Religion und Krankheit

Hallo Grufti
Du schreibst:
Ja Soul, weil Religionen den Menschen Angst machen, deshalb sind sie auch krankmachend: physisch, psychisch, seelisch, geistig etc. Ein verängstigter Mensch ist eben besser manipulierbar.
Und wenn Eltern ihren kleinen Kindern sagen, dass sie nicht unter dem Zaun, der den Spazierweg vom Fluß trennt, durchkriechen dürfen, weil sie dann ins Wasser fallen und ertrinken können, dann machen sie den Kindern also Angst, in der Folge werden diese dann physisch und psychisch krank??? Außerdem werden sie leichter manipulierbar durch ihre Eltern, die nur dieses damit bezwecken wollten???
Denk noch einmal drüber nach!

Liebe Grüße
Gaby
 
Grufti - die Sünden werden dann vergeben, wenn man sich entscheidet für Jesus und Ihm beichtet und um Vergebung bittet (kurz gesagt) - danach braucht er uns nur noch die "Füße zu waschen".
Denn wenn man Gott/Jesus erkennt, erkennt man doch erst mit der Zeit alles andere - und auch das ist nur Stückwerk.
Woher man weiß, das einem vergeben ist? Die "Sünden" fallen wie Lasten von einem ab und man wird erfüllt vom heiligen Geist - das ist erlebbar
 
Ja, Sternenfee,

ich kenne das auch nach einem Gebet zweier Aeltester mit Handauflegung: diese Leichtigkeit, dieser Friede, die Freude, das Gefühl von Freiheit, Sprechen oder Singen in fremden Sprachen, LIEBE - ALLES wunderbar!!!! Doch, was folgt danach? Wie lange hält das an? Kommt danach nicht eine Zeit der Ernüchterung, der Fragen? Kehrt nicht relativ brutal und rasch der Alltag zurück? Und genau jetzt kommt es drauf an, die Kurve zu kriegen! Sonst drohen Depression und Krankheit!
Also, was wollen uns diese obgenannten Erfahrungen mitteilen? Ich erlaube mir, meine Antwort später zu geben.

Herzlich, Pegasus
 
Beat,

ich hatte dich eine Zeit lang auf der Ignorierliste, weil du überall immer wieder deine Ueberzeugung kundtatest und so die Diskusionen störtest. Doch in diesem Thema hier kann ich dich annehmen oder zulassen.
Ich verstehe deinen Eifer ( siehe oben ), aber es war mir einfach zu viel des Guten ( ? ). Alles Gute, Positive, das man übertreibt, wird destruktiv - leider.
Die obige Auseinandersetzung mit grufti und andern zeigt mir einmal mehr, wie schwierig Austausch nur mit Worten ist!
Zum ' Glauben an Jesus' : würde 'Vertrauen zu Jesus' ausdrücken, was du sagen willst? Vertrauen, weil du mit IHM gute Erfahrungen gemacht hast?

Pegasus
 
@ Pegasus - stimmt, es kommt der Alltag, aber es liegt an einem selbst, wie sehr man mit Jesus lebt. Ich stehe mit ihm auf und gehe mit ihm ins Bett - und zwischendurch ist er auch da - einfach immer.
Seine Nähe und Liebe gibt mir jeden Tag Freude und meine Sehnsucht ist erfüllt, wo vorher in meinem Leben immer ein Loch und Suchen war.

Übrigens hat mich gar niemand beeinflusst, bin immer sehr "revolutionär" gewesen und hab mir nix sagen lassen - auch heute lass ich mir von niemanden was einreden, sondern gehe meinen Weg - und den gehe ich glücklicherweise mit Gott
 
Grüss euch, und speziell Dich Gaby,

nein, ich bin kein Christenhasser. Wozu sollte ich irgendwen hassen? Da würde ich mich doch glatt selber vergiften. Zudem steh ich zu wahrhaft christlichen Werten. Aber vielleicht bist Du ja zum Thema Hass in Resonanz, vielleicht auch zu Schuld und Sünde?

Was ich hier zur Diskussion stelle und beschreibe sind lediglich Beobachtungen und ein paar Gedanken dazu - ist ja auch Sinn eines Forums. Es darf und soll jeder seine Gedanken reinstellen dürfen und können, damit ein bereichernder Austausch passieren kann.

Schade, dass es immer die gleichen paar Beteiligten sind, die einer offenen Diskussion mit ihrem offensichtlich religiös begründeten Komplexen, Neurosen, Schuldgefühlen oder was auch immer entgegen zu wirken versuchen. Nun seid doch mal nicht so verbissen, schaut in den Spiegel und lächelt euch und die Welt an - nicht grinsen! Lächeln hab ich gesagt. :eek:)

Na also, geht doch!

herzlichst - Phil
 
Kennst Du Das Land, Wo Die Neurosen Blühen?

Lieber Herr Phil,

da ich es schade finde, dass das von Ihnen begonnene Thema in sachfremden Diskussionen untergeht, möchte ich an dieser Stelle noch einen Versuch unternehmen, zurückzufinden zum Ursprung: Religion und Krankheit!
Ich werde deshalb an dieser Stelle den klassischen und sicher nicht unumstrittenen, Neurose – Begriff einführen, den Sie in Ihrem letzten Beitrag schon selbst erwähnt haben und zunächst eine populäre Definition – aus Wikipedia folgen lassen.
Zu der Thematik „Religion und Krankheit“, nämlich im Bezug:
RELIGION UND NEUROTISCHE STÖRUNG
werde ich dann später Bezug nehmen.

