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Kommentar:
Wer sich über den Cannstatter Fabrikanten und Dichter Leopold Marx informieren möchte, ist auf Maria Zelzers verdienstvoller Recherche "Weg und Schicksal der Stuttgarter Juden" angewiesen oder auf eine kommentierte Werkausgabe des Bleicher Verlages, die in den Regalen des Wilhelmspalais auf ihre Ausleihe wartet. Eine zu Lebzeiten unveröffentlichte Gedichtsammlung, "Wanderseele", umfaßt "Gedichte [...] des Lebens eines Juden, der lange wähnte, zugleich auch Deutscher zu sein, und dem die Umstände auch nach der Heimkehr ins Land der Väter es nicht erlaubten, in ungehemmter Freiheit in die Sprache des eigenen Volkes hineinzuwachsen; der mit dem Herzen ein Bürger Israels, der Sprache nach deutsche geblieben ist."
Seit Ende des Ersten Weltkriegs mit Hermann Hesse in Kontakt, schreibt Leopold Marx noch aus Stuttgart anläßlich des 60. Geburtstags an Hermann Hesse:
Leopold Marx an Hermann Hesse
8.Juli 1937
Obwohl ich wenig in der Welt lebe, wußte ich von Ihrem 60. Geburtstag noch rechtzeitig genug, um Ihnen einen Gruß zu senden. Aber die Stunde war nicht da, es zu tun, und einfach so schreiben wollte ich nicht. Am letzten Sonntag sind mir ein paar Verse zu Ende geraten, die schon lange für Sie gedacht waren. Ich schicke sie Ihnen in kurzem mit einigen Abschriften älterer Sachen als Dank für die schönen Gedichte, die Sie mir seither zweimal haben zukommen lassen. Mit dem letzteren, dem "Orgelspiel", haben Sie mich fast beschämt, weil ich Ihnen für die ersten noch nicht gedankt und zum 2. Juli noch nicht geschrieben hatte. Aber in Gedanken tat ich es mehr als einmal, und das wissen Sie vielleicht. Ein Leben, wie das meine, ist nicht immer mitteilbar. Und was daran mitteilbar ist, das wird mit den wachsenden Jahren mehr und mehr das Schicksalhafte daran, das an die Geschlechterkette Gebundene, das Jüdische. Ich schrieb Ihnen so etwas wohl schon früher.
Aber je eingesponnener man ist, desto nötiger ist es zu wissen, daß das wortlose Verstehen, die Gemeinschaft des Angesprochenseins an keinen Mauern halt macht, auch an den Mauern eines neuen Ghettos nicht. Und umso tiefer rührt ein Gruß und Zeichen von draußen an. Sehr von fern klingt das meisterliche "Orgelspiel" aus dem hohen Dom zu uns herein. Fern, nicht weil wir kein Ohr mehr dafür hätten, sondern weil es von soviel dumpferen Schicksalslauten übertönt wird, aber darum nicht weniger schön und unentbehrlich. Sie werden, wenn Sie demnächst meinen Gruß erhalten, - als ich ihn niederschrieb, wußte ich noch nichts von Ihrem "Orgelspiel" - einen seltsamen, oder vielleicht gar nicht so seltsamen Gleichklang erkennen! einen Klang, von dem auch der uralte Künder Jischajahu [= Jesaja] gewußt hat, ein vergessener, aus der Mode gekommener Organist auch er, zu seiner Zeit.
Ich wünsche Ihnen noch viele Ernten guter und segensreicher Jahre, oder besser, ich wünsche sie Ihren Freunden, und so, wenn ich mich zu denen zählen darf, auch mir.
Hermann Hesse an Leopold Marx
25.Juli 1937
Es reicht nicht zu Briefen, aber der Ihre samt Gedichten hat mich erreicht, auch im Herzen erreicht, und ich möchte Ihnen danken und Ihnen sagen, wie Ihr Mitschwingen mit dem "Orgelspiel" mich freut, Es gibt Zeiten, wo ich die im Ghetto Lebenden beneide, sie haben Gemeinschaft, mir fehlt sie. Aber in den Tagen um meinen 60. Geburtstag war immerhin viel Echo da, und viel Versöhnendes. Vom Herzen dankt Ihnen (vor allem für das mir gewidmete "Drunten" und für "Moscheh")
Ihr H. Hesse
Kommentar:
Diese Korrespondenz auch in Gedichten würde eines ausführlichen Kommentars bedürfen, den ich hier nicht geben kann. Ich beschränke mich deshalb auf das Zitat des Hermann Hesse gewidmeten "Drunten".
Leopold Marx
Drunten...
(Für Hermann Hesse)
In der Heimat fremd genannt,
Heimat ahnend im verschloß'nen fremden Land,
tiefverletzt, von rauhem Arm getroffen,
hingeworfen zwischen Furcht und Hoffen,
jede Freude trägt ein Bleigewicht -
ist es Prüfung oder - ist's Gericht?
Alte Bücher wissen von Erwählung,
fromm erschauernd las man die Erzählung.
Auserwählt zum Leid - wie gut zu sagen,
eh du selber deine Last getragen,
eh den Tag du, der dir angefangen,
angeklagt, daß er noch nicht vergangen,
eh der Tröster nachts dich floh, der Schlaf,...
eh dich selbst die Hand des Schicksals traf...
Heute: brüten, planen, leeres Spiel -
morgen: flüchten, irren ohne Ziel -
Arbeit: freudlos, stumpfen Sinns, verdrossen -
Ruhe: wie ein schaler Trank genossen -
Hände, die sich keinem Tun verwehren,
hängen - keiner fordert sie - im Leeren.
Alte siechen, dumpf in sich verkrochen,
lahm die Seele, Mut und Stolz gebrochen,
Kinder wachsen auf, schon leiderfahren,
eh sie ihres Jungseins inne waren...
Auserkoren...! Eher scheinst du fast
Gottes weggeworfener Ballast -
Nur - du bist noch da in Seiner Welt,
in der Winkel finstersten gestellt...
Alte Bücher voll entrückter Kunde -
steht da nicht vom Pfeil, der seiner Stunde
harrt, im Köcher dunkel tief verwahrt?
Ach, es ward so viel geoffenbart,
ach, und wir sind müd, jahrtausendmüd,
unser Frühling ist schon längst verblüht...
In den Synagogen dumpfe Beter
warten auf ein wesenloses Später,
kraftlos Heute, hoffnungsloses Morgen -
nein, die sind nicht Pfeil und nicht verborgen.
Und die andern - wandern, fort und fort,
viel zu stumpf für ein verhülltes Wort.
Jene aber, die zurückgefunden,
die ihr Leben an das Land gebunden,
Heimatboden pflügen, jäten, graben,
wollen nicht von Worten Weisung haben.
Und mit Fug: sie sind in Tages Haft,
Erde fordert ihre ganze Kraft.
So verborgen ist der Pfeil. Vermissen
mögen die ihn nur, die von ihm wissen,
weil auch sie der Stimme Diener sind,
Angewehte von dem ewigen Wind,
Boten, die für unser aller Qualen
mit dem Wort in ihrer Seele zahlen,
mit dem Wort, das, weil es keiner braucht,
unvernommen ins Verborgne taucht,
in des Köchers schützenden Verwahr...
Einmal wird die Botschaft offenbar.
1937