Lass mich mal versuchen, mein persönliches Erfülltheitsrezept in Worte zu fassen, liebe Nelly - und Du sagst mir dann, ob ich nahe dran oder weit weg vom Sinn Deiner Fragestellung bin.
Also Erstens:
Staunen zulassen.
Begegnet mir was Faszinierendes, dann erlaube ich mir, innezuhalten und den Eindruck erst mal einfach nur aufzunehmen. Ich fühle mich nicht gezwungen, sofort die geistige Kategorisierungsmaschinerie in Betrieb zu nehmen. Nichts und niemand redet mir mehr ein, ich müsse alles sofort einordnen - ich akzeptiere, dass das seine Zeit braucht, weil ich meinen Denkapparat genau genug kenne, um ihm diesbezüglich vertrauen zu können. Ich gestatte mir quasi einen bunten Garten im Herzen, die Registratur im Kopf funktioniert dann von ganz allein.
So entsteht eine innere Unverkrampftheit, die mich schon ziemlich nahe ans Erfülltsein bringt.
Zweitens:
Gucken, wer da spricht.
Wie wohl ist meinem Gegenüber in dem Universum, das er in sich trägt? Ist er/sie für sein/ihr Wohlbefinden darauf angewiesen, dass seine/ihre Worte mein Leben verändern, oder erkennt er an, dass auch ich mein eigenes Universum in mir trage, und das dieses anderen Gesetzen folgt als das seine? Im letzteren Fall werde ich mich gern wieder mit ihm/ihr unterhalten, im ersteren seh ich zu, dass mir eine Fortsetzung erspart bleibt. (Dies auch in seinem/ihrem Interesse: Hat eine/r das Bedürfnis, Boden zu gewinnen, dann ist er/sie besser dort aufgehoben, wo sich auch welcher gewinnen lässt.)
Hier erreiche ich einen freundlichen Frieden, der Erfüllung näher verwandt ist als jedes rhetorische Scharmützel, das m.E. doch nur witziger Oberflächen-Sport sein kann.
Drittens:
Ideen statt Ideologien.
Ganz egal, was eine/r behauptet, und von wem oder was er/sie spricht: Die Weltformel hat keiner von uns. Nicht im Namen von Konsens "Alle sagen, dass...", noch im Namen einer Religion oder Wissenschaft. Was wir haben, sind unterschiedliche Welterklärungsmodelle, von denen jedes seine Stärken und Schwächen hat. Zur geistigen Anregung hochwillkommen, taugen sie mir nicht zum Dogma - keins von ihnen.
Dies befreit mich von dem Zwang, irgendeiner ideologischen Gruppe nach dem Mund reden zu müssen, nur um "dazuzugehören": Ein weiterer Punkt, der die innere Verarmung verhindern hilft, die mit allem Für-Sich-Denken-Lassen einhergeht - ergo ein Schritt in Richtung Erfüllung.
In der Hoffnung, etwas Klarheit reingebracht zu haben, grüsst Dich
Ingrid