Hier ein Brief von einem, der dann doch unerwartet "elektrosensibel" wurde, der Brief ist schon etwas älter, hat aber an Aktualität nichts verloren.
Hier der Link dazu:
Brief an Ranga Yogeshwar zur Sendung ber Elektrosmog
Brief an Ranga Yogeshwar
Am 29. 1. 2002 widmete sich die Wissenschaftssendung des WDR "Quarks und Co" dem Thema "Risiko Elektrosmog".
Der Moderator, der Physiker Ranga Yogeshwar, sah keine grossen Risiken auf uns zukommen. Es war schon sehr ärgerlich, wie - wohl wissenschaftlich -, aber dann doch einseitig sich der Moderator dem Thema gewidmet hat.
Ausführliche Informationen und das Skript zur Sendung sind hier zu finden:
Quarks & Co - WDR Fernsehen
Ich kenne den Moderator mit seinen hervorragenden Wissenschaftssendungen nun schon sehr lange und habe - ein sehr einseitiges zwar - aber eigentlich freundschaftliches Verhältnis zu ihm über die Jahre entwickelt.
Ich habe deshalb, als meine Kritik zu dieser Sendung, die Form eines persönlichen Briefes gewählt.
Leider ist der Brief relativ lang geworden. Wer es nicht lesen mag, kann ja einfach wegklicken. Wer es doch liest, bei dem entschuldige ich mich schon einmal mit meinem Lieblings-Goethe-Zitat:
"Bitte entschuldigen Sie, dass der Brief so lang wurde, ich hatte keine Zeit für einen kürzeren."
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Lieber Ranga Yogeshwar,
ich bin Ihnen nicht böse für diese Sendung, die Sie über Elektrosmog gemacht haben.
Ich kann verstehen, dass diese Sendung aus Ihrer Sicht so werden musste - und bis vor einem halben Jahr hätte ich nach der Sendung auch gesagt: "Wieder klasse gemacht, der Ranga. Da ist gar nichts dran an dem blöden Gerede über Elektrosmog."
Warum bis vor einem halben Jahr? Weil ich dann elektrosensibel wurde. Ich wusste bis dahin nicht was da ist, wie das ist, dass es so etwas gibt - nichts. Ich hatte ein Handy, schnurlose Telefone, Funk-Lautsprecher, Funk-Türklingel, Funk-Maus und Tastatur - Funk-Autoschlüssel und alles, was die Technik heute so hergibt. Und ich fand das gut so.
Wenn es Sie interessiert, wie das so ist, wenn man ein "so genannter Elektrosensibler" ist, nur ein Beispiel: Ich habe jetzt einen Schalter ausserhalb der Küche, mit dem ich den Kühlschrank ausschalten kann, bevor ich den Raum betrete. Alles andere zeige ich Ihnen gerne einmal, wenn Sie mich besuchen. Den Kaffee müssen dann allerdings Sie für uns kochen, weil ich aus dem Raum gehen muss, wenn die Kaffeemaschine läuft.
Ich glaube auch immer mehr zu wissen, warum gerade ich es bin, den es relativ früh erwischt hat - und ich weiss jetzt vieles andere mehr, was ich (zwangsläufig) im letzten halben Jahr über Elektrosensibilität und Elektrosmog gelernt habe.
Deshalb denke ich jetzt: warum hat er die Chance zu einer Sendung mit einer ausgewogenen Aufklärung über das "Risiko Elektrosmog" verpasst, wenn er die Sendung schon so nennt. Er hat die Gefahren nicht erkannt, nicht genannt, oder - wenn er sie erkannt und genannt hat, dann doch aus meiner Sicht wesentlich unterschätzt. Schade eigentlich.
Schon das Thema "Elektrosmog" nur auf den Mobilfunk einzuengen, ist so, als wenn Sie die Sendung "Alles über Obst" nennen, und dann nur über Äpfel sprechen. Aber OK, sprechen wir über Äpfel.
Darf ich etwas ausholen?
Seit etwa 18(?) Jahren habe ich fast alle Ihre Sendungen mit grossem Interesse gesehen. Ich habe Ihre Entwicklung zu einem wirklich "preiswürdigen" Wissenschaftsjournalisten seit Ihrem ersten(?) Auftritt in der AIDS-Sendung der "Wissenschaftsshow" verfolgt und kann jedes Lob, das Sie in der Laudatio einer Preisverleihung hören, nur unterstreichen.
