Hildegard von Bingen – Vorträge von Dr. Berkmüller

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Sammlung der Vorträge von Dr. Alfons_Berkmüller 13.12.2013

zum Thema Hildegard von Bingen

 


 

Vorwort

Liebe Hildegardfreunde, liebe Teilnehmer dieses Forums von «Symptome.ch»

Angeregt von meiner langjährigen Mitarbeiterin und ihrem Mann die sich hier schon fleißg eingebracht haben, möchte ich meine Vorträge aus den letzten 20 Jahren, von denen Mitschnitte gemacht wurden und die von diesen zwei eingefleischten Hildegardfreunden ins Schriftliche übertragen wurden, diesem Forum zur freien Verfügung überlassen. Es ist mir ein Anliegen, daß jeder, der dies möchte, sich aus meinen Texten herausnehmen kann, was er braucht. Es ist glaube ich ganz im Sinne Hildegards, daß ihre Gedanken und ihre Visionen in die weite Welt hinausgehen, welches Medium wäre geeigneter dafür als das Internet mit seinen vielen Möglichkeiten. Zur Einleitung gebe ich einen Text, den ich zur Gründung der Münchener Hildegardgesellschaft verfaßt habe und der heute noch genau so stimmt wie damals.

Mit den besten hildegardischen Grüßen,

Pater Alfons Berkmüller † 13. Dezember 2013

Handschrift aus 2005

Wohl kaum eine Gestalt aus dem Mittelalter
steht so wie Hildegard von Bingen heute im Mittelpunkt der modernen Medien.

Vielgenannt, aber doch noch unbekannt in ihrer Ganzheit und Originalität ihres Gesamtwerkes, «boomt» heute die Heilige von Bingen: eine Frau, die ein enormes theologisch-philosophisches Werk verfasst hat, eine erstaunliche Natur- und Heilkunde hinterläßt, Klöster gegründet, den Klerus reformiert, Hymnen und Symphonien dichtet mit eigenen Kompositionen; eine Frau, die noch hochbetagt «Missionsreisen» unternimmt, öffentlich auf den Marktplätzen der Städte auftritt, feurige Reden hält und mit den Großen ihrer Zeit von «Reich und Kirche» in einen umfangreichen Briefwechsel steht.
Das Einmalige an ihrer Erscheinung haben bereits ihre Zeitgenossen empfunden, die sie als «Edelstein Bingens»
als die «rheinische Sybille» und als die «prophetissa teutonica» preisen. Also auch schon damals eine viel bewunderte Frau.

Hildegard selbst hat sich nur als «eine paupercula femina», als ein «simplex homo», eine «indocta» und als «einfaches Sprachrohr, als die Posaune Gottes» bezeichnet.

Papst Eugen III. schrieb 1150 an Hildegard:
«Die Scharen der Gläubigen Völker brechen aus in Lob über Dich. Du bist für viele ein Duft des Lebens geworden.»
In ihrem grandiosen Werk zeigt uns Hildegard das » geschlossene Gefüge einer Welt», aber auch einer Welt, die aus den Fugen geraten ist, und wie sie sich wieder «zusammenfügt» zum Heile des Menschen.
Bei Hildegard hängt Alles mit Allem zusammen, so z.B. Welt und Mensch, Leib und Seele, Natur und Gnade, Heilskunde und Heilkunde. Hildegard vertritt in ihrem Werk einen heilsgeschichtlich ausgerichteten Realismus: mit der Schöpfung aus dem Nichts, die Erschaffung des Menschen nach dem Ebenbild des Schöpfers, des Menschen Fall, die Menschwerdung des Gottessohnes, die Auferstehung des Fleisches am Ende eines vollendeten Universums.
Hildegards Glaubenslehre will uns keine Neuigkeiten vermitteln. Ihr einziges Ziel ist, das Überlieferte erklären und verkünden.
Aber gerade darin bringt sie für uns «Postmoderne» etwas zur Sprache, das uns verloren gegangen ist. Ihr Denken und Schauen vollzieht sich nicht wie bei uns in «Begriffen», sondern in immer wieder neuen Bildern. Auch nicht ein noch so intensives tiefenpsychologisches Sezieren kann uns helfen in die Welt der Bilder Hildegards einzudringen. Am ehesten gelingt es durch eine unverdrossene Lektüre der Schriften selber, und zwar in mehreren Schritten:
Der erste Schritt wäre eine Übersetzung aus dem «schwerflüssigen Latein» in unsere moderne Sprache; dann weiter aus der verschlüsselten Symbolwelt des Mittelalters mit ihrer Bildersprache in uns verständliche Informationen und letztlich, wie Heinrich Schipperges es ausdrückte aus der visionären Welt ein Weltbild zu machen. Doch der moderne Mensch kann sich aus methodologischen Gründen kein Weltbild mehr errichten; denn er ist zwar bestens «informiert» und bleibt dennoch desorientiert im höchsten Maß. Somit ist die heutige Situation des Menschen überaus kritisch, belastet und bedrängt durch ein Überangebot von Ersatzreligionen aller Schattierungen. Auf dieser Suche nach Orientierung des heutigen Menschen stoŸen gerade in unseren Tagen viele Menschen auf Hildegard von Bingen, angezogen von einer Sicht vom Menschen, die von Vielen wieder als eine «Wiederentdeckung» eines verlorenen Wissens erkannt wird. Im Zentrum ihres Gesamtwerkes steht der «ganze Mensch» mit seiner Leib-Seele-Einheit, geschaffen im Herzen der Schöpfung und berufen zum endgültigen Heil in einer verklärten Welt.
Es ist sicherlich kein Zufall, meint Schipperges der große Hildegard-Entdecker, daß gerade an der Jahrtausendwende im Gesamtwerk Hildegards ihre Naturkunde und die Heilkunde zentral zwischen der Schöpfungsordnung und der Heilsgeschichte behandelt werden ihre Weltanschauung ausmachen: die Heilkunde und die Heilskunde.
Beide werden vermutlich das Antlitz des anbrechenden neuen Jahrhundert bestimmen.» (Schipperges, Hildegard von Bingen, Becksche Reihe Nr. 2008 S 117)

Ich glaube, daß wir Alle, die Hildegards Heilwissen kennenlernen durften (und kennen) auf der Basis, die uns durch den gläubigen Arzt, unseren verehrten Dr. Hertzka, zuteil geworden ist, uns glücklich schätzen dürfen, um vielen Menschen in der heutigen «heilmedizinischen Notzeit» eine Therapie für unsere Zivilisationserkrankungen anzubieten, die uns als Gottes- und Christustherapie, als die einzig wahre und wirksame Heilkunde durch die hl. Hildegard in unsere Hände gelegt ist. Deshalb bin ich unsagbar dankbar für die Gnade dieses Geschenkes und freue mich mit all denen, die das kostbare Erbe von Dr. Hertzka weitertragen – hinein in die kommende so heilsbedürftige Zeit.

Gebet zu Beginn des Jahrtausends.

Mit einem uns vertrauten Wort der hl. Hildegard möchte ich Euch begleiten und von Herzen grüßen:

Heilende Kraft, Du brichst Dir Bahn!
Du durchdringst alle Höhen und Tiefen
Du reichst in alle Abgründe
Du baust alles auf und bindest es aneinander.
Durch Dich ziehen und regnen die Wolken
schwingt ihre Flügel die Luft.
Durch Dich hält noch Wasser der härteste Stein,
wird die kleinste Quelle zum Bach,
sprieŸt überall aus der Erde das frische Grün.
Du führest auch den Geist der Deine Heillehre
versteht in die Weite.
Du hauchst ihm Weisheit ein und mit ihr die Freude.»

Euer Pater Alfons

 

Das rechte Maß

Das rechte Maß, in der Hildegardheilkunde
Pater Dr. med. Dr. psych. Alfons Berkmüller
Manuskript zu einem Hildegard-Seminar
schriftliche Ausarbeitung, Hildegardforum, München

Die Discretio ist eine Voraussetzung für die Gesundheit von Leib, Seele und Geist des Menschen. Um die discretio nach Hildegard in ihrer Tiefe, Weite und Ganzheit zu erfassen, ist es hilfreich, wenn wir uns kurz Hildegards großen Weltentwurf vor Augen führen.

Dieser beinhaltet in Kürze sechs fundamentale Gedanken.

1. Gottes Schöpfung ist gut.

2. Gott hat seine geheimnisvollen Kräfte (subtilitates) in sie eingesenkt und als solche gewollt.

3. Die Schöpfung ist noch nicht vollendet, sie ist in einem enormen Prozeß der Entfaltung einbezogen.

4. Der Mensch, als der Spiegel aller Werke Gottes hat den Auftrag, an der Entwicklung teilzunehmen und für sie die Verantwortung bekommen.

5. Der Mensch ist berufen den genialen Schöpfungsplan des göttlichen Werkmeisters zu erkennen, damit sich die gesamte Schöpfung ihrem Ziel nähern kann.

6. Durch seine «operatio» (sein opus) entfaltet sich der Mensch selbst, er findet zu seinem «Selbstsein», zu seinem Wesen und dadurch hilft er mit, daß sich die Schöpfung auf ihren Schöpfer, auf ihren Urheber , zu ihrem Ziel zu bewegt.

Wie aber soll der Mensch dieses «opus» zustandebringen? Allein vermag er es nicht. Er braucht viele Hilfe dazu.
Die bedeutendsten und effektivsten Helfer für den Menschen sind die Gotteskräfte, die virtutes, die Tugenden mit ihren Grünkraft spendenden guten Eigenschaften.

Eine der wichtigsten Gotteskräfte ist die «discretio».

o die Seelenkraft der Unterscheidung
o die geistige Fähigkeit der eindeutigen Beurteilung der Dinge.
o die Fähigkeit in allen Dingen und Situationen das rechte MaŸ zu halten.

Die discretio ist die Mutter aller Tugenden

hier steht Hildegard ganz in der Tradition des hl. Benedikt, sie gibt aber der «discretio» ein ganz besonderes Gewicht für das «spirituelle Leben und Wachstum».

Im Buch Scivias hat die discretio das Wort: (WW Böckler S 259)

«Ich bin die Mutter aller Tugenden. In allen Dingen handhabe ich die Gerechtigkeit Gottes. Denn im geistigen Kampfe wie im Getöse der Welt erwarte ich in meinem innersten Bewußtsein immerdar meinen Gott. Ich verdamme nicht, ich zertrete nicht, noch verachte ich Könige, Herzöge, Fürsten und die vom Urheber aller Dinge eingesetzt sind.

Im Buch der *Gotteswerke, in der 5. Schau berichtet Hildegard, daß dem Menschen als eine besondere Auszeichnung die Gabe der Diskretion verliehen wurde.

*während ich, Gott, den Menschen gewissermaßen im Ursprung aller Schöpfung in seinen guten Sitten gestalte, schaffe ich zu ihm die lebendige Erkenntnis von Gut und Böse. So kann Er das Böse meiden und mich als seinen guten Vater nachahmen. Gab ich ihm doch die discretio, die Unterscheidungskraft zwischen Gut und Böse nach meinem Gleichbild. Mit diesem Erkennen sollte er die ganze Schöpfung unterscheiden. Er sollte sie bewußt erkennen und gleich mir die Gewalt über sie haben.

(weitere Verse: Der Mensch verläßt Gott in seiner Eitelkeit – Mühsal der Sünden und verläßt die «laeta seientia», das freudvolle Erkennen, das ihn nie verwunden würde. WM ,Schipperges 5. Schau S. 209ff)

Durch die «discretio» kann die Ebenbildlichkeit Gottes wahrgenommen werden;
Ein Abbild Gottes scheint durch sie hindurch

Mit der «discretio» ist die rationalitas» verbunden: sie vermittelt:
Einsicht in die Zusammenhänge, folgerichtige Schlüsse zu ziehen.

«Die Vernunft ist Mutterstoff (materna) des Wissens von Gut und Böse und sie verhält sich wie ein Baumeister, der aufbaut und abbricht.
Wer den Tag des Glaubens liebt, der baut sein Haus im Himmlischen Jerusalem; wer ihn aber verachtet, der reißt sein Haus ab von der Ehre und Glückseligkeit der himmlischen Erbschaft» (WM Schipp.5.Schau S. 213/25)

Ebenso wichtig wie die «himmlischen Dinge» sind auch die irdischen.
Diskretio als rechtes Augenmaß für Beides..

«Der Mensch sollte Beides haben: erstens die Sehnsucht nach dem Himmel und zweitens die Notdurft des Fleisches. So sollte er in allen Belangen mit discretio derart gehalten werden, damit in ihm durch maßlos auferlegte gute Werke nicht die Errichtung einer Ruine gebaut und er nicht unter dem Andrang unpassender Sitten zugrunde gerichtet werde. Vielmehr bete er bisweilen unter Seufzen zu anderer Stunde aber beschäftige er sich mit guten Werken, und wieder zu anderen Zeiten trage er Sorge, daß es ihm an leiblichen Bedürfnissen nicht mangle» (WMSchipp. V S. 214/27)

für Hildegard bedeutet die discretio, daß sie immer um das rechte Maß besorgt ist und jede Art von Übertreibung und Maßlosigkeit ablehnt.

Hildegard hielt sich in allen Bereichen an diese «Mutter der Tugenden», in ihrem eigenen Leben, sowie im Umgang mit den Mitmenschen.

So erfahren wir aus ihrer Biographie:

Sie leitete die Ihrigen, ohne zu erschlaffen, bald mit milder, bald mit strenger Autorität. Ihr Ernst war gewürzt mit Freundlichkeit und von ihrer Zunge floß die Rede süßer als Honig.» (vita,91)

In ihren Briefen finden sich oft Ermahnungen, nichts zu übertreiben, vor allem die Askese betreffend und immer auf die Stimme der discretio zu achten.

Elisabeth von Schönau beschwor sie, ein gesundes Maß zu finden, besonders in ihrer Liebesmystik:» Lerne Maßhalten! Dies ist für Himmlisches und Irdisches die Mutter aller Tugenden: denn durch sie wird die Seele geleitet und ebenso der Leib in rechter Zucht ernährt. Wie durch unangebrachte Sturzregen die Frucht der Erde Schaden leidet und wie in ungepflügter Erde nicht gute Frucht, sondern unnütze Kräuter aufsprießen, so wird auch der Mensch, der sich mehr Mühsal auferlegt, als sein Körper aushalten kann – da in ihm das Wirken der heiligen Diskretion geschwächt ist – durch maßlos auferlegte Mühsal und Enthaltsamkeit seiner Seele keinen Nutzen bringen.» (BW 199)

Hildegard weist auf die verschiedenen Begabungen von «Martha und Maria» hin (LK 10,38-42), die sich gegenseitig ergänzen und nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen.:

«Die discretio hält die Tugenden zusammen, gleichsam einer Magd, die ihrer Herrin mit ihrem Dienst zur Verfügung steht. Da in den irdischen Dingen, die zum Leibe nun einmal gehören, und sie der Diskretion unterliegen, die Herrin selber ihre Magd nicht entbehren will.

So ist die discretio das Firmament: das Irdische, das aktive Leben hält sie unter sich, das göttliche, das beschauliche Leben, hat sie über sich.

Dadurch ist sie die Treppe auf der des Menschen Geist durch die guten Werke zum Himmel steigt, auf der er aber auch den irdischen Bedürfnissen zuliebe zur Erde herabklettert, so wie Maria und Martha ihre verschiedenartigen Dienste Gott darboten.
Beide Lebensarten waren Gott wohlgefällig, ist Er doch der Begründer von Beiden. Und so bestehe das Gefüge der Zugenden in beiden Lebensweisen, in dem der Mensch selber die Unterscheidung trifft, auf daß er Göttliches und Irdisches nach dem ihnen gesetzten Maß in rechter Weise nutze, so wie Gott sie geschaffen.» (WM S. 214)

Hildegard schätzt den Menschen und seine Berufung hoch ein; gerade die discretio bezeichnet seine Größe und seine Verantwortlichkeit.
Der Mensch ist frei, so kommt alles darauf an, was er mit dieser Gabe anfängt.

«Jede Vernunft im Menschen existiert als eine solche, die von Ihm, dem wahren Gott kommt. Was ihr gefällt, soll sie wählen, was ihr mißfällt, muß sie verwerfen; denn sie erkennt, was gut und was schädlich ist.» (WM 282)

Hildegard weiß, daß viele Menschen nicht nach der discretio handeln und ihre Freiheit mißbrauchen.

Im Buch der Lebensverdienste läßt Hildegard die discretio auftreten die der personifizierten Maßlosigkeit der immoderatio entgegentritt.

«Du benimmst dich wie die Jungen der wilden Tiere, die noch kein Maß kennen und handelst wie das schmutzige Vieh. Alles, was in der Ordnung Gottes steht, antwortet einander.
Die Sterne funkeln vom Licht des Mondes und der Mond leuchtet vom Feuer der Sonne. Jedes Ding dient einem Höheren und nichts überschreitet sein Maß Du aber nimmst weder auf Gott Rücksicht, noch auf seine Geschöpfe, Du hängst vielmehr in der Luft wie eine leere Schote, die im Winde baumelt.» (VM 94)

Hildegard sieht hier sehr tief hinein in das Geflecht sozialer Strukturen, aber auch kosmischer Verflechtungen. Alles hängt mit allem zusammen, deshalb muß auch der Mensch sein Maß erkennen, sonst ist er der eigentliche Störfaktor in der gesamten Schöpfungsordnung.

