Bertelsmann und die Gesundheitsreform

  • Themenstarter Binnie
  • Erstellt am

Binnie

Wo geht die Reise hin ? Aus einer Diplomarbeit mit dem Titel:
"Untersuchung der politischen und gesellschaftlichen
Einflussnahme der Bertelsmann Stiftung auf die Reformen im
öffentlichen Bereich":

Die Gesundheitsreform
Im Gesundheitswesen wirkt die Stiftung auf verschiedenen Wegen: durch persönliche
Kontakte, Treffen und Konferenzen, die Schriftenreihe Gesundheitspolitik in
Industrieländern, dem regelmäßig erscheinenden Gesundheitsmonitor, die Verleihung des


Deutschen Präventionspreises und das Centrum für Krankenhaus-Management (CKM).
Ein Internationales Netzwerk Gesundheitspolitik veröffentlicht Übersichten über die

Reformaktivitäten in 16 Ländern.207

In der Gesundheitspolitik quält man sich seit Jahren mit den rasant anwachsenden Kosten
im öffentlichen Gesundheitswesen und bei den allgemeinen Krankenkassen. Mit den
Praxisgebühren und den höheren PatientInnenbeteiligungen an den Medikamenten sind
mit den Anfang 2004 in Kraft getretenen Gesetzesänderungen erste Elemente von mehr
,Eigenverantwortung' aus finanzieller Sicht im Gesundheitssystem umgesetzt worden.
Die von der großen Koalition beschlossene Gesundheitsreform ist nach Auffassung der
Bertelsmann Stiftung ein Schritt auf dem richtigen Weg. Das Bundesgesundheitsministerium
wiederum zeigte sich dankbar für das verdienstvolle Wirken der Stiftung: "Die Ergebnisse
des Gesundheitsmonitors der Bertelsmann-Stiftung bestätigen meinen Kurs der Reformen in der
Gesundheitspolitik. Unser Gesundheitssystem ist gut, erfordert aber Reformen, um Bewährtes zu erhalten
und Qualität zu verbessern. Mit der Gesundheitsreform haben wir für mehr Transparenz im
Gesundheitswesen gesorgt und die Qualität gestärkt",208 erklärt Bundesgesundheitsministerin Ulla
Schmidt .
Der regelmäßig erscheinende Gesundheitsmonitor der Bertelsmann Stiftung erkundet
anhand von Umfragen die Stimmungslage bezüglich geplanter Reformen: „Ziel dieses
Beitrages ist es, die verschiedenen Reformoptionen, die unter dem Etikett Eigenverantwortung angeboten
werden, zu ordnen und durch den Spiegel des Gesundheitsmonitors bewerten zulassen. Welche Formen der
Eigenverantwortung finden die Zustimmung von Versicherten und Ärzteschaft, wo ist mit Widerständen und
Vorbehalten zu rechnen?“209

Es geht also nicht darum, die Meinung der Versicherten auszuwerten, um sie dann deren
Vorstellungen entsprechend innenpolitisch umzusetzen, sondern darum Stimmungen
auszuloten, wie weit man mit den Reformen gehen kann. Die Stiftung erkundet, bei
welchen Stichworten die Probanden gelassen, nervös oder emotional reagieren, um dann
vorgegebenen Lösungsansätze abzufragen. Mittels eines Fragenkatalogs will die
Bertelsmann Stiftung 'ganz neutral' ermitteln helfen, wo Leistungen abgebaut werden
können bzw. Eigenbeteiligung am ehesten akzeptiert würden210:

„Die Ausgliederung bestimmter Leistungen aus dem Katalog der gesetzlichen Krankenkassen und die
Versicherung dieser Risiken in einer privaten Zusatzversicherung ist eine der häufig diskutierten
Maßnahmen, bei der die Grenzen der Solidarität ausgelotet werden. Als Beispiele für mögliche
auszugliedernde Leistungen wurden den Befragten des Gesundheitsmonitors Freizeitunfälle,
Risikosportarten und Zahnersatz genannt. Die allgemeine Zustimmung zu einer derartigen privaten
Zusatzversicherung ist im Vergleich zu der direkten finanziellen Beteiligung durch Zuzahlungen oder

Selbsterhalte mit 46 Prozent relativ hoch.“211

Mit den 'richtigen Fragen' erhält der Gesundheitsmonitor das erwünschte Resultat, dass
mehr eigenverantwortliche Elemente von der Bevölkerung durchaus akzeptiert werden -
beispielsweise finanzielle Eigenbeteiligung an den Gesundheitskosten, Anreize für
gesundes Verhalten oder mehr Wahlfreiheiten und insgesamt mehr ,Zahlungsbereitschaft'.