Diese letzte Sendung habe ich nun aus dem Blickwinkel eines Menschen gesehen, der direkt von den Auswirkungen des Elektrosmog in seiner Gesundheit und vor allem in der Lebensqualität beeinträchtigt wird.
Ich werfe dem Mobilfunkbetreiber eplus ja nicht vor, dass er etwa 200 m von meinem Haus entfernt einen Mobilfunksender installiert und im Sommer letzten Jahres in Betrieb genommen hat. Es ist sein Geschäft und er darf das sogar.
Die Strahlung, die in meinem Haus ankommt, ist weit unterhalb der erlaubten Grenzwerte. Trotzdem geht es mir seit dieser Zeit echt dreckig. Der Betreiber konnte ja nicht wissen, als er den Sender genau auf mein Haus ausrichtete, dass ich zur Risikogruppe der besonders Vorgeschädigten gehöre. Drei andere Betreibergesellschaften hatten Ihre Sender ja vorher auch schon auf mein Haus gerichtet und es machte mir nichts aus.
Er wusste eben nicht, dass ich als Chemiker jahrelang den Chemikaliendämpfen ungeschützt ausgesetzt war, weil alle Abzüge in den Labors, in denen ich arbeiten musste, defekt waren.
Vor sechs Jahren schon wurde ich aus diesem Grund wegen starker Depressionen als dienstunfähig entlassen. Ein halbes Jahr nach Dienstbeginn (etwa in dem Jahr, als Ihre Fernsehkarriere bei Jean Pütz begann) begannen meine Beschwerden. Jetzt sind sie weg, seit ich nicht mehr in dem Beruf arbeite.
Woher sollte eplus wissen, dass ich diese berufliche Vorschädigung habe, dass die Bahnlinie in der Nähe meines Hauses verläuft und dass bei mir auch eine erbliche Veranlagung nachzuweisen ist. Das alles zusammen reicht dann (mit noch einigen anderen Faktoren) einfach aus, dass ich elektrosensibel werde, wenn die Ihren Sender einschalten. Das konnten die von eplus wirklich nicht wissen. Habe ich eben Pech gehabt, wenn ich von dem Wellensalat krank werde.
Sie haben es richtig am Anfang Ihrer Sendung gesagt: Man kann die Strahlung nicht riechen, nicht schmecken, nicht fühlen. Sie ist aber da. Und sie hat biologische Wirkungen. Das haben Sie gezeigt: An den Reaktionen der Menschen, an den Ratten, an den Plattwürmern ...
Was Sie nicht gezeigt haben und auch - was ich Ihnen nun doch vorwerfe - etwas heruntergespielt haben: Auch besonders sensible Menschen, nämlich die, die eine gewisse Art von Vorschädigung haben oder bestimmte Vorbedingungen erfüllen, sind sehr gefährdet. Und die Kinder, und die alten Leute - was ist mit denen?
Sie unterscheiden, wie alle Befürworter der Mobilfunktechnik, zwischen biologischer Wirkung und Gesundheitsschädigung. Bei dieser Gruppe von Menschen ist der Unterschied so hauchdünn, bei immer mehr Menschen aber - wie bei mir - gibt es keinen mehr.
Na ja, "ein bisschen Schwund ist immer", kam bei mir an, als Sie epidemiologisch argumentiert haben. Dann bin ich wohl der Schwund - OK. Muss ich mich wohl damit abfinden.
Oder doch nicht? Gelten die Grenzwerte nur für junge, gesunde, kräftige Mitbürger? Muss man nicht eher doch das Konzept der "Vorsorgegrenzwerte" ernster verfolgen und einführen, das unser aller Kanzler in einer seiner berühmten Chefsache-Entscheidungen kürzlich mit einem Handstreich vom Tisch gewischt hat? Angesichts der von Ihnen erwähnten 100 UMTS-Milliarden DM blieb ihm wohl auch wenig Entscheidungsspielraum.
Und dann das Beispiel mit dem Krebsrisko. Sie wissen als "Wissen"schaftler genau, dass die Ausbildung eines Hirntumors etwa 10 Jahre braucht.
Sie haben die exponentielle Entwicklung der Handynutzung ja in der Grafik gezeigt, weil das immer so schön ist: heute 6000-fach grössere Handynutzung als vor 10 Jahren. Darf ich das mal auf Ihr Beispiel anwenden?