Jedes Fehlverhalten beeinflußt nicht nur den Einzelnen, sondern den ganzen Zusammenhang aller Dinge.

Hildegard stellt einen Vergleich zwischen den sozialen Folgen und den gesundheitlichen an, die aus einem Mangel an discretio kommen:

«Weil der Mensch mit seinem Ungehorsam sich sowohl über die Furcht wie auch über die Liebe Gottes hinwegsetzt, überschreiten auch alle Elemente und die Gezeiten ihre Grenzen. Das ist so wie bei den Eingeweiden des Menschen; hat der Mensch einmal sein Maß überschritten, so verhalten sich dementsprechend auch seine Eingeweide».-(Heilkunde Schulz 69)

Hildegard erinnert den Menschen unentwegt an seine Aufgabe in der Schöpfung Gottes als cooperator Dei und weist aber auch energisch auf die Folgen hin, wenn er sich seiner Berufung verweigert.

«Gott hat mich mit beiden Augen erleuchtet, mit ihnen betrachte ich, was für eine Herrlichkeit das Licht in der Dunkelheit hat. Damit aber kann ich wählen, auf welchem Wege ich zu wandeln habe: ob ich sehend, ob ich blind sein werde, indem ich erkenne, welchen Führer ich für den Tag oder für die Nacht anrufen soll.» (WM 58)

Die discretio ist der Kompaß auf unserem Lebensweg, dadurch können wir die rechten Entscheidungen treffen und Bewährung in den Krisen. Achten wir nicht auf die discretio, dann werden wir nicht gleich von Gott bestraft, sondern von unserer eigenen Umwelt, von der uns umgebenden Schöpfung.

«discretio – Reinheit des Herzens»

«Die gesamte Schöpfung, die Gott in der Höhe wie in den Tiefen gestaltet hat, lenkt er zum Nutzen des Menschen hin. Mißbraucht der Mensch seine Stellung zu bösen Handlungen, so veranlaßt Gottes Gericht die Geschöpfe, ihn zu bestrafen» (WM,65)

Die discretio der hl. Hildegard führt uns zur hildegardischen «Ganzheit»; denn die Gabe der Unterscheidung müssen wir in allen Bereichen unseres Daseins üben und anwenden.
«Und so liebt die Seele in allen Dingen das diskrete Maß. Wann auch immer der Körper des Menschen ohne Diskretion isst oder trinkt, oder etwas anderes dieser Art verrichtet, werden die Kräfte der Seele verletzt, weil alles nur mit Maß ausgeführt werden soll, da nun einmal der Mensch nicht ständig im Himmel weilen kann. Und wie durch allzu große Sonnenglut die Erde aufgerissen wird und durch übermäßige Regengüsse die Saat nicht nutzvoll sprießen kann, wie vielmehr nur in richtiger Verbindung von Hitze und Feuchtigkeit die Erde ohne Nutzkräuter wachsen lässt, so werden auch in richtig ausgewogener Mischung alle Verrichtungen der irdischen und himmlischen Dinge maßvoll und gut angeordnet und vollendet.» (WM 99)
Hildegard fügt noch hinzu: «Dieses diskrete Maß haben jene geliebt, mit denen der Himmel erleuchtet ist, und sie lieben es noch. Der Teufel aber wollte dies und will es nicht haben, weil er immer nur in extreme Höhen oder extreme Tiefen strebt, weshalb er auch fiel und sich nicht wieder erhebt.» (WM S.99) Anm. maßlos = teuflisch, maßvoll=himmlisch.

Die Seele ist eine Brücke, sie verbindet oben und unten; Himmel und Erde; innen und außen. Die Seele bringt in den Menschen die Harmonie, wenn sie maßvoll und ausgeglichen «Beide» verbindet.
Nach Hildegards Sicht ist ja die Seele gerade dazu erschaffen, diese Einheit zu wirken; sie selbst ganz anzunehmen, nichts auszuklammern, nichts zu verdrängen, oder gar als «Schatten» ins Unterbewusste abzuschieben. Denn so gibt es für den Menschen keinen Ausgleich, keine Harmonie, keine Einheit, sondern nur Zerrissenheit. Die Seele ist nach Hildegard wie der Saft im Baum, der alles am Leben erhält und ernährt und den ganzen Baum durchströmt. Die Seele ist die Grünkraft im Menschen, die Kraft, die mit der Hilfe der discretio das ganze Leben, den Lebensstrom, die Ganzheit mit diesem diskreten Maß steuert. Die Seele ist auch wie Feuer, das Element, welches Gottes Hauch symbolisiert und durch den die Seele den leblosen Lehmklumpen zum Leben erweckte.

Hildegard sagt es so:

«Die Seele erscheint wie Feuer, die Vernunft aber ist in ihr wie das Licht und sie wird durch die Vernunft in ihrer leuchtenden Art auf die gleiche Weise durchdrungen, wie auch die Welt durch die Sonne erleuchtet wird» (WM S. 101 ff)

Das diskrete Maß des Kosmos, das Leuchten der Sonne, wird auf das diskrete Maß der Vernunft bezüglich ihres «Leuchtens» auf den Menschen übertragen.

Im Buch der Gotteswerke spricht Hildegard in der 3. Schau von der Natur des Menschen.

Einen kleinen Ausschnitt widmet sie auch der «Ermüdbarkeit» bzw. Ermüdung des Menschen; zuerst von der körperlich-leiblichen Ermüdung und dann von der seelischen.

«So geht es zu, wenn der Mensch den rechten Tugendweg maßlos zu wandeln versucht. Die Maßlosigkeit dieser Haltung lenkt ihn dann auf Unzuträgliches ab und führt die Enthaltsamkeit in ihm auf ein übertriebenes Maß des Gewissens, so daß er sich dann in seiner Maßlosigkeit auch erlaubter Dinge enthält und sich schliesslich den Ekel an anderen Tugenden zuzieht. Indem er wähnt, er kehre zur Gerechtigkeit zurück und triefe nur so von Gewissenhaftigkeit, bereitet er sich den Fallstrick der Ermüdung, weil er bei solcher unangemessenen Enthaltsamkeit die Zartheit des Mutes und der Vorsicht verlässt. Schließlich zweifelt er, ob er sich überhaupt noch halten könne und fällt auf diese Weise in die Schlinge der Verzweiflung». (WM S.73/14)

Hildegard bemerkt im gleichen Werk in der 2. Schau «Wenn die Herzen und Köpfe der Menschen sich einem Irrtum zuwenden, so ist das ein Hinweis auf Irrtümer, die die Elemente unter der Sonne durch Katastrophen erschüttern und zu einer Sonnenfinsternis führen – durch die Maßlosigkeit der Menschen provoziert.»

Hildegard stellt einerseits das menschliche Leben in einen großen kosmischen Zusammenhang, vergisst dabei aber nicht andererseits die Grenzen der menschlichen Möglichkeiten und die Hinfälligkeit seiner Kräfte aufzuzeigen. Größe der Schöpfung und Bedeutung des kleinen Menschen werden zusammengefügt und gezeigt, wie der Mensch in seinem Alltag dieser Berufung gerecht wird.

Zum Abschluß über Hildegards Gedanken zur discretio, möchte ich noch kurz skizzieren wie in der Neuschöpfung der Siebentagewoche die «Mutter der Tugenden» das Leben des Menschen gestaltet.

Am zweiten Tag der Schöpfungsgeschichte entsteht das Gewölbe des Himmels, das Firmament, um das Wasser oberhalb des Firmaments zu scheiden.

Die Diskretion ist nicht selber am Werk, sie dient als Hilfskraft den übrigen Tugenden

So hält auch das Firmament, die Stütze all der Kräfte, durch die es umgewälzt wird, die anderen Geschöpfe in ihrem Wirken, indem es zu ihrer Verfügung steht.» (WM, 216)
und wie das Firmament jedes Ding, das darin gesetzt ward stützt, indem es ihm seinen Raum gibt, so ist auch die Diskretion durch ihr Werk, wie die übrigen Kräfte, die gemäß ihrem Tun Werkleute heißen, nicht Werkmeisterin, d.h. operatrix, sondern lediglich die Stütze (substentaculum) für die übrigen Tugenden» (WM S. 216)

Für Hildegard ist in ihrer Schau die discretio wie das Firmament für die übrigen Tugenden.

Die discretio mit dem Geschmackssinn zu vergleichen, der uns sagt, daß

eine Speise gut oder auch schlecht (verdorben) ist.

Die discretio vermag auch die verschiedenen Gedanken, Motivationen, Emotionen und auch die Impulse im Herzen zu unterscheiden.

Die hemmungslosen Triebkräfte weist sie in Schranken und in eine gute Richtung.

In der Spiritualität der hl. Hildegard ist die discretio die Voraussetzung für die «richtigen Entscheidungen». Sie vertraut sich der Führung des Hl. Geistes an und sieht in allen Dingen den Willen Gottes.

Die discretio wendet nie pauschal abstrakte Regeln an, sondern schaut auf die jeweilige Situation des Menschen und wägt ab, die Zeit und den Ort der Umstände, die Schwächen und Stärken der Mitmenschen.

Die discretio als «Gabe der Unterscheidung» des Augenmaßes und des Maßhaltens setzt die Haltung der inneren Aufmerksamkeit voraus und hängt somit eng zusammen mit:

Klugheit, Gerecht sein im Urteil und mit einer Sensibilität für die Verschiedenartigkeit der Menschen im Zusammenleben.

Die discretio beschreitet den Weg der richtigen Mitte, nicht der Mittelmäßigkeit.

Hildegard vergleicht dies mit einer «Treppe», auf der der Mensch durch die guten Werke zum Himmel aufsteigt und auf der er den leiblich-irdischen Bedürfnissen entsprechend zur Erde herabsteigt.( vergl. Martha und Maria)

Nach Hildegard nützt ein guter Beginn nichts ohne ein gutes Ende, deshalb bedarf der Mensch der Gotteskraft der discretio, damit nicht im Menschen durch «Maßlosigkeit» von selbst guten Werken eine Ruine erbaut wird. und zugrunde gerichtet wird, durch den Ansturm unpassende Sitten.

Die discretio reguliert im Menschen alles «organisch», denn sie nimmt Rücksicht auf das Leben.

Deshalb kann die discretio vielen Menschen zu einem «Ganzsein» und zu Gott zu führen.

In Liebe zur Verbreitung für alle, die es wissen wollen.

Euer Alfonso
München 2011

Die Grundlage Hildegardischer Ethik

War Hildegard eine Mystikerin?
Vortrag Dr. Berkmüller 1998 im Hildegard-Forum München

 

Die Grundlagen der Ethik Hildegards sind 3 Grundkräfte der «menschlichen» Geist-Seele

In der Seele liegen 3 Kräfte:

1. Das Begreifen = comprehensio (Begreifen in der Kraft Gottes das Himmlische und Irdische.)

2. Die Einsicht = intelligentia (ist ein umfassendes Einsehen der Bosheit der Sünde und Abstand durch «Reue»).

3. Die Ausführung = Motio (durch die sie sich in sich selbst bewegt.) (S. 88 opera divinorum) Schippergers)

 

weitere 3 Grundkräfte der Seele sind:

1. Das Vergeistigen = ( Exspiratio)

2. Das Erkennen = ( scientia)

3. Die Empfindung = ( sensus) (S. 88 opera divinorum Schipperges)

 

Seite 90: im lib. op. div. : spricht Hildegard von 2 «Vermögen der Seele»

«mit dem einen steigt sie in die Höhe, wo sie Gott fühlt, mit dem anderen nimmt sie den ganzen Leib, in dem sie existiert in Besitz, um in ihm ihr Werk zu tun; Denn der Seele Freude ist es, im Leibe wirksam zu sein um das Werk des Leibes zu vollenden.

Ferner wirkt der Mensch seine Taten (Gut und Böse) mit den 4 Elementen, nach Maßgabe der 4 Winde, die in den oberen Luftbereichen ihre Kräfte ausüben, wie wohl sie ihr Wehen mitunter auch auf den Schmutz und die Unsauberkeit des Unrats legen.

 

Den 4 Hauptwinden gleichen im Menschen 4 Grundkräfte:

1. Das Denken (cogitatio)

2. Die Sprache (locutio)

3. Der Trieb (intentio)

4. Das Gemüt ( gemitus)

(Es sind begleitende Grundkräfte der Seele, mit denen der Mensch Gutes, bzw. Böses wählen kann.»

(Seite 115 opero Div. 4. Vision Schipperges)

 

NB) Ferner nennt Hildegard als 4-faches Flugvermögen

4 Kräfte der Seele

1. sensus

2. seientia

3. voluntas

4. intellectus

 

 

Was ist im Sinne Hildegards «Mystik»

Das Werk der» Volksheiligen» Hildegard von Bingen gehört zu den größten zusammen hängenden literarischen Werken aus dem Hochmittelalter, das uns erhalten ist.

Hildegard hat für jeden Menschen, auch für die heutige Zeit etwas gegeben.
Wir wollen nun erst einmal sehen, was uns alles zur Verfügung steht.

Das 1 . Buch das wir der Einfachheit halber einmal das Buch der Ichfindung nennen wollen heißt «scivias» und bedeutet auf Deutsch «Wisse die Wege».
Wenn ich Ihnen sage, daß Hildegard seit ihrer Kindheit Schauungen oder wie sie es nennt, Visionen gehabt hat, dann bin ich damit schon mitten in dem Geschehen, daß Hildegard zu den Menschen gehört, von denen man sagen kann, daß sie mit dem in Verbindung stand, was Hildegard selbst als «den Schatten des lebendigen Lichts» bezeichnete. So wurde es ihr genannt.

Wer nannte das so?
Wie hat das ausgeschaut?
Was hat sie gehört?

Lauter Fragen die wir sofort stellen wollen, und die nach einer Antwort aus der ,,Vernunft suchen.

Mit unserer Vernunft oder noch besser gesagt, mit unserem, der Wissenschaft verpflichteten Denkvermögen kommen wir da nicht weiter. Wir wollen deshalb gleich wieder Hildegard selbst zu Wort kommen lassen mit einem Briefauszug an Wibert von Gembloux:

 

«Von meiner Kindheit an, als meine Gebeine, Nerven und Adern noch nicht erstarkt waren, erfreute ich mich der Gabe dieser Schau in meiner Seele, bis zur gegenwärtigen Stunde, da ich doch schon mehr als siebzig Jahre alt bin.

Jetzt mache ich einen Textsprung dahin, wo ich meine, daß sie davon berichtet, daß damals die Zeit der mystischen inneren Vorgänge war….

und meine Seele steigt “ wie Gott will “ in dieser Schau empor, bis in die Höhe des Firmaments und die verschiedenen Sphären und hält sich bei verschiedenen Völkern auf, obgleich sie in entlegenen Gegenden und Orten, weit von mir entfernt sind, und da ich dies in solcher Weise in meiner Seele schaue, erblicke ich auch den Wechsel der Wolken und anderer Geschöpfe .(Hinweis auf die Einweihung in die Feinstofflichkeit der Heilmittel). Ich sehe aber diese Dinge nicht mit den äußeren Augen und höre sie nicht mit den äußeren Ohren, auch nehme ich sie nicht mit den Gedanken meines Herzens wahr, noch durch irgendwelche Vermittlung meiner fünf Sinne»
….So weit einmal dieser Text, der auf die mystische Begabung Hildegards hinweist.

Bis hier her bekommen wir zwei Botschaften.

Hildegard spricht von zwei Ebenen, der «Drinnenebene» und der «Draußenebene.»

Sie ist also dauernd, Tag und Nacht, drinnen mit der Stimme und draußen mit dem täglichen Leben beschäftigt, noch mehr, mit Seelenreisen zu fremden Völkern und Stämmen, mit denen sie lebt und deren Weisheiten sie lernen darf.

Also, wenn das nicht mystisch ist, was dann..

Das ist es was ich meine, wenn ich von Genie spreche.

Wer kann das, so präsent sein für Gott und die Welt, ganz bewußt, ohne geistig sich nach innen wenden, ganz dabei sein was die Stimme ihr aufträgt und gleichzeitig solche körperlichen Strapazen zu bestehen, wie Hildegard sie in ihrer Zeit als „btissin bestanden hat.
Wollen wir uns jetzt noch einmal auf das konzentrieren, was wir gehört haben.

War Hildegard Mystikerin?

Wir können also sagen – Ja- sie war Mystikerin soweit wir von ihr erfahren konnten wo sie ihre Schau erlebte.

Das sind Schilderungen von Eindrücken und Erlebnissen, die wir nicht so leicht nachvollziehen können. Auch die damaligen Menschen waren befremdet über das was Hildegard sagte. Wahrscheinlich haben sie das Kind ja sogar als geistesgestört bezeichnet, jedenfalls war die Reaktion der Umwelt so befremdet, daß Hildegard aufhörte, mitzuteilen was sie sah . Es blieb also in ihr verschwiegen. Was sie weiterhin erfuhr, war also wieder zur Mystik zu zählen. Ihre Lippen blieben verschlossen.

 

Ihr mystisches Erleben beruht einzig und allein auf der persönlichen Erfahrung durch eine Begegnung mit Gott .und zwar nicht mit dem Gott als subjektivem Gesprächspartner der Seele, sondern jenem Gott, der die ganze Welt und den ganzen Menschen geschaffen hat.

Hildegard hat nie etwas vergessen, was einmal in sie eingedrungen war und konnte noch nach vielen Jahren, bis zu ihrem Ableben mit 81 Jahren wortgetreu wiederholen was gesagt worden war, aber sie behielt es in sich bis zu dem Tag, an dem sie den Auftrag erhielt. .

