagen.

Eine riesiger Hof, arbeitet nach Demeter-Prinzipien. In Marburg gibt es einen großen Bioladen, der fast nur Fleckenbühler Produkte vertreibt. Es ist eindrucksvoll und bewegend: Man "erkennt" die Menschen, die länger dort gelebt haben: eine bestimmte Art von Gewissenhaftigkeit, Langsamkeit, Selbstbewußtsein. Spürbare Narben.

Der Hof existiert seit ca. 30 Jahren, gehörte ursprünglich zu Synanon, Berlin. Es gibt zwei Zweigstellen, eine in Frankfurt, eine im Schwalm-Eder-Kreis.

Die Regeln sehr streng; sie gelten ohne jede Ausnahme. Alle, die dort Leitungsfunktionen haben, sind "Ehemalige". Es werden nicht nur Alkoholiker aufgenommen sondern Suchtkranke aller Art. Unter bestimmten Bedingungen wird die Zeit in Fleckenbühl auf Gefängnisstrafen angerechnet. Jeder arbeitet ganztägig im Rahmen seiner Möglichkeiten. Körperlich, wenn er kann. Es wird jeder aufgenommen. Beide Geschlechter. Knapp 200 Bewohner. Man kann dort Ausbildungen machen. Es ist Weisheit am Werk bei der Organisation dieses Riesenbetriebs. Die Website informiert sehr gut.

Präzis geregelt sind z.B. die Kontakte zur Außenwelt: in den ersten 4 Wochen gar keine, danach nur brieflich und mit Genehmigung, nach längerer Zeit auch Besuche . . .

Es gibt dort niemals Psychologen oder Psychologie. Regelmäßige Runden der Untergruppen zur Konfliktbeantwortung. Vollkommen out sind alle Arten von Gewalt oder deren Androhung. Wer gegen die Regeln verstößt, fliegt auf der Stelle raus.

Zu Deiner "Verantwortung", "Verantwortlichkeit". Ach: das sind doch Begriffe aus der Moralphilosophie / Moraltheologie und aus dem Strafrecht. Über sie kann man endlos diskutieren, sich selber und anderen Vorwürfe machen oder ausreden. Anklagen, verurteilen, freisprechen.

Weit jenseits (oder diesseits) solcher Gedankenkonstrukte sind Menschen schlicht Menschen, rätselhafte. Miteinander verbunden. Oft weiß man nicht, wodurch und warum. Verwandte und Partner (auch ehemalige). Aber auch Wildfremde. Die Verbindungen können schmerzhaft sein, einen ratlos machen usw. Sie lassen sich durch Denken und Reden nicht lösen.

Vielfach kann man wirklich nichts "machen". Aber der Mensch besteht nicht notwendigerweise nur aus dem, was er "machen" kann. (Es sei denn, er definiert sich so.) In den christlichen und buddhistischen Traditionen kann man - auch wenn viele dergleichen nicht ernst nehmen mögen - für einen Menschen beten bzw. ihm die "Früchte" seiner Meditation widmen. (Im Buddhismus gibt es sogar eine eigene Form der Praxis für solche Situationen.) Aber auch in der Existenzphilosophie (die sich ja mit dem realen Leben beschäftigt, bei Karl Jaspers z.B.) kann man lernen, sich derartigen Situationen zu stellen. Und natürlich durch Dichtung. Der berühmte Roman "Schatten" von Robert Schneider - unter vielen anderen - spricht davon. (Dort sagt ein alter, dem Tod naher Mann einer Betroffenen als Letztes: "Nicht abbrechen!")

Endlich würde ich gern wissen - vielleicht nicht hier, das wär ja "off topic" - wie es Dir selber geht? Auch wie Du mit Deinen Leiden zurecht kommst, wie Du sie behandelst, mit welchen (Miß-)Erfolgen? Sie sind ja schwer - aber nicht hoffnungslos.

Dir glückliche Feiertage,
herzlich
Windpferd
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Hallo Anna,
vielleicht wäre es Dir eine Hilfe mit anderen Angehörigen Suchtkranker zu reden . Die AAs haben da sicher ne Gruppe oder anderere ähnliche Gruppen und im Internet gibts da sicher auch Foren zum Austausch. Ich könnte mir vorstellen dass es hilft.

Alles Gute.
Claudia.
 
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