Unzureichende palliative Versorgung in der Sterbephase - was kann eventuell schief gehen?

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Hallo an alle, die es vielleicht interessiert

Ich habe inzwischen, den ein oder anderen beim Sterbeprozess begleiten können.

Einer ist mir dabei in Erinnerung geblieben, bei dem ich gemischte Gefühle gehabt habe, weil er gerade noch mal gut gegangen ist. Das war aber eher ein Zufall und keine echte Entscheidung, im Gegenteil, es hätte eher schiefgehen können. Es geht dabei um Schmerzmittel, die nicht richtig wirken und der Frage, wie das sein kann . . .

Es handelt sich dabei um eine nahe Verwandte von mir, die das letzte halbe Jahr in einem Heim gelebt hat, aufgrund eines Sturzes und nur langsam verheilenden Wunden und einer Demenz. Meine Verwandte war sehr dünn, hat nicht immer richtig essen können und auch nicht immer Medikamente einnehmen können, aber in der Regel hat es dann doch irgendwann funktioniert mit viel Geduld und Zuwendung.

Obwohl der Stationsleiter und ich ein Palliativ-Care-Team wollten, als es meiner lieben Verwandten merklich schlechter ging, wurde das von der Ärztin erst einmal abgelehnt, weil aus ihrer Sicht noch keine Notwendigkeit bestand. Der Stationsleiter war ein sehr gewissenhafter und erfahrener Mann. Ich, als Arzt, hätte mich mehr auf sein Urteil verlassen.
Es ging dann alles sehr schnell. Wir hatten eine Hospizhelferin, die die üblichen Mittel wie Tavor gegen Ängste und Fentanylpflaster gegen die Schmerzen angeraten hatte.

Natürlich begann der Sterbeprozess kurz vor dem Wochenende. Es war schwer das Pflaster rechtzeitig zu bekommen. Meine Bekannte konnte keine Tabletten mehr schlucken und auch nicht mehr sprechen. Aufgrund des niedrigen Gewichts der Sterbenden, stellte sich zudem die Frage, ob es ausreichend wirken würde. Denn letztendlich braucht das Pflaster etwas Unterhautfettgewebe und auch ausreichend Enzyme der P-450-Gruppe, damit es wirken kann. Meine Verwandte hatte dann trotzdem Schmerzen. Ich bemerkte das und stellte ihr Fragen, die sie durch leichte Kopfbewegungen beantworten konnte.
Ich rief den Notarzt an, der dann dafür sorgte, dass im Notfall von einem anderen Patienten Morphiumspritzen gegeben werden konnten. Ich fragte ihn, was man tun könne, sollten die Schmerzmittel nicht ausreichend wirken. Darauf hatte er keine Antwort. Die Hospizhelferin, die ich anrief, ebenfalls nicht. In einem Gespräch, das Wochen vorher stattfand, habe ich wissen wollen, was man tun könne, wenn die Patientin starke Atemnot bekäme, vielleicht durch Wasser in der Lunge oder wenn die Schmerzen nicht in den Griff zu bekommen sind. Ich wollte wissen, ob eine Sedierung dann möglich wäre. Ich kann mich irren, aber sie sah mich etwas panisch an. Sie sagte auch gleich, dass das eher nicht gemacht würde, aufgrund der möglichen Atemwegsdepression und dann rutscht man in die aktive Sterbehilfe rein. Ich meinte, dass es doch für den Notfall auch Hilfe geben müsste.


Der untere Erfahrungsbericht drückt es noch etwas besser aus.:


– Der Wirkstoff des Fentanyl-Pflasters wird hauptsächlich über das Unterhautfettgewebe aufgenommen. Mein Vater hat aber von ehemals 85 kg innerhalb eines Jahres kontinuierlich abgenommen, auch schon vor dem Oberschenkelhalsbruch. Er wiegt jetzt vielleicht noch ca. 40 kg, da ist kein Unterhautfettgewebe mehr. Deshalb hatten die Pflaster wahrscheinlich überhaupt keinen Effekt. (Wissen das die Ärzte nicht? Ist die Erkenntnis so neu? Oder gibt es so unterschiedliche Meinungen?)

