Es gibt schon eine wirklich wichtige Tatsache in den „Thesen“ von studiosus, die auch klar und deutlich benannt werden sollte, weil sie allen, denen die Naturheilkunde am Herzen liegt, das Leben schwer macht. Dieses Problem ist aber keins der Naturheilkunde per se (!), sondern ein systemisches Problem, ein Problem unseres Gesundheitssystems.
Die alternativen Methoden versprechen mehr als die evidente Medizin, halten aber weniger.
Das nehme ich ähnlich wahr, zu viele Akteure im Bereich der alternativen Medizin/ Naturheilkunde versprechen zu viel, das sie nicht annähernd halten können. Naturheilkunde und Heilungserfolg sind nicht automatisch dasselbe.
These: Auch die alternative Medizin ist ein Wirtschaftsfaktor und stellt sich den Erwartungen des Patienten.
Auch diese Aussage stimmt und es wäre lächerlich, das zu leugnen. Auch die alternative Medizin ist heute ein gigantischer Wirtschaftszweig. Es gibt eine große Nachfrage, da immer mehr Menschen mit der Schulmedizin unzufrieden sind und sich nach anderen Möglichkeiten umsehen. Diese Nachfrage fördert Wildwuchs. Es wird höchste Zeit, daß die Methoden der alternativen Medizin auf eine bessere Grundlage gestellt, offiziell anerkannt und in den Leitungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen werden. Ein großer Teil der Bevölkerung will definitiv seriöse Naturheilkunde / alternative Medizin.
Da aber die alt. Medizin keinen Wirkungsnachweis erbringen muss, kann sie munter versprechen - muss aber nichts erfüllen.
Das ist in der Tat ein zentrales Problem und ich habe in meinem Leben schon sehr viele Menschen getroffen,
die sich nichts lieber wünschen, als daß auch zu naturheilkundlichen Therapien Studien durchgeführt werden, denn die Orientierung ist für den Normalbürger sonst nahezu unmöglich, zumindest extrem schwierig. Selbst wenn, was speziell die Homöopathie betrifft, das übliche Studiendesign nicht angewandt werden kann, so gibt es doch für die überwiegende Zahl der alternativen Verfahren Möglichkeiten, diese zu evaluieren. Aber es sieht so aus, als sei das gar nicht gewollt. Dieser riesige Markt beschäftigt immer mehr Leute, ist einer der Branchen, wo noch richtig viel Geld verdient wird, und hält nicht zuletzt aufgrund seiner Undurchsichtigkeit ein immer größer werdendes Heer an Kranken immer länger mit sich und seinen Krankheiten „beschäftigt“. Auch wenn das jetzt alles nur äußerst verkürzter dargestellt ist.
Die Undurchsichtigkeit wird bewußt zugelassen, sie hat etliche Vorteile: a) wie gesagt, hält sie immer mehr Kranke „beschäftigt“, die, selber für sich aktiv sein wollen und immer länger suchen und ausprobieren müssen, b) gibt dieser Wust den Gegnern der Naturheilkunde immer neuen „Stoff“ gegen die NHV zu schießen, auch das sicher kein Aspekt, der den Machern unseres Gesundheitssystems ungelegen kommt.
Ich verzichte darauf, hier einmal aufzuzählen, wie vielen angeblich unterschiedlichen „Therapien“ ich in den letzten zehn Jahren begegnet bin. Viel zu viele Ärzte/ Heilpraktiker/Therapeuten belegen ihr Tun mit jeweils
eigenen Begriffen, obwohl die Methode als Ganzes längst begrifflich definiert ist. Beispiel feinstoffliche Meßverfahren: Elektroakupunktur/ Mora/ Bioresonsz/ Vega/ Vitascan/ Radionik/ RNS Analyse/ CoRe Diagnostik/ Oberon/ Global Diagnostics usw. usw. Es gibt fast nichts, was es nicht gibt. Zig angeblich unterschiedliche Methoden die Phytrotherapie anzuwenden oder Verfahren wie Omneologie, Matrix Regeneration, BioSET™Allergy Elimination, ect. Mit ein paar wenigen Kursen kann sich heute jeder im Bereich alternative Medizin „Therapeut“ (health practitioner) nennen und die seriösen Ärzte und Heilpraktiker schreien auch nicht mal und machen sich kenntlich, sondern schwimmen in großer Zahl im sprudelnden Geldteich mit. Es ist unvorstellbar, was sich auch Ärzte/ HP ausdenken, die man für seriös hält.