Auf Hintergründe der Befragung wird natürlich nicht eingegangen.

Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung „sollen die Kassen mehr Differenzierungsmöglichkeiten
für Ihre Leistungsangebote bekommen, so dass zwischen den Kassen ein echter Vertrags Wettbewerb
entsteht.“212 Durch Bonus- oder Malussysteme der Krankenkassen sollen gezielt Anreize für
'gesundheitsförderliches Verhalten' geschaffen werden, „gesundheitsschädliches Verhalten sollte
dagegen vom Staat [...] stärker sanktioniert werden“213. Es wird der Eindruck der sozialen bzw.
'gesundheitlichen' Hängematte suggeriert, in denen die Kranken den Gesunden auf der
Tasche liegen. Das eigentliche Problem, der soziale Rahmen und die unterschiedlichen
Ausgangspositionen der AkteurInnen, an die sich der Appell richtet, werden weitestgehend
ausgeblendet.214

Barbara Heitzmann, Rechtssoziologin an der Universität Frankfurt, sieht in der
Aufforderung zu mehr Eigenverantwortung die Umkehrung des Solidaritätsbegriffs und die
Gefahr der Entsolidarisierung der Gemeinschaft: Solidarisch handelt nicht eine
Solidargemeinschaft, die für die Einzelnen aufkommt; solidarisch handelt vielmehr der, der
so wenig Beistand wie möglich von Staat und Gemeinschaft in Anspruch nimmt und damit
zur Entlastung der Kassen beiträgt.215

Das Gesundheitsverhalten unterscheide sich, so Heitzmann, je nach sozial-ökonomischer
Lage. In den unteren Klassen wird beispielsweise verhältnismäßig mehr geraucht, sich
schlechter ernährt und weniger Sport getrieben. Sie bemerkt: „Mit der Propagierung eines als
gesundheitlich geltenden Lebensstils wird eine normative moralische Grundhaltung, die eigentlich innerhalb
aufsteigender Mittelschichten und Oberschicht verwurzelt ist, allgemein durchgesetzt.“216 Die
Verfügbarkeit der notwendigen Ressourcen als Voraussetzung für diese Norm finde in der
Bertelsmann Studie keine Beachtung. Im Gegenteil werde ein der Norm nicht
entsprechender Lebensentwurf dem eigenen Versagen zugeschrieben und damit auch die
eigene Schuld an der Krankheit.217

Was ist das Ziel einer Verschiebung der Lastenverteilung zwischen dem Einzelnen und
dem Kollektiv in Richtung der Einzelnen? Mathias Volke meint dazu: „Unter dem Deckmantel
der Eigenverantwortung wird eine Ökonomisierung des Gesundheitswesens und der Gesellschaft
vorangetrieben“218, so dass sich das professionelle gesundheitsbezogene Handeln
zunehmend an seiner betriebswirtschaftlichen Nutzenoptimierung bzw. Gewinnmaximierung
orientiere. Dies ließe sich zunehmend in vielen Bereichen feststellen, die der
kapitalistischen Verwertung bisher weitgehend verschlossen waren.219 „Je geringer der
sozialstaatliche Schutz ist, desto stärker ist der individuelle Druck, sich insbesondere auf dem Arbeitsmarkt
zu behaupten.“220

Am 01.04.2007 ist nun das Gesetz Zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen
Krankenversicherung in Kraft getretenen, dass die von der Bertelsmann Stiftung
propagierten Modifikation aufgreift und den Trend der letzten Gesundheitsreform fortsetzt.

So werden Anfang 2009 alle Krankenkassen, mit Ausnahme der geschlossenen
Betriebskrankenkassen, für den Wettbewerb geöffnet. Kassenfusionen mit der
Ermöglichung kassenartübergreifender Zusammenschlüsse sind bereits jetzt möglich.221

Die Leistungen der Kassen werden sich dementsprechend stärker daran orientieren, wo
Gewinne zu erwarten sind und sich ihre KundInnen zunehmend nach den eigenen
Bedürfnissen aussuchen. Höhere Beiträge für Risikogruppen werden die Folge sein.
Angesichts empirischer Befunde, dass Personen aus den unteren Klassen ein höheres
Gesundheitsrisiko haben, müssten sich diese entweder höher versichern oder das Risiko
der Kostenübernahme im Krankheitsfall tragen.222

Mit dem neuen Gesetz werden alle Versicherten verpflichtet, sich stärker an bestimmten
Leistungen zu beteiligen, um eine ,kostenbewusste' und ,verantwortungsvolle'