Wenn jemand sehr dünn ist und wenn der Stoffwechsel Enzyme nicht mehr ausreichend herstellen kann, braucht man immer einen Plan B. Im Sterbeprozess findet nach und nach ein Organversagen statt, was sich auch auf die Medikation auswirken kann. Eventuelle Versagensmöglichkeiten der Medikamente sollte man vorher in Betracht ziehen, je nach körperlicher Verfassung des Patienten. Wenn der Sterbeprozess bereits begonnen hat, dann hat man für solche Fehler keine Zeit mehr, denn der Patient muss das dann erleiden . . .

Es ist in unserem Falle einigermaßen gut gegangen. Es war auch für mich und meine Bekannte ein berührender Abschied möglich gewesen. Letztendlich haben auch die Pflegekräfte dazu beigetragen, indem sie meine Bekannte in eine Art Nest gelegt haben, so dass der Rücken entlastet werden konnte.

Anmerken möchte ich an dieser Stelle noch, dass der Notarzt eine Kochsalzinfusion legen lassen wollte. Das sollte man in der Sterbephase auf keinen Fall, wenn die Nieren bereits nicht mehr gut arbeiten. Ich war heilfroh gewesen, dass ich in einem Forum zuvor gelesen habe, dass man das ablehnen sollte. Das Wasser geht sonst in die Lunge und dann ist das Ersticken wieder ein Thema. Immer wieder den Mund befeuchten ist die bessere Lösung. Meine Bekannte hat bereits angefangen Wasser in die Lunge zu ziehen. Das befeuchten des Mundes nahm ihr das Durstgefühl.

Ich habe mich in der damaligen Situation nicht gut beraten gefühlt. Heute weiß ich das Sedieren im Ernstfall sehr wohl möglich ist.

Im unteren Link geht es um die palliative Versorgung allgemein. Auf Seite 11 geht es um eine individuelle und rechtzeitige Vorausplanung und um eine mögliche Sedierung, die zwar nur selten angewandt werden muss, aber man sollte dies im Blick haben und ein Team haben, dass dies auch umsetzen kann, wenn man feststellt, dass ansonsten die Sterbephase durch Schmerzen belastet sein kann:


Ein zusätzlicher Link über Opiate in der Sterbephase. Mit diesen kann man nicht sedieren.

 
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Deutschland scheint hier, wie in vielen anderen Bereichen, mal wieder Entwicklungsland zu sein.
Generell bei den Senioren scheint das ein Desaster, was man so liest. Wofür gibt es Patientenverfügungen oder eine Erleichterung der Sterbehilfe, wenn es eh keine Sau interessiert 🤔

Das heisst, rechtzeitig vorsorgen.
 
Heute weiß ich das Sedieren im Ernstfall sehr wohl möglich ist.
Das ist auch mein Stand.
Obwohl der Stationsleiter und ich ein Palliativ-Care-Team wollten, als es meiner lieben Verwandten merklich schlechter ging, wurde das von der Ärztin erst einmal abgelehnt, weil aus ihrer Sicht noch keine Notwendigkeit bestand.
Leider habe auch ich den Eindruck gewonnen (Stand 2016), dass die Zusammenarbeit zwischen Nicht-Palliativ- und Palliativ-Stationen und -Ärzten zu Gunsten eines sterbenden Menschen nicht funktioniert. Fast hatte ich damals den Eindruck einer Art Konkurrenzdenken. Angesichts solch existenzieller Situationen, die jede/n von uns betreffen können (die wenigsten sterben schmerz- und leidlos, z.B. indem sie einfach schlafen gehen und nicht wieder aufwachen) finde ich das schockierend. Auch bei uns war es so, dass die vorhandene Patientenverfügung unterschiedlich "interpretiert" wurde, z.B. in dem entscheidenden Punkt, ob es sich schon um einen Sterbeprozess handelt. Hier kann dann An- oder Zugehörigen eine wesentliche Rolle zukommen.

