Hallo Schulle,
Du fragst, was das alles soll - und auch ich kann Dir das nicht genau beantworten. Es ist aber häufig so, dass Eltern mit ihren erwachsenen "Kindern" über ein suggeriertes schlechtes Gewissen umgehen. Vielleicht hilft uns ein Blick in die Vergangenheit, wie es noch ein paar Generationen vorher "Standard" war, weil die Generationen unter einem Dach wohnten und mit- und füreinander lebten.
Heute sind diese Faktoren, die das "Funktionieren" ausmachten und auch nicht immer leicht machten, nicht mehr gegeben. Deine Eltern machen Dir offen und begründet ein schlechtes Gewissen: Obwohl es Deinem Vater so schlecht geht, hättest Du gar keine Zeit für sie, Du kümmertest Dich gar nicht, und Du weißt, dass genau das Gegenteil die WAHRHEIT ist. Du fühlst Dich hilflos und schlecht, weil Du nicht m e h r helfen kannst. Du weißt aber gleichzeitig auch, dass sie Dich belasten aber eigentlich nur nicht lassen!
Wenn Du nun mit Verzweiflung und mit Magenschmerzen reagierst, wird es nicht besser und es macht nichts besser - das weiß ich aus eigener Erfahrung. Meine Mutter - ähnlichen Alters - ist recht gesund und fit, wohnt um die Ecke und fährt wunderbar und überall hin selbst mit dem Auto, treibt regelmäßig Sport mit gleichgesinnten Freundinnen. Ihre Enkel oder mich besucht sie aber nur zu Geburtstagen und auf Einladung. Sie telefoniert jedoch 2tägig, vorwurfsvoll und immer stetig mit den Eingangs-Worten, ich kümmerte mich nicht um sie, ich riefe nicht an, und so weiter und so fort. Ich will mich jetzt nicht rechtfertigen oder meine und Deine Probleme mit den Eltern gleichstellen oder vergleichen, aber vielleicht hilft es Dir als weiteres Beispiel. Mal abgesehen davon, dass ich noch zur arbeitenden Bevölkerung zähle und eben auch noch ein paar Kinderchen zu erziehen habe und sie mich eigentlich nicht in täglicher Anwesenheit bräuchte, wegen Krankheit oder Ähnlichem, ist diese "General-Einrede" von schlechtem Gewissen scheinbar ein wirksames Mittel zum Zweck! Und es funktioniert: Wir fühlen uns tatsächlich schlecht. Wir fühlen uns tatsächlich verantwortlich. Wir wissen, wir könnten tatsächlich mehr für sie tun, wenn wir es denn nur wollten. Wir könnten sie glücklich machen. Wir könnten mit ihnen leben und ihnen das Gefühl nehmen, allein zu sein, obwohl sie es de fakto nicht einmal sind, zumindest meine Mutter nicht.
Der tiefere Sinn liegt meines Erachtens nur in einem Generationenkonflikt. Du merkst es doch auch: Es ist egal, was Du tust, es ist gleichgültig wie sehr Du Dich einsetzt, es ist eben alles verkehrt und es wird Dir im Mund verdreht. Und wann immer Du Tipps gibst, werden diese recht schnell als Unsinn oder ist-doch-nicht-nötig-Sache abgeschmettert. Ich bin zu dem Fazit gelangt, dass diese Unzufriedenheit unserer Eltern nicht stillbar ist, nicht mit geduldigen und verständnisvollen Gesprächen und nicht mit bedingungsloser Zuwendung – zumindest nicht in dieser Phase ihren Lebens. Unsere Eltern merken sehr wohl, dass ihnen das Alter und auch die Krankheit mehr und mehr zu schaffen macht und sie nicht mehr endlos "allein" auskommen werden, wollen und werden es Dir gegenüber aber nicht einmal in vernünftig geführten Gesprächen eingestehen - daher reicht vorerst, bei Dir ein schlechtes Gewissen zu provozieren, so bist Du ihnen für die Zeit "danach" sicher. Mit danach meine ich, wenn sie für sich und mit sich allein nicht mehr klar kommen und eben dieses begreifen können.
Du könntest konsequent wirklich für eine begrenzte Zeit bei Deinen Eltern einziehen. Du könntest Dich durchsetzen, Ihnen die "Pflege" aus der Hand nehmen, alles notwendige ordnen und umorganisieren und Du könntest Deinen Eltern zeigen, dass Du nur für sie mit Deiner ungeteilten Aufmerksamkeit da bist und doch wirst Du gleichzeitig mit ihrer fast selbstzerstörerischen Gegenwehr klar kommen müssen. Dein "Für-Sie-Dasein" würde zumindest aber bewirken, dass auf Seiten Deiner Eltern ein wenig mehr Sicherheit erfahren wird. Und vielleicht kannst zu verhindern, dass Deine Mutter nicht auch noch schwer krank durch Überforderung wird. Das sie jetzt schon überfordert ist, wird sie Dir gegenüber sicher auch nicht eingestehen.
So gut kann ich Deine Verzweiflung verstehen, was Du durchmachst geht nicht auf die dickste Kuhhaut! Glaube mir, Deine Eltern belasten Dich nicht aus Bösartigkeit, sondern aus Hilflosigkeit. Halte durch! Hast Du Geschwister, die Dir den Part erleichtern könnten, oder bist Du auch hier allein im Fokus Deiner Eltern?