Herbst-Gedichte

Herbst

Nebelland
Im Winter ist meine Geliebte
unter den Tieren des Waldes.
Daß ich vor Morgen zurückmuß,
weiß die Füchsin und lacht.
Wie die Wolken erzittern! Und mir
auf den Schneekragen fällt
eine Lage von brüchigem Eis.

Im Winter ist meine Geliebte
ein Baum unter Bäumen und lädt
die glückverlassenen Krähen
ein in ihr schönes Geäst. Sie weiß,
daß der Wind, wenn es dämmert,
ihr starres, mit Reif besetztes
Abendkleid hebt und mich heimjagt.

Im Winter ist meine Geliebte
unter den Fischen und stumm.
Hörig den Wassern, die der Strich
ihrer Flossen von innen bewegt,
steh ich am Ufer und seh,
bis mich Schollen vertreiben,
wie sie taucht und sich wendet.

Und wieder vom Jagdruf des Vogels
getroffen, der seine Schwingen
über mir steift, stürz ich
auf offenem Feld: sie entfiedert
die Hühner und wirft mir ein weißes
Schlüsselbein zu. Ich nehm’s um den Hals
und geh fort durch den bitteren Flaum.

Treulos ist meine Geliebte,
ich weiß, sie schwebt manchmal
auf hohen Schuh’n nach der Stadt,
sie küßt in den Bars mit der Strohhalm
die Gläser tief auf den Mund,
und es kommen ihr Worte für alle.
Doch diese Sprache verstehe ich nicht.

Nebelland hab ich gesehen,
Nebelherz hab ich gegessen.



Ingeborg Bachmann (1926-1973)

 
Herbst

Du warst ja vielleicht fleißig, Leòn ...
******************************************


papagei3.7ab.gif

Vom STil her müßte das die Friederike Kempner sein. -

Uta

Hallo Uta,

ich gratuliere Dir und überreiche Dir hiermit den
schwan1.6qo.gif
[ silbernen Schwan am Band!
:)))
Herzliche Grüße von

Leòn
 
Herbst

... Da wird mir ja ganz schwanenseeartig zumute oder doch eher nach Lohengrin? www.operas-colon.com.ar/imagenes/program/79-lohengrin.jpg
Auf jeden Fall bedanke ich mich herzlich....
danke.jpg
 
Herbst

Im deutschen November

Dies ist der Herbst: der bricht dir noch das Herz!
Fliege fort! Fliege fort!
Die Sonne schleicht zum Berg
Und steigt und steigt
Und ruht bei jedem Schritt.

Was ward die Welt so welk!
Auf müd gespannten Fäden spielt
Der Wind sein Lied.
Die Hoffnung floh
Er klagt ihr nach.

Dies ist der Herbst: der bricht dir noch das Herz!
Fliege fort! Fliege fort!
Oh Frucht des Baums,
Du zitterst, fällst?
Welch ein Geheimnis lehrte dich
Die Nacht,
Dass eis'ger Schauder deine Wange,
Die purpur-Wange deckt?

Du schweigst, antwortest nicht?
Wer redet noch?

Dies ist der Herbst: der bricht dir noch das Herz!
Fliege fort! Fliege fort!
"Ich bin nicht schön"
- So spricht die Sternenblume
"Doch Menschen lieb' ich
Und Menschen tröst' ich
Sie sollen jetzt noch Blumen seh'n,
Nach mir sich bücken
Ach! und mich brechen -
In ihrem Auge glänzet dann
Erinnerung auf,
Erinnerung an Schöneres als ich:
- Ich seh's, ich seh's - und sterbe so."

Dies ist der Herbst: der bricht dir noch das Herz!
Fliege fort! Fliege fort!

(Friedrich Nietzsche)

IMG_0746ba.jpg
 
Herbst


Zeilenbruch und Wortsalat www.medienschule.ch/2004/ines/bilder/teller.jpg
von Roman Ritter

Es gab Zeiten, in denen man meinte, ein Gedicht sei das, was sich reimt. Es gab Zeiten, in denen man meinte, ein Gedicht sei das, was unverstanden bleiben muss. Heute weiß man: Ein Gedicht ist das, was die Zeilen bricht. Moment mal- warum eigentlich die perlenden Einfälle vor die Prosa werfen?

Es gab Zeiten,
in denen man meinte,
ein Gedicht sei das,
was sich reimt.

Es gab Zeiten,
in denen man meinte,
ein Gedicht sei das,
was unverstanden bleiben muss.

