Nanotechnologie:
Damit das Salz besser rieselt
Nano in Lebensmitteln ist kaum nachzuweisen.
Von Georg Etscheit
31. Oktober 2013, 7:00 Uhr / Editiert am 13. November 2013, 10:48 Uhr DIE ZEIT Nr. 45/2013 24 Kommentare
Geht es noch gesünder, schmackhafter, bequemer? Ja, sagen Technologen in der Lebensmittelindustrie. Manche der Ideen aus deren Labors klingen wie Science-Fiction. Wie wäre es mit einem Fertiggericht, das in der Mikrowelle bei bestimmten Wattzahlen unterschiedliche Aromen entwickelt? Oder haben Sie Appetit auf einen interaktiven Drink, der die Farbe und sein Aroma auf Knopfdruck ändern kann?
Die Hauptrolle bei diesen Innovationen übernehmen winzige Nanoteilchen, die in Lebensmitteln oder Zusatzstoffen ihre Wirkung entfalten. Nano im Essen bietet völlig neue Chancen, auch in Sachen Haltbarkeit. Aber wo stecken die Winzlinge überhaupt schon drin?
Sieglinde Stähle vom Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL), dem Lobbyverband der deutschen Nahrungsmittelindustrie, beteuert, es gebe noch keine Nanomaterialien in Lebensmitteln.Ausnahmen seien Stoffe wie Siliziumdioxid, Titandioxid oder Magnesiumoxid, die seit Langem als Zusätze in Lebensmitteln zugelassen seien. Sie dienen als Rieselhilfe in Salz und Fertigsuppen oder lassen Saucen und Pasten besser fließen. Bei der Herstellung können Nanopartikel entstehen, die aber meist sofort verklumpen. Deshalb fallen sie dann nicht mehr unter Nano.
Diese Feinheit ist deshalb von Bedeutung, weil Nano im Essen derzeit zwar viel Fantasie, aber wenig Appetit anregt. Nano im Essen macht den Deutschen Angst. Deshalb geben sich Industrie und Supermärkte eher zurückhaltend und kennzeichnen müssen sie die Produkte nicht.
"Ich bin mir recht sicher, dass in der EU keine anorganischen Lebensmittelzusätze oder -zutaten zugelassen sind, die gezielt in Nanogröße hergestellt werden", sagt Ralf Greiner, Nanoexperte beim Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel (Max Rubner-Institut). Ob solche Lebensmittel aus Ländern außerhalb der EU importiert werden, sei schwerer zu beurteilen. Das Problem: Nanoteilchen in Lebensmitteln sind kaum nachzuweisen.
Was die Sache nicht einfacher macht: Manchmal ist nicht einmal Nano drin, wenn Nano draufsteht. Etwa bei mehr oder weniger obskuren Anti-Aging-Produkten der Kategorie Nahrungsergänzungsmittel, die übers Internet vertrieben werden und unter anderem auch Stoffe wie Nanosilber und Nanogold enthalten sollen. Bei vielen dieser Angebote sei nicht nachgewiesen, ob die angepriesenen Substanzen wirklich in Nanogröße vorlägen, heißt es in einer 2012 veröffentlichten Studie des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. Offensichtlich setzen die Hersteller bei ihrer speziellen Klientel auf einen positiven Werbeeffekt.
Die Lebensmittelindustrie gibt sich weniger forsch. Man will ein ähnliches Kommunikationsdesaster wie beim Thema Genfood vermeiden. So viel wissen die Lebensmittelkonzerne von den Deutschen nämlich: Wenn es darum geht, die Kratzfestigkeit von Lacken zu verbessern, hat die große Mehrheit nichts gegen die neue Technik. Doch je näher die Nanopartikel dem Körper kommen, desto geringer ist die Akzeptanz der vermeintlichen Zukunftstechnologie. Zwei Drittel der vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) Befragten lehnen Nanozusätze gegen Verklumpungen von Gewürzen ab. Nanoteilchen, die Lebensmittel besser aussehen lassen, waren sogar für 84 Prozent tabu.
Für mehr Transparenz will der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) sorgen. In einer Nano-Produktdatenbank listen die Umweltschützer 93 angebliche Nano-Lebensmittel und Nahrungsergänzungsmittel auf. Die europäische Verbraucherschutzorganisation BEUC kommt in der Kategorie Food and Drinks dagegen nur auf zehn Nanoprodukte. Die Unterschiede erklärt die Bayerische Gesundheitsbehörde unter anderem mit unterschiedlichen Definitionen von Nanopartikeln. Außerdem seien beim BUND bloße Patentanmeldungen als Indiz für die Existenz von Nano-Food gewertet worden. So soll der Süßwarenkonzern Mars laut Sieglinde Stähle vom Lebensmittelverband über ein Patent für einen transparenten Nano-Überzug verfügen, mit dem ein störender Grauschleier auf den Schokoriegeln verhindert werden soll. Mars mache jedoch noch keinen Gebrauch davon. Mehr Klarheit dürfte die europaweite Kennzeichnungspflicht von Ende 2014 an bringen.
Wie aber steht es um Verpackungen? Darf Nano dort drin sein? Laut Ralf Greiner vom Max Rubner-Institut sind Nanomaterialien in Verpackungen in der EU bislang nicht erlaubt. Eine vom Bundesverband Naturkost Naturwaren in Auftrag gegebene Untersuchung kam vergangenes Jahr allerdings zu dem Schluss, es sei "unstrittig", dass Kunststoffverpackungen mit Nanopartikeln bereits im Einsatz seien – um einen besseren UV-Schutz zu erreichen oder wegen ihrer antibakteriellen Wirkung. Aus "lebensmitteltechnischer Sicht" sei diese Technik durchaus sinnvoll, heißt es beim Naturkost-Verband, auch wenn nicht ausgeschlossen werden könne, dass sich Nanopartikel aus der Verpackung herauslösen und Lebensmittel verunreinigen könnten. Selbst hier also wenig Klarheit.
Das gilt selbst für die entscheidende Frage: Wie gefährlich sind Nanopartikel für die menschliche Gesundheit und die Umwelt überhaupt? Relativ gut erforscht sei nur die schädigende Wirkung von eingeatmeten Nanopartikeln, etwa des von Dieselmotoren emittierten Feinstaubs, sagt Ralf Greiner. Über die Wirkung jener Nanoteilchen, die über die Nahrung aufgenommen werden könnten, wisse man noch nichts Genaues.
Auch deshalb fordert der BUND ein Moratorium beim Einsatz der Nanotechnik in verbrauchernahen Produkten. Außerdem plädiert er für ein öffentliches Online-Register. Die Risikoforscher vom BfR raten lediglich von der Verwendung von Nanosilber in Lebensmitteln und "Produkten des täglichen Bedarfs" ab – bis die Datenlage "eine abschließende Risikobewertung zulässt und die gesundheitliche Unbedenklichkeit von Produkten sichergestellt werden kann". Ansonsten, so die Behörde, sei die Datenlage für eine Bewertung von Nanomaterialien in Lebensmitteln noch "unzureichend".