Bei meinem Papa kam das damals quasi "über Nacht", dass er plötzlich dement wurde. Gut, es hat wohl vorab Zeichen gegeben wie eine leichte Paranoia, die wir zwar als schräg angesehen hatten, aber nie mit Demenz in Verbindung gebracht hätten.
Wir haben es als positiv betrachtet, als er ca. sechs Monate nach diesem Ausbruch an einer inneren Blutung verstorben ist. Es ging ihm während der ganzen Zeit nicht gut, und meine Mutter, die ihn gepflegt hatte, war auch an ihrem Limit angekommen. Ihm und ihr ist viel erspart geblieben.
Hätte er ins Heim gemusst wäre das für ihn sehr sehr schwer zu verkraften gewesen. Schon seine beiden Krankenhausaufenthalte waren für ihn kaum zu ertragen und er hatte Panik, wir würden ihn nicht mehr heim holen.
Für mich war das damals ein ziemlicher Schock, aber ich hatte mich recht schnell damit arrangiert. Ich glaube seit meiner Kindheit hatten mein Pa und ich keine so enge, liebevolle Beziehung mehr zueinander gehabt. Ich konnte ihn wieder in den Arm nehmen und fühlte mich ihm sehr nahe, und er hat sich mir gegenüber auch ganz anders verhalten als sonst.
Merkwürdigerweise hatte ich auch eine Engelsgeduld mit ihm und habe ihm die gleiche Frage auch zum fünfzigsten Mal hintereinander noch so beantwortet, als wäre es die erste gewesen.

)
Es war keine einfache, aber eine doch sehr intensive und liebevolle Zeit. Ich kann leider nicht sagen, wie ich das "hinbekommen" habe - es war einfach so.
Leider ist es mit meiner Mutter nun anders. Ich bin nach Vaters Tod bei ihr eingezogen, und sie baut inzwischen sehr ab. Richtige Gespräche sind kaum möglich, obwohl sie noch lange nicht in dem Stadium ist, das mein Vater hatte.
Vielleicht war es auch die räumliche Distanz, die mich das bei ihm hat leichter aushalten lassen. Ständig so nah bei meiner Mutter zu sein und ihr ganzes Leben regeln zu müssen macht mich wirklich fertig.
Sie ist auch oft sehr depressiv und erzählt Besuchern, dass sie gerne bei ihrem Mann wäre ... also tot. Ich versuche wirklich alles zu tun womit ich ihr helfen kann, aber sie lehnt auch vieles ab, weigert sich zu Ärzten zu gehen oder Hilfsmittel zu benutzen wie z.B. ihre Hörgeräte, die sie schon ewig nicht mehr trägt.
Sie hat keinen Freundeskreis, schaut kein TV mehr, hört kein Radio, starrt meistens Löcher in die Luft.
Mich zieht das sehr runter und ich hänge selbst sehr oft durch, muss das aber ständig verstecken.
Vor allem kann ich bei ihr diesen geistigen Verfall nur sehr sehr schwer akzeptieren und bin wirklich sehr ungeduldig ihr gegenüber und schimpfe viel. Ich schäme mich dafür weil ich doch weiß, dass sie nichts dafür kann und alles nicht absichtlich macht. Doch ihr Verhalten bringt mich immer wieder auf die Palme, vor allem weil sie enorm stur und uneinsichtig ist. Das war bei meinem Dad anders, der hat alles angenommen was man ihm sagte.
So kommt zu der Sorge um sie auch noch ein permanentes Schuldgefühl und schlechtes Gewissen hinzu. Also arbeite ich da auch viel an mir, denn ich will ja nicht so sein und schäme mich nach jedem Wutanfall ganz schrecklich, ehrlich.
Erschwerend hinzu kommt halt meine eigene Erkrankung, wo mein eigener Alltag schon sämtliche Konzentration und Energie erfordert, wovon ich aber kaum etwas zur Verfügung habe.
Da hauen mich die einfachsten Dinge schon aus den Socken und stressen mich unwahrscheinlich. Ja, und da ist es nicht mehr weit bis zur Ungeduld und Ungerechtigkeit....
Ich hab selbst auch niemanden, mit dem ich darüber reden kann. Meine Geschwister, die alle nur sporadisch vorbei schauen oder wenn ich um etwas bitte, tun meine Äußerungen meistens ab mit "naja, das ist halt so", da bekomme ich auch kein wirkliches Verständnis.
Einen Partner hab ich auch nicht, und auch nur wenig Freunde, denen ich auch nicht dauernd in den Ohren liegen will ....
So mache ich alles mit mir alleine aus und versuche halt, mein bestes zu geben und damit klar zu kommen wie es nunmal ist.
Da meine Mutter wenigstens noch in der Lage ist, auch einige Tage allein zurecht zu kommen, habe ich mir inzwischen eine "Eremitage" besorgt. Ein Wochenendhaus in der Region, wohin ich mich an ein paar Tagen pro Woche verkrümele.
In der Zeit kommt für sie dann Essen auf Rädern, ich rufe täglich an und bin auch 24 h für sie erreichbar. Wenn was wäre bin ich in ca. 30 min. daheim, außerdem sind noch Verwandte bzw. Geschwister erreichbar und in der Nähe.
Für mich ist das existenziell, und seit ich das so praktiziere bin ich auch etwas gelassener geworden und komme mit ihr (und mir) besser parat.

Ich halte das für Angehörige für überlebenswichtig, dass sie sich ihre Flucht-, oder immerhin Rückzugsmöglichkeiten suchen und gönnen.
24/7 immer verfügbar und auch noch voll leistungsfähig und geduldig zu sein ... das ist doch übermenschlich, das kann man von niemandem verlangen.