Welchen Einfluss hat die Antibabypille auf die menschliche Stressreaktion?

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Dr. Sarah E. Hill ist Professorin für Psychologie und Autorin von „Wie uns die Pille verändert. Die überraschenden Auswirkungen auf unser Denken und Fühlen, den Körper und unsere Beziehungen“ (Heyne Verlag 2020).
Mit mehr als sechzig wissenschaftlichen Veröffentlichungen und einer halben Million Dollar an Forschungsstipendien ist Prof. Hill eine Autorität für evolutionäre Ansätze in den Bereichen Psychologie, Gesundheit und Frauen und wird in der New York Times, der Washington Post, Scientific American und The Economist zitiert.

Die Antibabypille verändert seit Generationen das Leben der Frauen

Sie hat uns erlaubt, größer zu träumen und mehr zu erreichen, als selbst die optimistischste Feministin vor sechzig Jahren jemals für möglich gehalten hätte. Die Befreiung der Frauen von einer ungewollten Schwangerschaft hat ein Damoklesschwert entschärft, das auch im Hochschulbereich über den Köpfen unserer Großmütter und Urgroßmütter hing. Zum ersten Mal in der Geschichte ermöglichte die Pille den Frauen zu planen. Aufgrund dieser Freiheit sind inzwischen rund 2,2 Millionen Frauen mehr als Männer an Hochschulen eingeschrieben und sie machen mit höherer Wahrscheinlichkeit als die Männer bis zu ihrem 30zigsten Lebensjahr auch einen Abschluss.

Es besteht kein Zweifel, dass die Pille für viele Frauen (mich eingeschlossen) das wichtigste Medikament ist, das sie jemals erhalten werden.

Medizinische Forschung ignoriert fast völlig Frauen und Frauenprobleme

Aber wie wir den Geist der Demokratie durch Selbstreflexion und kritische Diskussionen hochhalten, müssen wir uns auch bemühen, kontinuierlichen Zugang zu möglichst vielen Informationen über die Pille als großen Emanzipationstreiber der Frauen zu erhalten. Doch Frauen und Frauenprobleme werden von der medizinischen Forschung seit Jahrzehnten fast vollständig ignoriert. Das bedeutet, dass wir peinlich wenige Forschungsergebnisse haben über die Bandbreite der Auswirkungen der Antibabypille auf den weiblichen Körper. Dies gilt insbesondere für den Einfluss der Pille auf das Gehirn und die Stressreaktion.

Obwohl viele eine Stressreaktion als etwas betrachten, das vermieden werden sollte, ist sie tatsächlich einer der unbesungenen Helden des emotionalen und körperlichen Wohlbefindens. Das liegt daran, dass nicht unsere Stressreaktion Stress verursacht. Das Leben verursacht Stress. Unsere Stressreaktion ist die Art und Weise, wie unser Körper mit dem Stress umgeht, der durch unser turbulentes, überfrachtetes Leben entsteht. Die Besonderheiten der jeweiligen Stressreaktionen unterscheiden sich ein wenig, je nachdem, was uns belastet (z. B. eine dringende Frist einhalten zu müssen stresst uns anders als von Wildtieren angegriffen zu werden).

Aber es gibt einige gemeinsame Inhaltsstoffe, die bei nahezu jeder Form von Stress wirken. Einer dieser Inhaltsstoffe ist die Freisetzung des Stresshormons Cortisol. Cortisol hat die Aufgabe, Fett und Zucker in den Blutkreislauf zu leiten. Dabei ist das Ziel, schnell einer Gefahr entkommen zu können, die entzündliche Aktivität zur Vorbereitung auf Verletzungen zu regulieren und die Aktivität der Gehirnzellen zu potenzieren, damit wir aus unseren stressigen Erfahrungen lernen können. Jede dieser Aktivitäten ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Fähigkeit, adaptiv auf Stress zu reagieren. Deswegen sehen wir Stress in praktisch allen gesunden, funktionierenden lebenden Organismen.

Mit Ausnahme von Frauen, die die Antibabypille nehmen.

Die Antibabypille verhindert eine Cortisol-Reaktion auf Stress

Seit fast drei Jahrzehnten dokumentieren Forscher, dass Frauen bei der Geburtenkontrolle die Cortisol-Reaktion auf Stress nicht haben. Frauen, die die Pille nehmen, weisen einen überdurchschnittlich hohen Cortisolspiegel, hohe Corticosteroid-bindende Globuline (CBGs) und dysregulierte Reaktionen auf exogen verabreichtes Cortisol auf. Das ist insofern von Bedeutung, als diese Muster normalerweise nur beobachtet werden, wenn der Körper mit Cortisol-Signalen so überfordert ist, dass er keine andere Wahl hat, als das Signal vollständig auszuschalten. Zum Beispiel kann man dieses Muster häufig bei Kindern beobachtet, die missbraucht oder verlassen wurden, und bei Kindern mit PTBS und Depression. Es sollte uns beunruhigen, dass die Stresshormonprofile von Frauen, die die Antibabypille nehmen, eher denen von Traumaopfern ähneln als denen von ansonsten gesunden jungen Frauen.