Heute
weiß man:
Ein Gedicht ist das,
was die Zeilen bricht.

https://www.antikoerperchen.de/dateien/roman_ritter-zeilenbruch_und_wortsalat.php
 
Herbst

Ein Knabe der mir von Herbst und Abend sang II

von Stefan George

Ihr kündigtet dem Gott von einst die liebe –

Nun zeigt er sich mit rachevoller braue:

Ihr nanntet joch mein kostbares gesetz

Ihr lasst mein haus zu beugungen zu stolz.

Neigt ihr euch jezt nicht schmählicherem dienste?

Ermattet er nicht die gewundnen arme

Mehr als die klanges-kette die ihr bracht?

Ruft ihr nach gnade nicht und wacht und weint?

Ja wie wir einst voll demut und verlangen

Uns zu des Heilands blutigen füssen bückten

So knien wir huldigend dem neuen Gott

Und zittern und verzückung wie zuvor

Erhöhen uns doch andere mitgefühle

Verzehrender und weniger verzichtend

Wenn schweres licht des beter-abends sinkt

In gold und purpurscheiben unsres doms.
 
Herbst

Herbst.

von Hermann Conradi

Der frischgedüngte Acker stinkt herüber,
Braunrotes Laub nickt über die Stackete,

Die letzten Astern kümmern auf dem Beete –
Und täglich wird der Himmel trüb und trüber.

Aus der Spelunke jagte mich das Fieber
Und warf auf meine Backen grelle Röte.


Wie sie heut' wieder brünstig küßte, flehte:
Ich möchte wiederkommen! Viel, viel lieber

Sei ihr die Nacht! . . . Denn wär' der Tag zu Rüste,
Dann sprängen heißer all die süßen Lüste
Und süßer sei das Indenarmenliegen! . . .

Der frischgedüngte Acker stinkt empörend, –
Doch ist sein Stunk nicht gerade unbelehrend:
Nur wer das Leben überstinkt, wird siegen!


Acker_1.jpg
 
Herbst

. images.google.de/images?q=tbn:9ILtm2b0PS9BwM:http:
Es ist ein stiller Regentag,
So weich, so ernst, und doch so klar,
Wo durch den Dämmer brechen mag
Die Sonne weiß und sonderbar.

Ein wunderliches Zwielicht spielt
Beschaulich über Berg und Thal;
Natur, halb warm und halb verkühlt,
Sie lächelt noch und weint zumal.

Die Hoffnung, das Verlorensein
Sind gleicher Stärke in mir wach;
Die Lebenslust, die Todespein,
Sie ziehn auf meinem Herzen Schach.

Ich aber, mein bewußtes Ich,
Beschau' das Spiel in stiller Ruh,
Und meine Seele rüstet sich
Zum Kampfe mit dem Schicksal zu.



Gottfried Keller
 
Herbst

Herbstgedanken

von Irene Mitterer


Der Sommer warf den letzten Gruß
in meinen alten Garten.
Die Vögel sammeln sich bereits
zu ihren großen Fahrten.

Das Gras wird gelb, die Rosen braun
die Sonne scheint schon milder,
der Tag wird kurz, die Nächte lang
der Herbst malt bunte Bilder.

Auch in den Menschen wird es ruhig
die heißen Tage zehrten
Jetzt wird das Heim herausgeputzt
Es geht zu and’ren Werten.

Die Bücher stapeln sich im Schrank,
die dicken Pullis auch,
Holz wird jetzt hereingeholt
Tee wärmt unsern Bauch.

Die Freunde kehren auch zurück
aus ihren Urlaubsorten
man trifft sich oft auf einen Plausch
trinkt Kaffee und isst Torten.

So hat halt jede Jahreszeit
einen besond’ren Reiz
und kaum sieht man sich zweimal um,
heißt es schon: Seht, jetzt schneit’s!


 
Herbst

Herbstgedanken

von Bruno Ertler


Einst war es so schön und so duftig drauß',
es klang und sang über Berg und Tal
von Glück ohne Reue, von Lieb' ohne Qual
und die Welt war ein farbiger Hochzeitstrauß,
da gaukelte Mücke und Schmetterling,
und an jeder Blume ein Käfer hing,
glitzgoldig und blitzeblau
und trank sich rauschig am Tau.