Herzliche Grüße Ihr Leòn

Neurose – Definition nach Encarta
https://de.wikipedia.org/wiki/Neurose
Theorie
Allgemein lässt sich sagen, dass die Neurose eine psychische Verhaltensstörung von längerer Dauer ist. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass sie erst im Laufe der Entwicklung entstanden ist. Zur Bestätigung solcher Diagnosen müssen organische Störungen als Ursache des Fehlverhaltens ausgeschlossen werden. Seine ihm charakteristischen Verhaltensstörungen vermag der Neurotiker nicht zu kontrollieren, er ist sich seines Leidens jedoch bewusst und an sich fähig, dessen Ursachen zu ergründen. (Gemäß Freuds Theorie führt schon dies geistige Streben, in Anwendung vor allem der Traumanalyse, zu ersten therapeutischen Ergebnissen.) Der Psychotiker ist dazu tendenziell außerstande, die Übergange zur Neurose bleiben allerdings fließend. So stellen z.B. auch die Träume der Gesunden ("normalen" Neurotiker) nach Freud im weitesten Sinne "psychotische" Vorgänge dar, infolge des im Schlaf momentan geschwächten Ich-Vermögens, die im Traum erlebte Realität von der den Träumer umgebenden Wirklichkeit zu unterscheiden.
Viele Zwangsstörungen (wie etwa der "Waschzwang") oder die Phobien (wie z.B. die Soziophobie) werden von Befürwortern des Begriffs zu den Neurosen gezählt. Als differentialdiagnostisches Kriterium zur Abgrenzung von der Psychose gilt unter anderem auch, dass die Neurotiker ihre Zwänge nicht nur als solche wahrnehmen (s.o.), sondern in aller Regel auch an dem Unvermögen, ihrer Herr zu werden, leiden.
Zur Illustration ein Auszug aus der "Neurosenlehre" von Alfred Adler 1913:
Jede Neurose kann als ein Versuch verstanden werden, sich aus einem Gefühl der Minderwertigkeit zu befreien, um ein Gefühl der Überlegenheit zu gewinnen. Der Weg der Neurose führt nicht auf die Linie der sozialen Aktivität, zielt nicht auf die Lösung der gegebenen Lebensfragen, mündet vielmehr in den kleinen Kreis der Familie und erzielt die Isolation. Der Wirklichkeit zum großen Teile abgewandt, führt der Nervöse ein Leben in Einbildung und Phantasie und bedient sich einer Anzahl von Kunstgriffen, die es ihm ermöglichen, realen Forderungen auszuweichen und eine ideale Situation anzustreben, die ihn einer Leistung für die Gemeinschaft und der Verantwortlichkeit entzieht. Diese Enthebungen und die Privilegien der Erkrankung, des Leidens, bietet ihm den Ersatz für das ursprüngliche, riskante Ziel der realen Überlegenheit. So stellt sich die Neurose und die Psyche als ein Versuch dar, sich jedem Zwang der Gemeinschaft durch einen Gegenzwang zu entziehen. Letzterer ist derart zugeschnitten, dass er der Eigenart der Umgebung und ihren Forderungen wirkungsvoll entgegentritt. Der Gegenzwang hat einen revoltierenden Charakter, holt sein Material aus geeigneten affektiven Erlebnissen oder aus Beobachtungen, präokkupiert die Gedanken-die Gefühlssphäre mit solcher Regung, aber auch mit Nichtigkeiten, wenn sie nur geeignet sind, den Blick und die Aufmerksamkeit des Patienten von den Lebensfragen abzulenken. Auch die Logik gelangt unter die Diktatur des Gegenzwangs. Dieser Prozess kann bis zur Aufhebung der Logik, wie in der Psychose, gehen. Alles Wollen und alles Streben des Nervösen steht unter dem Diktat seiner Prestigepolitik, greift immer Vorwände auf, um Lebensfragen ungelöst zu lassen, und wendet sich automatisch gegen die Entfaltung des Gemeinschaftsgefühls.
Selbstverständlich gibt es auch verschiedene Grade dieser Zwänge, so dass nicht alle diese Patienten einer Behandlung bedürfen. Als subjektiv erleichternd, weil das Gefühl sozialer Ausgrenzung bzw. Minderwertigkeit /s.o.) weniger aufkommen lassend, wirkt sich die weite Verbreitung eines bestimmten Typs von Neurose in der jeweils betroffenen Kultur aus, der dadurch also zur sozialen Norm wird. Die Gleichsetzung solcher "Normalität" mit der Bedeutung des Begriffes "Gesundheit" wurde von Freud mit höchster Skepsis betrachtet. Eine Lösung der akademischen Diskussion, die darum seit der Aufklärung im Zusammenhang mit dem Phänomen der Instinktreduktion geführt wird, ist noch nicht in Sicht.´


Neuere Klassifikationssysteme
Durch die Klassifikationssysteme ICD-10 und DSM-IV wurde der Begriff Neurose, der ausschließlich auf den Theorien der Psychoanalyse beruht, durch für verschiedene Disziplinen und klinische Theorien geeignetere ersetzt. In der offiziellen Nomenklatur dieser Systeme kommt nur noch das Adjektiv neurotisch vor. Begründung für dieses, wenn auch nicht völlig konsequent durchgeführte, Vorhaben, den Begriff Neurose zu meiden, ist
1. die unzulängliche Abgrenzbarkeit zur Psychose (einem Begriff, der aus demselben Grund ebenfalls nicht verwendet wird), da dies nach den Maßgaben der WHO und zur Differentialdiagnostik wichtig ist
2. die bislang nicht mögliche scharfe Abgrenzung zwischen neurotischem und gesundem Verhalten und
3. die Theoriegebundenheit des Begriffs:
Er stammt aus der Psychoanalyse Sigmund Freuds und impliziert somit bestimmte theoretische Vorstellungen über das Zustandekommen von psychischen Störungen, die von anderen Theorierichtungen nicht akzeptiert werden. Jedoch ist in weiten Kreisen der deutschsprachigen Ärzte und Psychotherapeuten die traditionelle Unterscheidung zwischen Neurose und gesundem Verhalten nach wie vor üblich. So auch die Verwendung des Begriffes Psychose (Störung des ICH-immanenten Vermögens, den Realitätsgehalt Innerer und Äußerer Wahrnehmung zu differenzieren ('Stimmenhören'; 'Wahnvorstellungen'). Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Begriff einen hohen praktischen und wissenschaftlichen Wert hat.

Neurosenlehre Alfred Adlers:

