Finde den Totenkult der Toraja sehr schön. Dort gehören die Toten zum Leben und werden alle Jahre ausgegraben, geeinigt usw.
Als Lebender, der sich irgendwie mit dem Tod früher oder später auseinandersetzen muss, würde mich dieser Kult "beruhigen". Man ist nicht aus dem Sinn und bleibt in der Familie eingebunden.
Mein Gefühl ist, dass der Kult zu idealisiert/schöngefärbt wird.
Das mit dem "ausgraben/reinigen" war mir nicht bekannt/stell ich mir schwierig vor - passt für mich auch nicht zu den Gräbern.
Soweit ich das dort mitbekommen habe:
Je nach Status bekommen die Verstorbenen eine bestimmte Begräbniszeremonie, die ihnen "zusteht". Daher zB für ein Kind, das noch keinen hohen Status "erwerben konnt", wird ev. nur 1 Huhn oder 1 Schwein geschlachtet und man feiert nur kurz. Begräbnis erfolgt recht schnell nach dem Todesfall, da man sich das eher leisten kann als Familie.
Am anderen Ende des Spektrums wäre ein sehr alter Adeliger - da können Zeremonien etliche Schweine und Büffel erfordern und tagelang dauern.
Also wird Wertigkeit/Status im Leben an erste Stelle gesetzt, um den Körper ein "entsprechendes" Begräbnis zu ermöglichen.
Das Dilemma ist, dass nicht jeder, der vom Status ein sehr umfangreiches Begräbnis "benötigt", die notwendigen Mittel hinterlassen hat.
Daher kann es Monate oder Jahre dauern, bis die Familie ihn "angemessen" beerdigen kann (also die entsprechende Anzahl von Büffeln und Schweinen geschlachtet werden kann und alle Verwandten auch dabei sein können). Und deswegen wird der Leichnam im Ortsverband gehegt und gepflegt, bis man endlich genug Geld für sein Begräbnis beisammen hat.
Ich war zB auf einem Begräbnis, da ist der verstorbene über 1 Jahr aufgebahrt gewesen. Da gab es eine extra kleine Hütte, in der er gelegen ist und eben, so wie in vielen Berichten beschrieben, quasi wie ein Teil der Familie weiter integriert war - laufend jemanden an seiner Seite hatte, quasi für die "Totenwache". Die Pflege dient schlichtweg dem Umstand, damit die Leiche nicht zu stinken beginnt oder Tiere anlockt. (wie auch immer sie das machen, die Leiche war quasi mumifiziert nach dem Jahr- also richtig eingetrocknet).
Sie sind sehr stolz auf ihre Zeremonien und zeigen gerne alles her, vA Touristen. (zumindest war das vor rund 20 Jahren so. Je mehr Touristen zu einem Begräbnis gekommen sind, desto "wertvoller").
Bei dem einen Begräbnis habe ich auch 2 junge Männer kennengelernt, die ihr Studium aufgegeben haben (es mussten, vermute ich), um zu arbeiten, damit man eben ihren Großonkel entsprechend beerdigen konnte. Daher: ihre Zukunftsplanung war "dahin", weil Onkel sehr wichtig war, aber die Familie nicht genug Geld hatte.
Für sie war das aber ohne Bedauern (zumindest mir gegenüber), sondern "normal", dass sie für ihre Familie dieses Opfer gebracht haben. Einige hatten mehrere Tage Reise hinter sich, da sie auf einer anderen indonesischen Insel gewohnt haben. Begräbniszeremonie + Wegzeiten hat sie ca. 3 Wochen gekostet.
Insgesamt war es wie ein großes Fest zu dem alle Angehörigen und auch das ganze Dorf eingeladen war. Es wurde viel getanzt, gelacht aber auch geklagt und geweint. Für die Jüngeren war es ein großes Abenteur. Auch für die Teenager war es ein tolles Erlebnis - eher wie ein Festival. (das erste Mal Alk, das erste Mal ein Kuss mit dem heimlichen Schwarm..)
Die Schlachterei war auch nicht ohne - viele Männer in einem Blutsee und dazwischen die toten Büffel und Schweine. In der Hitze hat das natürlich enorm gemüffelt.