Inanspruchnahme von Leistungen zu erreichen.223 Die Kosten für Krankheiten, die Folgen
medizinisch nicht indizierter Maßnahmen, wie ästhetischen Operationen, Tätowierungen
oder Piercings sind, sollen verschuldungsunabhängig aus dem Kostenkatalog der
Krankenkassen ganz oder teilweise herausgenommen werden.224 Es wird nur eine Frage
der Zeit sein, wann das Gesetz auch auf andere 'individuelle Risiken' ausgeweitet werden
wird.225

Stärker betont wird nun auch die Verantwortlichkeit der Versicherten gegenüber der
Versichertengemeinschaft zu gesundheitsbewusstem und eigenverantwortlichem
Verhalten. So gilt ab dem 01.01.2008 für chronisch Kranke nur dann eine reduzierte
Zuzahlungsbelastungsgrenze, wenn sie vor ihrer Erkrankung regelmäßig die für sie
relevanten Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch genommen haben.226 Die nach
bisherigem Recht vollständig von Zuzahlungen befreiten EmpfängerInnen von
Fürsorgeleistungen müssen dann ebenfalls einen reduzierten Regelsatz selbst tragen.227

Folglich steigen die jährlichen Mehrkosten pro Haushalt durch höhere Zuzahlungen und
Kürzungen von Leistungen um einiges. Immer mehr Menschen werden daher auf
medizinische Versorgung verzichten oder mindere Qualität in Kauf nehmen müssen.228 Die
(ökonomischen) Verlierer dieses Systems werden wohl auch weiterhin Personen aus den
,unteren Klassen' sein.

3.3.4.2 Privatisierung der Krankenhäuser

1994 gründete die Bertelsmann Stiftung an der Universität Münster das Centrum für
Krankenhaus-Management (CKM), unter der Leitung von Professor von Eiff, dem das

Institut für Krankenhaus-Management (IKM) angegliedert ist. Ziel seiner Arbeit ist es, laut
Selbstdarstellung: „Wege aufzuzeigen, wie praxisbewährte Management-Methoden aus Industrie,
Handel und Dienstleistungsbranche in Krankenhäusern und anderen Institutionen des Gesundheitswesens
genutzt werden können.“229 Bei tendenziell sinkenden Kosten solle so eine Qualitätssteigerung
erreicht werden. Im IKM werden KrankenhausmanagerInnen für die privaten
Klinikkonzerne unter der Regie von Bertelsmann ausgebildet. Und mit den üblichen
Bertelsmann-Methoden, Rankings anhand von Leistungskennziffern, stellt das CKM

internationale Vergleiche zu Best-Practice an.
Professor von Eiff war es, der der Landesregierung Hessens erstmalig den Verkauf eines
Universitätsklinikums nahe legte und empfahl, dessen Attraktivität vor dem Verkauf zu
erhöhen indem man „von dem leistungsfeindlichen Bequemlichkeitstarif des BAT Abschied“230 nehme,
was Herr Koch dann auch tat. Dies ist ganz im Sinne privater Klinikbetreiber wie der

Rhön-Klinikum AG, die die Bindung an das BAT-Niveau als einen Angriff auf die Zukunft

ihrer Krankenhäuser ansieht.231 So konnte die Rhön-Klinikum AG ihren Vorstellung
entsprechend die Leitung der fusionierten Universitätskliniken Gießen und Marburg
übernehmen. Gerade das Wohlergehen der Rhön-Klinikum AG dürfte bei Bertelsmann
gesteigerte Aufmerksamkeit genießen, zumal Brigitte Mohn Mitglied des Aufsichtsrats der
Rhön-Klinikum AG und Halterin eines Aktienpakets im Wert von über 36.000 Euro ist.232

Den Hintergrund der Privatisierungswelle sieht Hermann Werle (Freier Journalist) im
neuen Finanzierungssystem nach Fallpauschalen sowie in der „'wettbewerbliche[n] Ausrichtung'
des Gesundheitssystems insgesamt, welches mit 500 Milliarden Euro jährlichem Umsatz zu einem der
Zukunftsmärkte für Investoren gehört. Allein 90 Milliarden Euro macht dabei die stationäre
Krankenhausversorgung aus. Knapp acht Prozent davon erwirtschaften die vier größten privaten
Klinikkonzerne Fresenius/Helios, Asklepios, Sana und Rhön, die stark auf Expansionskurs sind und von
weiteren Privatisierungen profitieren möchten.“233