Jede Neurose kann als ein Versuch verstanden werden, sich aus einem Gefühl der Minderwertigkeit zu befreien, um ein Gefühl der Überlegenheit zu gewinnen. Der Weg der Neurose führt nicht auf die Linie der sozialen Aktivität, zielt nicht auf die Lösung der gegebenen Lebensfragen, mündet vielmehr in den kleinen Kreis der Familie und erzielt die Isolation. Der Wirklichkeit zum großen Teile abgewandt, führt der Nervöse ein Leben in Einbildung und Phantasie und bedient sich einer Anzahl von Kunstgriffen, die es ihm ermöglichen, realen Forderungen auszuweichen und eine ideale Situation anzustreben, die ihn einer Leistung für die Gemeinschaft und der Verantwortlichkeit entzieht. Diese Enthebungen und die Privilegien der Erkrankung, des Leidens, bietet ihm den Ersatz für das ursprüngliche, riskante Ziel der realen Überlegenheit. So stellt sich die Neurose und die Psyche als ein Versuch dar, sich jedem Zwang der Gemeinschaft durch einen Gegenzwang zu entziehen. Letzterer ist derart zugeschnitten, dass er der Eigenart der Umgebung und ihren Forderungen wirkungsvoll entgegentritt. Der Gegenzwang hat einen revoltierenden Charakter, holt sein Material aus geeigneten affektiven Erlebnissen oder aus Beobachtungen, präokkupiert die Gedanken-die Gefühlssphäre mit solcher Regung, aber auch mit Nichtigkeiten, wenn sie nur geeignet sind, den Blick und die Aufmerksamkeit des Patienten von den Lebensfragen abzulenken. Auch die Logik gelangt unter die Diktatur des Gegenzwangs. Dieser Prozess kann bis zur Aufhebung der Logik, wie in der Psychose, gehen. Alles Wollen und alles Streben des Nervösen steht unter dem Diktat seiner Prestigepolitik, greift immer Vorwände auf, um Lebensfragen ungelöst zu lassen, und wendet sich automatisch gegen die Entfaltung des Gemeinschaftsgefühls.
 
Hallo Grufti

Die Antwort ist einfach, alle, ob schlechte Taten, nicht Taten (zulassen von Schlechtem), schlechte Gedanken anderen gegenüber zB), schlechte Herzens-Haltungen etc etc
 
Hallo Phil

nein, ich bin kein Christenhasser.

und etwas später

Schade, dass es immer die gleichen paar Beteiligten sind, die einer offenen Diskussion mit ihrem offensichtlich religiös begründeten Komplexen, Neurosen, Schuldgefühlen oder was auch immer entgegen zu wirken versuchen.

Na ja, wieso bezeichnest Du Christen hier die Du ja kaum kennst, dann als neurotisch mit Komplexen und Schuldgefühlen beladen?
 
Nun wäre aber eine Rückkehr zum eigentlichen Thema wieder angezeigt. Hier geht es nicht um Christentum und Psyche sondern um Religion und Krankheit.
Kranke oder krankheitsauslösende oder krankmachende Elemente finden sich in anderen religiösen Systemen auch. Herr schmeiß Hirn vom Himmel!
 
Ekklesiogene Neurosen

Ekklesiogene Neurosen haben nichts mit Neuanpflanzungen rund um Kirchengebäude zu tun!
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Hier ein interessanter Artikel zum Thema. Er ist unter
www.stimmen-der-zeit.de/StdZ_05_05_Grom.pdf
zu finden.
Die Christen unter uns sollen sich bitte nicht wieder persönlich angesprochen fühlen. Es geht hier nicht um eine Religion sondern um krankmachende Prinzipien, die sich in anderen Glaubensvorstellungen auch finden.
Und dass Religion positive Wirkungen haben kann, wird gleich mitbeschrieben.

Gruß von Leòn

Ekklesiogene Neurosen?

Auch Begriffe und ihre Wirkungsgeschichte haben runde Geburtstage. Vor 50 Jahren prägte der Frauenarzt und Psychoanalytiker Eberhard Schaetzing in einem Bei-trag für die Zeitschrift „Wege zum Menschen“ den Ausdruck „ekklesiogene Neu-rose“. Mit ihm wollte er die Christen vor schädlichem Puritanismus warnen undbehauptete, daß die „in gewissen pietistischen Kreisen“ übliche triebfeindliche Er-ziehung Frigidität und Impotenz, ja sogar Homosexualität zur Folge habe.In den 1960er Jahren übernahm der Berliner Arzt, Psychoanalytiker und Theo-loge Klaus Thomas den Begriff und erweiterte seinen Erklärungsanspruch: Ekklesiogene (wörtlich: kirchenverursachte) Einflüsse lägen auch masochistischen undsadistischen Perversionen sowie Zwangsstörungen und Gewissensängstlichkeit zu-grunde, zumal bei Onanieskrupulanten. Als in den 1970er Jahren die Psychoanalysezur Popularpsychologie der gebildeten Schichten avancierte, drückte der Begriff„ekklesiogene Neurose“ nicht nur die psychohygienische Besorgnis von glaubens-bejahenden Psychologen aus, sondern wurde auch zum Schlagwort einer von Sig-mund Freud inspirierten religionskritischen Grundstimmung. Die hochemotionaleAbrechnung, die der Psychoanalytiker Tilmann Moser 1976 in seiner Schrift „Got-tesvergiftung“ seiner engen pietistischen Erziehung angedeihen ließ, lieferte vielendas nötige Anschauungsmaterial für einen pauschalen Schädlichkeitsverdacht ge-genüber allem Religiösen. Ob Mosers Leser wohl dem Autor folgen, der in seinem2003 veröffentlichten Buch „Von der Gottesvergiftung zu einem erträglichen Gott“zugibt, daß Gläubige auf der Grundlage eines Gefühls der „Andacht“ auch ein le-bensdienliches, positives Gottesbild aufbauen können?Den Begriff „ekklesiogene Neurose“, den nur deutschsprachige Autoren verwen-det haben, liest man immer seltener, doch ist er weder aus den Veröffentlichungennoch aus den Köpfen verschwunden. Es ist an der Zeit, sich von ihm zu verabschie-den und sich einer differenzierteren Sicht zuzuwenden, die Religiosität nicht nur alspotentielle Belastung, sondern auch als mögliche Ressource in den Blick nimmt. Esmüßte zu denken geben, daß der Terminus „ekklesiogene Neurose“ nie in eine wis-senschaftliche Klassifikation psychischer Störungen aufgenommen wurde. Psychia-ter wie Rainer Tölle lehnen ihn ausdrücklich ab. Der Hauptgrund: ErnsthafteStörungen sind multifaktoriell zu erklären. Beispielsweise mag am Zustandekom-men einer Zwangsstörung mit religiösem Hintergrund eine rigoristische Erziehung,die mit einem strafenden Gott drohte, zwar ihren Anteil haben, doch kann sich eineStörung nur dann entwickeln, wenn dieser religiöse Einfluß mit einem allgemeinverunsichernden Erziehungsstil der Eltern, einer neurobiologisch bedingten Ver-letzlichkeit des Kindes und unbewältigten Belastungen einhergeht.