Warum haben Sie noch nie davon gehört und was bedeutet das?

Eine gestörte Cortisol-Signalübertragung führt zu schweren Krankheiten

Obwohl Forscher diesen Effekt seit Mitte der neunziger Jahre dokumentieren, ist er kaum bekannt. Das Problem wurzelt in der mangelnden Forschung über die Auswirkungen der Antibaby-Pille. Anstatt die oben erwähnten Muster in den Mittelpunkt der Untersuchung der psychologischen und neurobiologischen Auswirkungen der Antibabypille zu stellen, werden sie häufig nur zur Fußnote. Daher sind diese Effekte bei Forschern nicht bekannt, geschweige denn bei den Millionen von Frauen, die die Antibabypille nehmen, oder bei den Ärzten, die sie verschreiben. Dieses Wissen ist jedoch für die Gesundheit und das Wohlbefinden von Frauen von entscheidender Bedeutung und könnte dazu beitragen, einige der schwierigsten Gesundheitsprobleme von Frauen zu lösen. Beispielsweise wird angenommen, dass Störungen der Cortisol-Signalübertragung vielen neuropsychiatrischen Störungen, einschließlich Depressionen und Angstzuständen, sowie Stoffwechselstörungen wie Fettleibigkeit und Insulinresistenz zugrunde liegen.

Obwohl die Auswirkungen der Antibabypille auf jedes dieser Probleme derzeit nicht genau benannt werden können, sind sie wahrscheinlich erheblich. Stressdysregulation im Zusammenhang mit der Pille wurde bereits mit Lernproblemen, der Fähigkeit, negative Emotionen zu verarbeiten, und dem Gedächtnis für emotional belastete Ereignisse in Verbindung gebracht. Es gibt auch Hinweise, dass das Gehirn und die Lipidprofile von Frauen, die Pillen einnehmen, eine Schrumpfung des Hippocampus und erhöhte Triglyceride bewirken, die beide auch mit chronischem Stress verbunden sind.

Das Unwissen über die Wirkung der Antibabypille schafft Misstrauen bei Frauen

Ihr Arzt wird Ihnen nichts über diesen Stand der Forschung erzählen. In der Tat ist es sogar unwahrscheinlich, dass Ihr Arzt überhaupt davon gehört hat. Die neurobiologischen und psychologischen Auswirkungen der Antibabypille werden nicht nur kläglich unterbewertet, sondern sind auch keine Themen, die nach Ansicht der meisten Ärzte in den Zuständigkeitsbereich der medizinischen Praxis fallen. Die Neurowissenschaftler beschäftigen sich mehrheitlich nicht mit Ergebnissen von medizinischen Forschungen und die meisten Ärzte lesen keine neurowissenschaftlichen Forschungen.

Trotz allem wird die Pille wahrscheinlich weiterhin für viele Frauen die beste Möglichkeit zur Verhütung bleiben. Sie sollten aber Zugang zu wissenschaftlichen Informationen haben, um ihre Gesundheit besser überwachen zu können und damit sicherzustellen, dass die Antibabypille für und nicht gegen ihre langfristige Gesundheit und ihr Wohlbefinden wirkt.

In den USA ist der Konsum der Pille in den letzten fünfzehn Jahren um 9% zurückgegangen. Das verdeutlicht das wachsende Misstrauen der Frauen gegenüber Medizinern, die die Nebenwirkungen der Pille kleingeredet haben. Die Kenntnis der gesamten Bandbreite der Nebenwirkungen und die Möglichkeit, diese zu behandeln, ist aber grundlegend, um das Vertrauen von Frauen in die Medizin und die Antibabypille wiederzugewinnen.

 

 

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Dr. Sarah Hill

Dr. Sarah Hill ist eine der führenden Wissenschaftlerinnen der Evolutionspsychologie. Sie promovierte an der University of Austin und ist heute Professorin für Sozialpsychologie an der Texas Christian University. Dort leitet sie ein interdisziplinäres Forschungsteam zu Fragen rund um Sozialverhalten und Gesundheit, das auch die Aus-wirkungen von hormoneller Verhütung untersucht. Ihre wissenschaft-lichen Publikationen wurden u. a. in der New York Times, der Washington Post, dem Scientific American und in The Economist zitiert.

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