Heute, so haben Sie ausgerechnet, gebe es statistisch gesehen durch das Anwachsen der Mobilfunkstrahlung "nur" 11 Fälle von Hirntumor mehr als vor 10 Jahren. Das geht ja, ein wenig Schwund ist immer... Und dann müsse man abwägen zwischen Nutzen und Risiko. Weil der ADAC schon 60 % der Notrufe von Handys bekommt. Prima.
Heute sehen wir die Tumore, deren Entwicklung vor 10 Jahren begonnen hat, richtig? In 10 Jahren sind das dann 11 x 6000 = 66 000 Fälle (oder sagen wir besser einzelne Menschen?) mehr als heute. Da wird der Schwund schon grösser! Oder habe ich da was falsch berechnet?
Ach ja, ich habe vergessen die Zahlen zu kumulieren. In 10 Jahren 66 000, plus in neun Jahren 60 000, plus in acht Jahren 50 000, plus in sieben Jahren ... oder? Da kommt schon innerhalb von 10 Jahren eine Zahl zusammen, die bald der Einwohnerzahl von Luxemburg entspricht. Ein wenig Schwund ist aber immer, oder? Wenn es Sie als einzigen Luxemburger nicht erwischt, was ich Ihnen wünsche, ist bald "Ranga allein zu Haus". ( - sorry.)
Und dann die drei Minuten, die Sie über (uns) Elektrosensible gesprochen haben. Sie wissen doch genau, dass das in der Form vereinfacht und einfach falsch dargestellt war. Ihre Botschaft war: Die Deutschen haben Kopfschmerzen, die Schweden haben Hautausschlag, die Spanier haben gar nichts - also ist das alles Quatsch und eingebildet. Wollten Sie das vermitteln?
Sie wissen genau, dass es ohne die schwedischen Elektrosensiblen keine Normen für strahlungsarme Monitore gäbe, oder? TCO 95, TCO 99: die vorbildlichen "schwedischen Normen" haben die Elektrosensiblen (die zunächst von der Monitorstrahlung Hautprobleme bekamen, dann elektrosensibel wurden) zu Zeiten durchgesetzt, als von Mobilfunk noch kaum die Rede war. Aus diesem Grund sind 90 % der in der schwedischen Vereinigung der Elektrosensiblen (
Du flyttas nu till den nya sidan www.feb.nu, den gamla sidan heter nu www.org.feb.nu) organisierten weit über 2000 Mitglieder mit Hautproblemen (als Einstiegsproblem!) dort verzeichnet.
Nirgends in der Welt und auch nicht in Deutschland gibt es einen vergleichbaren Grad der Organisiertheit der Betroffenen. Deshalb das Problem der Elektrosensibilität in Deutschland mit "ein wenig Kopfschmerzen" zu bagatellisieren, ärgert mich schon sehr. Seriöse Wissenschaftler sprechen von 4 % (manche von 8 %) der Bevölkerung, die man jetzt schon als (mehr oder weniger) elektrosensibel bezeichnen kann.
Meine persönliche Einschätzung ist: Ihr werdet Euch noch wundern, welche Korrelationen und schönen Schaubilder ihr demnächst zeigen könnt. Zum Beispiel die Exponentialfunktion: "Entwicklung der Zahl der Elektrosensiblen in Abhängigkeit von der Zahl der Antennen vom Jahr 2000 - 2010."
Und dann die Diskussion nach der Sendung. Wen haben Sie denn da eingeladen? War das ausgewogen? Wo waren die Kritiker, die Wissenschaftler, die immer wieder warnen und auch wissenschaftliche Ergebnisse vorweisen können, die zu Besorgnis Anlass geben? Ein wenig mehr Ausgewogenheit sollte doch sein, das war ein handwerklicher Fehler!
So kann man das nicht machen, lieber Ranga, da bin ich sehr enttäuscht. Da war der Beitrag in "report" am Montag und vor allem die Diskussion danach auf SR3 wesentlich besser.
Hier waren ein Vertreter der Mobilfunkbetreiber und Herr Neitzke vom Ecolog-Institut im Studio, und im call-in kam auch ausführlich ein Betroffener aus Kassel zu Wort. Seine Geschichte klang übrigens verdammt ähnlich der meinen. Ich bin also doch nicht allein mit meinem Problem.
So, das musste ich einmal loswerden. Vielleicht haben Sie es ja bis hier hin gelesen. Wenn nicht, kann ich das auch verstehen, war halt ein ein wenig lang.
Mit freundlichen Grüssen
Reinhard Rückemann