Ähnlich verhält es sich bei Depressionen mit religiösen Inhalten. Wie stark derneurobiologische Faktor zu veranschlagen ist, zeigt die Tatsache, daß die medika-mentöse Verbesserung des Serotonin-Haushalts Zwangssymptome und moralisch-religiöse Skrupulosität wirksam lindern kann. Begriffe wie „ekklesiogene Neurose“oder „Gottesvergiftung“ mögen nun zwar eine Entlastung nach dem Motto: „DieErziehung ist an allem Schuld“ bieten, doch klammern sie andere Ursachen aus.Gewiß, es ist zu vermuten, daß bestimme religiöse Milieus Perfektionismus undGewissensängstlichkeit fördern, doch kann man die Zwangsstörungen und Depres-sionen von Gläubigen nicht einfach auf „angstmachende Gottesbilder“ zurück-führen, zumal Areligiöse ebenso häufig an diesen Beschwerden leiden. Fest stehtnur, daß jene kleine Minderheit von Jugendlichen, die an einen überwiegend stra-fenden Gott glaubt, ein geringeres Selbstwertgefühl zeigt als solche, die Gott als lie-bend auffassen, und daß Gläubige, die negative Ereignisse als Strafe Gottes deuten,weniger Lebenszufriedenheit aufweisen als andere. Doch rezipieren nach konsi-stenztheoretischer Überzeugung Personen mit niedrigem Selbstwertgefühl, hohenDepressivitätswerten und zwanghaften Tendenzen eben eher Aussagen der Verkün-digung über den strafenden als über den liebenden Gott, weil ihnen dies die müh-selige Auseinandersetzung mit ihrer emotionalen Problematik erspart. Gottesvor-stellungen beeinflussen also nicht nur psychische Störungen, sondern werdenumgekehrt auch von diesen beeinflußt und verzerrt.Damit soll nicht geleugnet werden, daß eine einengende, autoritäre Erziehungund eine rigoristische Sexualmoral Menschen auf schädliche Weise belasten kann.Nur wäre es weder realitätsgerecht noch für die Betroffenen hilfreich, das Elendvon psychisch Leidenden größtenteils oder ausschließlich darauf zurückzuführen.Verkündigung und religiöse Erziehung müssen aufmerksamer die möglichen Ein-seitigkeiten vermeiden, die erwähnt wurden – zumal bei sensiblen Menschen. Dochsollten sie auch auf den psychischen Gewinn eines ausgewogenen, reflektiertenGlaubens vertrauen, der für die empirische Psychologie und Lebensqualitätsfor-schung längst außer Frage steht.Die Depressionen und Zwangsstörungen einzelner Patienten können mit Versün-digungsvorstellungen verbunden sein, doch im allgemeinen zeigen religiöse Men-schen niedrigere Depressivitätswerte und etwas mehr Lebenszufriedenheit alsareligiöse. Dieses psychohygienische Plus beruht einerseits wohl auf der „Puffer-wirkung“, die das Gebet in Belastungssituationen entfaltet, andererseits aber auf derpositiven Sinngebung, dem Mehrwert, den der Glaube den Bemühungen um ein er-fülltes Leben und Zusammenleben verleiht. Wenn von den Europäern, die sich als religiös bezeichnen, 81 Prozent erklären, daß sie aus dem Glauben „Trost und Kraftziehen“, kennen sie offensichtlich nicht nur einen „erträglichen“, sondern einenrecht hilfreichen Gott.
Autor: Bernhard Grom
 
Hallo Leon

Dem Artikel im wesentlichen zustimmen kann. Es ist so.

Leider wurde aber am Schluss auch da Religion mit Glauben vermischt. Der christliche Glaube beruht auf eine Beziehung zu einem liebenden Gott. eligion hat immer mit menschlichen Vorstellungen, Ergänzungen und celebrieren zu tun. Dies kann und tut eben (wenn falsch eingesetzt) die im Text erwähnten Sachen hervorbringen bzw leute mit Ihren eigenen schwächen und fehlern dazu bringen, solches (anderen oder sich selbst an) zu tun.
Gott ist aber nicht religiös, er möchte eine Beziehung. Aus einer guten Beziehung kann das erwähnte negative nicht entstehen.
 
Wen wundert es, dass sich Friedrich Nietzsche, selbst aus gefährdenden religiösen Verhältnissen stammend, weidlich mit der krankmachenden Faktoren von Religion auseinandersetzt.

Auch hier sollte man die Kritik am Christentum nicht zu wörtlich nehmen. Es geht um krankmachende Faktoren der Religionen. Nicht um eine Einzelne.


Gruß von Leòn

Friedrich Nietzsche - Jenseits von Gut und Böse
https://gutenberg.spiegel.de/nietzsch/jenseits/0htmldir.htm


45.
Die menschliche Seele und ihre Grenzen, der bisher überhaupt erreichte Umfang menschlicher innerer Erfahrungen, die Höhen, Tiefen und Fernen dieser Erfahrungen, die ganze bisherige Geschichte der Seele und ihre noch unausgetrunkenen Möglichkeiten: das ist für einen geborenen Psychologen und Freund der "grossen Jagd" das vorbestimmte Jagdbereich. Aber wie oft muss er sich verzweifelt sagen: "ein Einzelner! ach, nur ein Einzelner! und dieser grosse Wald und Urwald!" Und so wünscht er sich einige hundert Jagdgehülfen und feine gelehrte Spürhunde, welche er in die Geschichte der menschlichen Seele treiben könnte, um dort sein Wild zusammenzutreiben. Umsonst: er erprobt es immer wieder, gründlich und bitterlich, wie schlecht zu allen Dingen, die gerade seine Neugierde reizen, Gehülfen und Hunde zu finden sind. Der Übelstand, den es hat, Gelehrte auf neue und gefährliche Jagdbereiche auszuschicken, wo Muth, Klugheit, Feinheit in jedem Sinne noth thun, liegt darin, dass sie gerade dort nicht mehr brauchbar sind, wo die "grosse Jagd", aber auch die grosse Gefahr beginnt: - gerade dort verlieren sie ihr Spürauge und ihre Spürnase. Um zum Beispiel zu errathen und festzustellen, was für eine Geschichte bisher das Problem von Wissen und Gewissen in der Seele der homines religiosi gehabt hat, dazu müsste Einer vielleicht selbst so tief, so verwundet, so ungeheuer sein, wie es das intellektuelle Gewissen Pascal's war: und dann bedürfte es immer noch jenes ausgespannten Himmels von heller, boshafter Geistigkeit, welcher von Oben herab dies Gewimmel von gefährlichen und schmerzlichen Erlebnissen zu übersehn, zu ordnen, in Formeln zu zwingen vermöchte. - Aber wer thäte mir diesen Dienst! Aber wer hätte Zeit, auf solche Diener zu warten! - sie wachsen ersichtlich zu selten, sie sind zu allen Zeiten so unwahrscheinlich! Zuletzt muss man Alles selber thun, um selber Einiges zu wissen: das heisst, man hat viel zu thun! - Aber eine Neugierde meiner Art bleibt nun einmal das angenehmste aller Laster, - Verzeihung! ich wollte sagen: die Liebe zur Wahrheit hat ihren Lohn im Himmel und schon auf Erden. -

