LieberTee schrieb:
Verzeihen ist ein Prozess, ein Bewusstwerden, vermute ich. Unsere blinden Flecken aber, können wir die tatsächlich allein für uns im stillen Kämmerlein in uns selbst entdecken ohne die Spiegelung durch ein Gegenüber?
Nein, Austausch, Begegnung, Spiegelung, Beziehung sind notwendig, um uns selbst erkennen zu können.
LieberTee schrieb:
Eine Möglichkeit wäre, eine bewusste Konfrontation auch als solche zu kennzeichnen. Dann hat das Gegenüber eine Chance, selber aus einer Distanz sich diese "Wahrheit" zu betrachten. In einigen Fällen hilft möglicherweise nur der "Hammerschlag". Auch das ist mit Risiko verbunden.
Eben dieser Hammerschlag, glaube ich mittlerweile, ist nicht so gut. Es ist eine Grenzüberschreitung. Aber du hast Recht, es sozusagen "anzukündigen" verändert die Situation etwas, danke. Aber sowieso, tut jeder Mensch in jedem Augenblick sein Bestmögliches für sein Erwachen. Wieso da eingreifen wollen? Alles wirkt, sowieso. Ich denke an diesem Punkt oft an ein Zitat, welches von Lao-Tse stammen soll. Ich kenne es schon eine ganze Weile und ich verstehe es immer besser. Es klingt beim ersten lesen etwas frustrierend, aber es zeigt auch sehr schön das Annehmen und die Ganzheit.
Meinst du etwa,
du könntest das Universum
ergreifen und es verbessern?
Ich glaube nicht, dass du das kannst.
Das Universum ist vollkommen,
es kann nicht verbessert werden.
Es zu verbessern heißt, es zu zerstören.
Es zu ergreifen heißt, es zu verlieren.
LieberTee schrieb:
Wir nehmen immer subjektiv wahr. Es gibt keine Objektivität. Und deshalb auch keine feststehende, alleingültige Wahrheit. Alles ist doch immer im Fluss...
Ja und nein. Das ist, was Meditation meint. Alles ablegen, was wir sind (oder zu sein scheinen). Wenn die Gedanken zur Ruhe kommen und da NICHTS mehr ist, außer vielleicht ein "Gewahrsein".
Dann – und meiner Meinung nach nur dann, erhalten wir einen unverfälschten Blick auf das, was wirklich ist.
In dem Moment wo ich es aber zu erklären und zu beschreiben versuche, bewege ich mich wieder innerhalb der Grenzen – unmöglich.
Hier kann man noch genauer hinschauen. Gefährlich ist es nicht zu sagen, es gibt nur eine Wahrheit, das wäre schon per Definition unumgänglich. Gefährlich ist es, wenn gesagt wird, meine Wahrheit ist die einzige Wahrheit.
Was also ist wahr, was ist real, was ist wirklich?
Wir sind hier in dieser Realität, ganz real. Und selbst wenn alles Maya ist. Alles Illusion, es gibt nichts, was so real ist, wie Gott selbst.
Das ist Alles.
Im Fluss ist alles, das stimmt. Alles verändert sich, auch die Wahrheit. Was wir heute für wahr erachten, kann sich morgen schon als Illusion herausstellen. Schäme ich mich dann des Irrtums und schaue weg, oder freue ich mich über die neugewonnene Erkenntnis, darüber die Illusion entlarvt zu haben? Es ist doch alles nur eine Frage, wie wir damit umgehen, eine Frage der Perspektive. Je stärker wir im Ego leben, desto schwieriger wird es uns fallen, zu akzeptieren und in solchen Dingen frei und losgelöst zu handeln.
Ich habe z.B., wie gesagt, durchaus meine Baustellen, "Fehler" und "Schwächen". Ehrlich gesagt, schiebe ich sie sogar gerne mal etwas vor mir her. Aber, ich bin mir ihrer sehr bewusst und sie sind - voll akzeptiert. Das ist vielleicht der feine Unterschied, der mir die Freiheit bringt. Da ist kein Fehler, nichts Falsches, nichts Böses. Das was ist, ist.
chiron schrieb:
Es ist nicht so, dass mich jemand anders verletzen könnte. Die Verletzung geschieht immer erst durch meine Interpretation dessen, was gesagt wurde oder geschehen ist.
So ist es auch mit der Wahrheit. Die Wahrheit verletzt nicht, was verletzt ist unser Umgang mit ihr. Darum verletzt sie auch nicht mehr, wenn sie erst einmal wirklich akzeptiert wurde. Wenn wir Licht ins Dunkle bringen, verschwinden auch die Schatten. Dann sind da auch keine blinden Flecke, keine Achillesferse. Ich stehe zu meinen "Fehlern", ist mir doch egal, was irgendjemand darüber denken könnte! Das ist keine rücksichtslose Arroganz, das ist vollkommene Freiheit.
Auch bei einer Krankheit… Ich kann sie ablehnen und sehr unglücklich sein. Opfer eben. Die Alternative ist, ich akzeptiere und kann so vielleicht trotz allem glücklich sein.
Im Grunde bleibt uns doch auch gar nichts anderes übrig, als zu akzeptieren.
chiron schrieb:
Der einzige, der mich verletzten kann, bin ich selbst.
Ist im Grunde ja wahr, also ein guter Satz. Du darfst aber nicht vergessen, dass viele unserer Mitmenschen sehr wohl verletzbar sind. Jedenfalls innerhalb dieser relativen Realität, innerhalb ihrer Wahrnehmung. Wenn du diesen Satz tatsächlich so auf dich anwenden kannst, nehme ich mal an, du meditierst? Denn wer nicht meditiert, dem ist es nur sehr schwer möglich, Verletzungen einfach aufzulösen.