Das Fallpauschalensystem Diagnosis Related Groups-System, das seit April 2002
stufenweise eingeführt wird und 2009 verbindlich werden soll, rechnet
Krankenhausleistungen nicht mehr nach der Verweildauer im Krankenhaus, sondern nach
festgelegten Pauschalen für definierte Krankheitsbilder ab.
Laut Professor von Eiff erfordert diese Abrechnung ,prozessorientierte
Organisationsformen' und diese wiederum setzen entsprechende baulich-funktionale
Gebäude-/Raumstrukturen voraus. Die Behandlung von Kranken soll industriellen
Produktionsprozessen angeglichen werden.234 Bei Rhön nennt sich das 'Fließkonzept', mit
dem eine hohe Anzahl von PatientInnen der Reihe nach versorgt werden kann.235 Die
Entlohnung passt sich in diesem Kontext ebenfalls industriellen Norm an: Arbeitszeiten am
einzelnen ,Fall' werden auf die Minute genau heruntergerechnet und gehen mit 50 bis 60
Cent pro Pflegeminute in die Kostenrechnung ein.
Und ganz wie in der Industrie ist auch ein Krankenhausmanagement daran interessiert,
die ,Stück- oder Fallkosten' zu reduzieren. Daraus resultiert die Reduzierung der Löhne
und die Verkürzung der Taktdauer, sprich der Arbeitszeit am einzelnen 'Fall'. Dadurch
nimmt die Arbeitsintensität auf den Stationen immens zu.236

Um diese in möglichst effiziente Bahnen zu lenken „spezialisieren sich die Krankenhauskonzerne
auf bestimmte Krankheitsbilder, die entweder durch ein hohes Kostengewicht bei relativ geringem
Pflegeaufwand oder durch fließbandartige Massen-Behandlungsoptimierung für steigende Gewinne sorgen,

wie es die Konzeption der Rhön-Klinikum AG vorsieht.“237

Für die Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft, die nicht auf maximale Profite
ausgelegt sind, führt dieses System unweigerlich zu massiven Einnahmeverlusten. Das
betrifft vor allem die Universitätskliniken, die häufig schwere Erkrankungen und
Verletzungen behandeln müssen, die finanziell nicht ausreichend von den Fallpauschalen
abgedeckt werden. Nach Schätzungen der Deutschen Krankenhausgesellschaft werden in
den nächsten zehn Jahren 15 Prozent der Kliniken schließen müssen. Gleichzeitig steigt
der Anteil privater Kliniken: 2004 waren bereits 25,6 Prozent der Krankenhäuser in privater
Trägerschaft. Vor allem die öffentlich getragenen Krankenhäuser sind von Schließungen,
Fusionen mit kleineren Anbietern und Verkäufen an Krankenhausketten, wie die Rhön-
Klinikum AG, betroffen.238

Eine Spezialisierung der Krankenhäuser auf bestimmte Krankheitsbilder, in denen die
,Fälle' in Akkordarbeit abgefertigt werden, zieht verschiedene Folgen nach sich, die
Gabriele Roth in ihrer Seminararbeit über die Auswirkung der DRG-Einführung auf die
Krankenhauslandschaft aufführt. Die eindeutige Priorität liegt hierbei auf der
Wirtschaftlichkeit des Unternehmens Krankenhaus. Dass bedeutet, dass der zunehmende
Einsparungsdruck versucht wird abzufangen, indem man bevorzugt PatientInnen
auswählt, die geringe Kosten erwarten lassen und kostenintensive, bei denen das Kosten-
Erlös-Verhältnis ungünstig ausfallen könnte, abweist. Fälle, die auf Dauer Defizite
aufweisen, werden nicht mehr durchgeführt. Kleinere spezialisierte Krankenhäuser werden
die wohnortnahe Breitenversorgung aufgeben. Und es ist mit einer reduzierten Teilnahme
an der Notfallversorgung zu rechnen, da Spezialkliniken nur noch in Einzelfällen für die
Annahme von NotfallpatientInnen geeignet sind. Es besteht die Gefahr, dass in
strukturschwachen Gebieten die flächendeckende Versorgung mit allen Leistungen nicht
mehr gewährleistet werden kann.239 Mit einer höheren PatientInnenzufriedenheit dürfte
also nur bedingt zu rechnen sein.
Zudem wird versucht, die Wirtschaftlichkeit der Krankenhäuser zu erhöhen, indem man
Leistungen in die nachstationäre ambulante Versorgung verlagert, was auch vorzeitige
Entlassungen von PatientInnen aus dem Krankenhaus bedeutet. Damit steigt das Risiko
für die PatientInnen.240 Von niedergelassenen ÄrztInnen wird kritisiert, dass sie das
wirtschaftliche Risiko der Entlassungen zu tragen haben, da die ambulanten