Eine Station, in die ich gebracht wurde, war ein Haus/eine Hütte (alle Häuser/Hütten waren auf Pfählen und aus Bambus) - in der sich die Frauen versammelt hatten. Als ich eingetreten bin, waren fast alle Frauen sehr laut mit Wehklagen beschäftigt. Jene in der Mitte sehr laut, mit vielen Tränen und viel Gejammer. Jüngere am Rand haben tlw. eher nur so getan, als ob und miteinander getratscht.
In der Mitte dürfte die Ehefrau mit einigen ihrer Begleiterinnen gesessen sein. Kaum, dass sie mich gesehen haben, war das Wehklagen vorbei und sie haben sich super gefreut mich zu sehen - ich wurde dann quasi zu dem Zentrum "geschoben" und "runtergedrückt" (musste mich setzen) und bekam Tee und wurde mit allerlei gefüttert und - so wie üblich - in ländlicheren Gegenden/wo man weniger Touristen kannte/ angetapscht (meine Haare, meine Haut).
Auch die Witwe (oder Mutter) - auf alle Fälle eine wichtige Person in dem Ganzen, hat von einer Sekunde auf die andere auch umgeschaltet - super fröhlich, gelacht, mich geherzt/umarmt, mit super viel erzählt (ich hab 0 verstanden). Als ich dann endlich wieder raus durfte (Ausrede: WC) - ging das "Programm Klagen" wieder weiter - wie auf Knopfdruck.
Für die Männer gab es auch so eine "Trauerhütte". Da weiß ich aber nicht, was die gemacht haben.
(ich bin da "unabsichtlich" reingeraten. Ich hab ein 12/13jähriges Mädchen kennengelernt, das mir die Gegend gezeigt hat. Da man ohne "Guide" dauernd belästigt wurde auf Schritt und Tritt, war es mir nur recht, dass sie ihr "englisch verbessern wollte" (das sagten dort alle) und daher nicht von meiner Seite gewichen ist.
Damit war ich "ihre Touristin" und die anderen waren nicht so nervig, weil ich ja quasi "besetzt" war.
Alles sehr skurril - ich konnte keinen Schritt vors Hotel machen und schon "hatte" sie mich wieder gefunden. Ihr war es enorm wichtig, mir ihre Familie vorzustellen. Ich war davon ein wenig genervt, weil ich andere Pläne hatte und eigentlich weiter wollte. Bin dann aber am letzten Nachmittag mit ihr quasi "gnadenhalber" mit zu ihrer Familie (immer umringt zu sein, nie eine Minute in Ruhe, außer ich hab mich in meinem Zimmer eingeperrt, hat mich damals ziemlich an mein Limit gebracht).
Sie wollte nie zu Fuß gehen. Daher hat es mich nicht gewundert, dass wir ein "Bemo", ein Sammeltaxi genommen haben, um "ihre Familie in der Nähe" zu besuchen. Allerdings war die Familie "in der Nähe" auch nach 2 Stunden noch nicht erreicht. Nach Anbruch der Dunkelheit kamen wir dann endlich in einem Bergdorf an. Viele Stunden weg von meinem Hotel, mit halbwegs sauberem und gemütlichem Bett. (da mir alle versichert haben, dass ich keine Chance hätte zurück in den größeren Ort zu kommen, da alle Sammeltaxis, die zu dem Bergdorf fuhren auch für die ganze Zeremonie bleiben würden, war ich dann mitten drin im lange geplanten Begräbnis. War eine sehr interessante Erfahrung - mehrere Tage in diesem Bergdorf. Ohne Wechselgewand. Von Mücken zerfressen (rundherum Reisfelder). Auf dünner Bambusmatte geschlafen - immer dutzende nebeneinander - geschnarcht, viele Geräusche - das Huschen von Ratten und Mäusen. Ich war soooo gerädert. Konnte kaum einschlafen. Jeden Tag in einem anderen Haus "zu Gast". Keine Minute allein zum Verschnaufen. Immer umringt von Menschen, die an mir rumgerubbelt haben, um zu schauen, ob meine weiße Farbe runtergeht
)
Ich hab ein wenig gebraucht, um zu verstehen welche Chance ich da bekommen hatte, so etwas miterleben zu dürfen...
***
Auf einem anderen Begräbnis einer "sehr reichen Frau" - war es sehr professionell gestaltet. In der Umgebung wurde mit Zetteln Werbung gemacht für das Begräbnis. Wir Touris wurden auf der Straße angesprochen und mit extra Bus komfortabel hingekarrt. (nicht als "Touristenfalle", sondern um eben möglichst viele Touris dabei zu haben).