In Hildegards 42. Lebensjahr erhielt sie einen Auftrag:

«Schreibe was du siehst, tue kund die Wunder die du erfahren, schreibe sie auf und sprich».
Wäre es vermessen, zu behaupten, daß bis dahin die «mystische Phase ihres jungen Lebens war?

Diese Zeit war notwendig, damit Hildegard, die seit ihrer Kindheit unter Schwächezuständen gelitten hatte, Kraft schöpfen konnte, Kraft für einen Auftrag, der sie im Alter von 42 Jahren so in die Pflicht nahm, daß sie fast Tag und Nacht diktiert haben mußte, wenn man den Umfang anschaut, den ihr Werk hat.

Also, die mystische Phase begann in ihrer Kindheit, erstreckte sich über die Jahre ihrer Jugend, in der sie Inklusin auf dem Disibodenberger Kloster war und wurde erst zu einem Übergangsgeschehen in den Zustand einer Prophetin, als Gott ihr den Auftrag gab, jetzt das Werk «scivias» zu beginnen.

Hildegard schildert das Geschehen eindringlich:

«Im Jahre 1141 der Menschwerdung Jesu Christi, als ich zweiundvierzig Jahre und sieben Monate alt war, kam ein feuriges Licht mit Blitzesleuchten vom offenen Himmel hernieder. Es durchströmte mein Gehirn und durchglühte mir Herz und Brust gleich einer Flamme, die jedoch nicht brannte, sondern wärmte, wie die Sonne den Gegenstand erwärmt, auf den sie ihre Strahlen legt. Nun erschloss sich mir der Sinn der Schriften, des Psalters, des Evangeliums und der übrigen katholischen Bücher des Alten und Neuen Testaments. Doch den Wortsinn ihrer Texte, die Regeln der Silbenteilung und der Fälle und Zeiten erlernte ich dadurch nicht.»

Weiter im Hildegardtext: «Die Kraft und das Mysterium verborgener, wunderbarer Gesichte erfuhr ich geheimnisvoll in meinem Innern seit meinem Kindesalter, das heißt seit meinem fünften Lebensjahr, so wie auch heute noch ( also auch noch im Alter).
Doch tat ich es keinem Menschen kund, außer wenigen, die wie ich im Ordensstande lebten. Ich deckte alles mit Schweigen zu bis zu der Zeit, da Gott es durch seine Gnade offenbaren wollte.»

Hildegard war es unheimlich, vor dem Auftrag und sie wollte aus der Verpflichtung immer wieder herauskommen.

Aber immer wieder passierten solche Eindrücke wie:

«Ich hörte, wie der auf dem Throne Sitzende sprach» » schön sind Deine Augen, wenn du kündest…»

Hildegard hatte nicht das Laster des Stolzes, deshalb entging ihr dieses «Lob» und sie weigerte sich viele Male und brachte Ausreden wie: «Weil ich nicht wert bin Mensch zu heißen». Oder «wie Asche komme ich mir vor». ~;

Diese Weigerungen wurden meistens mit dem Umstand quittiert, daß Hildegard krank wurde. Sie wurde ans Bett gefesselt und verbrachte schwere Zustände von Lähmungen und ärgste Formen von einer Art Migräne, bis sie wieder bereit war zu reden und zu schreiben. Dann konnte sie aufstehen und herumgehen, als wäre nichts gewesen.

Hildegard war nie stolz auf ihre Leistung, sie war nur stolz darauf ein Geschöpf Gottes zu sein. Hildegard wusste immer und zwar durch ihre mystische Innenphase, woher sie kam, wer sie war und wohin sie gehen würde.

Trotzdem klagte sie «seit meiner Kindheit hatte ich nie das Gefühl von Sicherheit.» Schauen Sie, das nenne ich eben mystisch. Innerlich hat sie gewusst.

Mein heutiger Vortrag bei Ihnen heißt «Hildegard von Bingen – eine Mystikerin?
Nach meiner Einleitung können wir jetzt schon weiterfragen:

War Hildegard von Bingen ~ nur ~ eine Mystikerin?

 

Nach meiner Lektüre, bedeutet Mystik ein Zusammenfließen des Menschen~ich mit dem Ganzen dessen, was er selbst nicht ist. Mystik bedeutet aber auch «Augen und Lippen schließen» dabei wird der Inhalt der Erfahrung geheim gehalten und nur Eingeweihten offenbart.

Aus Hildegards Brieten geht hervor, daß sie sehr unsicher war, ob das, was sie schaute und wovon die Rede war, daß sie es offenbaren sollte, echt sei und für die Ohren der Öffentlichkeit bestimmt. Sie schrieb an Bernhard von Clairveaux einen Brief und erhielt zur Antwort, daß sie keine Sorge haben bräuchte, das was sie als Auftrag erhalten hatte, hätte seinen Ursprung in Gott und sie solle sogar dringend weiterarbeiten. Darüber hinaus berichtete BvC dem Papst von Hildegards Talent, sodaß es zu einem Besuch wichtiger Herren aus Rom kam, bei dem Hildegard wegen ihrer Eingebungen befragt wurde. Anschließend anlässlich eines synodalen Treffens in Trier hat dann der Papst persönlich aus dem erwähnten Buch scivias vorgelesen und ab da galt Hildegard als Prophetin, als Schauende als Sybille vom Rhein – für die ganze Welt und ganz öffentlich, mit Freibrief, daß alles was von ihr käme, in der Gnade Gottes stünde und anerkannt war. Hildegard und ihre Werke bedeuten viel mehr.

Hildegards Werke sind also nicht nur mystisch, sie sind auch prophetisch auch praktisch für das tägliche Leben einsetzbar. Es geht um die Lebensordnung die uns Gott bei unserer Erschaffung mit auf den Weg gegeben hat. Es geht um das Wissen von viriditas und subtilitas, das heißt Lebenskraft – Grünkraft und Subtilität bedeutet das, was Gott in die Kreaturen versenkt hat gleichsam Heilkraft, die von Anfang an da war.»

Wer kann das beantworten, was das ist. Dann, das Wissen von der Seele, 2000 Mal kommt das Wort Seele im Werk Hildegards vor.

Diese Dinge sind Wissen aus einem unbeschreiblichen Charisma. Hildegard von Bingen war ein Genie, wenngleich sie das nie hätte hören wollen, weil sie sich immer klein und unscheinbar beschrieben hat, gleichsam «wie eine Feder, die Gott von der Erde aufgenommen hat.»

Nach dem ersten Buch scivias hat Hildegard nicht gleich ihr zweites großes dialogisches Werk verfasst, sie hat dazwischen etwas ebenfalls sehr Wichtiges geschrieben, das ist eine Naturkunde, ein Doppelwerk sozusagen, in dem ursprünglich causae et curae das heißt «das Buch der Ursachen und Behandlung der Krankheiten» und das reine «Heilmittelbuch» , die sogenannte «physica», zusammengefaßt waren. Diese Bücher enthalten ca. 2000 Angaben über Pflanzen, Bäume, Elemente, Edelsteine, Fische, Vögel, Tiere, Reptilien, Metalle Das .Buch «physica» ist ein aus der Volkstradition hervorgegangenes und für die einfachen Menschen bestimmtes Arzneibuch. Bis heute ist ungeklärt, aus welchen Quellen Hildegard geschöpft hat. Es gibt sogar Personen, die vorschlagen das ganze Werk als unecht oder zumindest verfälscht abzu tun. So leicht können wir es uns da aber nicht machen.

Wer viel in den Büchern Hildegards liest, kann unschwer erkennen, daß das Werk in den meisten Teilen echt ist. Der Stil ist unverkennbar und auch von namhaften Wissenschaftlern als original Hildegard bestätigt, nur selbst geschrieben muß sie es nicht haben, es genügt, wenn sie es diktiert hat. Oder wenn es viele Male abgeschrieben worden wäre zum Zwecke der Verbreitung.

Jedoch ganz sicher können wir nie sein, denn damals war es kein Sakrileg, wenn jemand unter fremdem Namen etwas veröffentlicht hat und es war auch nicht verurteilenswürdig, wenn etwas was schon geschrieben war und einer bestimmten Person zugeschrieben, wenn das dann verändert oder verfälscht wurde, so war es halt im Mittelalter, da hat kein Hahn danach gekräht.

Bei dieser Betrachtung kann ich nur sagen, es ist zwar schade, daß wir nicht in allen Teilen sicher sein können, aber wir haben noch so viel übrig, was sicher ist, daß wir nicht trauern brauchen. Seien wir froh, daß wir so viel haben.

Die Werke CC und Ph sind nachweislich nicht dialogisch, sie kommen aus dem Bereich der Erfahrung, des Fleisses, der Wachheit, der Feinsinnigkeit, der Einheit mit der Natur, der Barmherzigkeit mit dem Leidenden. Aus dem Bereich der klösterlichen Hospizarbeit, aus dem, was alles in den benediktinischen Klostergärten zu sein hatte, aus dem täglichen Leben, dem Jahreskreis – säen, ernten und anwenden. Hildegard geht traumhaft sicher mit Symbolen um, für fast alles, was den Menschen angeht, benützt sie Symbole. Es heißt dann oft: so wie, als ob, oder genau so wie und dann kommen Vergleiche aus der Tierwelt, aus der Welt der Sterne usw Der Mikrokosmos im Makrokosmos ist ihr Thema, die Elemente, die Säfte, die Krankheiten und die Wege, die der Mensch nimmt um wieder gesund zu werden, das geht tief in die Psychologie, in die Psychosomatik hinein.

24 Grundkrankheiten nennt Hildegard, damit haben sich die Mediziner auseinanderzusetzen, das ist hoch wissenschaftlich, glauben Sie mir.

Hildegard weiß um die Zusammenhänge der Pflanzen mit dem Menschen, sie erklärt genau die Grünkraft, genau so wie die subtilitas der Kreaturen und wie sie miteinander und füreinander wirken können. Und über allem steht der Wille des Gottes, dem Hildegard ihr Leben geweiht hat.

Sie erklärt die Zusammenhänge der Seele mit dem Leib. Die Leiden der Menschen gehen vom Gehirn aus und es ist unübersehbar, daß die Gedanken den Weg der Säfte verändern. Gedanken machen krank oder gesund. Hildegard weiß auch etwas über die Erbkrankheiten, sie nennt sie Urübel, aus denen der Mensch nur herauskommt, wenn er sich damit abfindet und seinen Blick auf die Leiden Jesus Christus lenkt, der Kranke soll Christus seine Wunden zeigen und um Hilfe bitten, er soll seine Kränkungen und Verletzungen der Seele ihm vorstellen. Gott wird alles heilen.

Originalstellen: «zeig mir deine Wunden» Also wir sehen, daß Hildegard hier mehr Seherin ist als Mystikerin, weil sie freimütig offenbart, es den Menschen freistellt, zu befolgen was sie sagt ,aber auch streng ist, im Hinblick darauf, wie der Mensch leben soll.
Als wäre Hildegard eine Naturforscherin gewesen, hat sie Dinge beschrieben, die sie unmöglich mit den leiblichen Augen gesehen haben konnte. Das Laichverhalten z.B. und das Leben im Winter unter der Eisdecke, das hält den neuesten Forschungsergebnissen stand.

Hildegard hatte eben noch eine Begabung, sie konnte in die Kreaturen der Schöpfung eindringen, sie war eine feinfühlige und einfühlsame Frau bei der es unmöglich war etwas zu verheimlichen und was sie wissen wollte, das erfuhr sie und wenn sie sich quasi mit dem Schöpfer selber kurzschloß, wie mit einem Telefonapparat in andere Sphären.

Das gehört wieder in die Begabung der Schauenden der Visionärin.

Hildegard konnte abrufen was gebraucht wurde, wie wir aus vielen ihrer Brief ersehen können, in denen sie beschreibt, daß sie die Stimme erst um Aufklärung befragen mußte.

Das Buch «causae et curae», das heißt von den Ursachen und Behandlung der Krankheiten war, wie vorher schon angedeutet ein Teil der «Naturkunde». Das hat einen ellenlangen Titel, den ich Ihnen ersparen möchte, weil er lateinisch ist und uns nicht viel weiterbringt. Ich möchte ihnen ja möglichst viel brauchbares mit nach Hause geben.

Also das Buch CC, so wird es meistens abgekürzt ist ein Schulbuch, eine Gesundheitslehre.
Daß es hier um den ganzen Menschen geht, erkennen wir unschwer aus dem Aufbau. ~

In der Einleitung betrachtet Hildegard das Universum. Die Schöpfung der Welt entnimmt sie wie es damals üblich war dem alten Testament .
Das Bauwerk des Kosmos erinnert an antike Vorlagen ist aber nie abgeschrieben .
Die Weltelemente sind mit den hippokratischen Elementen zumindest annähernd verwandt. warum nicht, sie waren ja Schulwissen in den Klöstern und Platon erscheint sogar mit Namen.

Dann die Ordnung. Die 6 Regeln die nicht von Natur aus vorhanden sind, sind Bestandteil einer fast jeden Lebensregel großer Ärzte.

Mir gefällt es, daß sich Hildegard auf dem Gebiet nicht nur schlau gemacht hat, daß sie auch das was sie gelernt hat noch vertieft und ausgebaut hat, Sozusagen modifiziert.

Die Ordnungstherapie ist ja sogar in den benediktinischen Regeln verankert .Jedes Kloster hatte einen eigenen Klostergarten mit ganz bestimmten Pflanzen zu besitzen und die Auswahl wurde zu Hildegards Zeit aus dem Gesetz Karls des Großen getroffen, der das erste Naturschutzprogramm verordnet hat, das ich kenne.

Dann die Maßnahmen die bei bestimmten Krankheiten zu treffen sind. Aderlass, Schröpfen, Brennen, Wickel Auflagen usw. Da war Hildegard eine Heilerin, sie war als Magistra auch für den reibungslosen Ablauf des Klostergeschehens verantwortlich. Schwestern die krank wurden sollten bald wieder gesund sein und das Hospiz, das auch in jedem Kloster zu betreuen war hatte ja Menschen von draussen zu behandeln. Da war es ja der Stolz eines Klosters, genug Anwendungen zur Hand zu haben um zu helfen. Also, es wäre geradezu lächerlich bei all diesen praktischen Dingen zu fragen, woher Hildegard das hatte, das war eben bekannt und keiner hat sich dabei überlegt ob das Wissen aus der Schau kommt oder ob es zur Mystik zu rechnen war, es war vorhanden, also wurde es benützt.

Um noch einmal zu überlegen, warum das eben gehörte nicht unbedingt als geheimnisvolle Lektüre gedacht war, sollten wir uns erinnern, daß Hildegard vor diesen Werken 1o Jahre mit größter Anstrengung unter mehrmaliger Krankheit das Buch » Scivias» erstellt hatte und eine Zeit der Erholung brauchte. Das ist ihr damit gelungen .

Nach der Naturkunde schrieb Hildegard ein Buch der Lieder. 77 Lieder sind uns erhalten.
Auch ein Mysterienspiel oder wie wir heute sagen würden, ein Musikal entstand in der Zeit.

Wahrscheinlichkeit sind die Umstände zur Schöpfung dieser Kleinodien der Musik aus der lnnigkeit zwischen » Hildegard und ihrem Geheimnis» entstanden. Musikwissenschaftler bezeichnen dieses WERK als ganz besondere Kostbarkeit und einmalig ohne Beispiel .

Immer dann, wenn es kein Beispiel für etwas aus Hildegards Feder gibt, können wir daran denken, daß sie mit dem Logos in Verbindung stand bei der Erstellung ihrer Schriften

Also zumindest teilweise – mystisch.

Dann die Briefe. 3oo Stück sind erhalten, wenn auch die Wissenschaft behauptet, daß nicht alle von Hildegard stammen, und ihre eigenen Brief sogar verändert und passend gemacht wurden, es läßt sich aus denen die sicher sind ohne weiteres ableiten, daß Hildegard, zumindest dann, wenn sie nicht gleich geantwortet hat, daß sie dann die Stimme um Rat gefragt hat. Das gehört dann sicher in die Rubrik Schauung – weil Hildegard zum Teil von Bildern spricht, die sie bekommen hat. Als Antwort auf ihre Frage.

Wir sind jetzt kurz vor dem zweiten großen dialogischen Werk und es soll noch einmal erinnert werden, daß Hildegard nach der Ich-Findung auf die Du-Findung zustrebt. Diese sogenannten Zwischentexte sind eine Vorbereitung auf die nächste Phase ihres arbeitsreichen Lebens.

Mit dem Buch «Der Mensch in der Verantwortung» auf lat. ,,1iber vitae meritorum» geht Hildegard den Weg der Wahrheit mit sich selbst.
Mit den Visionen über die Lebenskunde wird Hildegard vor die Entscheidung gestellt. Sie macht alles selber durch, diese Laster und auch die Kräfte der Seele die ihr beistehen und ihr immer wieder auf die Beine helfen.

35 Gegensatzpaare werden plastisch und drastisch geschildert. Aber nur die Laster werden als Risikofaktoren der Seele bildlich dargestellt. Die Kräfte der Seele sprechen aus der Wolke und sind immer da, wenn Hildegard sie braucht.

Hildegard versenkte sich in die Geheimnisse der Umwelt und des eigenen Ich, um vor allem Gott, den Ursprung in dem alles Naturgeschehen wurzelt, zu finden.

Wie jede echte Mystik wurzelt auch die Hildegards in ihrer Persönlichkeit.