Für Patienten, für mich, bedeutet das, daß einem,
obwohl man sich informiert hat (was auch bereits eine zeitfressende Herkulesaufgabe sein kann) sehr oft nichts anderes übrig bleibt, als alles, was man nach der Recherche für sinnvoll erachtet,
eins nach dem anderen auf einem sehr mühevollen und mit vielen Frustrationen gepflasterten Weg s e l b e r - a u s z u p r o b i e r e n. So erlebe ich es jedenfalls. Dabei vergeht das Leben. Was an alternativer Medizin heute angeboten wird, ist inzwischen dermaßen unübersichtlich, daß man kaum mehr von „der“ Naturheilkunde oder „der“ alternativen Medizin sprechen kann.
Was mich am meisten enttäuscht, auch das muß ich heute einfach mal loswerden, ist das
Verhalten von Ärzten und Heilpraktikern, also denen, die mal geschworen haben, auf Seiten der Patienten zu stehen, die sich seriös geben (z.B. in einer anerkannten Ausbildungsgesellschaft sind, Weiterbildungsnachweise auf ihrer homepage angeben ect.) aber letzten Endes auch nur dem Kommerz folgen: d.h. alles was irgendwie gerade en vogue ist, wird „angeboten“. Ich könnte etliche konkrete Beispiele gerade auch aus jüngster Zeit nennen, die auch in diesem Forum deutlich geworden sind. Wenn man das Spiel als Patientin notgedrungen eine Weile mitgemacht hat, wird das Ganze noch einen Tick absurder, weil man dann die „Geschichte“ dahinter kennt: Wie etwas ursprünlich entstanden ist, wie jemand zunächst ohne kommerzielle Hintergedanken einen guten Gedanken zur Pathophysiologie und entsprechend einer Therapie hatte, und wie dann daraus rein kommerzieller Hype wurde, bei dem sich kein Patient mehr orientieren kann, ob das nun eine seriöse Therapie ist oder eine, die an erster Stelle das Konto des Behandlers füllt.
Das Zweite, das ich ebensowenig begreife, ist, warum es nicht möglich ist, daß sich Ärzte, die eine bestimmte alternative Methoden praktizieren, nicht wenigstens innerhalb dieses (abgegrenzten) Gebiets einigen können,
was für die Patientin sinnvoll ist und was nicht. Im Gegenteil, auch da ist es eher üblich, kommerziell zu denken und „Varianten“ in das eigene Vorgehen einzubauen, sodaß die Patientin NICHT VERGLEICHEN kann. Standardsatz: „Jeder macht es
halt -
immer -
ein - bisschen - anders“. Ich werde hier mal konkret: Es ist mir vollkommen unbegreiflich und hat zu viel Leid geführt, daß die Handvoll Ärzte, die in Deutschland z.B. Metallausleitungen durchführen und sagen oder schreiben, daß sie auf diesem Gebiet Fachleute sind, sich offenbar nicht einigen können, was für das Wohl ihrer Patienten das richtige Vorgehen ist. Für mich bedeutet das u.a., daß, egal was ich auf diesem Gebiet gemacht habe, wenn es „nicht funktioniert“, wenn es zu keiner Besserung gekommen ist, bleibt „der Fehler/ das Versagen“ immer bei mir, der Patientin. Ich habe eben nicht „die richtige Methode" ausgesucht, war nicht beim "dem richtigen“ Behandler. Dieser Zustand ist nachgewiesenermaßen für jeden, der gesund werden will, extrem „ungesund“.
Ich bin nicht groß in der Lage, das Geschrieben umfangreich weiter zu diskutieren, da mich gerade wieder so ein Spezi mit seiner Ausleitmethode in einen dermaßen schlechten Zustand befördert hat und nun nicht weiß, was zu tun ist, daß ich meine Energie für Anderes brauche. Aber ich finde, man kann die Naturheilkunde nicht einseitig in den Himmel heben, sie unterliegt demselben kranken System und das sieht für die Patienten, egal ob Schulmedizin oder ganzheitliche Medizin schlecht aus.
Ich möchte mit den wichtigsten salutogenetischen Faktoren von Antonovsky schließen:
Menschen brauchen [um gesund zu bleiben] die Überzeugung und ständige Erfahrung, daß das, was um sie herum geschieht, zumindest im Großen und Ganzen
verstehbar ist. Verstehbarkeit als wichtige, Kohärenz erzeugende und damit salutogenetische Größe.
Das zweite ist Gestaltbarkeit: Man muß als Mensch zumindest ein kleines bisschen das Gefühl haben, daß man in seinem Leben etwas gestalten kann, daß man nicht ohnmächtiges Opfer von Bewegungen ist, die um einen herum ablaufen.
Und die dritte wichtige Größe ist Sinnhaftigkeit.
Als Patientin finde ich diese gesundheitsfördernden Bedingungen weder in der Schulmedizin noch in der gegenwärtigen alternativen Medizin.
Grüsse, Paula3