Ich hatte irgendwo genauer geschildert wie es bei mir nahestehenden Menschen lief... vielleicht finde ich es wieder. Dir jedenfalls mein Respekt, dass Du so gut informiert bist und Dinge entsprechend in die Hand nehmen konntest.
 
Meine Bekannte hatte ebenfalls eine Patientenverfügung gehabt. Allerdings waren darinnen normale Angaben enthalten, die nicht ins Detail gegangen sind.

Auch die unterschiedliche Interpretation der Patientenverfügung kann ein Thema sein, von dem ich auch in unserem Umfeld hin und wieder mal gehört habe, ähnlich wie du Kate, es beschrieben hast.
Es kann auch sein, dass die Patientenverfügung Infrage gestellt wird. Wenn das Legen einer Patientenverfügung nicht gewünscht wird und der Arzt sagt, dass man damit das Leben des Menschen gefährde, dann ist das eine Belastung, der man erst einmal standhalten muss. Es ging in dem Fall dabei tatsächlich um die letzten Lebenstage und nicht darum, dass derjenige noch einmal auf die Beine kommen könnte durch die Magensonde.

Traurig finde ich auch den Umstand, dass man, wenn man in einem Pflegeheim lebt und es absehbar ist, dass die letzten Tage kommen, dass man dann nicht in ein Hospiz umsiedeln kann. In so einigen Pflegeheimen funktioniert die Betreuung nicht immer so gut, wie es wünschenswert wäre. Menschen sterben oftmals auch einsam und sind schlecht versorgt in ihren letzten Stunden. Das wirkt sich dann auch wieder auf mögliche Schmerzen aus.
 
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Traurig finde ich auch den Umstand, dass man, wenn man in einem Pflegeheim lebt und es absehbar ist, dass die letzten Tage kommen, dass man dann nicht in ein Hospiz umsiedeln kann.
Ja, ein ganz wichtiger Aspekt! Ich hatte es nicht mehr parat, erinnere mich aber, dass es bei Menschen meines engen Umfelds Thema war und auch vom ambulanten PalliativCare angesprochen wurde. Wenn gleichzeitig aber die Situation eintritt, dass es ambulant nicht mehr geht und alle umliegenden Hospize Wartelisten haben, bleibt u.U. keine andere Möglicheit.

Längere Transporte sind bei Sterbenden auch nicht angesagt - wir hatten da kurz eine Entfernung von über 200 km im Gespräch, davon riet der Palliativmediziner dringend ab, es sei auch ein ziemlicher Horror und ein riesen Ding mit Polizei usw., wenn jemand unterwegs verstirbt. Bei einem Bekannten von mir verstarb die Mutter umgehend nach dem Transport in Hospiz, da ging es um 30 km.
 
Traurig finde ich auch den Umstand, dass man, wenn man in einem Pflegeheim lebt und es absehbar ist, dass die letzten Tage kommen, dass man dann nicht in ein Hospiz umsiedeln kann. In so einigen Pflegeheimen funktioniert die Betreuung nicht immer so gut, wie es wünschenswert wäre. Menschen sterben oftmals auch einsam und sind schlecht versorgt in ihren letzten Stunden. Das wirkt sich dann auch wieder auf mögliche Schmerzen aus.
In der Millionenstadt München gibt es meines Wissens zwei Hospize. Als mein Mann sichtbar schon sehr krank war, habe ich dort immer wieder wirklich gute Gespräche mit zwei Mitarbeiterinnen des einen Hospiz gehabt. Auf meine Frage, ob sie denn meinen Mann nicht dort aufnehmen könnten, damit ihm der Umzug von zu Hause ins Pflegeheim und evtl. dann in das Hospiz erspart bliebe, wurde mir gesagt: solange nicht klar ist, daß Ihr Mann innerhalb der nächsten 6 Wochen stirbt, können wir ihn nicht aufnehmen. Dafür ist die Warteliste einfach zu lang.