Und jeder wahre Mystiker ist ein Dichter. So sieht Hildegard das Wesen der Dinge (Subtilität) wie es nur ein Dichter und Mystiker kann.

Die Hymne an die Lebenskraft:
O edelstes Grün

Das wurzelt in der Sonne

und leuchtet in klarer Heiterkeit

im Rund eines kreisenden Rades, das die Herrlichkeit des Irdischen nicht faßt-

Umarmt von der Herzkraft himmlischer Geheimnisse

rötest du wie das Morgenlicht

und flammst wie der Sonne Glut.

Du Grün, bist umschlossen von Liebe.

Zum Fasten in der Hildegardheilkunde

Vorwort

Wohl kaum eine Gestalt aus dem Mittelalter steht so wie Hildegard von Bingen heute – 900 Jahre nach ihrer Geburt – im Mittelpunkt der modernen Medien. Vielgenannt, aber doch noch unbekannt in der Ganzheit und Originalität ihres Gesamtwerkes, gilt die Heilige von Bingen heute wieder etwas: eine Frau, die ein enormes theologisch-philosophisches Werk verfasst hat, eine erstaunliche Natur- und Heilkunde hinterläßt, Klöster gegründet hat, den Klerus reformierte, Hymnen und Symphonien mit eigenen Kompositionen dichtete; eine Frau, die noch hochbetagt «Missionsreisen» unternahm, öffentlich auf den Marktplätzen der Städte auftrat, feurige Reden hielt und mit den Großen ihrer Zeit von Reich und Kirche in einem umfangreichen Briefwechsel stand. Das Einmalige an ihrer Erscheinung haben bereits ihre Zeitgenossen empfunden, die sie als «Edelstein Bingens», als die «rheinische Sybille» und als die «prophetissa teutonica» priesen. Also auch schon damals eine viel bewunderte Frau. Hildegard selbst hat sich nur als eine «paupercula femina», als ein «simplex homo», eine «indocta» und als «einfaches Sprachrohr», als die «Posaune Gottes» bezeichnet.

Papst Eugen III. schrieb 1150 an Hildegard: «Die Scharen der gläubigen Völker brechen aus in Lob über Dich. Du bist für viele ein Duft des Lebens geworden.»

In ihrem grandiosen Werk zeigt uns Hildegard das geschlossene Gefüge einer Welt, aber auch einer Welt, die aus den Fugen geraten ist, und wie sie sich wieder zusammenfügt zum Heile des Menschen. Bei Hildegard hängt Alles mit Allem zusammen, so z.B. Welt und Mensch, Leib und Seele, Natur und Gnade, Heilskunde und Heilkunde. Hildegard vertritt in ihrem Werk einen heilsgeschichtlich aus-gerichteten Realismus: mit der Schöpfung aus dem Nichts, der Erschaffung des Menschen nach dem Ebenbild des Schöpfers, des Menschen Fall, der Menschwerdung des Gottessohnes, der Auferstehung des Fleisches am Ende eines vollendeten Universums. Hildegards Glaubenslehre will uns keine Neuigkeiten vermitteln. Ihr einziges Ziel ist, das Überlieferte zu erklären und zu verkünden. Aber gerade darin bringt sie für unsere «Postmoderne» etwas zur Sprache, das uns verloren gegangen ist. Ihr Denken und Schauen vollzieht sich nicht wie bei uns in Begriffen, sondern in immer wieder neuen Bildern. Auch nicht ein noch so intensives tiefenpsychologisches Sezieren kann uns helfen in die Welt der Bilder Hildegards einzudringen. Am ehesten gelingt es durch eine unverdrossene Lektüre der Schriften selber und zwar in mehreren Schritten:

Der erste Schritt wäre eine Übersetzung aus dem schwerflüssigen Latein in unsere moderne Sprache; der zweite, eine Übertragung aus der verschlüsselten Symbolwelt des Mittelalters mit ihrer Bildersprache in uns verständliche Informationen um in einem letzten, wie Heinrich Schipperges es ausdrückte, aus der visionären Welt ein Weltbild zu machen. Doch der moderne Mensch kann sich aus methodologischen Gründen kein Weltbild mehr errichten; denn er ist zwar bestens informiert und bleibt dennoch desorientiert im höchsten Maß. Somit ist die heutige Situation des Menschen überaus kritisch, belastet und bedrängt durch ein Überangebot von Ersatzreligionen aller Schattierungen. Auf dieser Suche nach Orientierung des heutigen Menschen stoßen gerade in unseren Tagen viele Menschen auf Hildegard von Bingen, angezogen von einer Sicht vom Menschen, die von Vielen als eine Wiederentdeckung eines verlorenen Wissens erkannt wird. Im Zentrum ihres Gesamtwerkes steht der ganze Mensch mit seiner Leib-Seele-Einheit, geschaffen im Herzen der Schöpfung und berufen zum endgültigen Heil in einer verklärten Welt. Es ist sicherlich kein Zufall, meinte Professor Heinrich Schipperges, der große Hildegardentdecker, daß gerade um die Jahrtausendwende im Gesamtwerk Hildegards ihre Naturkunde und die Heilkunde zentral zwischen der Schöpfungsordnung und der Heilsgeschichte behandelt werden.

Mit einem uns vertrauten Wort der hl. Hildegard möchte ich Euch begleiten und von Herzen grüßen:

Heilende Kraft, Du brichst Dir Bahn!
Du durchdringst alle Höhen und Tiefen.
Du reichst in alle Abgründe.
Du baust alles auf und bindest es aneinander.
Durch Dich ziehen und regnen die Wolken,
schwingt ihre Flügel die Luft.
Durch Dich hält noch Wasser der härteste Stein,
wird die kleinste Quelle zum Bach,
sprieŸt überall aus der Erde das frische Grün.
Du führest auch den Geist, der Deine Heillehre versteht,
in die Weite. Du hauchst ihm Weisheit ein
und mit ihr die Freude.

Euer Pater Alfons

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Eine Meditation über das Rad

  • geschöpft aus liber divinorum operum von Hildegard von Bingen

Die hl. Hildegard hinterließ uns ein tiefsinniges Bild von der Art, wie sie das «Heilende und Ganze» ihrer Therapie verstand. Es ist das Bild vom Rad als Spannungseinheit von Geist und Materie, von Leib und Seele, von Gott und Mensch, von Zeit und Ewigkeit. Diese Spannungseinheit aufrecht zu erhalten, verstand Hildegard als schöpferische und lebenslängliche Aufgabe des Menschen. Selbst die Welt der Tugend ist für sie wie ein Rad, ein Ganzes, eine Spannungseinheit. Jede Tugend ist ohne Gegenpol bereits ein Laster und zerstört das Leben.
Ein Beispiel: Die Demut (humilitas) muß polarisiert sein durch ein tiefes Wertgefühl Kind Gottes zu sein, sonst wird Demut zu einer «buckligen Tugend» – abstoßend. Erst wenn ich weiss, worauf ich stolz sein darf, kann ich auch in gesunder Weise demütig sein.
Jede gute Seite in uns hat auch einen Gegenpol, diesen muß ich zulassen. Wenn ich z.B. sage, ich bin fleißig und aktiv, dann muß ich auch zugeben, daß ich es gar nicht immer sein kann, denn ich bin auch ab und zu faul und passiv; wenn ich das nicht zulasse, dann bin ich unwahr und werde verspannt. Spannungsausgleich bedeutet: Spannung und Entspannung. Sonst gibt es Verspannung oder Erschlaffung.

Das Rad – ein Symbol unserer Wirklichkeit

Bei Hildegard ist das Rad ein Symbol für die Vollendung, Fülle, Erfüllung für die Ewigkeit, kein Anfang und kein Ende, für Gott den Ursprung aller Dinge, für den dreifaltigen Gott. Vollendung der Beziehung ist die Liebe. Das Rad ist die einmalige Ganzumdrehung» ist die Entfaltung und Entwicklung des Kosmos bis zur Vollendung. Das Rad ist für den Menschen Bewegung, Mensch auf dem Weg immerzu. Das Rad ist ein Symbol für unser Leben.

Woraus besteht das Rad? Aus Achse, Speichen, Reif!

Die Achse ist die Mitte, der ruhende Punkt des Rades des Lebens. Die Speichen sind der Aufbruch ins Neue, in die Welt, in die Aufgabe des Lebens, aber auch die Verbindung zur Mitte (zur Achse). Der Reif ist das Abgerundete nach außen. Er stellt die «Reibung» mit der Umwelt dar. Der Reif ist der Kontakt mit der Materie der Welt, der Menschen, mit ihren Sorgen und Problemen. Hildegard nennt das alles poenitentia, etwas was weh tut, schmerzt, reibt. Das bedeutet dann conversio morum, eine Umkehr, ein Neues, Aufbruch, Reue, Herzensbewegung. Durch den runden Reif kommt eine harmonische Bewegung zustande, eine evolutio, eine Entfaltung zur Vollendung. Das Rad ist eine große Erfindung. Hildegard nennt die Atome die kleinsten Rädchen, die voller Energie das Leben antreiben. Der Mensch in seinem Menschsein ist wie ein Rad.

Zunächst betrachten wir die pathologische Form des Lebens, das verkehrte Gestalten. Das bedeutet, der Mensch kann von seinen eigentlichen Aufgaben, Verantwortung und von seinen Problemen davonlaufen, auf der Flucht sein, auf eine dreifache Weise flüchten.

  • 1. Fluchtweg

Der Mensch baut sich selbst eine Achse, eine «selbstfabrizierte», die eine künstliche Achse ist, die nicht die wirkliche Achse des Lebensrades ist. Die Folge ist: Das Rad kann nicht mehr «rund laufen»
Der betreffende Mensch sagt: «Ich bin am rotieren». Er ist ja aus dem Ordnungsgefüge heraus gefallen. Er ist in die Isolation geraten, abseits von der Mitte des Geschehens. Da der feste Punkt, der Fixpunkt, willkürlich gewählt ist, trägt alles Tun und Lassen den Stempel der Willkür. Ein organisches Wachstum ist nicht mehr möglich. Er stürzt von einer vordergründigen Lösung in die andere. Er rotiert, dreht sich um die eigene Achse, verfällt einer falschen Egozentrik.

  • 2. Fluchtweg

Der Mensch gibt es auf, überhaupt eine Achse, eine Mitte für sein Leben zu suchen. Die Folge ist, er verliert sich bedingungslos an die Außenseite des Rades, an die Peripherie, an den Reif, er leidet unter einem Schleudertrauma, ist verletzt, haltlos, er taumelt nur noch herum. Differenziert gesehen bedeutet das: So ein Mensch verliert sich an alles Äußerliche, Nebensächliche, Wesenlose, an alles was sich gerade anbietet, an jede Aktivität an jede Modeerscheinung, an alles, was momentan «in» ist. Ein Mensch ohne Mitte, ohne «Selbst». Er sagt: man tut, man denkt, man kleidet sich usw. Manchmal kann man das Wort hören: «Ich habe die Orientierung verloren.» Der Mensch verliert seinen eigenen Stand, sein Stehvermögen. Er läßt sich hin und herwerfen. Er ist gejagt und gestresst, ohne Ruhe. Sein Spannungsausgleich ist völlig abgefallen, der gesunde Widerstand gebrochen, sein Zusammenbruch ist nahe, er hält keine Belastung mehr durch, er ist erschöpft, ausgemergelt, ausgebrannt.

  • 3. Fluchtweg

Die totale Resignation: Der Mensch resigniert, weil ihm jede «Mitte» fehlt, ein «Rad ohne Achse» kann nicht mehr «Rad» sein. Die Folge ist: Die Spannung wird zu groß, zu schwer, er gibt auf, er tut nicht mehr mit, er «steigt aus». Man hört von solchen Menschen oft: «Ich fühle keinen Boden mehr unter meinen Füßen». Dieser dritte Fluchtweg ist die eigentliche Tragik eines Menschen. Es begann bereits im Paradies, zu Beginn der Menschheit. «Kain aber floh vor dem Angesicht Gottes», steht in der Bibel. Kain, das ist der Mensch der Leben vernichtet, er hielt die Spannung Gott-Sünder nicht aus: So wird der Mensch haltlos und Gottlos. Ohne Gott ist er ein Atheist, nichts anderes. Atheismus ist die Flucht aus der Spannung Gott-Mensch und ist eine unheilbare Krankheit bei Hildegard. Es ist für jeden Menschen, der bewusst sein Leben lebt notwendig, die Spannung, Materie – Geist, was wir ja sind, auszuhalten und ganz durchzustehen. Aber noch schwieriger ist es die Spannung Gott-Mensch auszuhalten. Jesus war Gott und Mensch zugleich in einer Person. Das war die denkbar höchste Spannung, die überhaupt möglich ist.

Aus der «Mitte fliehen», deutet Hildegard auch theologisch. Sie nennt es «Sünde» (im Griechischen wird Sünde mit vier verschiedenen Begriffen wiedergegeben: Verfehlen, Unrecht, Gesetzlos, Gottlos) Die «sündige» sich absondernde Seele nennt Hildegard sehr plastisch anima fugativa, die flüchtende Seele. Hier treffen beide Aspekte der Flucht theologisch und psychologisch wieder zusammen. Der Mensch, der vor den Konflikten, vor der Verantwortung, vor der Entscheidung, ja vor seinem eigenen Schatten flieht und davonläuft, oder anders gesagt, der seine Konflikte und Probleme verdrängt, wird daran erkranken und wenn keine Hilfe kommt, scheitern. Für Hildegard gilt mit Nachdruck: es ist unser Auftrag, mitten in das Spannungsfeld Leben einzusteigen und auszuharren. Einen anderen Weg gibt es nicht. Die enormen Probleme unserer Tage, auch die immer neu aufkommenden Krankheiten z. B. Aids, können nur so ausgetragen werden. Hildegard sagt es sehr kühn: «Je größer das Spannungsfeld ist, um so mehr Energie wird zur Lösung freigesetzt.» In einem Bild schaute Hildegard die Fülle von diesem spannungsreichen Menschenleben. Es ist das Bild einer schönen Frauengestalt, die ruhig, gesammelt und unbe-weglich in einem schnell rotierenden feurigen Rad stand (stabat). Diese Gestalt hält ein eben aufgeblühtes Reis in ihrer Hand: Es sind zwei spannungsvolle Pole: Die Ruhe und Bewegung und das Blühen und das Feuer. In diesem Bild können wir drei Rückwege (restitutiones) bzw. Heimwege in die Geborgenheit, ins volle Leben erkennen. Die Mitte, die Achse des Rades bedeutet Urvertrauen. In ihm können wir ruhen, schlafen und ebenso auch aktiv sein. Die Therapie der hl. Hildegard ist nichts anderes als zur «eigentlichen Achse», zur Mitte, zum Mittelpunkt aller Dinge zurückzukehren; diese Therapie hat Hildegard selbst gelebt, denn es sind die drei benediktinischen Gelübde.

  • 1. Rückweg

Der erste Rückweg (Heimweg) in die Spannungseinheit ist die
stabilitas, d.h. das Stehen in der Achse, das Aufrechtstehen in der Mitte, das bedeutet: ich muß mich in der Mitte festmachen, stabilisieren * stare – stabilitas. (Wenn ich ein Rad zeichnen will, dann muß der Zirkel in der Mitte fest sitzen; je größer der Kreis, desto fester.) Das heißt aber auch: Der Mensch muŸßirgendwo fest sein, daheim sein, sich wohlfühlen, einen festen Ort bzw. Wohnsitz haben, wo er sich zur Ruhe legen kann und nach der festen Hand eines Anderen greifen kann, wenn ihm die Spannung zu groß, zu mächtig wird. Das heißt aber auch noch, daß der Mensch in einer absolut festen unverrückbaren Achse stehen müsste, nämlich im Bleibenden, das ist Gott selbst. Im Jenseitigen ist allein unsere eigentliche Heimat. Der Mensch muß also einen Ort haben, wo er ruhen kann, wie ein Kind im Herzen des Taifuns. Dieser Weg muß täglich geübt werden, alles kann dazu dienen; vor allem die Meditation (in medium ire – in die Mitte gehen).

Das Gegenstück ist das Umherschweifen (die 32. Gestalt im liber vitae meritorum): «Die Gestalt hatte jugendliches Aussehen, nur daß ihr die Kopfhaare fehlten. Auch hatte sie das Gesicht eines ganz alten Mannes mit einem Bart. Sie hing in der Finsternis in einem Tuch wie in einer Wiege, die vom Winde hierhin und dorthin geschaukelt wurde. Ein anderes Gewand sah man nicht an ihr. Bisweilen aber streckte sie sich aus diesem Tuch heraus um sich dann wieder darin zu verkriechen und sprach: «Das wäre mir doch ein törichtes Verlangen, wenn ich immerfort an der gleichen Stelle und bei denselben Leuten verkehren sollte. Nein, überall soll man gelegentlich auch von mir hören.» Diese Gestalt hatte nur ein Tuch, sie war in der Finsternis, war nackt und arm, ferne vom Leben. Sie war wie in einer Wiege, was andeutet, Geborgenheit wie sie ein Kind sucht, infantil.