Behandlungen durch die nicht abgeschlossene Heilung teurer und aufwändiger werden,
ohne dass sie bei den Krankenkassen vollständig abgerechnet werden können.241

Mit der Abschaffung der arbeitnehmerInnenfreundlichen Tarifsysteme und der
fließbandartigen Durchrationalisierung der Krankenpflege erwachsen also sowohl
PatientInnen als auch ArbeitnehmerInnen in diesem Bereich gewichtige Nachteile. Die
GewinnerInnen der Ökonomisierung der Gesundheit profitieren von der Entsolidarisierung
und Individualisierung im Gesundheitssystem.

Quelle: www.anti-bertelsmann.de/2007/EinflussBertelsmannStiftung.pdf (S. 58 - 66)



Weitere Informationen über die "Krake" Bertelsmann: Bertelsmann - thema @ kanalB.org
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Und noch ein weiterer interessanter Artikel über das Wirken von Bertelsmann beim Thema Gesundheitswesen:
Bertelsmann: Antreiber der Ökonomisierung des Gesundheitswesens www.anti-bertelsmann.de/2007/BUKO-Bertelsmann-Gesundheitswesen.pdf
Auf verschiedenste Weise ist die Bertelsmann-Stiftung im Gesundheitswesen engagiert. Großen Einfluss erhält sie durch ihre direkten Kooperationen mit dem Gesundheitsministerium und diverse regelmäßig erscheinende Publikationen. Die Stiftung unterhält für die profitorientierte Umstrukturierung und Privatisierung von Krankenhäusern diverse Institute. Unter anderem das IKM–Institut für Krankenhausmanagement an der Universität Münster und das CKM – Centrum für Krankenhaus-Management. www.anti-bertelsmann.de/2007/BUKO-Bertelsmann-Gesundheitswesen.pdf
Quelle: https://www.anti-bertelsmann.de/
 
Bertelsmann beschäftigt sich mit vielen Themen aus dem Gesundheitssektor:
Bertelsmann Stiftung | Gesundheit

Was genau wird eigentlich hier Bertelsmann vorgeworfen? Daß es für Geld Studien erstellt, die nicht unbedingt für die Fortsetzung der gesundheitlichen Versorgung der gesetzlich Versicherten in der bisherigen Art oder noch besser in der Art der 60iger/70iger Jahre propagiert?
Bertelsmann ist ja keine staatliche Einrichtung sondern ein riesengroßer Konzern, der es darauf anlegt, Geld zu verdienen. Insofern kann man ihm zwar evtl. vorwerfen, daß er zu ERgebnissen in seinen Untersuchungen kommt, die mißfallen. Aber man kann ihm doch nicht vorwerfen, daß er diese Untersuchungen macht?

Insofern kann man natürlich über sämtliche angesprochenen Punkte diskutieren, aber ob man damit Bertelsmann auch gleich zum "Bösen" machen muss, darüber habe ich meine Zweifel.

Gruss,
Uta
 
Hallo Uta,

eine berechtigte Frage, die Du da aufwirfst, warum das Wirken von Bertelsmann, meiner Meinung nach, und vieler anderer auch, sehr kritisch betrachtet werden muss. Bei oberflächlicher Betrachtung könnte man doch glatt zu dem Schluss kommen, dass es dem Wohle der Allgemeinheit dienlich ist, was Bertelsmann da macht. Das Problem beginnt jedoch m.E. schon mal gleich bei der Zielsetzung der Reformen. Es geht darum, den stetig wachsenden Gesundheitsbereich für Investoren möglichst attraktiv zu gestalten. Daher soll alles möglichst kosteneffizient und rein aus unternehmerischer Sicht abgewickelt werden. Modelle aus der Wirtschaft „Die Behandlung von Kranken soll industriellen Produktionsprozessen angeglichen werden. Bei Rhön nennt sich das 'Fließkonzept', mit dem eine hohe Anzahl von PatientInnen der Reihe nach versorgt werden kann.“ sollen auf die Krankenpflege übertragen werden. Wo bleibt da der Mensch ? Sicherlich ist zunächst mal zu befürworten, dass Prozesse in öffentlichen Einrichtungen auch überdacht, gestrafft und restrukturiert gehören. Aber die Zielsetzung ist eben das Problem. Und die Auswirkungen davon. So ist es schon jetzt so, dass nicht mehr alle Behandlungen von allen Krankenhäusern durchgeführt werden. Private Klinkiken spezialisieren sich zunehmend nur noch auf ganz bestimmte Fälle und weisen alle „kostenuneffizienten Patienten“ ab. Nur die öffentlichen KH und Universitätskliniken sind noch verpflichtet alle Fälle anzunehmen. Das bedeutet z.B. auch, dass wenn Du einen Kranken in einem öffentlichen KH „abgibst“, dass er u.U. in ein KH an einem ganz anderen Ort verlegt wird. Das heißt für Dich als Angehörigen, dass Du plötzlich u.U. 2 h und länger durch die Gegend fahren musst, um den Kranken zu besuchen. Das ist für ältere Leute allein schon eine Zumutung, usw.