46.
Der Glaube, wie ihn das erste Christenthum verlangt und nicht selten erreicht hat, inmitten einer skeptischen und südlich-freigeisterischen Welt, die einen Jahrhunderte langen Kampf von Philosophenschulen hinter sich und in sich hatte, hinzugerechnet die Erziehung zur Toleranz, welche das imperium Romanum gab, - dieser Glaube ist nicht jener treuherzige und bärbeissige Unterthanen-Glaube, mit dem etwa ein Luther oder ein Cromwell oder sonst ein nordischer Barbar des Geistes an ihrem Gotte und Christenthum gehangen haben; viel eher scholl jener Glaube Pascal's, der auf schreckliche Weise einem dauernden Selbstmorde der Vernunft ähnlich sieht, - einer zähen langlebigen wurmhaften Vernunft, die nicht mit Einem Male und Einem Streiche todtzumachen ist. Der christliche Glaube ist von Anbeginn Opferung: Opferung aller Freiheit, alles Stolzes, aller Selbstgewissheit des Geistes; zugleich Verknechtung und Selbst-Verhöhnung, Selbst-Verstümmelung. Es ist Grausamkeit und religiöser Phönicismus in diesem Glauben, der einem mürben, vielfachen und viel verwöhnten, Gewissen zugemuthet wird: seine Voraussetzung ist, dass die Unterwerfung des Geistes unbeschreiblich wehe thut, dass die ganze Vergangenheit und Gewohnheit eines solchen Geistes sich gegen das Absurdissimum wehrt, als welches ihm der "Glaube" entgegentritt. Die modernen Menschen, mit ihrer Abstumpfung gegen alle christliche Nomenklatur, fühlen das Schauerlich-Superlativische nicht mehr nach, das für einen antiken Geschmack in der Paradoxie der Formel "Gott am Kreuze" lag. Es hat bisher noch niemals und nirgendswo eine gleiche Kühnheit im Umkehren, etwas gleich Furchtbares, Fragendes und Fragwürdiges gegeben wie diese Formel: sie verhiess eine Umwerthung aller antiken Werthe. - Es ist der Orient, der tiefe Orient, es ist der orientalische Sklave, der auf diese Weise an Rom und seiner vornehmen und frivolen Toleranz, am römischen "Katholicismus" des Glaubens Rache nahm: - und immer war es nicht der Glaube, sondern die Freiheit vom Glauben, jene halb stoische und lächelnde Unbekümmertheit um den Ernst des Glaubens, was die Sklaven an ihren Herrn, gegen ihre Herrn empört hat. Die "Aufklärung" empört: der Sklave nämlich will Unbedingtes, er versteht nur das Tyrannische, auch in der Moral, er liebt wie er hasst, ohne Nuance, bis in die Tiefe, bis zum Schmerz, bis zur Krankheit, - sein vieles verborgenes Leiden empört sich gegen den vornehmen Geschmack, der das Leiden zu leugnen scheint. Die Skepsis gegen das Leiden, im Grunde nur eine Attitude der aristokratischen Moral, ist nicht am wenigsten auch an der Entstehung des letzten grossen Sklaven-Aufstandes betheiligt, welcher mit der französischen Revolution begonnen hat.



47.
Wo nur auf Erden bisher die religiöse Neurose aufgetreten ist, finden wir sie verknüpft mit drei gefährlichen Diät-Verordnungen: Einsamkeit, Fasten und geschlechtlicher Enthaltsamkeit, - doch ohne dass hier mit Sicherheit zu entscheiden wäre, was da Ursache, was Wirkung sei, und ob hier überhaupt ein Verhältniss von Ursache und Wirkung vorliege. Zum letzten Zweifel berechtigt, dass gerade zu ihren regelmässigsten Symptomen, bei wilden wie bei zahmen Völkern, auch die plötzlichste ausschweifendste Wollüstigkeit gehört, welche dann, ebenso plötzlich, in Busskrampf und Welt- und Willens-Verneinung umschlägt: beides vielleicht als maskirte Epilepsie deutbar? Aber nirgendswo sollte man sich der Deutungen mehr entschlagen: um keinen Typus herum ist bisher eine solche Fülle von Unsinn und Aberglauben aufgewachsen, keiner scheint bisher die Menschen, selbst die Philosophen, mehr interessirt zu haben, - es wäre an der Zeit, hier gerade ein Wenig kalt zu werden, Vorsicht zu lernen, besser noch: wegzusehn, wegzugehn. - Noch im Hintergrunde der letztgekommenen Philosophie, der Schopenhauerischen, steht, beinahe als das Problem an sich, dieses schauerliche Fragezeichen der religiösen Krisis und Erweckung. Wie ist Willensverneinung möglich? wie ist der Heilige möglich? - das scheint wirklich die Frage gewesen zu sein, bei der Schopenhauer zum Philosophen wurde und anfieng. Und so war es eine ächt Schopenhauerische Consequenz, dass sein überzeugtester Anhänger (vielleicht auch sein letzter, was Deutschland betrifft -), nämlich Richard Wagner, das eigne Lebenswerk gerade hier zu Ende brachte und zuletzt noch jenen furchtbaren und ewigen Typus als Kundry auf der Bühne vorführte, type vécu, und wie er leibt und lebt; zu gleicher Zeit, wo die Irrenärzte fast aller Länder Europa's einen Anlass hatten, ihn aus der Nähe zu studiren, überall, wo die religiöse Neurose - oder, wie ich es nenne, "das religiöse Wesen" - als "Heilsarmee" ihren letzten epidemischen Ausbruch und Aufzug gemacht hat. - Fragt man sich aber, was eigentlich am ganzen Phänomen des Heiligen den Menschen aller Art und Zeit, auch den Philosophen, so unbändig interessant gewesen ist: so ist es ohne allen Zweifel der ihm, anhaftende Anschein des Wunders, nämlich der unmittelbaren Aufeinanderfolge von Gegensätzen, von moralisch entgegengesetzt gewertheten Zuständen der Seele: man glaubte hier mit Händen zu greifen, dass aus einem "schlechten Menschen" mit Einem Male ein "Heiliger", ein guter Mensch werde. Die bisherige Psychologie litt an dieser Stelle Schiffbruch: sollte es nicht vornehmlich darum geschehen sein, weil sie sich unter die Herrschaft der Moral gestellt hatte, weil sie an die moralischen Werth-Gegensätze selbst glaubte, und diese Gegensätze in den Text und Thatbestand hineinsah, hineinlas, hinein deutete? - Wie? Das "Wunder" nur ein Fehler der Interpretation? Ein Mangel an Philologie?
 