  • 2. Rückweg

Daheim ist, von wo man aufbricht. Hildegard will damit verdeutlichen, daß das Stehen in der Achse kein faules Ausruhen ist. Vielmehr gilt für den Menschen in der Mitte, daß er von der Mitte her den Kreis schlägt, seinen Lebensradius. Hildegard nennt diesen Vorgang oboedire, d.h. horchen, hinhören, lauschen und dann bereit sein das «Erlauschte» auszuführen, zu tun. Oboedientia, wird gewöhnlich übersetzt mit «Gehorsam». Im theologischen Sinn ist oboedientia letztlich die «freie Haltung» jeden Augenblick fähig zu sein den herrlichen Plan der Schöpfung im Einklang mit Gott zu verwirklichen, Tun, was Gott will. Zur stabilitas, muß die oboedientia kommen: ein Weggehen aus der Mitte. Im Bilde gesprochen sind es die Speichen, es ist also ein vielfaches verschiedenartiges ständiges Aufbrechen zum opus Dei, eine permanente Flexibilität, ein dauerndes sich Einlassen in die jeweilige Situation. Es ist eine ungeheuere Forderung an uns, frei zu sein von Fixierungen. Gleichzeitig steht jedoch der Aufbrechende immer mit der Mitte der Achse in Verbindung. Daraus folgt: Es gibt keine Heimatlosigkeit, keine Fremde. Wir sind trotz unserer Weltlichkeit überall daheim auch an der Peripherie. Spannungseinheit ist ein Geschenk in jedem Augenblick. Sie blüht auf wie ein Reis, sie ist nichts Starres, sondern etwas Blühendes, etwas Lebendiges. Dies ist jedoch kein fertiges Rezept. Wir können uns Allem zuwenden, was der Augenblick von uns verlangt: der Dynamik des Lebens, der Entfaltung (evolutio im tiefsten Sinn). Wir werden durch nichts überrumpelt, denn wir können nicht überfahren, überrollt werden. Wir gestalten die Bewegung mit. Unsere Tragfähigkeit für Lasten, für Probleme und Konflikte wächst durch die Geborgenheit in der Mitte, es ist keine Verdrängung mehr nötig.

  • 3. Rückweg

Stabilitas und oboedientia bedeutet Ruhe und Bewegung. Achse und Speichen fügen den Reif zur Einheit und Ganzheit des Rades. Dieser Reif bedeutet das nach Aussen gerichtete in uns, es sind die Kontaktflächen, die Reibeflächen mit unserer Umwelt im weitesten Sinn. Die Reibung durch den Reif nennt Hildegard poenitentia und patientia.

Poenitentia ist der Mut zum Geradestehen für das Wieder- und Falschmachen. Wir brauchen uns nichts vormachen, und auch unseren Mitmenschen nicht. Wir brauchen kein schlechtes Gewissen haben, wir dürfen sogar schuldig werden. Noch entscheidender, wir brauchen die Schuld nicht zu verdrängen was einer der gefährlichsten Vorgänge in der Psyche des Menschen ist. Mit verdrängter Schuld kann niemand leben. Im Wort poenitentia steckt etwas ganz Tiefes drin, nämlich «Umkehr» das ist sehr wichtig bei Hildegard. Schuld ermöglicht uns einen neuen Anfang. Die felix culpa in der Osternacht bringt Neubeginn mit Gott, mit der grenzenlosen Güte Gottes.

Patientia ist die Fähigkeit gerade zu stehen, aufrecht zu stehen, etwas auf sich zu nehmen. Pati bedeutet, darunter stehen, bleiben, eine Last auf die Schulter nehmen, ein homo patiens zu werden, einer sein, der durchhalten kann. Pati bezeichnet das Durchstehvermögen, das Aushalten und Austragen schwerer Dinge. Nicht einfach davon laufen, sich aus der Verantwortung stehlen, sich aus der Verantwortung entlassen. Das wäre die große Flucht, nicht zu sich selbst finden. Von Maria heißt es lapidar: Stabat mater juxta crucem. Sie stand unter dem Kreuz. Kreuz ist das Zeichen für Befreiung durch Durchhalten. Viktor Frankl sagte: Wenn unsere heutige Gesellschaft nicht mehr leidensfähig wird, führt ihr Weg ins Unheil.

Das Symbol «Rad» kann uns einen kleinen Einblick in die Psychotherapie Hildegards, ihre Seelenheilkunde, gewähren. Es ist ein kleiner Spalt durch den wir ihre ganzheitliche Heilweise erahnen können. Wie lebensnah ist doch diese hl. Hildegard. Ihr Geschautes ist ein Vermächtnis an uns, damit auch wir durch alle Spannungen hindurch unversehrt bleiben und heil werden können.

Discretio

(Die Mutter aller Tugenden)

Das rechte Maß heißt bei Hildegard discretio. Um die discretio nach Hildegard in ihrer Tiefe, Weite und Ganzheit zu erfassen, ist es hilfreich, wenn wir uns kurz Hildegards großen Weltentwurf vor Augen führen. Dieser beinhaltet in Kürze sechs fundamentale Gedanken.

Erstens: Gottes Schöpfung ist gut.

Zweitens: Gott hat seine geheimnisvollen Kräfte (subtilitates) in sie eingesenkt und als solche gewollt.

Drittens: Die Schöpfung ist noch nicht vollendet, sie ist in einen enormen Prozess der Entfaltung einbezogen.

Viertens: Der Mensch als der Spiegel aller Werke Gottes hat den Auftrag, an der Entwicklung teilzunehmen und trägt für sie Verantwortung.

Fünftens: Der Mensch ist berufen den genialen Schöpfungsplan des göttlichen Werkmeisters zu erkennen, damit sich die gesamte Schöpfung ihrem Ziel nähern kann.

Sechstens: Durch seine operatio (sein opus) entfaltet sich der Mensch selbst, er findet zu seinem Selbstsein zu seinem Wesen und dadurch hilft er mit, daß sich die Schöpfung auf ihren Schöpfer, auf ihren Urheber, ihrem Ziel zu, bewegt.

Wie aber soll der Mensch dieses opus zustandebringen? Allein vermag er es nicht. Er braucht viel Hilfe dazu. Die bedeutendsten und effektivsten Helfer für den Menschen sind die Gotteskräfte, die virtutes. Eine der wichtigsten Gotteskräfte ist die discretio – die Seelenkraft der Unterscheidung, die geistige Fähigkeit der eindeutigen Beurteilung der Dinge, die Fähigkeit in allen Dingen und Situationen das rechte Ma zu halten. Die discretio ist die Mutter aller Tugenden. Hier steht Hildegard ganz in der Tradition des hl. Benedikt, sie gibt aber der discretio ein ganz besonderes Gewicht für das spirituelle Leben und Wachstum.

Im Scivias-Buch hat die discretio das Wort (W.W. Böckler S. 259) :

«Ich bin die Mutter aller Tugenden. In allen Dingen handhabe ich die Gerechtigkeit Gottes. Denn im geistigen Kampfe wie im Getöse der Welt erwarte ich in meinem innersten Bewussstsein immerdar meinen Gott. Ich verdamme nicht, ich zertrete nicht, noch verachte ich Könige, Herzöge, Fürsten und die, die vom Urheber aller Dinge eingesetzt sind»

Im Buch der Gotteswerke, in der 5. Schau berichtet Hildegard, daß dem Menschen als eine besondere Auszeichnung die Gabe der discretio verliehen wurde. «Während ich, Gott, den Menschen gewissermaßen im Ursprung aller Schöpfung in seinen guten Sitten gestalte, schaffe Ich in ihm die lebendige Erkenntnis von Gut und Böse. So kann er das Böse meiden und mich als seinen guten Vater nachahmen. Gab ich ihm doch die discretio, die Unterscheidungskraft zwischen Gut und Böse nach meinem Gleichbild. Mit diesem Er-kennen sollte er die ganze Schöpfung unterscheiden. Er sollte sie bewusst erkennen und gleich mir die Gewalt über sie haben.» «Der Mensch verlässt Gott in seiner Eitelkeit und Mühsal der Sünden und verlässt die «laeta scientia», das freudvolle Erkennen, das ihn nie verwunden würde€» Durch die discretio kann die Ebenbildlichkeit Gottes wahrgenommen werden. Ein Abbild Gottes scheint durch sie hindurch. Mit der discretio ist die rationalitas verbunden. Sie vermittelt Einsicht in die Zusammenhänge und ermöglicht es folgerichtige Schlüsse zu ziehen. «Die Vernunft ist Mutterstoff (materna) des Wissens von Gut und Böse und sie verhält sich wie ein Baumeister, der aufbaut und abbricht. Wer den Tag des Glaubens liebt, der baut sein Haus im Himmlischen Jerusalem; wer ihn aber verachtet, der reißt sein Haus ab von der Ehre und Glückseligkeit der himmlischen Erbschaft.».

Ebenso wichtig wie die «himmlischen Dinge» sind auch die irdischen.
Discretio ist auch rechtes Augenmaß. Der Mensch sollte beides haben:

«Erstens die Sehnsucht nach dem Himmel und zweitens die Notdurft des Fleisches. So sollte er in allen Belangen mit discretio derart gehalten werden, damit in ihm durch maßlos auferlegte gute Werke nicht die Errichtung einer Ruine gebaut und er nicht unter dem Andrang unpassender Sitten zugrunde gerichtet werde. Vielmehr bete er bisweilen unter Seufzen. Zu anderer Stunde aber beschäftige er sich mit guten Werken, und wieder zu anderen Zeiten trage er Sorge, daß es ihm an leiblichen Bedürfnissen nicht mangle.»

Für Hildegard bedeutet die discretio ein wirksames Realitätsprinzip, das immer um das rechte Maß besorgt ist und jede Art von Übertreibung und Maßlosigkeit ablehnt. Sie hielt sich in allen Bereichen an diese «Mutter der Tugenden», in ihrem eigenen Leben, sowie im Umgang mit den Mitmenschen. So erfahren wir aus ihrer Biographie: «Sie leitete die ihrigen, ohne zu erschlaffen, bald mit milder, bald mit strenger Autorität. Ihr Ernst war gewürzt mit Freundlichkeit und von ihrer Zunge floß die Rede süßer als Honig.» (vita, 91) In ihren Briefen finden sich oft Ermahnungen, nichts zu übertreiben, vor allem die Askese betreffend und immer auf die Stimme der discretio zu achten.

Hildegard beschwor Elisabeth von Schönau, ein gesundes Maß zu finden, besonders in ihrer Liebesmystik: » Lerne Maßhalten! Dies ist für Himmlisches und Irdisches die Mutter aller Tugenden, denn durch sie wird die Seele geleitet und ebenso der Leib in rechter Zucht ernährt. Wie durch unangebrachte Sturzregen die Frucht der Erde Schaden leidet und wie in ungepflügter Erde nicht gute Frucht, sondern unnütze Kräuter aufsprießen, so wird auch der Mensch, der sich mehr Mühsal auferlegt, als sein Körper aushalten kann – da in ihm das Wirken der heiligen discretio geschwächt ist – durch maßlos auferlegte Mühsal und Enthaltsamkeit seiner Seele keinen Nutzen bringen.» (BW 199). Hildegard weist auf die verschiedenen Begabungen von Martha und Maria hin (Lk 10,38-42), die sich gegenseitig ergänzen und nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen.: «Die discretio hält die Tugenden zusammen, gleichsam einer Magd, die ihrer Herrin mit ihrem Dienst zur Verfügung steht, da in den irdischen Dingen, die zum Leibe nun einmal gehören, und die der discretio unterliegen, die Herrin selber ihre Magd nicht entbehren will». «So ist die discretio das Firmament, das Irdische, das aktive Leben hält sie unter sich, das göttliche, das beschauliche Leben, hat sie über sich. Dadurch ist sie die Treppe auf der des Menschen Geist durch die guten Werke zum Himmel steigt, auf der er aber auch den irdischen Bedürfnissen zuliebe zur Erde herab klettert, so wie Maria und Martha ihre verschiedenartigen Dienste Gott darboten. Beide Lebensarten waren Gott wohlgefällig, ist Er doch der Begründer von beiden. Und so bestehe das Gefüge der Tugend in beiden Lebensweisen, indem der Mensch selber die Unterscheidung trifft, auf daß er Göttliches und Irdisches nach dem ihnen gesetzten Maß in rechter Weise nutze, so wie Gott sie geschaffen.» Hildegard schätzt den Menschen und seine Berufung hoch ein; gerade die discretio bezeichnet seine Größe und seine Verantwortlichkeit. Der Mensch ist frei, so kommt alles darauf an, was er mit dieser Gabe anfängt. «Jede Vernunft im Menschen existiert als eine solche, die von Ihm, dem wahren Gott kommt. Was ihr gefällt, soll sie wählen, was ihr missfällt, muß sie verwerfen; denn sie erkennt, was gut und was schädlich ist.» (WM 282)

Hildegard weiß, dass viele Menschen nicht nach der discretio handeln und ihre Freiheit missbrauchen. Im Buch der Lebensverdienste lässt Hildegard die discretio auftreten, die der personifizierten Maßlosigkeit, der immoderatio, entgegen tritt.

«Du benimmst dich wie die Jungen der wilden Tiere, die noch kein Maß kennen und handelst wie das schmutzige Vieh. Alles, was in der Ordnung Gottes steht, antwortet einander. Die Sterne funkeln vom Licht des Mondes und der Mond leuchtet vom Feuer der Sonne. Jedes Ding dient einem Höheren und nichts überschreitet sein Maß. Du aber nimmst weder auf Gott Rücksicht, noch auf seine Geschöpfe, du hängst vielmehr in der Luft wie eine leere Schote, die im Winde baumelt.» (Vitae meritorum M 94)

Hildegard sieht hier sehr tief hinein in das Geflecht sozialer Strukturen, aber auch kosmischer Verflechtungen. Alles hängt mit allem zusammen, deshalb muss auch der Mensch sein Maß erkennen, sonst ist er der eigentliche Störfaktor in der gesamten Schöpfungsordnung. Jedes Fehlverhalten beeinflusst nicht nur den Einzelnen, sondern den ganzen Zusammenhang aller Dinge. Hildegard stellt einen Vergleich zwischen den sozialen Folgen und den gesundheitlichen an, die aus einem Mangel an discretio kommen: «Weil der Mensch mit seinem Ungehorsam sich sowohl über die Furcht wie auch über die Liebe Gottes hinwegsetzt, überschreiten auch alle Elemente und die Gezeiten ihre Grenzen; das ist so wie bei den Eingeweiden des Menschen; hat der Mensch einmal sein Maß überschritten, so verhalten sich dementsprechend auch seine Eingeweide». Hildegard erinnert den Menschen unentwegt an seine Aufgabe in der Schöpfung Gottes als cooperator dei und weist aber auch energisch auf die Folgen hin, wenn er sich seiner Berufung verweigert.

«Gott hat mich mit beiden Augen erleuchtet, mit ihnen betrachte ich, was für eine Herrlichkeit das Licht in der Dunkelheit hat. Damit aber kann ich wählen, auf welchem Wege ich zu wandeln habe: ob ich sehend, ob ich blind sein werde, indem ich erkenne, welchen Führer ich für den Tag oder für die Nacht anrufen soll.» Die discretio ist der Kompass auf unserem Lebensweg, dadurch können wir die rechten Entscheidungen treffen und Bewährung in den Krisen. Achten wir nicht auf die discretio, dann werden wir nicht gleich von Gott bestraft, sondern von unserer eigenen Umwelt, von der uns umgebenden Schöpfung.

Discretio ist die Reinheit des Herzens. «Die gesamte Schöpfung, die Gott in der Höhe wie in den Tiefen gestaltet hat, lenkt er zum Nutzen des Menschen hin. Missbraucht der Mensch seine Stellung zu bösen Handlungen, so veranlasst Gottes Gericht die Geschöpfe, ihn zu bestrafen.» Die discretio der hl. Hildegard führt uns zur hildegardischen «Ganzheit»; denn die Gabe der Unterscheidung müssen wir in allen Bereichen unseres Daseins üben und anwenden: «Und so liebt die Seele in allen Dingen das diskrete Maß. Wann auch immer der Körper des Menschen ohne discretio isst oder trinkt, oder etwas anderes dieser Art verrichtet, werden die Kräfte der Seele verletzt, weil alles nur mit Maß ausgeführt werden soll, da nun einmal der Mensch nicht ständig im Himmel weilen kann. Und wie durch allzu große Sonnenglut die Erde aufgerissen wird und durch übermäßige Regengüsse die Saat nicht nutzvoll sprießen kann, wie vielmehr nur in richtiger Verbindung von Hitze und Feuchtigkeit die Erde Nutzkräuter wachsen lässt, so werden auch in richtig ausgewogener Mischung alle Verrichtungen der irdischen und himmlischen Dinge maßvoll und gut angeordnet und vollendet.» Hildegard fügt noch hinzu: «Dieses diskrete Maß haben jene geliebt, mit denen der Himmel erleuchtet ist, und sie lieben es noch. Der Teufel aber wollte dies und will es nicht haben, weil er immer nur in extreme Höhen oder extreme Tiefen strebt, weshalb er auch fiel und sich nicht wieder erhebt.»

Die Seele ist nach Hildegard wie der Saft im Baum, der alles am Leben erhält und ernährt und den ganzen Baum durchströmt. Die Seele ist die Grünkraft im Menschen, die Kraft, die mit der Hilfe der discretio das ganze Leben, den Lebensstrom, die Ganzheit mit diesem diskreten Maß steuert. Die Seele ist auch wie Feuer, das Element, das Gottes Hauch symbolisiert und durch den die Seele den leblosen Lehmklumpen zum Leben erweckte. Hildegard sagt es so: «Die Seele erscheint wie Feuer, die Vernunft aber ist in ihr wie das Licht und sie wird durch die Vernunft in ihrer leuchtenden Art auf die gleiche Weise durchdrungen, wie auch die Welt durch die Sonne erleuchtet wird.»