Insgesamt finde ich es einfach äußerst bedenklich, dass Bertelsmann über demokratisch nicht legitimierte Gremien Empfehlungen und Handlungsanweisungen an die Politik abgibt.

Für Leute, die sich genauer mit den Problemen auseinander setzen möchten, hier noch ein paar Zitate aus der o.g. Diplomarbeit. (Bertelsmann mischt ja nicht nur bei der Gesundheitsreform tüchtig mit, sondern auch in vielen anderen Bereiche wie der Hochschulpolitik, insgesamt der Bildungspolitik, Reformen bei den Sozialausgaben, Außen- und Verteidigungspolitik, usw.):

Wie Reformen gemacht werden
Die Bertelsmann Stiftung skizziert ein Eigenportrait, das sie lediglich als ,behilfliche'
Unterstützerin des derzeitigen gesellschaftlichen Umbaus darstellt. „Ideen und Konzepte
entwickeln wir im offenen Dialog. Wir kritisieren konstruktiv und sind selbst bereit, Kritik anzunehmen“.121
Die Einflussnahme durch Stiftung und Konzern wird als bürgerschaftliches Engagement
und als Vorschläge oder Empfehlungen dargestellt. Sie verbergen, wie sie institutionell mit
finanzieller, intellektueller, medialer und lobbyistisch gestützter Macht in alle
gesellschaftlichen Bereiche vordringen, um zielgerichtet die Privatisierung und den
Wettbewerb im öffentlichen Raum voranzutreiben und auszudehnen. Wie umfangreich
sich die Stiftung inzwischen auf dem politischen Parkett etabliert hat, verdeutlichen die
folgenden Beispiele.
Das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) , eine Tochter der Bertelsmann Stiftung,
war maßgeblich daran beteiligt, dass sich die Überzeugung durchgesetzt hat, die
Hochschulen sollten sich künftig zunehmend durch Studiengebühren und private
Investoren selbst finanzieren – im Wettbewerb gegeneinander und angespornt von
Leistungsbilanzen, Nutzwertanalysen und Hochschul-Rankings. […]
Quelle: www.anti-bertelsmann.de/2007/EinflussBertelsmannStiftung.pdf (S. 37)
Da zivilgesellschaftliches Engagement steuerlich privilegiert wird bedeutet die Rechtsform
der gemeinnützigen Stiftung für den Konzern hohe Steuerersparnisse. Diese Mittel, die zur
Finanzierung hoheitlicher Aufgaben durch den Staaten eingesetzt werden könnten,
fließen nun in die Stiftungs-Projekte. So gesehen kann man von einer Privatisierung der
Politik auf Kosten der öffentliche Kassen sprechen. Der Konzern kann es sich leisten
einen Think Tank zu finanzieren und mit ihm prägend Einfluss auf den wissenschaftlichen
und gesellschaftlichen Diskurs nehmen. Eine private institutionelle Macht, die streng
hierarchisch organisiert ist, übt Einfluss auf das gesamte politische System aus. Diese
,zivilgesellschaftliche' Macht stützt sich ausschließlich auf Reichtum und Vermögen.
Die Stiftung kann es sich anders als andere private und staatliche Institutionen leisten
Gutachten zu erstellen, Rankings durchzuführen, Kongresse zu veranstalten, Projekte zu
finanzieren. Demokratisch legitimierte Macht im Staate wird so mehr und mehr durch
Wirtschaftsmacht zurückgedrängt und ersetzt.
Diese Art der ,zivilgesellschaftlichen' Einflussnahme schließt die große Mehrheit der
304 z.B. ,Mitbestimmung', ,flache Hierarchien', ,Autonomie'.
305 z.B. Initiativen und Kampagnen.
79
weniger wohlhabenden Bevölkerung mehr und mehr von der politischen Teilhabe und der
Gestaltung ihrer gesellschaftlichen Zukunft aus und befördert zudem die bestehende
extreme materielle Ungleichheit zwischen Arm und Reich.
Der durch die Bertelsmann Stiftung maßgeblich voran getriebene Transformationsprozess
in der öffentlichen Verwaltung, mit den damit verbundenen Lohn- und Leistungskürzungen,
führt zu einer Änderung der gesellschaftlichen Macht-, Einkommens- und
Besitzverhältnisse. Entsprechend der neoliberalen Logik wird die Lösung der finanziellen
Krise des Staates in einer umfassenden Deregulierung der Märkte, dem Abbau des
Sozialstaates, der Beschneidung von individuellen Rechtsansprüchen, der Privatisierung
der ökonomischen und sozialen Risiken und der Schwächung gewerkschaftlicher Macht
gesehen. Alle gesellschaftlichen Bereiche haben sich nach den Gesetzen des Marktes zu
richten (auch die Soziale Arbeit).306 Die Konsequenzen sind auf der einen Seite Einschnitte
in die Sozialversicherungen, massive Einschnitte in ArbeitnehmerInnenrechte,
Lohndumping und Massenarbeitslosigkeit, verbunden mit einem steilen Anstieg der Armut,
und auf der anderen Seite eine rasante Vermehrung des Reichtums weniger.
Hier wird ein sozialer Spaltungsprozess vorangetrieben in Form des (partiellen) Ausschlusses
großer Bevölkerungsteile von der Teilhabe an mehr oder weniger zentralen Bereichen
und Ressourcen der Gesellschaft: Wissen und (Aus-)Bildung, gesundheitlicher
Versorgung, materieller Sicherheit, Privatsphäre, Eigentum, Erwerbsarbeit, sozialem und
kulturellem Leben, öffentlicher Einflussnahme, sozialer Anerkennung ...307
Im neoliberalen Diskurs werden sozio-ökonomische Ungleichheiten nicht als
strukturbedingte, gesellschaftliche Probleme betrachtet, sondern als selbstverschuldete
Einzelschicksale, infolge von Leistungsverweigerung oder Unfähigkeit sich zu vermarkten,
dargestellt.308
Quelle : ebd, S. 79 – 80
 