Wie war der Morgen so rein und reich
und der Tag so warm und der Abend so weich
und die Nacht so tief und schwer,
samtdunkel und sternenhehr.
Im weinlaubwuchernden Gartenhaus
das Windlicht löschte ein Schwärmer aus
und starb mit dem zuckenden Schein. –
Wir blieben lange allein. – –

Die Sonne kehrte zum Vater zurück,
Die Nebel trauern um Licht und Glück,
es fallen die Blätter fieberrot,
und die Blume ist welk und der Käfer tot –
Der Sterbewind stöhnt aus dem Norden – –

Wie ist das alles geworden?




Bruno Ertler:https://gutenberg.spiegel.de/autoren/ertler.htm
Geboren am 29.01.1889 in Pernitz (Niederösterreich); gestorben am 10.12.1927 in Graz.

Ertler studierte Kunstgeschichte und Germanistik in Graz. Dort arbeitete er auch als Journalist, Redakteur und Schriftsteller.
 
Herbst

Abend

von Otto Ernst


Lehnst an meine Schulter du

Sanft dein Haupt mit Schweigen,

Spiel ich dir ein altes Lied

Auf der alten Geigen.

Und die Seele, mild gerührt

Ob dem süßen Klingen,

Fliegt zum hellen Abendrot

Auf der Hoffnung Schwingen.

Und im Auge dir und mir

Glänzt die stille Frage:

Bleiben Lieb’ und Seligkeit

Bei uns alle Tage?

Wenn die Rosen sind verblüht,

Wenn die Saiten sprangen,

Wird ob unserm Haupte dann

So der Himmel prangen? –

Stumm noch lauschst du meinem Lied,

Ob ich schon geendet;

In die Weite traumeshell

Ist dein Blick gewendet.


 
Herbst

Am 16.11. schreibt Wolfgang Amadeus Mozart an seinen Vater:

16. November 1771

Ascanio verleiht Flügel (https://www.impresario.ch/synopsis/synmozasc.htm)
Beflügelt vom Erfolg des "Ascanio in Alba" in Mailand schmiedet Leopold Mozart neue Pläne. Davon muss er natürlich seiner Frau in Salzburg berichten.


16. November 1771

Der Kopf ist mir voll, und ich hab mehr zu überdenken, als ihr euch einbilden könnt. Daß die Serenata ungemeinen Beyfall gehabt, hat seine Richtigkeit. Ob aber, wenn eine Besoldung ledig wird, Seiner Hochfürstliche Gnaden sich des Wolfgang erinnern wird, zweifle sehr. – – Nun muß ich schlüssen, denn ich habe noch einen Brief nach Verona zu schreiben. Deine Brief schicke nur itzt nach Verona an Signor Pietro Luggiati dieser wird mir solche zustellen. Lebt wohl, wir küssen euch beyde 10 000 000 000 mahl und bin dein alter
Mozart.
https://mozart.ard.de/brandauer/briefe/?t=11&id=332&s=10

Seit Anfang dieses Jahres wird in Bayern4Klassik jeden Tag ein Mozart-Brief von Klaus Maria Brandauer gelesen.

Uta
 
Herbst

Ich schätze ihn auch, vor allem mag ich seinen we-ichen österreichischen Tonfall.
Hier allerdings klang er anders:
mephisto.jpg