Das diskrete MaŸ des Kosmos, das Leuchten der Sonne wird auf das diskrete Maß der Vernunft bezüglich ihres «Leuchtens» auf den Menschen übertragen.

Im Buch der Gotteswerke spricht Hildegard in der 3. Schau von der Natur des Menschen. Einen kleinen Ausschnitt widmet sie auch der Ermüdung des Menschen, zuerst von der körperlich-leiblichen Ermüdung und dann von der seelischen.

«So geht es zu, wenn der Mensch den rechten Tugendweg maßlos zu wandeln versucht. Die Maßlosigkeit dieser Haltung lenkt ihn dann auf Unzuträgliches ab und führt die Enthaltsamkeit in ihm auf ein übertriebenes Maß des Gewissens, so daß er sich dann in seiner Maßlosigkeit auch erlaubter Dinge enthält und sich schliesslich den Ekel an anderen Tugenden zuzieht. Indem er wähnt, er kehre zur Gerechtigkeit zurück und triefe nur so von Gewissenhaftigkeit, bereitet er sich den Fallstrick der Ermüdung, weil er bei solcher unangemessenen Enthaltsamkeit die Zartheit des Mutes und der Vorsicht verlässt. Schliesslich zweifelt er, ob er sich überhaupt noch halten könne und fällt auf diese Weise in die Schlinge der Verzweiflung».

Hildegard bemerkt im gleichen Werk in der 2. Schau «Wenn die Herzen und Köpfe der Menschen sich einem Irrtum zuwenden, so ist das ein Hinweis auf Irrtümer, die die Elemente unter der Sonne durch Katastrophen erschüttern und zu einer Sonnenfinsternis führen – durch die Maßlosigkeit der Menschen provoziert.» Hildegard stellt einerseits das menschliche Leben in einen groŸen kosmischen Zusammenhang, vergisst dabei aber nicht die Grenzen der menschlichen Möglichkeiten und die Hinfälligkeit seiner Kräfte aufzuzeigen. Größe der Schöpfung und Bedeutung des kleinen Menschen werden zusammengefügt und gezeigt, wie der Mensch in seinem Alltag dieser Berufung gerecht wird.

Zum Abschluss über Hildegards Gedanken zur discretio, möchte ich noch kurz skizzieren wie in der Neuschöpfung der Siebentagewoche die «Mutter der Tugenden» das Leben des Menschen gestaltet.

Am zweiten Tag der Schöpfungsgeschichte entsteht das Gewölbe des Himmels, das Firmament, um das Wasser oberhalb des Firmaments zu scheiden. Die discretio ist nicht selber am Werk, sie dient als Hilfskraft den übrigen Tugenden. So hält auch das Firmament, die Stütze all der Kräfte, durch die es umgewälzt wird, die anderen Geschöpfe in ihrem Wirken, indem es zu ihrer Verfügung steht.» Und wie das Firmament jedes Ding, das darin gesetzt ward, stützt, indem es ihm seinen Raum gibt, so ist auch die discretio durch ihr Werk, wie die übrigen Kräfte, die gemäß ihrem Tun Werkleute heissen, nicht Werkmeisterin, d.h. operatrix, sondern lediglich die Stütze (substentaculum) für die übrigen Tugenden.» Für Hildegard ist in ihrer Schau die discretio wie das Firmament für die übrigen Tugenden.

Die discretio ist mit dem Geschmackssinn zu vergleichen, der uns sagt, dass eine Speise gut oder auch schlecht (verdorben) ist. Die discretio vermag auch die verschiedenen Gedanken, Motivationen, Emotionen und auch die Impulse im Herzen zu unterscheiden. Die hemmungslosen Triebkräfte weist sie in Schranken und in eine gute Richtung.

In der Spiritualität der hl. Hildegard ist die discretio die Voraussetzung für die richtigen Entscheidungen. Sie vertraut sich der Führung des hl. Geistes an und sieht in allen Dingen den Willen Gottes.

Die discretio wendet nie pauschal abstrakte Regeln an, sondern schaut auf die jeweilige Situation des Menschen und wägt die Zeit- und Ortsumstände, die Schwächen und Stärken der Mitmenschen ab.

Die discretio als Gabe der Unterscheidung des Augenmaßes und des Maßhaltens setzt die Haltung der inneren Aufmerksamkeit voraus und hängt somit eng zusammen mit: Klugheit (umsichtig und voraus-schauend), gerechtem Urteil und mit einer Sensibilität für die Ver-schiedenartigkeit der Menschen im Zusammenleben. Die discretio beschreitet den Weg der richtigen Mitte, nicht der Mittelmäßigkeit. Hildegard vergleicht dies mit einer Treppe, auf der der Mensch durch die guten Werke zum Himmel aufsteigt und auf der er den leiblich-irdischen Bedürfnissen entsprechend zur Erde herabsteigt. (Vergl. Martha und Maria!) Nach Hildegard nützt ein guter Beginn nichts ohne ein gutes Ende, deshalb bedarf der Mensch der Gotteskraft der discretio, damit nicht im Menschen durch Maßlosigkeit von selbst guten Werken eine Ruine erbaut und zugrunde gerichtet wird.

Die discretio reguliert im Menschen alles organisch, denn sie nimmt Rücksicht auf das Leben. Deshalb kann die discretio viele Menschen zu ihrem Ganzsein und zu Gott zu führen.

 

Die Ordnungstherapie

Sehr viele Maßnahmen, die wir in der Hildegardheilkunde kennen, zielen auf die Ausscheidung der Schwarzgalle hin. Dabei wissen wir noch gar nicht genau, was die Schwarzgalle eigentlich ist. Vielleicht ist sie die Summe dessen, was der Mensch falsch macht in der Ordnung seines Geistes und seines Leibes, all das, was er im Sündenfall verloren hat und das was er in einer tagtäglichen Anstrengung wieder herstellen könnte, wenn er nur wüsste, wie das geht.

Hildegard hat uns sehr viele Hilfen gegeben, die wir in den Büchern Causae et curae und Liber divinorum operum nachlesen können. Der Anfang ist schwierig, denn das spröde Latein, macht dem Leser zu schaffen, auch die Übersetzungen sind schwer zu verdauen. Wenn wir nicht aufgeben und immer wieder hineingehen in die Texte Hildegards, werden wir langsam verstehen lernen, werden wir belohnt mit immer mehr Gesundheit und Glück. Gott sei Dank haben wir die Seele als Geschenk erhalten, diese Seele führt uns, wenn wir es ihr erlauben und steht uns bei in guten und schlechten Tagen wie eine Freundin.

Eine Therapie nach Hildegard von Bingen beginnt mit der Ausscheidung von schädlichen Stoffen. Der Umgang mit der Ausscheidung von unnützen und schädlichen Säften nimmt bei Hildegard von Bingen einen breiten Raum ein.

Beginnend mit dem Sündenfall, bei dem durch das Essen der Frucht Adams Galle in eine ganz andere Art umgewandelt wurde, er ab da durch das Essen von Nahrung sich stärken musste und wenn er nicht beachtet hat, was gut oder schlecht für ihn ist, er mit den Säften Probleme bekommt, spannt Hildegard einen groŸen Bogen über alle Krankheiten und psychische Störungen des Menschen. Der Mensch wird krank, wenn er die Qualität der Nahrung nicht beachtet, wenn er das Maß nicht einhält, wenn er unsachgemäß mit der Nahrung umgeht, wenn er sich beim Essen falsch verhält, wenn er die Zeiten nicht einhält, wenn er seine Verdauungsorgane nicht pflegt und noch vieles mehr. Das ganze Buch Causae et curae ist durchsetzt mit Ratschlägen zum Thema Säfte und wie der Mensch damit umgehen soll. Was in den Menschen hineinkommt durch die Luft und durch die Nahrung, das muss er auch wieder ausscheiden. Zurück bleibt, was der Körper braucht zum Wachstum und zur Lebenserhaltung. Leider bleibt auch etwas zurück, was er nicht so gerne hat, Schlacken und Giftreste, die manchmal nicht auf dem normalen Weg ausgeschieden werden können. Die normalen Wege sind: über den Darm, die Niere und die Haut, die Gebärmutter, die Prostata, die Lunge. Auch Drüsen sind Ausscheidungsorgane, die ihre Sekrete nach außen ergießen. Dazu gehören die Tränendrüsen, die Ohrenschmalzdrüsen, die Schweißdrüsen.

Alles muß bei Hildegard von Bingen seine Ordnung haben und deshalb bietet es sich an, aus dem Werk Causae et curae eine Ordnungstherapie herauszuarbeiten, die es ermöglicht, systematisch auf die Maßgaben Hildegards einzugehen und sie dann auch zu befolgen.

Die sechs Lebensregeln der Ordnungstherapie

Die 1. Regel der Ordnungstherapie lehrt uns den Umgang mit den Elementen Feuer und Luft. Das sind bei Hildegard die zwei himmlischen Elemente, die in den oberen Teilen der Menschen arbeiten. Die Sinne und ihre Aufgaben können unter dieser Regel betrachtet werden, denn die Nerven des Kopfes sind hier besonders betroffen. Das Feuer hat immer etwas mit dem Geist des Menschen zu tun, mit seiner Seele und mit seinem Gehirn. Auch das Blut, das vegetative Nervensystem, und die Leber sind dem Element Feuer zuzuordnen. Wenn das Feuer schwach ist, leiden Gehirn und Nerven. Damit es wieder richtig brennt, hilft ihm die Luft mit ihrem Wehen, es wird wieder angefacht und das Blut erwärmt sich insoweit, dass die Kerntemperatur wieder stimmt. Bei der Erwärmung des Blutes im Fieber, wird die Immunabwehr mobilisiert und die Drüsen des Kopfes haben Hochbetrieb. Hat der Mensch Fieber, dann brennt das Feuer zu stark. Die Luft muss dann ihr Wehen einschränken und das bedeutet, dass viel kalte Schlacken im Körper zurückbleiben, die wieder aufgeräumt werden müssen. Dazu müssen zwei weitere Elemente herangezogen werden, das Wasser und die Erde. Das Wasser schwemmt fort und die Erde räumt ab. Diese beiden letzten Elemente werden aber erst in der 5. Regel genauer angeschaut.

Die 2. Regel lehrt uns den Umgang mit der Nahrung, mit Essen und Trinken. Hildegard sagt uns, wann wir frühstücken sollen, was wir nehmen können und was schädlich ist für uns. Sie erklärt, was Enthaltsamkeit ist und was die Maßlosigkeit ist und welche Folgen es hat, wenn wir nicht zur Vernunft kommen. Sie gibt uns Ratschläge zur Diät, warnt aber vor unüberlegtem Fasten. Die Texte über die Folgen der falschen Ernährung sind unzählig und können den ganzen Menschen erfassen. Hier kommt das Wissen von den verschiedenen Säften im Körper zum Tragen.

Wenn wir wissen, dass die Elemente sich in den Säften ausdrücken, dann brauchen wir nur noch zu fragen, was sind das für Säfte, was tun sie und wie stellen sie sich dar. Und genau diese Fragen sind das Thema, das uns in der Heilkunde Hildegards beschäftigen.

Ein Satz scheint mir ein Schlüsselsatz zu sein: «Gedanken verändern den Weg der Säfte». Der Mensch hat die Fähigkeit mit seinem Wissen, seinem Verstand und seinem Willen alles, was Hildegard uns sagt, in die Tat umzusetzen. Wenn der Mensch nicht will oder zu träge ist, wird er Ausreden finden und das wird seine Folgen haben. Jede Verletzung der Ordnung im Essen und Trinken, jede Weigerung das rechte Maß einzuhalten, schlägt sich in irgendeiner Weise auf dem Körper nieder. Es somatisiert sich. Wir brauchen die Hilfe der Seele, wenn wir richtig funktionieren wollen. Auf dem Weg des Blutes steht uns die Seele in unserem Lebensablauf, und in unserer Verhaltensweise unserem Körper gegenüber bei.

  • Auszug aus der Ernährungslehre der hl. Hildegard von Bingen

Nahrungsmittel und Lebensmittel sind bei Hildegard auch Heilmittel. Sie sollen Grünkraft spenden, das Leben erhalten, froh machen, das Herz erfreuen und den Menschen schön aussehen lassen. Je natürlicher ein Mittel bleibt, desto besser, aber nicht roh, sondern gemäßigt, die Schärfe genommen, die Spitze gebrochen, entmüdend soll es zubereitet werden.

Die Grünkraft ist die Lebenskraft, die schöpft der Mensch aus der Nahrung und diese Kraft erhält sich durch die vier Elemente. Feuer, Luft, Wasser und Erde.

Die Elemente drücken sich durch die Säfte aus. Wie die Säfte fließen und die Kenntnis darüber, das bildet den Schlüssel zur Heilkunde Hildegards. Die richtige Säftemischung entscheidet über Gesundheit oder Krankheit. Hinderlich für die Lebensenergie sind der Zorn, die Trauer, die Angst, die Depression und die Ungeduld. Was der Mensch denkt, das prägt ihn Alles gibt einander Antwort, was in Gottes Ordnung steht. Gottes Wort ist grün. Sein Wort, ist die Kraft die alles zusammenhält. Wir heutigen Menschen sind sehr irritiert, was die Ernährung angeht. Es gibt zu viele Verbote und zu viele Angebote. Die Inhaltsstoffe sind zwar bekannt, aber wir erfassen sie nicht, wir müssen unsere Wahrnehmung wieder schulen, damit wir die Subtilität erkennen. Mit den Sinnen erkennen wir, Geruch, Geschmack, Anblick, Qualität. Das alles will werden und respektiert sein. Warm, kalt, feucht und trocken, das sind die Nahrungsmittel- und Lebensmittel-Typen, die wir bei Krankheit richtig einsetzen müssten, aber leider haben wir unser Urteilsvermögen verloren. Wir müssen wieder lernen die Speisen auszukosten, gut zu kauen, in ruhiger Umgebung zu essen, regelmäßg zu essen, manchmal den Hunger abzuwarten, viel zu trinken. Zu fett, zu blutig, zu süss, zu sauer, zu heiss, zu kalt, ist schlecht. Gut ist kühlende Speise im Sommer, wärmende im Winter. Jeder Mensch hat sein spezielles Temperament mit auf die Welt gebracht. Auch diese Temperamente spielen in der Ernährungslehre eine Rolle. Zu hitzige Menschen dürfen nicht noch zu warme Speisen im Unmaß zu sich nehmen, melancholische sollen Speisen meiden, die die Schwarzgalle vermehren. Ewig zitternde Typen werden von selber zu warmen Mitteln greifen.

Hildegard sagt: «Wenn der Mensch nüchtern ist, soll er eine Speise wählen, die aus Früchten und Mehl zugerichtet ist, weil ein solches Gericht trocken ist und dem Menschen eine kräftige Gesundheit verleiht. Auch soll er als erstes eine warme Speise zu sich nehmen, damit der Magen angewärmt wird. Wenn er darauf noch etwas kaltes nimmt, kann die Wärme, die seine Magenwände schon durchdrungen hat, auch die folgende Kälte der Speisen vertragen. Alles Obst aber und saftreiche Speisen mit zu viel Feuchtigkeit, wie zum Beispiel Kräuter, soll er bei seiner ersten Mahlzeit noch meiden, weil sie zu viel «Tabes und Livor» enthalten und Unruhe in seinem Säftehaushalt bringen könnten. Nachher wenn er schon etwas zu sich genommen hat, kann er auch das geniessen und es wird ihm mehr Gesundheit als Unpässlichkeit bringen.»

Die 3. Regel befasst sich mit der Bewegung. Anspannung und Entspannung sind unbedingt im Spannungsausgleich zu halten. Verspannung tötet auf Dauer das Gefühl, Spannungslosigkeit den Willen. Eine wunderbare Hilfe gibt uns Hildegard mit der Regel ihres Ordens: Ora et labora * bete und arbeite. Wo das im rechten Maß geschieht, kann der Mensch gesund bleiben. Das Gebet ist unverzichtbar, wenn wir Hilfe von unserer Seele und Hilfe von unserem Schöpfer brauchen. «Wer rastet der rostet» heisst eine Volksweisheit und das stimmt wirklich. Wenn der Mensch die Möglichkeit seiner «Winde» nicht nützt, kommt er immer weiter herunter, weil die Winde die Tat symbolisieren. Der tätige Mensch sorgt für seine eigene Gesundheit und für die seiner Um- und Mitwelt.

Die 4. Regel handelt von der Ruhe, vom Schlaf und Wachsein. Das sollen wir unseren Nerven gönnen, nach des Tages Mühe und Belastung. Hildegard sagt, dass der unterbrochene Schlaf der gesündere ist. Das Nervenmark kann sich im Schlaf erholen und die Träume lassen uns an unseren Grundfragen des Lebens arbeiten und sie aufarbeiten. Unterbrechung des Schlafes dient dazu, daß der Kreislauf nicht zu stark zu absinkt, schläft man durch, wie ein Sack, ist man morgens wie erschlagen. Außerdem kann man bewusster und in Ruhe Dinge überlegen, die man in der Tageshetze nicht zur Genüge durchdenken kann. In der Nachtwache für eine bestimmte Zeit kann auch das Gebet für andere Menschen und den Frieden auf der Welt Raum bekommen.

