Hallo Vitella,
ich habe selbst früher auch einmal überlegt, eine
Familienaufstellung für mich zu machen, um den Urwald in meiner Familie besser zu durchleuchten. Doch schon alleine bei der Beschreibung und der bildlichen Vorstellung hat sich alles in mir drinnen verkrampft. Familienaufstellungen sind sehr intensiv, da in kurzer Zeit sehr viel „aufgedeckt“ wird. Ich selbst wäre damit völlig überfordert gewesen, es wäre viel zu schmerzhaft gewesen. Ich habe mehrmals gehört, dass Leute, die eine Familienaufstellung gemacht haben, danach mit dem Aufgedeckten alleine zurück gelassen wurden. Oft bedarf es aber einer Vor- und vor allem einer Nachbearbeitung, Nachbetreuung, was bei Wochenendseminaren sicherlich schwer möglich ist, wenn man nicht zeitgleich ohnehin in einer Therapie ist.
Ich selbst habe durch Lesen sehr viel aufgedeckt. Dieser Prozess dauerte schmerzhafte zwei Jahre. Hätte ich das alles auf einmal hingeworfen bekommen, hätte ich es wahrscheinlich nur wieder verdrängen können, weil es einfach zu viel gewesen wäre. Schließlich geht es ja nicht nur um ein kognitives, rationales Erkennen, sondern um emotionales Verarbeiten.
Im Gegensatz dazu habe ich ein paar mal bei systemischen Aufstellungen mitgemacht, die Probleme zwischen einzelnen Projektmitarbeitern, zwischen einzelnen Abteilungen in meiner Firma herausgearbeitet haben. Hier gab es dann tatsächlich mehr Verständnis und Erkenntnisse für die weitere Zusammenarbeit. Probleme zwischen Abteilungen gehen nicht so tief in die Seele hinein im Vergleich zu Problemen, die über viele Jahre hinweg zu Depressionen, Angsterkrankungen usw. geführt haben. Das kann man nicht an einem Wochenende einfach "wegwischen".
Bei Familienaufstellungen werden über Generationen weitergegebene destruktive Verhaltensweisen, Probleme, Ängste, … herausgearbeitet. Dieses Thema ist sehr spannend und sehr wichtig, keine Frage. Duch die Bücher von Alice Miller wird genau dieses Thema ebenfalls aufgearbeitet. Ich überblicke jetzt den "Wald meiner Familie", konnte sehr viele Fragen beantworten, Puzzleteile finden.
John Bradshaw (… Achtung, er ist Theologe, seine Bücher sind daher entsprechend religiös durchzogen, was nicht immer gesund ist, er sieht das Verzeihen als Endziel …) zeigt ebenfalls auf, wie nicht aufgearbeitete Probleme bzw. negative Verhaltensweisen über Generationen weitergegeben werden.
Familiengeheimnisse: Warum es sich lohnt, ihnen auf die Spur zu kommen: John Bradshaw, Hanna van Laak: 9783442162369: Bücher
Noch ein sehr wichtiger Punkt: Das Ziel bei Familienaufstellungen ist in der Regel das
Verzeihen.
Leider wird in vielen Ratgebern und Therapien, in der Religion und auch der Esoterik, empfohlen, zu "Verzeihen" - aber das bedeutet bloß, so zu tun, als ob nichts gewesen wäre, das Thema unter den Teppich zu kehren, und weiter mit Depressionen, Ängsten, ... oder ernsthafteren körperlichen Beschwerden darunter zu leiden. Manche Dinge kann man einfach nicht verzeihen, ohne sich selbst dabei zu verleugnen. Beim Verzeihen werden die Täter beschützt, das Opfer zahlt weiterhin den Preis dafür. Wenn überhaupt, ist Verzeihen erst möglich, wenn die Tat klargestellt wird, der Täter Einsicht bezeugt, sich entschuldigt, Wiedergutmachung geleistet hat.
Das von sehr vielen Therapeuten erzwungene Verzeihen ist einer der Hauptgründe, weshalb sehr viele Patienten keine Besserung durch die Therapie feststellen können und ewige Patienten bleiben.
Schöne Grüße,
Waldläufer