Eigentlich müßtest Du ihn auch hören können:
Alle Sendetermine im Überblick
Brandauer liest Mozart: Im Mozartjahr 2006 senden die Kulturradios der ARD und das Schweizer Radio DRS 2 täglich einen ausgewählten Brief aus der Reihe. Das bedeutet: 365 Briefe an 365 Tagen. Die Sendetermine im Überblick:
Bayern4Klassik:
täglich 8:30 Uhr und 12:30 Uhr
Bremen4:
einmal täglich
hr2 kultur
Mo.-Sa.: 8:20 Uhr, 13:05 Uhr, 23:55 Uhr So.: 9:45 Uhr, 13:50 Uhr und 23:55 Uhr
MDR FIGARO
Mo.-Fr.: 8:50 Uhr und 16:45 Uhr Sa.: 8:50 Uhr und 11:35 Uhr So.: 7:50 Uhr und 11:35 Uhr
MDR 1 RADIO SACHSEN
montags: 20:00 bis 23:00, Wiederholung einer Auswahl von Briefen
NDR Kultur
Mo.-So.: 10:45 Uhr Mo.-Fr.: 23:00 Uhr
Nordwestradio
täglich zwischen 10:05 Uhr und 12:00 Uhr sowie 14:00 Uhr und 16:00 Uhr
kulturradio/RBB
Mo.-Fr.: 9:30 Uhr, 13:15 Uhr, 17:55 Uhr Sa.: 6:15 Uhr, 12:05 Uhr, 16:50 Uhr, 22:50 Uhr So.: 6:04 Uhr, 12:04 Uhr, 22:50 Uhr
SR2 KulturRadio
täglich zwischen 6:10 Uhr und 9:00 Uhr sowie täglich um 16:15
Schweizer Radio DRS 2
Mo.-Sa.: 7:00 Uhr und 8:15 Uhr So./feiertags: 7:30 Uhr sonntags: 13:45 bis 15:00 Zusammenfassung
SWR2
Mo.-So.: 7:20 Uhr Mo.-Fr.: 17:50 Uhr Sa.: 16:50 Uhr So.: 18:20 Uhr
WDR3
täglich 7:30 Uhr und 13:15 Uhr
Brandauer mit Mozart-Briefen auf Tournee
Außerdem geht Klaus Maria Brandauer mit den Mozartbriefen auf Tournee: Am 22.01. im Staatstheater Oldenburg, am 15.5. in der Alten Oper Frankfurt a.M., am 19.5. in der Oper Nürnberg, am 22.5. im Gewandhaus in Leipzig, am 31.8. beim Menuhin Festival in Gstaad, am 2.11. im Hegelsaal Stuttgart, am 3.11. im Konzerthaus Freiburg und am 15.11. im Konzerthaus Berlin.
https://www.mozart.ard.de/brandauer/sendetermine/?x=1&s=1

Grüsse,
Uta
 
Herbst

Hi Uta,

herzlichen Dank für den Überblick!
Ja, tatsächlich, davon kann ich wohl zwei Sender empfangen!

Mein Lieblingsfilm mit Brandauer ist
www.filmbesprechungen.de/cover/B00004RO47.jpg


Herzliche Grüße von

Leòn
 
Herbst

Meiner auch. Und trotzdem finde ich immer noch die Verfilmung mit Gründgens besser!
www.volksschauspieler.de/G__Grundgens/Mephisto2.jpg

Uta
 
Herbst

ohne vorwarnung

von Gerda Jäger

gefällte baumriesen
nachtschwarz
auf dem schnee
ein paar harztränen
und heimatlose vögel


holzein2.jpg
 
Herbst

Du hast Recht, Leòn ...
+++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++
Ist zwar nicht zum Herbst in der Natur , aber doch vielleicht zum Herbst des Lebens:


Mihály Csokonai Vitéz


Monolog der alten Jungfer www.c20th.com/pics/gsd56s.jpg www.c20th.com/GSother.htm