Die 5. Regel betrifft das Thema Ausscheidungen. Der Mensch soll darauf achten, daß die Schadstoffe und die im Übermaß enthaltenen schlechten Säfte des Körpers zur Ausscheidung kommen. Aus der Nahrung entstehen viele schädliche Säfte und auch die gefürchtete Schwarzgalle kommt zum Teil aus der Ernährung. Hildegard erwähnt die Schwarzgalle beim Sündenfall das erste Mal, als Adams Kristall der an der Stelle war, wo heute die Galle ist, erlosch und in eine andere Art umgewandelt wurde. Da wurde die Traurigkeit in ihm erweckt und die Folge davon ist der Zorn, der die Schwarzgalle entstehen lässt. Dass die Nahrung Reste übrig lässt, das wissen schon die Kinder und daß die aus allen natürlichen Öffnungen des Körpers entleert werden können, auch.

Jetzt kommen wir auf die beiden letzten Elemente: Das Wasser und die Erde. Diese beiden Elemente arbeiten auf dem unteren Bereich, sozusagen im weltlichen. Also noch einmal: Feuer und Luft sind himmlische und Wasser und Erde weltliche Elemente. Das Wasser ist nicht nur zum Waschen da, auch zum Spülen der inneren Organe und aller Zwischenräume. Ohne Spüleffekt würde der Körper binnen kürzester Zeit an Müll ersticken.

Die Lehre von den Ausscheidungen ist ein wichtiges Thema und hat zu allen Zeiten die großen Äzte stark beschäftigt. Das Fasten, der Aderlass, die Schwitzhütte, Schröpfen, Blasen erzeugen, Brennen, sind Möglichkeiten zur Ausscheidung. Aber auch Mittel zur Ab- und Ausleitung finden wir bei Hildegard von Bingen. Wickel, Packungen, Auflagen, Salbungen, Teilbäder und Reibungen sind von ihr erwähnt. Tränke zum Abführen über den Darm, Unterstützung der Nieren durch Salben und Wärmebestrahlung, sind nur eine kleine Auswahl ihrer Heilmaßnahmen.

Die 6. Regel befasst sich mit dem Gemüt des Menschen. Wenn wir unsere Gemütsbewegungen verstehen, wenn wir Kontakt aufnehmen zu unseren seelischen Regungen und darauf reagieren was die Seele uns signalisiert, können wir sicher sein, dass wir, wenn wir krank geworden sind, auch wieder gesund werden. Manchmal bedeutet das auch, daß wir uns mit einer Krankheit abfinden und sehen, wie wir mit Hilfe der Seele mit der neuen Situation zurechtkommen. In ihrem Buch «Der Mensch in der Verantwortung» schildert Hildegard den Kampf der «militia dei» des «göttlichen Militärs» gegen die Mangelerscheinungen der Belastungen des Menschen. Sie nennt das die Tugenden und Laster. 35 Gegensatzpaare werden hier wie auf einer Bühne vorgeführt und erklärt. Dieses Thema ist für Hildegard ungeheuer wichtig, weil der Mensch, der nicht Kontakt aufnimmt mit seinen schwachen Seiten, keine Hilfe bekommt. Es gibt leichte Verfehlungen und schwere, je nach Lebensalter und geistiger Verfassung, werden strengere oder weniger strenge Maßstäbe angelegt. Dieses Buch führt uns durch die Höhen und Tiefen des menschlichen Daseins und erklärt uns die Psyche.

Hildegards nächstes Buch ist das von Welt und Mensch». Hier erfährt der der es wissen will, was passiert, wenn der Mensch seine Psyche nicht in den Griff bekommen will. Dieses Buch ist das Buch der Psychosomatik Hildegards. Die 35 Tugenden bekommen Aufgaben im Körper, die sich mit den Organen und den Funktionen befassen. Verstöße gegen die göttliche Ordnung haben Folgen, die Hildegard sehr genau beleuchtet.

Fasten

Das einfache Hildegardfasten

Fasten ist ein Heilmittel. Es ist eine einfache Methode, den Körper und den Geist zu reinigen. Gift- und Schlackenstoffen zu entleeren und die Seele von ihren Belastungen zu befreien. Fasten wirkt als psychotherapeutisches Universalmittel für 28 unter 35 seelischen Krankheiten.

Grundregeln:
  • Fasten muss man wollen.
  • Der Fastende muss ein klares Ziel vor Augen haben.
  • Fasten ohne Seele ist sinnlos.
  • Fasten sucht den Dialog mit dem Leib, mit fast allen Organen.
Nicht gefastet werden darf:

Bei schweren und akuten Krankheiten, nach Operationen, bei schweren Störungen im Stoffwechsel, bei allen chronischen Krankheiten, bei Depressionen, ansteckenden Krankheiten, organischen Schäden von Herz, Nieren, Leber und in der Schwangerschaft. Kinder unter 12 Jahren dürfen noch nicht fasten und alte Menschen ab 70 auch nicht mehr. Auch bei sieben seelischen Gemütszuständen, Weltliebe, Schwermut, Maßlosigkeit, Hochmut, Unglauben, Unbeständigkeit und Weltschmerz, darf nicht gefastet werden.

Wir halten uns an die hl. Hildegard. Ihr Programm ist ganz klar und durchsichtig, sowohl zeitlich, örtlich als auch geschmacklich:

  • Morgens: nur trinken (Fencheltee, Magen-Darmtee, Blutreinigungstee, dazu Basica und Isomol.)
  • Mittags: Dinkel-Fastenbrühe ohne feste Bestandteile.
  • Abends: nur Fastensuppe wie mittags, Fencheltee mit etwas Apfelsaft. Oberstes Gebot: trinken, trinken, trinken.

Fasten verlangt zunächst eine bedeutsame Hinführung zum Wesentlichen. Essen und Nichtessen sind wie Wachen und Schlafen, Spannung und Entspannung, sind wie zwei Pole zwischen denen sich Leben entfalten kann. Essen am Tag, Fasten in der Nacht, das ist ein normaler Rhythmus ein Lebensrhythmus.

Wenn wir abends zu spät oder zu viel gegessen haben, fehlt uns am Morgen der Appetit. Das ist ein Zeichen dafür, daß die Fastenzeit der Nacht noch nicht beendet ist. Die Engländer sagen zum Frühstück «breakfast» das heißt Fastenbrecher.

  • Die «Gezeiten» lebender Körper

12 – 16 Stunden braucht der Mensch fürs Wachsein, für die Nahrungsaufnahme, für das Arbeiten, für die Freizeit und vor allem für den sozialen Kontakt. 8 – 12 Stunden bleiben ihm für die Nachtruhe, für den Stoffwechsel für den Abbau und Umbau von Körpersubstanzen aller Art. Die Energie für diese Arbeit kommt aus seinen Depots. (Hier sind schon die 6 res non naturalis zu erkennen, die wir ordnen müssen um unsere Gesundheit zu erhalten.)

In der Fastenzeit der Nacht beschäftigt sich der Mensch mit sich selber: er hält still, liegt, er entspannt sich, er schläft, er träumt, es geschieht auch ein Aufarbeiten des vergangenen Tages, der Mensch gibt Ruhe, er empfindet Geborgenheit. Träume helfen ihm, allein aus sich selbst heraus zu leben. So wichtig ist der Schlaf, um wieder zu Lebenskraft zu kommen.

Auch in der Küche kehrt in der Fastenzeit Ruhe ein. Das Kochen beschränkt sich auf die Zubereitung der Fastensuppe und des Tees.

Mahlzeiten beim Fasten

Das Dinkel-Fasten-Süppchen (Zutaten für zwei Personen):

1.300 g Gemüse, Fenchelkollen, grüne Bohnen, Sellerie, Karotten, Petersilienwurzel, (eventuell auch eine Kartoffel die Hildegard zwar noch nicht gekannt hat, die aber heute nicht mehr wegzudenken ist aus dem Ernährungsplan, dagegen sind Kohlarten nicht geeignet) Gehackte Kräuter: Petersilie, Beifuss, Gundelrebe, Liebstöckl, je nach Geschmack. Gewürze vor allem aus der «physica Hildegardis». Die wichtigsten Gewürze sind: Bertram, Quendel, Galgant, Diptam und etwas Muskat. Je nach Geschmack können auch die üblichen Gewürze mit verwendet werden, wie z.B. Ackerminze, Bachminze, Melde, Ysop, Pfeffer, Knoblauch und Zwiebeln. Etwas Kräutersalz. Das ist voller Enzyme, Mineralien und Spurenelemente. Es ist das kostbarste Salz!

Zubereitung: Das Gemüse fein schneiden und in wenig Wasser dünsten, dann pürieren. Das ist die beste Art der Zubereitung. Am Ende noch einmal alles kurz aufkochen, würzen und mit Salz und Galgant abschmecken. Nicht zu stark würzen, denn Gewürze regen den Hunger an und den Appetit.

Ausleitung

Die Ausleitungskekse mit Ingwer und Wolfsmilch kann man in Ausnahmefällen verwenden, wir tun es lieber nicht, weil Wolfsmilch giftig ist.
Wir essen also nichts Festes, auch keine ganzen Früchte. Wir können daraus aber Obstsäfte zubereiten und diese dann stark verdünnt zu uns nehmen. Damit unser Mineralienhaushalt stimmt, trinken wir täglich zwei Gläser Wasser, in denen 1-2 Teelöffel Basicagranulat aufgelöst ist. Am besten trinkt man das 1. Glas Flüssigkeit am Morgen, das 2. Glas am Spätnachmittag. Tees, die die Ausleitung fördern sind: Magen-Darm-Tee, Nieren-Tee, Leber-Tee und alle blutreinigenden Tees. Wichtig ist es für eine gelungene Fastenwoche, auch den seelischen Müll loszuwerden: Meditieren, Beten, wenig Gespräche. Auch beichten oder mit einem Psychoanalytiker sprechen. Wer fastet, soll sich nach Hildegard in sein Zimmer zurückziehen und er soll nicht prahlen, über die Fastenstärke und Ausdauer. Verzichten lernen, Fernseher abschalten, keine Zeit mit zu viel reden verbringen. Verzichten können auf rein äußerliche Tätigkeiten, die nur vom Wesentlichen ablenken. Was allen gut tut ist: Entspannen, Spannungen lösen, einmal wieder ganz ruhig spazieren gehen, ein Buch lesen, Gedanken pflegen, Ideen mit anderen austauschen.

Wer fastet, wird üble Gerüche an sich feststellen, das sind die Ausdünstungen der Gifte aus dem Inneren. Wer fastet, muss sich besonders gut pflegen, dass er sich selber riechen kann und sich weiterhin selber mag.

Formen des Fastens

  • Eintägiges Fasten

Das eintägige Fasten ist gut, wenn man bereits gefastet hat, es ist empfehlenswert quasi als Schnupperfasten, als Vorübung zu einem Fastenkurs oder zu einer Fastenkur. Aus der Erfahrung vieler Fastender haben wir praktische Erkenntnisse für das eintägige Fasten bekommen. Wenn wir einen Tag in der Woche als Fasttag festlegen, dann gilt ein einziges Gebot: Nur trinken, und zwar circa 2-3 Liter Flüssigkeit von den entsprechenden und bevorzugten Tees.

  • Obstfasten

Eine andere Möglichkeit ist, nur Früchte zu essen, das ist aber nicht Hildegardfasten: morgens, mittags, abends einen oder mehrere Äpfel, gedünstet oder als Bratäpfel. Ein solches Fasten kann man mehrere Wochen nacheinander wiederholen, es ist angenehm zu halten. Es ist ein Vortraining auf ein längeres Fasten, man lernt dabei mit seinem Körper besser umzugehen und wer es regelmäßig tut, fühlt sich wohler und gesünder und geht seltenes zum Arzt, denn kleine Zipperlein die sonst zum Therapeuten führen, mahnen immer an ein Fasten.

  • Schalttage

Der Tierpfleger eines großen Zoos sagte: Einen Tag in der Woche bekommen die Raubtiere kein Futter, weil Tiere in der Wildnis auch nicht täglich etwas jagen. Erfolg: Futterkosten, Tierarztkosten und der Medikamentenbedarf werden geringer und die Tiere werden widerstandsfähiger und gesünder.

Eine altindische Tradition verlangt, monatlich zweimal einen Tag zu fasten, zwecks allgemeiner Reinigung des Körpers.

Am Tag des Vollmondes, am Tag des Neumonds, sagt eine andere alte Regel soll nur gegessen werden, wenn der Hunger dazu zwingt. Aber vor der Sättigung soll man aufhören zu essen.

In einer 3500 Jahre alten Pyramide steht geschrieben: Von einem Drittel von dem was wir essen leben wir, von den restlichen Dritteln leben die Ärzte.

  • Heilfasten

Hildegard gibt uns eine gute praktische Übung zur Hand, es ist ein sensibles Nachdenken, ein Meditieren über den ganzen Menschen, der Leib Seele und Geist ist.

Mit dem autogenen Training kommen wir dem hildegardischen Denken ganz nahe. Ich führe nur einige Stichworte des autogenen Trainings kurz an.

  • 1. Ruhe-Tönung

Als Vorübung gilt die Ruhe-Tönung, zum Organeinstieg. Welch wunderbare Kräfte, die dem hektischen Menschen Ruhe- und Stillwerden bringen, erleben wir im autogenen Training. Diese Übung können wir auch zwischendurch mehrmals am Tag machen.

Die Übungsschritte zum autogenen Training:

Ich bin ganz ruhig
Mein rechter Arm ist ganz schwer,
Mein rechter Arm ist ganz warm,
Es atmet mich.
Sonnengeflecht strömend warm,
Mein Herz schlägt ruhig und gleichmäßig,
Stirn kühl und frisch.
Mein linker Arm: dito.
Später kommen dann noch die Beine dazu.
  • 2. Atmung

Das Wichtigste, was wir überhaupt tun müssen ist, richtig zu atmen.
Goethe hat uns ein edles Gedicht geschenkt:

Im Atemholen sind zweierlei Gnaden,
die Luft einziehen, sich ihrer entladen.
Jenes bedrängt, dieses erfrischt,
so wunderbar ist das Leben gemischt.
Du danke Gott, wenn er Dich presst
und danke ihm, wenn er Dich wieder entlässt.

Ruhiger Atem braucht drei Helfer: den Mund, der geschlossen ist, die Nase die geöffnet ist, das Zwerchfell, das alles beim Atmen in Schwung hält. Jede einzelne Zelle soll mitatmen. Falsches Atmen macht sauer, es hemmt das «Rad» (Hildegard kannte schon den Kreislauf) beim Umlaufen, dabei kann nur ganz schwer die nötige Grünkraft hergestellt werden. Atem ist Leben, durch das Atmen drückt sich die Seele aus. Jeder sollte sich einmal die Stellen durchlesen, die Hildegard über die Schwarzgalle in Causae et curae geschrieben hat, es könnte sein, daß wir hier die Erklärung der modernen «Freien Radikalen» vor uns haben, die sogenannten «Sauerstoffradikalen», die in der modernen Heilkunde jetzt eine beachtliche Rolle spielen. Diese Reststoffe können immer weniger gut ausgeschieden werden und sind doch so schädlich für Herz-Kreislauf und Gefäße.

Nach diesem kurzen Abstecher in die Technik des autogenen Trainings wollen wir uns wieder dem Fasten zuwenden. Fasten gilt für alle Lebewesen, auch für Pflanzen, die im Winter ihren Saft entbehren müssen. Aber besonders auch für unsere Tiere: Ähnliches finden wir sowohl beim kranken Menschen als auch bei Tieren, die an verschiedenen Krankheiten leiden. Kranke Menschen brauchen Ruhe, Geborgenheit, Wärme und möchten häufiger mit sich allein sein. Das fiebernde Kind lehnt jede Nahrung ab, es trinkt nur noch. Der kranke Hund verkriecht sich in seine Hütte und frisst tagelang nichts. Kranke Lebewesen tun instinktiv das Richtige, sie fasten.

Bei Hildegard ist fast bei allen Krankheiten das Fasten ein bewährtes Heilmittel. Der kranke Organismus braucht zur Genesung Zeit und viel Kraft für sich selbst. Die Energie für die Wiederherstellung der kranken Zellen gewinnt er aus den körpereigenen Nahrungsdepots. Beim Fasten spart er sich die schwere Verdauungsarbeit, die 30% der gesamten Energie des Körpers beträgt. Die freiwerdende Energie verwendet er für die Heilarbeit. Fasten im Fieber ist eine großartige Selbsthilfe der Natur. Sie zerstört eingedrungene Bakterien, hemmt das Wachstum der Viren, erhöht die Abwehrkraft des Blutes, sie steigert die Ausscheidung von Gift und Krankheitsstoffen.

Das Fasten und die körperliche Leistungskraft

Der Fastende kann entgegen der landläufigen Meinung sehr wohl eine normale Leistung erbringen, natürlich zeitlich begrenzt und individuell verschieden.

«Plenus venter non studet libenter»(ein voller Bauch studiert nicht gern). Bergsteiger essen nie vor dem Aufstieg. Kein Spitzensportler isst vor dem Start. Wir leben nicht von der Hand im Mund, sondern hauptsächlich von unseren Reserven, die uns schneller zur Verfügung stehen, wir können uns quasi selbst verzehren. Nach einer Anstrengung fehlt uns oft jedes Bedürfnis zu essen, zuerst trinken wir, stillen unseren Durst, dann stellt sich der Hunger ein. Bekannt ist das Beispiel von Dr. Aly aus Schweden: 20 Schweden marschierten 10 Tage lang 500 km weit ohne feste Nahrung zu sich zu nehmen, nur etwas Obstsaft (Mineralien) und 3 Liter H2O = Wasser, tranken sie auf dem Marsch. Entgegen jeder Vorhersage, kamen sie nicht erschöpft am Ziel an, sondern bester Laune und mit einem Zuwachs an Kraft und Ausdauer. Im Durchschnitt hatten sie 5-7 kg Gewichtsverlust.