Hallo Binnie,
natürlich gibt es viel zu diskutieren bei den Zielen, die sich die Politiker, ebenso aber auch die Kassen und privaten Krankenhaus-Betreiber, ebenso wie Alten- und Pflegeheim-B etreiber setzen.

Ich verstehe nur nicht, warum jetzt Bertelsmann als ein Familienunternehmen, das sich weit in den Markt ausgebreitet hat und entsprechend sehr vielfältige Aktivitäten entwickelt hat, nun als Buhmann dastehen soll für eine Gesundheitspolitik einerseits und Gewinnstreben andererseits.
Dieses Gewinnstreben hat Bertelsmann natürlich auch, und insofern wird die Firma Aufträge annehmen, die u.a. von der Regierung und anderen Unternehmen erteilt werden. Warum sollte Bertelsmann denn ablehnen? Das verstehe ich nicht.

Als die Hartz-4-Reform von Herrn Hartz ausgedacht wurde, hat sich auch da keiner darüber aufgeregt...

Grüsse,
Uta
 
Hi Uta, es geht einfach darum, dass sich das Familienunternehmen zu einem neoliberalen Thinktank gewandelt hat.
Es gibt auch die Bertelsmann-Stiftung, welche beratende Funktion für Politiker übernimmt. Das Ganze ist ziemlich verschachtelt und man muss erstmal ein wenig drüber lesen.
Ich hatte hier schon einige Beiträge dazu gepostet, da stehen interessante Links drin.
Klar, kann man sagen: Ist doch egal, wer´s macht - irgendeiner muss ja Macht haben und Kohle machen. Das Ganze aber als Politik und als sinnvoll zu verkaufen, finde ich kritisch. In England irgendwo übernimmt sogar die Bertelsmann-Tochter und Dienstleistungsfirma Arvato behördliche Aufgaben. Das halte ich für sehr gefährlich.
Wenn es um Bereiche geht, in denen der Staat entscheiden kann, wird nach Privatiserung gerufen, wenn eine Großbank Pleite geht, wird nach dem Staat gerufen.

Um nochmal auf Bertelsmann zurückzukommen: Das Unternehmen an sich ist sicher nicht schlecht. Das Ganze muss natürlich differenziert betrachtet werden. Fest steht jedenfalls, dass es neben dem Unternehmen ein ganzes Netzwerk Bertelsmann gibt. Dieses hat massive Einflussmöglichkeiten auf die Politik (siehe Studiengebühren).
 