Trotz seiner Demenz hat er wohl beschlossen, das nicht mitzumachen: Nach 4 Wochen im Pflegeheim (über das ich nichts Schlechtes sagen kann), ist er dort gestorben - wohl begleitet von seinem Hausarzt und passenden Medikamenten. Die hatte vorher für die Sterbephase schon eine spazialisierte Ärztin zusammen gestellt, was ich sehr hilfreich fand. Ihre Liste bekam auch der Hausarzt.

Ich frage mich, ob jeder Mensch mit Begleitung sterben möchte. Vielleicht möchte manch Einer auch alleine sterben?
Wir wissen es nicht...

Grüsse,
Oregano
 
Das sind wichtige Punkte, die Du da ansprichst, Oregano.

Es ist, so sehe ich das inzwischen auch, wohl immer eine individuelle Angelegenheit.

Wenn man rechtzeitig ins Hospiz kommen kann und wenn der Transport noch tragbar ist, dann wäre das, je nach Fall, eine gute Lösung. Aber die Plätze sind tatsächlich rar und von daher, wird sich nicht viel verändern zur Zeit. Die letzten Monate im Hospiz zu verbringen, wäre manchem Pflegeheim vorzuziehen. Es gibt aber ohne Zweifel auch heute noch gute Pflegeheime, wenn sie genügend Personal und ehrenamtliche Helfer haben.

Das mit dem Alleine sterben, kann ich bestätigen. Es kommt immer mal wieder vor, dass jemand gerade dann stirbt, wenn die Angehörigen das Zimmer verlassen haben. Wenn man die Person gut kennt, dann kann man vielleicht einigermaßen einschätzen, wieviel Besuch oder Alleine sein, derjenige braucht. Für wichtig halte ich die Sache mit dem Mund befeuchten und dass derjenige gut liegt und wenn möglich keine Schmerzen hat und das immer wieder nach demjenigen geschaut wird, so dass er je nach Wohl sein oder Unwohl sein, anders gebettet werden kann.
Alles andere ist je nach vorheriger Sichtweise des Sterbenden, dann eine Sache der Familie. Da kann man dann darauf hoffen, dass sie den Sterbenden so begleiten, wie er es sich gewünscht hätte.
 
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Wir haben uns gerade überschnitten und ich wollte ungefähr auf das gleiche hinaus...

Die hatte vorher für die Sterbephase schon eine spazialisierte Ärztin zusammen gestellt, was ich sehr hilfreich fand. Ihre Liste bekam auch der Hausarzt.
Auch ein hilfreicher Hinweis.

Ich frage mich, ob jeder Mensch mit Begleitung sterben möchte. Vielleicht möchte manch Einer auch alleine sterben?
Wir wissen es nicht...
Das eine ist dabei sicherlich, was der Mensch sich allgemein wünscht... ich habe mehrfach gehört/selbst erlebt, dass jemand seinen letzten Atemzug tat, als Familie/Freunde gerade mal - auch kurz - nicht da waren. Das andere ist mögliches Leid, für dessen Linderung eine gewisse "Begleitung" (Behandlung) nötig ist. Aber das kann ja auch so dezent und still wie möglich erfolgen. Eine Kunst ist dabei, die Signale des Sterbenden zu verstehen, wobei wir dazu HInweise vom PalliativCare erhielten, u.a. auf bestimmte, u.U. sehr feine Mimikzeichen zu achten. Und dann hofft man als An-/Zugehöriger eben, dass man richtig liegt.
 
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