Das Wesen, die Essenz (essentia) des Fastens

Fasten gehört zur 5. Ordnungsregel «von den Ausscheidungen». Das Fasten ist eine naturgegebene Form menschlichen Lebens. Das Fasten ist Leben aus körpereigenen Nahrungsdepots. Der Mensch hat zwei energieerzeugende Programme in sich.

1. die Aufnahme von Nahrungsmitteln, 2. die Ernährung aus den Körperdepots. Aus den Depots werden Fett und Eiweiß der inneren Verdauung zugeführt das ist der Fastenstoffwechsel. Dabei entstehen Ausscheidungen, Endprodukte und Kraft (Energie) und Wärme. Fasten bedeutet, daß der Organismus durch innere Ernährung und Eigensteuerung weitgehend selbständig ist.

Fasten ist eine Verhaltensweise von selbständigen Menschen, die sich frei entscheiden können. Fasten betrifft den ganzen Menschen, jede einzelne seiner Körperzellen, seine Seele und seinen Geist. Fasten ist die beste Gelegenheit, in Form zu bleiben oder wieder in Form zu kommen. Außerdem hilft es jedem Menschen, seine Lebensweise zu ändern, falls es nötig ist.

Ganz wichtig ist das Umschalten von Essen auf Fasten, dies geschieht von selbst, die Programme laufen automatisch ab. Die richtige Umschaltung von Energieprogramm 1 auf Energieprogramm 2 wird bewußt vorbereitet: Durch das Wissen um die Ungefährlichkeit des Fastens, durch das Wissen um die im Menschen vorprogrammierten Fähigkeiten zum Fasten und durch den aus freiem Willen gefassten Entschluß fasten zu wollen.

Eine Ausleitung über den Darm kann sowohl mit Bittersalz als auch durch viel trinken ermöglicht werden.

Der Erstfaster macht die überraschende Erfahrung, daß er keinen Hunger hat, sich wohl fühlt und leistungsfähig ist, somit wächst das Vertrauen in die automatische Selbststeuerung des Körpers.

  • 1.Wenn das Energieprogramm 1 eingeschaltet ist, dann bedeutet das:

Hunger als Signal des Körpers: Ich warte auf Nahrung. Ich bin auf die Nahrungsaufnahme vorbereitet, ich produziere Speichel und verschiedene Verdauungssäfte. Fehlt die Nahrungszufuhr, dann wird das Signal Hunger zu einem unangenehmen Zustand. Einem Körpergefühl, das wir bohrend in der Magengrube spüren, d.h. wir hungern. Dies kann zu Kreislaufschwäche, Schwindel, Zittern, Übelkeit, Kollaps und Schweißausbruch führen (ein Glas Saft beseitigt dies sofort).

  • 2. Sattsein heißt den körperlichen Hunger gestillt zu haben. Hier gibt es häufig psychosomatische Krankheiten: Fettsucht, Hypertonie, Magersucht, Diabetes, Migräne, Allergien. Appetit oder Hunger muß keineswegs nur ein Verlangen nach Nahrung sein, es kann auch ein Verlangen nach Liebe, Geborgenheit, nach Anerkennung und nach Selbstbestätigung sein. Andere wiederum nehmen zu, sie werden dick oder stoffwechselkrank, weil sie unbewusst versuchen, diese seelischen Bedürfnisse durch Essen und Trinken, oder durch Rauchen und Alkohol zu stillen, das heißt alles zu kompensieren. Merke: Alles was kränkt macht krank.
  • 3. Wenn wir das Energieprogramm 2 eingeschaltet haben, dann fasten wir und spüren keinen Hunger, weil uns die innere Energiequelle versorgt. So lange unser Nahrungsdepots reichen, können wir fasten. Nebenbei schaltet der Körper auf das eigene Nebennierenhormon um und schüttet körpereignes Cortison aus, das gegen alle entzündlichen Zustände hilft. Auch das Hochgefühl beim richtigen Fasten kommt daher.

Alle Organe des Gesunden arbeiten auch beim Fasten, genau so sicher und selbstverständlich wie sonst. Deshalb ist fasten leichter als weniger essen. Denn beim FDH-Programm ist das Energieprogramm 1 eingeschaltet, dabei bekommt der Körper weniger und verspürt den Hunger. Jeder Mensch hat die Fähigkeiten zum Umschalten in sich. Die Umschaltfähigkeit muß nur geübt und neu erfahren werden. Der fastenerfahrene Körper schaltet schneller um sobald Nahrung abgesetzt wird.

  • 4. Dem Fasten-Erfahrenen gelingt eine Mittelstellung zwischen Energieprogramm 1 und 2, d.h. also mit einer Reduktionskost zu leben. Er kann Energie aus der Nahrung und aus den körpereigenen Depots ziehen und kann so ohne Hunger zu haben, leben: Fasten ist nicht hungern und wer hungert, fastet nicht. daraus folgt, Fasten ist Leben ohne Nahrung auf Zeit und ist ein rein natürlicher Zustand unseres Lebens.

Für viele Menschen ist es unfaßbar ohne Nahrung zu leben und zu arbeiten. Sie befürchten Krankheit und Tod. In der Tierwelt ist Fasten die Möglichkeit zu überleben, wenn es nichts gibt. Das Hochgebirgswild, Gemse, Steinbock, Hirsch, Murmeltier, alle fressen sich im Herbst eine gute Schicht Winterspeck an, und überleben den harten Winter mit Eis und Schnee ohne weitere Nahrung. Bei den Fischen und Vögeln ist es so ähnlich

Die Bärenmutter und ihre Jungen fasten monatelang in ihrer Höhle. Der Lachs nimmt in der anstrengenden Flussaufwärtswanderung keine Nahrung zu sich. Zugvögel haben vor dem Abflug in den Süden das doppelte Gewicht. Mit dem Kraftstoff Fett bewältigen sie Nonstoppflüge bis zu 5000 km Länge, dann ist ihr Gewicht wieder normal.

Durch Fasten entsteht eine biologische Fähigkeit des Überlebens. Ganze Völker wären ohne diese Fähigkeit schon längst ausgestorben. Der Weg zu Verhungern ist lang. Bei den Naturvölkern Afrikas und den Aborigines in Australien gibt es noch die alten Naturgesetze: Zeiten des Vorrats und Zeiten des Abbruchs. Die Geschichte der Hunzas ist besonders dramatisch. Die Hunzas sind ein altes Kulturvolk und leben in einem Hochtal des Himalaja. Sie sind ein Beispiel dafür, daß Fasten mehr sein kann als nur ein nacktes Überlebensprogramm. Der Boden gab wenig Ertrag, so mußten alle Menschen 1-2 Monate lang fasten. Sie waren trotzdem zufrieden, fröhlich, und sie arbeiteten und besserten die zerstörten Bewässerungsgräben wieder aus. Jetzt ist das Tal der westlichen Zivilisation zugänglich geworden. Haltbare Nahrungsmittel wurden eingeführt, Weißmehl, Zucker, Konserven. Jetzt braucht das Volk nicht mehr zu hungern, denn es fastet nicht mehr. Konsequenz: die natürliche Ordnung ist gestört. Es gibt nun auch dort die typischen Zivilisationskrankheiten wie Zahnfäule, Gallenleiden, Übergewicht, Diabetes und viele chronische Krankheiten. Die Menschen brauchen jetzt nicht nur den Arzt, sondern auch den Polizisten. Die Gesundheit ihres Körpers, ihres Verhaltens, ihres Denkens, ihrer Emotionen ist zerstört. Das Schlimmste ist dabei die Zerstörung der ethischen Werte.

Die Wurzeln des religiösen Fastens

Der Mensch dankt Gott für die Möglichkeit zu überleben und satt zu werden. Fasten wird als Weg zu innerer Ordnung als Wegfindung zum Ziel und wird als Individuation erlebt. Alle großen Religionsstifter wie Buddha, Moses, Christus, Mohamed, haben durch Fasten zu Grundordnungen des Daseins gefunden. Fasten muß freiwillig sein, wenn es erzwungen wird, ruft fasten Hunger und Widerstand hervor. In den Kirchen heute werden die Fastenaufrufe durchlöchert. Es bleiben nur erstarrte sinnentleerte Formeln zurück.

  • Fasten heute

Wir sollten den Wert des Fastens neu entdecken. Der beste Weg dazu ist: Fasten selbst erleben. Es geht darum, aufgeschlossen für Neues zu sein, die Bereitschaft zu haben, es auszuprobieren und den festen Entschluss zu fassen, es durchzuhalten.

  • Die 4 plus 1 Grundregeln des Fastens:
1. Nichts essen für 1, 2, 3 Wochen, nur trinken: Tee, Gemüsebrühe, Obst-, Gemüse-Säfte und Wasser, so viel der Durst verlangt.
2. Alles weglassen was nicht lebensnotwendig ist: d.h. alles was uns zur Gewohnheit geworden ist und uns schaden kann, besonders während des Fastens: Nikotin, Kaffee, Alkohol, Süßigkeiten, Medikamente, soweit entbehrlich, Abführmittel, Appetitzügler, Entwässerungstabletten.
3. Sich vom Alltag lösen: Weg vom Terminkalender und Telefon, heraus aus beruflichen und familiären Bindungen. Verzicht auf Illustrierte, Radio, Fernseher, Computer, Internet. Statt Reizüberflutung von außen, Begegnung mit sich selbst. Statt Außensteuerung, sich der Innensteuerung überlassen.
4. Sich natürlich verhalten. All das tun, was dem Körper gut tut und wonach der Körper verlangt. Der Erschöpfte soll sich ausschlafen, der Bewegung liebende soll wandern, Sport treiben, Schwimmen, Langlaufen,

plus: Das tun was Spass macht, lesen, tanzen, Musik hören, bummeln, Hobbys pflegen.

Grundsätzliches

Fasten hat nichts zu tun mit Entbehrung und Mangel, fasten bedeutet nicht weniger essen, fasten meint nicht Abstinenz von Fleisch am Freitag, das wäre nur Verzicht, fasten hat nichts mit «Schwärmerei» von Sektierern zu tun, fasten ist auch nicht notwendigerweise mit Religion verbunden. Religion kann allerdings ein starkes Motiv sein.
Nach dem Ausfasten kommen die Aufbauzeiten. Was man jetzt dazu nehmen will, bestimmt man selbst. Wichtig ist, daß die Menge langsam gesteigert wird. Es sollen auch noch nicht zu viele verschiedene Speisen sein. Erst soll man hinspüren, wie es duftet und abwarten, dann erst nehmen. Reagiert der Körper schlecht auf das Neue, sofort wieder weglassen. Nie ist der Körper so sensibel, auf das was er nicht verträgt, wie nach dem Fasten.

Die Tugend des rechten Maßes drückt sich auch in der Esskultur aus. Daß wir essen dürfen, ist etwas schönes. Zum Essen gehört ein Tisch an dem man im Zeichen des Mahles sitzen und essen kann. Wir sitzen zusammen in Harmonie und freuen uns über die Köstlichkeiten. Zu-sammen essen macht erst eine Familie, zu der man gehören darf.

Jetzt kann wieder auf normale Kost übergegangen werden. Wer schlau ist, macht die alten Fehler nicht wieder und richtet sich nach dem, was der Körper antwortet. Der Mensch muß verdauen, ob er will oder nicht, deshalb ist der Darm das Organ, das am schnellsten zeigt, wenn man maßlos gewesen ist. Alles, was der Darm nicht verarbeiten kann, lagert sich als Schlacken im Körper ab, extrem dann, wenn die Körpermaße überlappen.
Womit Sie in der Ernährung nach Hildegard nie etwas falsch machen können, ist mit dem Dinkel.
Hier ist der Platz, an dem das Wort Subtilität erläutert werden soll. Das bedeutet, die Kraft, die aus der Natur kommt, die der Schöpfer in jedes einzelne Geschöpf hineingelegt hat, das was zur Heilung und in der Ernährung zu Grünkraft und Schönheit führen soll.

Wenn der Mensch seine Nahrung erst beschnuppern würde, wie die Tiere das tun, könnte er sehr schnell feststellen, was ihm gut tut. Hier erkennt er was das Kraut oder das Korn für ihn bereit hat, gutes oder böses, Bekömmlichkeit oder Tod. Denn «wo die Frage nicht ist, kann auch die Antwort nicht sein, im heiligen Geiste». So sagt Hildegard.

In Hildegards Küche gibt es Lebensmittel und Nahrungsmittel. Lebensmittel, sollen Leben erhalten und Nahrungsmittel sollen den Menschen Freude bescheren und gutes Aussehen verleihen. Das Essverhalten ist bei Hildegard der Ausdruck eines leib-seelischen Geschehens. Bei Hildegard gibt es ungefähr 100 Lebensmittel und Nahrungsmittel, die für gesunde und kranke Menschen gut zu essen sind. Verschiedene Mittel wirken wie Heilmittel auf die ihnen zugehörigen Organe und Organbereiche.

Wenn man sich für diese Beschaffenheiten interessiert und sie berücksichtigt in seinem Ernährungsplan, steht man schon viel besser da, als wenn man einfach unbesehen alles in sich hineinschlingt. In der Physica, der Naturkunde Hildegards, findet man bei jedem Mittel, wie es ist. Das ist kein Geheimnis, sondern hat etwas mit Fleiss zu tun, sich das Wissen anzueignen.

Beim Fasten muß man besonders auf die Haut achten. Die Haut ist das Kostüm der Seele. Auf ihr manifestieren sich die psychosomatischen Probleme. Es gibt viele Redewendungen zum Thema Haut: Es geht einem etwas unter die Haut, man spricht von einem dünnhäutigen Menschen oder auch von einem Dickhäuter, jemand hat ein dickes Fell, oder er ist eine ehrliche Haut. Einer muß seine Haut zu Markte tragen oder er errötet vor Scham. Die Haut ist die Grenzfestigung zum Innenleben. Der Hautsinn ist unser 5. Sinn und steht für das Fühlen. Die Pflege der Haut ist beim Fasten etwas ganz Wichtiges. Die Haut vermittelt Kontakt und Zärtlichkeit, aber sie ist auch Organ für Berührungsängste. Hautatmung ist so wichtig wie Lungenatmung. Wenn die Haut nicht atmen kann, erstickt der Mensch. Die Haut ist ein Schutzschild, Isolationsschicht bildend, was zum Gefängnis der Seele werden kann. Man kann «aus der Haut fahren können» . Über die Haut kann aber auch menschliche Wärme und Zuwendung vermitteln werden. Ganz sensibel ist die Berührung mit der Haut, ebenso die Wahrnehmung und der hoch entwickelte Tastsinn. Die Haut ist Ausdruck von Innen, ist Spiegel der seelischen Innenwelt. Was kann allein die Farbe des Gesichtes ausdrücken! Die Haut des Menschen kann oft zur Klagemauer der Seele werden. Die Haut kann auch richtig zornig werden, das wird sichtbar durch die verschiedenen Hautentzündungen, es brennt wie Feuer.

Dermatitis heisst Grenzen öffnen, verteidigen. Neurodermitis, Schuppenflechte, Blasensucht sind Krankheiten die über die Seele laufen, sie bilden nach Aussen hin ein Zeichen, wie Panzer, Feuer oder auch weinen, bei einer seelischen Lage die zum weinen ist, wo aber keine Träne fliessen darf. Krebs der Haut ist grenzenlos, wächst ohne Rücksicht in alles hinein, z.B. das Melanom. Dabei ist das geistig-seelische Wachstum lange unterbrochen und blockiert es, so dass es im Körper nun fulminant losschlägt. Der Mensch ist zu weit von sich selbst weggekommen, er zeigt einen grossen Mangel an geistigem Wachstum. Es gibt viele Ursachen für Krebs. Der Mensch der an Krebs leidet, ist von seiner eigenen Entwicklungsspur zu weit abgekommen oder es wird von anderen Menschen, von der sozialen Umwelt verursacht, der Mensch findet zu wenig Beachtung und Anerkennung oder zu wenig echte Liebe. Dieser kranke Mensch ist zutiefst einsam und fällt in eine tiefe Depression. Es wäre die Aufgabe zu bewältigen die Ursachen zu finden warum ein Mensch so leiden muß. Jeder Mensch ist anders und die Ursache wird auch anders sein. Können wir etwas tun, daß ein Krebs nicht zum Ausbruch kommt? In der Begleitung eines Krebskranken ohne Scheu und Angst, können wir helfen, daß sein Los erträglicher wird und daß er vielleicht auf die Ursache seines Leidens stösst, das wäre dann im Effekt die Heilung, von der wir immer wieder hören, daß sie plötzlich wie ein Wunder geschehen kann. Hildegard sagt: «freiwillig zu verzichten aber nicht zu hungern ist wie der Klang der Zither. Eine schöne Harmonie bricht die Herzenshärte auf. Speisen sollen maßvoll eingenommen werden und nur so viel, dass die Säfte nicht austrocknen».

Und zum Abschluss ein kurzer Vers aus der heutigen Zeit:

Das Beste kannst du nicht geniessen,
wenn es dem Magen nicht gefällt.
Hör auf den Guten zu verdriessen,
zuerst das rechte MaŸ gewählt!
Schau wie die Säfte fröhlich schiessen,
weil, was bekommt, uns wohl erhält.
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Linkprüfung 11.2015, 03.2020

 


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