Sehr interessant in diesem Zusammenhang finde ich auch die Äußerungen zum Thema unter "Religion und Biographie" Destruktive Religion,
von Andreas Studer. Man muss bestimmt nicht homosexuell sein, um die gefährlichen Über - Ich - Fixierungen zu erkennen, die bei solchen rigiden Vorstellungen entstehen.


https://www.lsbk.ch/
Destruktive Gottesbilder

Verbreitete Vorstellungen von Gott können in ihrer praktischen Konsequenz äusserst gewalttätig und zerstörerisch sein. Am eindrücklichsten zeigt das Tilman Moser in seiner schonungslosen Abrechnung mit dem Gott seiner Kindheit:

"Aber weisst du, was das Schlimmste ist, das sie mir über dich erzählt haben? Es ist die tückisch ausgestreute Überzeugung, dass du alles hörst und alles siehst und auch die geheimsten Gedanken erkennen kannst ... In der Kinderwelt sieht das dann so aus, dass man sich elend fühlt, weil du einem lauernd und ohne Pausen des Erbarmens zusiehst und zuhörst und mit Gedankenlesen beschäftigt bist ... Dein Hauptkennzeichen für mich ist Erbarmungslosigkeit. Du hattest so viel an mir verboten, dass ich nicht mehr zu lieben war. Deine Bedingungen waren zu hoch für mich ..."

Gott als 'big brother', als Auge, das alles sieht und durchschaut, den hintersten Winkel der eigenen Intimintät überwacht, - ein äusserst billiges, aber praktisches Erziehungsinstrument. Das Kind fühlt sich auch dann kontrolliert, wenn es - etwa auf dem Schulweg oder nachts im Bett - dem Blickfeld der Eltern entschwunden ist. Ein solches Gottesbild ist nicht nur entwürdigend, es behindert auch jede selbständige Entwicklung und jedes gesunde Wachstum.

Gott kann in der Vorstellung von Menschen zu einem pedantischen Gesetzesgott werden, "der alles akkurat in die Lebensrechnung einträgt, als unheimlicher Schnüffler, als moralischer Wachhund, als Weltpolizist, als Schuldnergott". (Frielingsdorf)

Oft tritt dieser 'Buchhaltergott' in Verbindung mit einem unerbittlichen strafenden Richtergott, der die Strafen für die aufgeschriebenen Schandtaten und Sünden vollzieht.

"Für so erzogene Menschen ist Christentum ein Frondienst in einem unüberschaubaren Gewirr von Verboten und Geboten, die niemals alle erfüllt werden können. Die Folge: Es bleiben immer unbezahlte Rechnungen offen für nicht erbrachten Gehorsam, übertretene Gesetze oder eigenmächtige Freiheiten."

Diese wiederum erzeugen Schuldgefühle, das Leben wird zur Qual.

Oft meint man, ein ähnlich destruktives Gottesbild finde sich im «Alten" Testament. Das ist allerdings eine gefährliche Projektion eines im Christentum verbreiteten destruktiven Gottesbildes auf das Judentum. Tatsächlich ist in biblischen Texten, gerade in den Psalmen, oft von einem richtenden Gott die Rede. Nie geht es dabei aber um willkürliche Gewalt, sondern um den Schutz derer, die Schutz brauchen. Gott in der Bibel ist der Anwalt der Elenden und Erniedrigten. Er schafft denen Recht, die sonst nie Recht bekommen, den Kleinen, welche es gegen die Mächtigen und Gewalttätigen zu schützen gilt. Der Gott der Bibel richtet, aber immer nur so, dass er den Schwachen und Unterdrückten zu ihrem Recht verhilft. Das ist nun etwas ganz anderes als die destruktive Vorstellung des Richtergottes etwa in der Erziehung.

Im biblischen Kontext hat diese Vorstellung eine äusserst befreiende Funktion, in der pseudoreligiösen Erziehung eine äusserst unterdrückende.

So ist es überhaupt gefährlich, einzelne Bilder von Gott aus einem bestimmten Kontext, in welchem dieses Bild durchaus Sinn machen kann, in eine ganz andere Situation zu übertragen. Es gibt Gottesbilder, welche für gewisse Konstellationen, etwa für bestimmte kindliche Phasen durchaus hilfreich sein können, in anderen Konstellationen, für erwachsenen Menschen etwa, dann allerdings destruktiv werden. Die Schwierigkeiten im Bereich der Gottesbilder, vielleicht das grösste Missverständnis überhaupt, ist die Vorstellung, dass ein einmal gewonnenes Bild von Gott für alle Zeiten zu gelten habe. Gerade hier ist jedoch Beweglichkeit gefordert. Gottesbilder müssen wachsen und reifen, mit den wachsenden und reifenden Menschen zusammen, sie müssen befragt und neu überprüft werden. Gottesbilder müssen immer wieder erneuert werden.
 
Als sicher interessant und empfehlenswert sehe ich in diesem Zusammenhang die Arbeiten von Helmut Hark.
Hier nur ein kleiner Ausschnitt aus "Religiöse Neurosen. Ursachen und Heilung":

Die Heilung der religiösen Neurose

{384} Die Heilung der ekklesiogenen Neurose ist ein langer Weg und ein schmerzlicher Prozess. Die oft schon jahrelang angestauten und verdrängten Schwierigkeiten können verständlicherweise nicht in kürzester Frist therapeutisch behoben werden. Es gibt jedoch therapeutische Erfahrungen von allgemeiner Bedeutung, die es jedermann ermöglichen, sich mit seinen Problemen auseinander zu setzen und Wege zur Heilung zu suchen.

