Sehr geehrte Damen und Herren,
Herr Minister Seehofer hat mich gebeten, Ihnen für Ihr Schreiben zu danken und Ihnen zu antworten. Er bittet Sie um Verständnis, dass er Ihnen angesichts der Vielzahl von Schreiben, die ihn in dieser Angelegenheit erreicht haben, nicht persönlich antworten kann.
In der großen Zahl von Zuschriften, die uns erreicht haben, offenbart sich ein ganzes Spektrum von Haltungen gegenüber der Grünen Gentechnik: von Vorbehalten gegenüber beabsichtigten Änderungen des Gentechnik-Gesetzes bis zur grundsätzlichen Ablehnung jeglicher Gentechnik im Zusammenhang mit unserer Ernährung. Wenn ich nachstehend die von Herrn Minister Seehofer verfolgte Politik in dieser Sache erläutere, kann ich hoffentlich auch viele Missverständnisse beseitigen.
Die Meinung und Haltung aller Mitbürger, die die Grüne Gentechnik aus welchen Gründen und in welchem Zusammenhang auch immer ablehnen, verdient Respekt. Es ist deshalb unsere Pflicht, die zu Gebote stehenden Mittel dafür einzusetzen, dass auch weiterhin ein vielfältiges Angebot von Lebensmitteln auf dem Markt ist, das ohne Verwendung von Gentechnik hergestellt worden ist. Das hört sich leichter an als es ist; denn der Pollen einiger Kulturpflanzen wird von Wind und Insekten in Nachbarbestände getragen und verursacht dort, wenn die Ausgangspflanze gentechnisch verändert war, dass gentechnisch bedingte Veränderungen ebenfalls auftreten.
Den Landwirten sollen deshalb klare Regeln in Form einer Verordnung an die Hand gegeben werden, wie sie beim Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen vorzugehen haben, so dass die Früchte ihrer Nachbarn von Gentechnik unbeeinträchtigt bleiben. Es soll ferner sichergestellt werden, dass ein Landwirt, der durch unbeabsichtigten Eintrag von Gentechnik in seine Erzeugnisse dadurch einen wirtschaftlichen Schaden erleidet, diesen auch ersetzt bekommt, und zwar auch dann, wenn der verursachende Landwirt alle Vorschriften eingehalten hat. Ziel ist es, dass Landwirte, die gentechnisch veränderte Pflanzen anbauen wollen, sich versichern können. Dazu stehen wir mit der Versicherungswirtschaft im Gespräch. Der Streit, ob dem geschädigten Landwirt ein Ersatzanspruch aus gesamtschuldnerischer Haftung ausdrücklich gewährt werden muss (so die eine Seite) oder ob ein solcher Anspruch die Nutzung der Gentechnik unvertretbar behindert (Befürchtung der anderen Seite) ist nicht zielführend, weil diese Art der Rechtsdurchsetzung bereits seit langem in unserer Rechtsordnung existiert und sie jetzt im Wege der Rechtsetzung zur Gentechnik weder neu geschaffen noch abgeschafft werden kann.
Ernstzunehmende Wissenschaftler bestätigen, dass die sog. Koexistenz beider Anbausysteme (mit und ohne Gentechnik) in der Praxis möglich ist. Damit und auch durch vernünftige Haftungsregelungen müssten die Sorgen der Ökolandwirte zerstreut sein, dass sie in Zukunft keine Öko- und Bioprodukte ohne Gentechnik mehr herstellen könnten.
Selbstverständlich darf von der Gentechnik keine Gefahr für Menschen, Tiere, Pflanzen und die Umwelt in ihrem Wirkungsgefüge ausgehen. Deshalb haben wir in der Europäischen Union eine strenge Prüfung der Auswirkungen jedes einzelnen Konstrukts zur Pflicht gemacht. Nach Aussage der führenden Wissenschaftler in ganz Europa dürfen wir davon ausgehen, dass Konstrukte, wenn sie die Prüfungen bestehen, Schäden nicht verursachen. Um letztlich überzeugende Sicherheit zu gewinnen, haben die Betreiber einer gentechnischen Veränderung darüber hinaus die Pflicht, ihr Konstrukt nach der Zulassung in der Praxis zu beobachten und alle Hinweise auf auftretende Schäden unverzüglich zu melden. Das Konstrukt wird dann ggf. aus dem Verkehr gezogen.
Wenn aber von zugelassenen gentechnisch veränderten Organismen nach menschlichem Ermessen eine Gefährdung für Menschen, Tiere, Pflanzen und Umwelt nicht ausgeht, so kann man m. E. auch von Mitbürgern, die die Gentechnik aus welchen Gründen auch immer ablehnen, die Respektierung des Grundsatzes der Koexistenz einfordern.
Bei der gegebenen Möglichkeit der Übertragung gentechnischer Veränderungen auf die Nachbarfelder liegt die Idee gentechnikfreier Zonen nahe. Viele Landwirte, die ohne Gentechnik pflanzliche Produkte herstellen wollen, streben danach. Es ist nicht das geringste dagegen einzuwenden, wenn solche Verbünde privatwirtschaftlich organisiert werden. Kein Landwirt kann aber dazu gezwungen werden, auf zugelassene Gentechnik zu verzichten. Jede Behörde in der EU, die das durchsetzen will, handelt rechtswidrig. Sogar kleinere Mitgliedstaaten der EU haben die Vorstellung, Gentechnik in ihren Grenzen zu verhindern, weil sie sich auf den Märkten ohne Gentechnik höhere Erlöse versprechen. Aber auch sie können den generellen Verzicht auf Grüne Gentechnik nicht erzwingen.
Für ganz Deutschland wäre ein solcher Verzicht eine Illusion. Es wird immer Landwirte geben, die die rechtmäßig in der EU zugelassenen gentechnisch veränderten Sorten anbauen wollen, um deren Vorteile zu nutzen. Es wäre also aus gemeinschaftsrechtlichen Gründen nicht möglich, Gentechnik in Deutschland zu verhindern.
Beispiele aus der ganzen Welt zeigen, dass Gentechnik wirtschaftliche Chancen eröffnet. Daher ist es nicht verantwortbar, nicht dafür zu sorgen, dass auch Deutschland daran prinzipiell Teil hat. Wenn 75 % unserer Bürger in Befragungen ihre Ablehnung gegen Grüne Gentechnik in der Ernährung zum Ausdruck bringen, müssen wir jedoch auch die Weichen dafür stellen, dass sie in gewünschter Menge Lebensmittel ohne Gentechnik kaufen können. Dies kann aber nicht bedeuten, Gentechnik in Deutschland zu be- oder gar zu verhindern und damit Arbeitsplätze und Einkommenschancen insbesondere in der Forschung und Entwicklung zu vernichten oder in das Ausland zu treiben. Denn die Belieferung Deutschlands mit Lebensmitteln, Futtermitteln und Saatgut, die mit Gentechnik hergestellt werden, kann nach den Regeln der Europäischen Union dadurch nicht verhindert werden. Wir sollten deshalb auch in Deutschland die Grüne Gentechnik weiterentwickeln, allerdings ohne jedes Zugeständnis in Fragen der Sicherheit und Unbedenklichkeit, denen Priorität vor allen wirtschaftlichen Überlegungen zukommt.
Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag
Wolfgang Koehler
Referatsleiter "Bio- und Gentechnik"