Möglicherweise, weißt du auch nicht, dass das, was du tust Meditation ist. Mir erging es lange so.
Aber man muss bei dieser Denkweise schon vorsichtig und rücksichtsvoll sein. Du kannst auch einem Kind, welches misshandelt wird nicht sagen, du verletzt dich ja im Grunde nur selbst. Das geht halt nicht. Aber schauen, wie man aus der Verletztheit wieder herauskommt, das geht schon.
Ich kann auch sagen, dass ich die Verteilung des Kapitals in der Welt als un(ge)recht empfinde. Das Kriege Leid auslösen und das Leben verletzen. Da kann man auch nach Ursachen schauen.
Innerhalb dieser Realität, sind wir eben auch Subjekte. WIR sind das Leben und WIR verletzen uns selbst, indem einer den anderen verletzt. Je bewusster wir sind, je vertikaler wir sind, desto mehr geschieht Heilung. Auch für den Weltenschmerz der Jahrtausende.
LieberTee schrieb:
Da ist keine Unschuld, auch wenn sie selbst keine Schuld erkennen.
Wunderbar!
Ich glaube, man kann das Ganze tatsächlich auf zwei Ebenen betrachten. In der Horizontalen, da gibt es die Subjekte und die Objekte. Da gibt es die Verletzung, den Stolz, die Gier etc…
In der Vertikalen, da gibt es das nicht. Da ist nur das "Eine". Es existiert und es ist das einzig wirklich reale, was existiert. Die einzig wahre Wahrheit - ganz unangetastet. Auch genannt Gott.
Horizontale und Vertikale ergeben die Ganzheit.
LieberTee schrieb:
Auch in der Ganzheit gibt es keine völlige Unschuld, auch da ist Leid. Wer dies verneint, begibt sich in eine Traumwelt. Wem es hilft, warum nicht? Wenn es niemandem Schaden zufügt, ok. Es ist aber nicht der Gralskelch! Oder nur für die, die ihn wollen und daher sehen.
Die völlige Unschuld ist völlig vertikal.
Es ist eher ein Gralszustand. Nirwana, Christusbewusstsein, Erleuchtung, nenne es wie Du willst.
Und ist es nicht das, wonach wir im Grunde alle streben? Nach mehr Klarheit und Verbundenheit?
chiron schrieb:
Jeder handelt einfach aufgrund seiner Geschichte, seiner Herkunft, seiner Sozialisation usw.
chiron schrieb:
Oh ja, und das ist wirklich verrückt. Wir werden gedacht! Ohne das wir das merken.
Darum ist es so wichtig, aufzuwachen und diese Fesseln zu sprengen, die Mechanismen zu verstehen. Aber nicht durch das Denken, denn da beißt sich die Katze in den Schwanz. Erst wenn wir frei von ALLEM sind. Frei von unserer Vergangenheit, unseren Erfahrungen, Erwartungen, Traumatisierungen, Überzeugungen etc., erst dann, in der Stille, entsteht Klarheit. Dann kann sich etwas wandeln. Dann handeln wir nicht mehr reaktiv aus unserem Denken und der Gefühlswelt heraus, sondern bewusst, unbeeinflusst und frei. Irgendwann verschwimmt auch die Trennung und wir sind einfach nur noch ein Tropfen im Ozean des Lebens.
Wenn wir vollkommen "leer" sind, dann sind wir also in der Ganzheit. Wenn wir leer sind, ist da kein Gedanke, kein Gefühl, keine Schuld, keine Unschuld. Da ist nur die Stille und Liebe.
Aber auch an allem was davor liegt, ist nichts Falsches, kein Gut, kein Böse. Wir sind schließlich hier, um zu lernen. Ohne Raupe, kein Schmetterling.
LieberTee schrieb:
chiron, es gibt auch Verletzungen, die du erleiden kannst und du weist niemandem die Schuld zu, nur dir selbst. Dann kannst du nur dir selbst, dem Schicksal oder dem Leben verzeihen. Du kannst es ebensogut gar nicht bewerten. "Es ist eben so".
Mehr noch, "es ist gut so". "Es gehört dazu".
So kann ich dankbar annehmen und loslassen. Wenn wir das geschehene nicht mehr ändern können, gibt es auch keinen Grund, es noch weiter zu prozessen. Im Hier und Jetzt also ein dankbares Loslassen und dann frei sein.
Wenn wir aber unterdrücken, dann kehrt es zurück. Der Prozess läuft im Hintergrund immer weiter. Sein Einfluss auf uns ist stark. Wenn wir so "gedacht werden" und daraus handeln, dann waltet die Natur. Da hat Gott nicht viel mit zu tun, das ist dann unser Ding. Entscheiden können wir uns trotzdem. Aber schaut euch um in der Welt... Wenn wir aber nun aufwachen – uns über das "Getrieben werden" erheben, dann kann das Göttliche wirken. Dann kann auch wahrhaft Gutes geschehen.
Auch sehr unbewusste Menschen können sich theoretisch in jedem Augenblick entscheiden! Aus Angst oder für die Liebe, jeder hat es selbst in der der Hand, zu jeder Zeit, es ist niemals zu spät! Man muss es nur TUN.
Das Leben… Gott… Ist immer ganz nah. Wie weit entfernt bist du?