{385} Ein erster Schritt zur Lösung ist, wie bei jedem neurotischen Leiden, die Bewusstmachung derselben. Wer ein Problem klar erkennt und weiß, worunter er leidet, kann am ehesten diese Schwierigkeiten angehen. Wer seine Schmerzen in Worte kleiden kann, ist ihnen nicht mehr so schutzlos ausgeliefert. Um keine Illusionen zu wecken, sei von vornherein aber auch gesagt, dass ein einmaliges oder mehrmaliges Zur-Sprache-Bringen in der Regel noch keine Lösung bewirkt. Die Wunden, die zutiefst unser Leben und unser seelisches Erleben beeinträchtigen, uns sozusagen in Fleisch und Blut übergegangen sind, können nur langsam und mühsam geschlossen werden. Was bisher allgemein über den Umgang mit psychoneurotischen Schwierigkeiten gesagt worden ist, gilt insbesondere auch für die religiösen Neurosen. Ja es muss gesagt werden, dass diese Schwierigkeiten vielleicht besonders mühsam zu beheben sind. Ist es schon schwer, für irdische Probleme eine Lösung zu finden, so dürfte es verständlich sein, dass für himmlische und religiöse Dinge umso schwerer menschliche Lösungen zu finden sind.

{386} Da die religiöse Neurose das traurige Ergebnis einer Auseinandersetzung zwischen der triebhaften und der geistigen Lebenssphäre ist, ist das Problem zunächst »zurückzuspulen«. Dieses Bild will sagen, dass die geistige Not im seelischen Schmerz und im körperlichen Empfinden wahrgenommen werden muss. Da nun Menschen mit einer religiösen Neurose gerade diesem körperlichen Bereich und dem seelischen Erleben dadurch auswichen, dass sie sich unbewusst in den religiösen Bereich flüchteten und schließlich daran erkrankten, dürfte es verständlich sein, dass man nur mit großen Ängsten dahin zurückkehrt, von wo man geflohen ist. Aus Erfahrung muss leider auch gesagt werden, dass manche Menschen lieber in ihren psychoneurotischen Schwierigkeiten oder in ihrer religiösen Neurose verharren, als sich den Notwendigkeiten des Lebens zu stellen und sich damit auseinanderzusetzen. Die Freiheit und die Achtung der Würde eines jeden Menschen gebieten es, auch solche fragwürdigen Entscheidungen zu akzeptieren. Ein weiterer Schritt zur Heilung ist die Erprobung der neuen Einsichten im Leben. Neue Einsichten und Erkenntnisse wollen im Leben realisiert werden. Dabei sollte man sich vor allzu großen Schritten und vor zu großen Erwartungen hüten. Der Ausweg aus den Schwierigkeiten gelingt am ehesten in kleinen und kleinsten Schritten. So mancher gibt den Kampf mit der Neurose deswegen auf, weil die Schritte einfach zu groß und zunächst nicht zu schaffen waren. Dies führt verständlicherweise zu Enttäuschungen und zu Entmutigungen.


www.opus-magnum.de/hark/neurose/html/hark_neurose_06.html

Herzliche Grüße von Leòn
 
So, nach der vielen Beschäftigung mit Neurosen, nun mal eine alte:

Die 'Gloire de Dijon':
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Grüße von Leòn
 
Und hier noch ein hochinteressanter Artikel über den New Yorker Spezialisten für religiöse Zwangsneurosen, Dr. Steven J. Brodsky:

Wenn Beten zur
Sucht wird


Die Angst überfiel den 36jährigen Joshua Fleming* unerwartet. Mitten im Widdui – das Sündenbekenntnis an Yom Kippur – packte sie ihn. Er stockte. Vielleicht hatte er ein Wort vergessen, ein Wort, das plötzlich ungeheuer wichtig zu sein schien. Seine Stirn begann zu glänzen, während Fleming vor seinem inneren Auge sah, wie die Strafe Gottes über ihn hereinbrach. Seine Frau Noemi und ihr gemeinsamer Sohn Levin würden sterben. Fleming begann zu zittern. „Nochmals von vorne beginnen“, schoß es ihm durch den Kopf, und er sagte das Gebet langsam und mit geschlossenen Augen nochmals auf. Die Angst ließ nicht nach. Wort für Wort betete er wieder und wieder das Widdui. Joshua Fleming verließ als letzter die Synagoge.
„Jeder kennt ab und zu kurze Momente einer unbestimmten Angst, es könne ein Unheil über einen hereinbrechen. Vielleicht sieht man das Bild eines geliebten Menschen vor sich. Die meisten Menschen werden für einen Moment schaudern, und dann vergeht dieses Gefühl wieder“, sagt Steven J. Brodsky (41). Er ist orthodoxer Jude und arbeitet seit 16 Jahren als Psychologe im Center of Cognitive Therapy in New York. Sein Spezialgebiet sind religiöse Neurosen. In den letzten drei Jahren behandelte er rund 50 Patienten mit derartigen Problemen. Für Brodsky gehören diese Fälle zur Gruppe der Zwangsneurotiker (OCD – obsessive-compulsive disease) „Eine solche Person entwickelt eine gesteigerte Angst. Sie glaubt, mit einer bestimmten Handlung – sorgfältiges Beten oder bei einer anderen Neurose das Waschen der Hände – der Angst entgegenwirken, sie abschütteln zu können. Doch das Gegenteil tritt ein. Die Handlung unterstützt, ja verstärkt sogar die Angst. Die Person gerät in einen Teufelskreis, denn je stärker sie versucht, die Angst zu bezwingen, desto fruchtbarer wird der Boden, auf dem sie wächst. Die Neurose wird zu einer Psychose. OCD entsteht nicht über Nacht, sondern beginnt schleichend.“
Ein paar Tage später kündigt Joshua Fleming seine Stelle im Familienunternehmen. Das Leben ist zu kurz, er glaubt, seine Zeit nicht vergeuden zu dürfen. Zu Hause vertieft er sich in das Studium der Torah. Mit seiner Frau und seinem zweijährigen Sohn Levin spricht er nur noch selten. Die paar Stunden am Tag für sein Studium reichen nicht mehr aus. Er muß sich ganz auf die Schrift konzentrieren, sonst mag ihm eine wichtige Stelle entgehen. Und dann würde Schreckliches über ihn und seine Familie kommen. Bald findet Fleming in der Nacht keinen Schlaf mehr.
Die Amerikanische Psychologische Vereinigung schätzt, daß etwa zwei Personen von hundert unter zwanghaften Gedanken leiden, die sie nicht kontrollieren können. An Schizophrenie erkrankt sind etwa ein Prozent. 15 Prozent der Bevölkerung haben laut Brodsky psychische Krankheiten. Von diesen 15 Prozent suchen 5 Prozent Hilfe. Davon wiederum lassen sich nur ein Fünftel bei einem professionellen Psychologen oder Psychiater behandeln – ein verschwindend kleiner Anteil. Was den Ursprung von OCD betrifft, ergaben jüngste Studien, daß Familienstrukturen wenig mit der Entstehung der Krankheit zu tun haben, sondern daß es sich eher um ein chemisches Ungleichgewicht im Gehirn handelt.