Ja, oli. Sicher hat Bertelsmann mit seinen verzweigten Firmen in aller Welt großen Einfluß. Gerade ist ja auch die Entscheidung gefallen, daß das Buchgeschäft bzw. die Buchclubs, mit denen Bertelsmann ja angefangen hat, endgültig nicht mehr up-to-date sind.

Damit sprichst Du ein Problem der heutigen Staaten an, das nicht nur mit Bertelsmann zu tun hat: Der Einfluß von kapitalstarken Unternehmen auf die jeweiligen Regierungen.
Vor ca. 70 Jahren fand dieser Einfluß mehr auf nationaler Ebene statt; heute arbeiten die großen Unternehmen alle international und entsprechend sind auch die Einflußnahmen nicht mehr so einfach zu durchschauen. Außerdem ist Geld immer ein "gewichtiges" Argument, und in Zeiten von relativ leeren Kassen erst recht.

Gruss,
Uta
 
Hi Uta,

Bertelsmann und wer auch immer dahinter steht hat nicht nur das Geld, sondern verfügt eben offensichtliche auch über die wesentlichen Strukturen (über seine Medienpräsenz, usw.), um massiv auf die Politik und die Gesellschaft Einfluss nehmen zu können. Das macht diesen Konzern zu einem so mächtigen Instrument und zu einer solchen Gefahr. Ich kenne ehrlich gesagt kein anderes Unternehmen, das so massiv Einfluss auf gesellschaftliche und politische Entwicklungen in allen möglichen Bereichen nimmt. Das Gesundheitswesen ist ja, wie gesagt, nur ein Bereich davon, den ich hier im Gesundheitsforum eben nochmal extra ansprechen wollte. Aber Tatsache ist ja, dass der Bertelsmannkonzern auch auf anderen Gebieten den neoliberalen Umbau vorantreibt.
 
Die Anstalt: "Bertelsmann und Co.: Was ist los im Gesundheitssystem?" (5.5.2020):


@
Ich verstehe nur nicht, warum jetzt Bertelsmann als ein Familienunternehmen, das sich weit in den Markt ausgebreitet hat und entsprechend sehr vielfältige Aktivitäten entwickelt hat, nun als Buhmann dastehen soll für eine Gesundheitspolitik einerseits und Gewinnstreben andererseits.
Insgesamt finde ich es einfach äußerst bedenklich, dass Bertelsmann über demokratisch nicht legitimierte Gremien Empfehlungen und Handlungsanweisungen an die Politik abgibt.
Fest steht jedenfalls, dass es neben dem Unternehmen ein ganzes Netzwerk Bertelsmann gibt. Dieses hat massive Einflussmöglichkeiten auf die Politik
Bertelsmann und wer auch immer dahinter steht hat nicht nur das Geld, sondern verfügt eben offensichtliche auch über die wesentlichen Strukturen (über seine Medienpräsenz, usw.), um massiv auf die Politik und die Gesellschaft Einfluss nehmen zu können. Das macht diesen Konzern zu einem so mächtigen Instrument und zu einer solchen Gefahr. Ich kenne ehrlich gesagt kein anderes Unternehmen, das so massiv Einfluss auf gesellschaftliche und politische Entwicklungen in allen möglichen Bereichen nimmt.
 
Und es geht weiter auf dem neoliberalen Kurs:

Es ist katastrophal, was in diesem Land abgeht. Wie soll man vor allem Menschen in ländlichen Regionen zeitnah in eine Klinik transportieren können, wenn sie z.B. überlebensnotwendige, medizinische Maßnahmen benötigen?

Und bei der nächsten Pandemie gibt es dann noch weniger Spielraum für Intensivbetten! Müsste die Konsequenz aus den Erfahrungen mit Corona nicht genau umkehrt lauten, wenn es tatsächlich darum gegangen wäre "Leben zu retten"? Wieso verknappt man die Zahl der Krankhäuser/Intensivbetten immer weiter???

„Provokative Thesen schaffen Aufmerksamkeit. Nach dieser PR-Methode verfährt auch die Bertelsmann-Stiftung, die dem deutschen Krankenhauswesen in einer am Montag veröffentlichten Studie eine Radikalkur empfiehlt: Von den knapp 1.400 in den Landeskrankenhausplänen aufgeführten Kliniken solle ein Großteil geschlossen werden. Blieben »deutlich weniger als 600 größere und bessere Kliniken erhalten«, könnten diese mehr Personal und eine bessere Ausstattung bekommen. Die These ist nicht neu, nur besonders radikal. Seit Jahrzehnten ist es erklärter politischer Wille, die Zahl der Krankenhäuser zu reduzieren, die hierzulande im internationalen Vergleich hoch sein soll...
 
Oben