AUS DEM KOMISCHEN EPOS DOROTHEA
ODER TRIUMPH DER DAMEN IM KARNEVAL

Himmel, wurd ich etwa deshalb nur geboren,
daß in meinem Leben mich kein Mann erkoren?
Warum ließet ihr mich sechzig Jahre werden,
ohne eine schlechte Haube hier auf Erden?
Lang genug hab ich gewartet, ungelogen,
warum werd ich um des Wartens Lohn betrogen?
Ging im guten Glauben stets zur Adventsfeier,
daß sich bei mir melde irgendwann ein Freier,
ging zum Fasching stets mit hoffnungsfroher Seele,
daß die Jungfernschaft mich endlich nicht mehr quäle.
Doch was nützte es, denn ohne Ruh und Rasten
kam die Fastnacht schon, und ich muß weiter fasten.
Womit hab ich so etwas verdient, ihr Geister?
Weiß doch um den Weg, es fehlt mir nur der Meister.
Würde nicht auf Herkunft, Geld noch Geist bestehen,
noch auf Schönheit, wäre nur ein Mann zu sehen!
Wer's auch immer sei, ich nähm ihn bei den Händen,
meine Jungfernschaft nun endlich zu beenden.
Würd er nur mir eine schlechte Haube geben,
gerne würd ich ihn zu meinem Herrn erheben,
ach, ich würde immer ihn auf Händen tragen,
wollt er mir den Jungfernkranz vom Kopfe schlagen.
Doch umsonst. S'ist keiner zu Verstand gekommen.
Närrisch sind sie alle, die mich nicht genommen.
Jedem hielt ich gern mein offnes Herz entgegen,
weiß der Himmel, es hat nicht an mir gelegen.
Hab die Welt mir angesehn an vielen Stellen,
und an allen Ecken gab es Junggesellen.
Warum muß ich mich im Überfluß beschränken,
mich wie Tantalus vor vollen Schüsseln kränken?
Dafür, daß ich Frau bin, scheint man mich zu strafen.
Wofür sind die Männer überhaupt erschaffen?
Wär ich keine Frau - wenns keine Männer gäbe,
wär nicht Bitternis mein Los, solang ich lebe.
Doch verzehr ich nun als Greisin meine Tage,
mit dem Lauf der Jahre wächst auch meine Plage.
Einsam, trübe welkt mein Leben hin, ich glaube
eines Tags begräbt die Zeit mich ohne Haube,
werde wohl als Jungfrau in die Grube fahren,
mach mich noch im heilgen Paradies zum Narren,
denn dort werd ich ganz bestimmt vor Scham verbrennen,
wenn mich dort die Toten "Alte Jungfer" nennen,
da schon jetzt und hier, in dieser kleinen Runde
Schimpf und Schande muß ich fürchten jede Stunde.
Weder Tanz noch Spiel gab es für mich, ich wette,
ohne daß mich blanker Hohn getroffen hätte.
Soll es wirklich denn so bleiben, bis ich sterbe,
daß statt Liebe ich nur Schande mir erwerbe?
Nein, o nein, ich werde mich an denen rächen,
die so derb zu scherzen sich mit mir erfrechen.
Seht, daß ich trotz meines Alters mich nicht schäme
und mir mit Gewalt noch einen Jüngling nehme.
Still, nur still, ich weiß, du Arme, dich betrübt es,
bist ein Mädchen nur, doch wieviel Burschen gibt es?
Besser, Dorothea, ist's, sich abzufinden,
wirst vergeblich nur die alte Haut dir schinden,
wirst in diesem Leben keinen Mann mehr kriegen,
aber sollte dennoch einer bei dir liegen,
sag, was würde diese kleine Wonne wert sein?
Willst du auf dem Totenbette noch begehrt sein?
Was versuchst du, und was soll das alles nützen?
Bleibst doch sowieso als alte Jungfer sitzen.
Soll daraus nichts werden? Oh, ihr werdet sehen!
Fort aus meinem Kopf, ihr mutlosen Ideen!
Rache denen, die mich stets zu kränken suchten,
mich so oft verhöhnten, diese Gottverfluchten!
Nicht nur mich, auch andre Mädchen in der Runde,
Martha und Rebecca oder Adelgunde.
Dieses Pfänderspiel, der reinste Spott vor so viel Zeugen,
soll ich denn zu dieser langen Liste schweigen?
Ha, ich stürme los, ich kann nicht ruhig sitzen,
Tanz und Frohsinn will ich auseinanderspritzen.
In den Boden stampf ich sie mit meiner Zunge,
bin für meine Ehre immer auf dem Sprunge.
Und speziell den Fasching - weil ich tausend Gründe,
ihm die Schuld für alles zuzuschieben finde -
stampf ich nieder, keinem soll er etwas taugen,
reiß ihm aus die Haare, kratz ihm aus die Augen.
Doch damit sich viele noch mehr schämen sollen,
werd ich jede Jungfrau mir zu Hilfe holen,
gegen euch aufhetzen werd ich alle jene,
Ursula, Rebecca, Martha, Magdalene,
auch die längst entjungfert ohne Männer leben,
werden auf mein Bitten keinen Korb mir geben.
Ja, das kann ich wohl in ihren Augen lesen,
ihre Haare sträuben sich bereits wie Besen.
So verbündet gegen jeden, der uns narrte:
Warte Fasching, warte, Mädchenquäler, warte!

ANNEMARIE BOSTROEM (Übersetzung)



https://tinyurl.com/yhbyes
 
Herbst

Altwerden

All der Tand, den Jugend schätzt,
Auch von mir ward er verehrt,
Locken, Schlipse, Helm und Schwert,
Und die Weiblein nicht zuletzt.

Aber nun erst seh ich klar,
Da für mich, den alten Knaben,
Nichts von allem mehr zu haben,
Aber nun erst seh ich klar,
Wie dies Streben weise war.

Zwar vergehen Band und Locken
Und der ganze Zauber bald;
Aber was ich sonst gewonnen,
Weisheit, Tugend, warme Socken,
Ach, auch das ist bald zerronnen,
Und auf Erden wird es kalt.

Herrlich ist für alte Leute
Ofen und Burgunder rot
Und zuletzt ein sanfter Tod -
Aber später, noch nicht heute.

(Hermann Hesse)

IMG_1224ch1.jpg
 
Oben