Ständiges Kontrollieren
der Yarmulka

„Der Patient kann seine zwanghaften Handlungen nicht mehr stoppen“ – so Brodsky. „Es ist ihm zwar peinlich, doch er kann den Zwang nicht unterbrechen. Ein solcher Zwang kann zum Beispiel sein, den Sitz seiner Yarmulka ständig zu kontrollieren. OCD tritt in verschiedenen Variationen auf, die Handlung ist unterschiedlich. Eines bleibt sich jedoch gleich: Die Handlung untersteht einem übertriebenen Wiederholungszwang. Vielleicht sucht der Patient den Kontakt mit dem Rabbi oder seinem Priester. Seine Reaktion ist für den weiteren Verlauf der Krankheit entscheidend.“ Je früher der Rabbi erkennt, woran der Fragende tatsächlich leidet, desto größer die Chancen, aus der Logik der Zwangsneurose zu entkommen. Anhaltspunkte für OCD kann auch sein: Daß der Gläubige triviale Fragen stellt, Fragen, die jeder religiöse Mensch selber beantworten können sollte. Brodsky empfiehlt, die Person direkt anzusprechen und zu fragen, ob es wirklich um die Sache geht oder ob sie sich vielleicht in etwas hineinsteigert. Gibt der Ratsuchende zu, daß er seine Handlungen nicht mehr kontrollieren kann, ist der erste Schritt aus der Neurose getan.
Ein anderes deutliches Zeichen für OCD ist für Brodsky, daß sich der Gläubige auch nach zahlreichen Gesprächen in keiner Weise beruhigt. Werden die Fragen immer dringlicher, auch nach zahlreichen Versuchen, Antworten zu geben, so sind das klare Signale. Der Rabbi soll sich, wenn möglich, nicht hineinziehen lassen. Sobald er versucht, die Person zu beschwichtigen, glaubt sie, ihre Zweifel seien berechtigt. Sie gerät tiefer hinein. Auf der anderen Seite darf sie der Rabbi aber auch nicht aufgeben und alleine lassen. Von ihm abgewiesen, wird sie sich noch mehr schämen und in Zukunft vermeiden, über ihr Problem zu sprechen. Ratschläge wie „Hör doch auf damit!“ sind nutzlos, der Patient braucht ärtzliche Betreuung, um aus der Neurose oder gar Psychose herauszufinden. Oft verliert der Patient seine Arbeit und seine Beziehungen und isoliert sich so vollständig. Manchmal sehen die Patienten in ihrer Verzweiflung nur noch den Selbstmord als Ausweg.
Debra Wyler, eine 33jährige Patientin, kam zu Brodsky mit der Angst, in der Synagoge plötzlich Blasphemien auszurufen. Aus lauter Furcht, daß ihre Visionen Wirklichkeit werden könnten, vermied sie es, in den Gottesdienst zu gehen, religiöse Menschen zu sehen. Auch die alltäglichen Busfahrten wurden für sie zur Qual, da ab und zu orthodoxe Juden einstiegen.

OCD-Patienten sind
keine Gefahr für ihr Umfeld

Debra Wyler befiel zusätzlich die Angst, daß sie Menschen angreifen und töten könnte. Sie entfernte zu Hause alle Messer und andere möglicherweise gefährliche Gegenstände. „Menschen mit OCD sind für die Mitmenschen keine Gefahr. Im Gegenteil“, sagt Steven Brodsky. „Der Patient weiß um seine Ängste und reagiert nicht unkontrolliert. Das Problem ist, daß er seine zwanghaften Handlungen nicht stoppen kann. Tritt OCD aber mit anderen Krankheiten – wie Schizophrenie oder manisch-depressiven Zuständen – auf, so ist Vorsicht geboten. Solche Kombinationen können gefährlich werden.“ Seit Debra Wyler 13 Jahre alt war, hatte sie OCD. Nur wußte das niemand. Zahlreiche Therapien halfen ihr nicht, sie nahm verschiedene Medikamente, doch so bald sie sie absetzte, kamen auch ihre Ängste zurück. Schließlich begann sie eine Therapie bei Steven Brodsky. „In vielen Fällen kann die Krankheit ohne Medikamente behandelt werden“, sagt Brodsky, der sich in diesem Feld spezialisierte, da sein erster Patient, ein orthodoxer Jude, OCD hatte. „In der Therapie lernt der Patient, seiner Angst nicht auszuweichen, sondern sie zu spüren, sie zuzulassen, auszuhalten und mit ihr umzugehen.“ Am Anfang hatte Debra Wyler sogar Angst davor, eine religiöse Schrift in ihren Händen zu halten. Da aber ihre Befürchtungen nicht eintraten, nahm ihre Angst kontinuierlich ab. Sie durfte bestimmen, wann für sie der richtige Zeitpunkt gekommen war, den nächsten Schritt zu nehmen. In ihrem Fall waren dies Busfahrten, Linien in Manhattan, wo ständig orthodoxe Juden zu- oder ausstiegen. In den zahlreichen Sitzungen lernte Debra Wyler ihre Ängste nach und nach abzubauen und ihre zwanghaften Handlungen, wie exzessives Beten, aufzugeben. Nach ihrer Therapie wurde Debra Wyler schwanger, ein wichtiger und langersehnter Wunsch ging in Erfüllung.
Joshua Fleming befindet sich seit einem Monat in Behandlung von Steven Brodsky. Sein Vater las einen Artikel über OCD und bewegte Fleming, unterstützt von dessen Frau Noemi, zur Therapie. Seine Heilung geht langsam voran. Im Moment sieht er, woran er leidet und versucht in den Sitzungen, seine Ängste auszuhalten. Den kleinen Raum verläßt er jedes Fall mit einem niedrigeren Angstpegel. Bis er zurück zur Arbeit geht, wird es noch eine Weile dauern. Brodsky: „Ein normaler gesunder religiöser Mensch erlebt seinen Glauben als bereichernd und erfüllend. Der Glaube enthält eine Schönheit und etwas Positives, das es zu entdecken gilt.“


Daniela Huwyler


Dr. Steven J. Brodsky praktiziert am Center for Cognitive-Behavioral Psychotherapie, 137 East 36th Street. Telefon: 718 604 6673. Weitere Informationen zu OCD: www.nimh.nih.gov/publicat/ocd.htm
* Die Namen aller Patienten wurden von der Redaktion geändert.
 
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