Hallo, einen Gruß an alle,
und vor allem an die dreiundvierzig Prozent, die gegen das Minarettverbot gestimmt haben! Ich freue mich, dass Ihr so viele wart.
Und zusammen genommen mit den Toleranten, die nicht abgestimmt haben, lässt das doch sehr hoffen.
Ich weiß ja wirklich nicht, wie solch eine Abstimmung, würde es sie geben, in meinem Land und in anderen ausfallen würde.
Wie ein Urteil, das irgendwann vom Euroäischen Gerichtshof für Menschenrechte, zu erwarten ist ausfallen wird, bleibt abzuwarten.
Denn die Menschenrechte gelten für alle und nicht nur für die alteingessenen BewohnerInnen eines Landes. Nicht nur für die Angehörigen der einen oder der anderen Religion, oder besser gesagt: Gewohnheit.
Die Menschenrechte beinhalten unter anderem einen besonderen Schutz für Minderheiten. Und Muslime stellen, in unseren westlichen Gesellschaften, nun einmal eine Minderheit dar.
Ich möchte nun nicht mit selbstverständlichen Kleinigkeiten anfangen, wie zum Beispiel, dass man Religion und traditionelle Gepflogenheiten gut auseinander halten sollte und dass man, meiner Meinung nach, nicht aufgrund des Verhaltens einzelner Menschen, eine gesamte Religion „verurteilen“ solle. Das wissen alle und keiner würde so etwas tun. Auch ist allen bekannt, dass die „großen Religionen“ keinen Zwang zu lassen. Denn es geht ja darum, sich freiwillig zu entscheiden. Das gilt natürlich unter vielen anderen, zum Beispiel für das Judentum, das Christentum und den Buddhismus. Und so sagt beispielsweise auch der Koran, das heilige Buch der Muslime: Laa ikraha fi`d-diin : „Es gibt keinen Zwang im Glauben“. Und jeder Korangelehrte wird dies bestätigen und die Wichtigkeit dieser Aussage betonen.
https://muslime-in-niederkassel.de/Keinen Zwang im Glauben.pdf .
Dies, so denke ich, müssen wir wissen, wenn wir über Kirchtürme und Minarette nachdenken.
Sehr viele Gepflogenheiten, die die manche Migranten aus muslimischen Weltteilen mitbringen, sind eben der Tradition und nicht der Religion geschuldete Gebräuche, wie zum Beispiel das frühe Eheversprechen zwischen zwei Familien (was dann später in eine Heirat münden kann), die vermeintliche Minderstellung der Frau oder das vielgescholtene Kopftuch.
Ach ja, die Tradition. Diese Dinge waren bis vor kurzer Zeit auch in unseren Breitengraden Tradition.Und noch heute sieht man bei uns in den Dörfern ältere Frauen bei der Arbeit im Garten, mit Kopftüchern auf dem Haupt. Und wenn ich daran denke, wann das Wahlrecht für die Frau in der Schweiz eingeführt wurde … ich meine, die Türkei war da ein wenig früher dran!
Wie sagt doch der gute Tevje?
„Und was uns unser seelisches Gleichgewicht erhält, das ist mit einem Wort gesagt: Tradition!“
Also, Traditionen und Gewohnheiten sind wohl ganz wichtig. Für Menschen, die sehr lange an einem Ort oder in einem Land leben, wie auch für die, die neu dazu kommen Irgendwann werden sie sich vermutlich „vermischen“, irgendwie. Das ist in der Geschichte immer wieder passiert. Aber das dauert. Und das wird beiden Seiten viel Geduld abverlangen.
Die Kirchtürme und Minarette sind ja nun eigentlich Merkmale, die zwei Traditionen gemein haben. Mit Religion im eigentlichen Sinne haben natürlich beide nichts zu tun. Die Geschichte beider war über weite Strecken die selbe. Die meisten, noch erhaltenen mittelalterlichen Kirchen waren so gebaut, dass sie durchaus als Wehrkirchen fungieren konnten.
Und die Türme als Wehrtürme. Das Christentum war und ist ja sehr expansiv.
Und wenn man sich mal ein echtes altes Minarett ansieht (nicht eines der jüngeren Türmchen von nahöstlichen oder gar europäischen Moscheen), wie zum Beispiel den „Hassan-Turm“ in Rabat
Rabat Salé , dann weiß man, dass hier Traditionen eine gemeinsame Wurzel haben. Es ging um Verteidigung, nicht um Eroberung, denn sowohl in die alten Kirchtürme, wie auch in die echten Manarette, musste man sich im Falle einer Bedrohung zurückziehen.
Nun werden Kirchen wie Moscheen heute, im Regelfalls, nicht mehr zu strategischen Rückzugszwecken genutzt, entsprechend sind, bei Bauwerken beider Provinienz, die jüngeren Türme auch etwas bescheidener und weniger "wehrhaft" ausgefallen.
Heute identifizieren sich wohl die meisten Angehörigen beider Religionen mit ihrem Gotteshaus samt Turm.(Wobei man hier insbesondere beim Islam schon sehr unterscheiden muss, es gibt Gemeinschaften, nicht nicht einmal eine Moschee unterhalten, geschweige denn ein Minarett, wie es auch christliche Gemeinschaften gibt, denen zumindest ein Turm nicht viel bedeutet).
Nun könnten ja die Angehörigen beider Religionen sagen: okay, das ist unsere gemeinsame Geschichte, was machen wir nun daraus? Und vielfach, zum Beispiel in „interreligiösen Gesprächskreisen“, geschieht das ja auch. So hat zum Beispiel eine Basler Kirchengemeinde ihren Kirchturm spontan in „Minarett“ umbenannt. Was für eine phantastische Geste, finde ich!
Aber viele Menschen sehen das wohl ein wenig anders. Und hier kommen weitere Faktoren ins Spiel, die auch wieder nichts mit Religion zu tun haben. Sondern mit blankem Menschsein: mit Angst. Na ja und Politik.
Und dann bleibt das naheliegende manchmal aus: das ins Gespräch kommen oder bleiben und weiter gemeinsam nach Kompromissen zu suchen.
Ich denke, dass das Fremde grundsätzlich viel Angst machen kann. Gerade da, wo es die eigenen Traditionen und damit die eigene Identität zu bedrohen scheint. Und das kann ich gut verstehen.
Ich habe vielleicht Angst vor Spinnen. Aber deswegen werde ich nicht unbedingt alle Netze zerstören, die ich finde, sondern ich weiß, dass wir gut miteinander auskommen müssen.
Wie alle Vergleiche hinkt auch dieser. Denn er bezieht das, was meiner Meinung nach im menschlichen Miteinander absolut notwendig ist, nicht mit ein: das aufeinander Zugehen. Und da muss man sich wohl die Frage stellen, ob man sich in Kirchturm und Minarett zurückziehen und verschanzen, oder offen auf die jeweils anderen zugehen und auch Kompromisse machen will.
Das Leben besteht, denke ich, aus Beharren und Verändern, aus Bestehen und Anpassen. Und wir müssen für uns entscheiden, wieviel Veränderung wir im Augenblick zulassen können. Und wieviel gegenseitige Anpassung.
Und wir müssen uns auch Rechenschaft darüber ablegen, wie kleinlich wir sein wollen, oder wieviel Großzügigkeit und Entgegenkommen wir uns glauben, leisten zu können.
Ich danke den 43 % der Schweizer, die durch ihre ablehnende Stimme, aus meiner Sicht Großzügigkeit und Toleranz bewiesen haben.
Mit herzlichen Grüßen von
Leòn