Guten Morgen, Sunny,
(auch wenn's hier grad ziemlich grau ist) -
wovon Du schreibst - Tod - ist neben Liebe DAS Grundthema des Menschen. Seit vielen Jahrtausenden. So sehr, daß manche den Menschen sogar definiert haben als das Wesen, das von seinem Tod weiß. Kinder erkennen mit vier erschüttert, "daß alle Menschen sterben müssen." Immer schon haben Menschen versucht, Tod zu bewältigen, wie man archäologisch rekonstruieren kann. Der größte Teil der Dichtung redet von nichts anderem. In manchen Traditionen wird empfohlen, täglich den Tod zu kontemplieren. Du bist schon realistisch und SIEHST Deinen Tod auf Dich zukommen. Das ist heutzutage ungewöhnlich. Es erfordert ziemlich viel Mut. Und dann auch noch offen darüber zu schreiben, wie Du es tust. (Deinen ersten Satz "Leider bin ich es schon wieder", halte ich für unnötig. Schreib doch bitte in Zukunft: "Hallo, freut euch: ich bin's.")
Seit gut 200 Jahren erfinden Menschen immer mehr Tricks, Tod aus dem Bewußtsein zu eliminieren. Viele lachen über Dich, wie Du schreibst. (Hör mal genau hin, wie dies Lachen klingt.) Es gibt hochentwickelte, letztlich hilflose Ideologien, die den Tod verdrängen. Eine kleine Auswahl findest Du in diesem Thread: Reifer Werden (als ob das von selber ginge), Genießen (angesichts des Todes? na ja ...), im Jetzt Sein (als ob man das einfach könnte), Weiterleben nach dem Tod (woher wissen wir das?), sich dran Gewöhnen (= Abstumpfen?). Dann die "Psychologie": woher Deine Angst komme? Damit wird Deine Angst hinterrücks pathologisiert - während sie doch realistisch ist. Am Ende wird Dir vielleicht ein Postraumatisches Streßsyndrom angedichtet und man schickt Dich zu Psychotherapeuten (die genauso ratlos sind). Alles Symptombekämpfung. Dabei verbirgt sich Todesangst überall. Auch z.B. in unserer Besorgnis über allerlei kleine Wehwehchen.
Nun, wir müssen das Rad nicht neu erfinden. Zunächst: Angst können wir immer wieder neu überwinden, indem wir ihr gerade nicht ausweichen, sondern uns ihr direkt stellen, sie (auch körperlich) spüren, so intensiv wie möglich. Das gilt für alle Gefühle. Man kann's lernen; lies Eugen Gendlin. "Focusing. Technik der Selbsthilfe bei der Lösung persönlicher Probleme", 1981. Und mach, was er beschreibt. -- Dann: Tu was für andere. Unzähligen geht's viel dreckiger als Dir. Du und Dein Tod, das ist nicht der Nabel der Welt. Kleinigkeiten sind immer möglich. Feiere Deinen Geburtstag nach - einfach um Deinen Gästen Freude zu machen, egal wie Du Dich fühlst. Ruf jemanden an, der einsam ist. Werde freie Mitarbeiterin in einem Hospiz. Schließ Dich Gruppen, Organisationen usw. an, die tatsächlich was tun, was Dir einleuchtet. Vermutlich hast Du noch ein paar Jahre oder Jahrzehnte. Denen kannst Du Sinn verleihen - oder eben nicht. (Die Angst steigt, wenn wir das versäumen.) Sinn liegt immer im Handeln für andere. (Aber versprich Dir nichts davon, auch keine Anerkennung; das ist nicht der Punkt.) Lies Irmtraud Tarr: "Leben macht Sinn", 2010.
Schließlich: praktizier eine Religion. Das ist uncool, klar; wieder werden manche lachen. (Egal.) Nein, kein System von Glaubenssätzen; keine Kirchen, die Macht verwalten; kein "Gottkönig". Es kommt nur auf DEINE Praxis an: Meditation, Gebet. Fast niemand weiß, wie das geht. Such, bis Dir etwas einleuchtet. Oder Dich genau gegen den Strich bürstet. Lies Willigis Jäger: "Das Leben endet nie", 2007, oder "Die Suche nach den Sinn des Lebens", 2008. Unbedingt Chögyam Trungpa: "Das Buch vom meditativen Leben", 1984 u.ö.; Pema Chödrön: Geh an die Orte, die du fürchtest", 2005. Und geh auf die Suche nach einer Gruppe, die praktiziert, nicht schwätzt, und nach einem authentischen Lehrer, der lebt, was er lehrt. Allein funktioniert's nicht.
Und wenn Du meinst, daß Dir alles zu viel wird, nimm eine eiskalte Dusche. Das macht Mut.
Liebe Grüße und ein Lächeln,
Scilla
PS (Hilde Domin):
NICHT MÜDE WERDEN
Nicht müde werden
sondern dem Wunder
leise
wie einem Vogel
die Hand hinhalten.