Dann hatten wir einen eigenen "-Touristen-Flügel" - extra hübsche Plastiksesseln. Alle andren saßen in der prallen Sonne. Uns haben sie Sonnenschirme aufgespannt. Und wir wurden von vorne und hinten bedient/richtig umworben.
Die Gastfreundschaft bzw. Bewunderung von "Nicht-Indonesiern, solang sie helle Haut hatten und nicht Chinesen waren", war dort war immens.
Ich hab auch mit einem Angehörigen gesprochen (was nicht schwer war - gefühlt alle 300 Leute waren "Angehörige" ("family") - und ohnehin eh alle wollten gefühlt mit mir reden. Ein Architekturstudent der auf der Hauptinsel (Jakarta) studiert hat und mit seinen Eltern und Geschwistern zum Begräbnis geflogen ist (jedes dieser Flutgtickets war ein Jahreslohn für "Normalos").
Ich sprach an, dass die Frau ja weder mich noch die anderen Touristen kannte. Warum es dann so erwünscht sei, dass wir "Touris" da dabei wären. Erklärung war - fremde Menschen (vA mit heller Haut) seien was Besonderes, daher wäre es der Familie so eine Ehre die dabei zu haben. (je mehr, desto besser)
Er selbst sah die Zeremonie (den vorgegebenen Umfang) aber auch durchaus kritisch. Meinte eben, dass es für ihn/seine Familie kein Problem sei, das zu finanzieren. Er aber Freunde hätte, die nicht heiraten könnten bzw. keine Ausbildung machen konnten, weil die Familie quasi nur dafür lebte, ein Begräbnis zu finanzieren.
Dort gab es richtig schön gedruckte Programm - und den Lebenlauf dieser Frau in verschiedenen Sprachen. Dazu hatten noch alle Tänzer und Schlachter ein T-Shirt mit dem Gesicht der Frau vorne drauf. (ihr Begräbnis war relativ bald nach ihrem Tod - sicher dennoch erst 2-3 Monate später, da viel zu organisieren war.)
Ich hab auch mehrfach gefragt, warum diese Frau so "important" war. Das konnte mir keiner der Gefragten beantworten. Standard war: "because she was very old". "because she was 100 years old".
Einer der Gäste/der family hat es dann so erklärt, dass keiner wisse, wie alt sie gewesen sei. Aber da sie viele Falten gehabt hatte und keine Zähne, war sie für die jüngeren "very old/100 years old". Warum sie so ein tolles Begräbnis hatte, wusste der aber auch nicht.
Von den Befragten schien sie keiner näher zu kennen.
Soweit ich gerade nachgelesen habe, versucht auch die Regierung diese teuren Begräbnisse zu behindern (um die Verschuldung, die teilweise Generationen belastet, abzuschaffen). Ich kann mir gut vorstellen, dass auch viele Jüngere es durchaus kritisch sehen/ihr eigenes Leben nicht mehr opfern wollen. (Jüngere Menschen außerhalb der Torajagegend, waren da ziemlich kritisch. Meinten zB sie würden sicher nicht da mit einheiraten wollen, sonst würden sie nur für die Toten arbeiten und sparen müssen).
Somit mein Fazit: sehr interessante Bräuche. Ich bin aber froh, dass der Tod meines Körpers meine Familie nie so belasten wird/dass wir in unserer Kultur andere, billigere Möglichkeiten haben.
(ich gehe davon aus, dass meine Essenz sich schnell von meinem Körper trennen wird. Ich werde sicher an vielen Stellen sein, zum Abschied. Aber nicht bei einem verwesenden Stück Fleisch, das mir nicht mehr dienlich sein kann. So meine Einstellung).
Ich freue mich, wenn Menschen, die mich kennen, sich nach meinem Tod für mich freuen, dass ich die "nächste Runde geschafft habe" und meine Energie/Essenz endlich wieder weiß, was "danach" passiert. Woher wir kommen, wo unsere Essenz/Seele auf ihre Seelenfamilie trifft, oder ins Universum driftet. Oder im Ursprungskörper wieder aufwacht. (So viele Optionen. Bin schon sehr neugierig!)
Für mich wäre es eine enorme Last, wenn ich meinen Hinterbliebenen so einen "Berg" an Schulden hinterlassen müsste. Wäre interessant, wie das ältere, ärmere Menschen im Torajagebiet wahrnehmen. (ob sie überhaupt an sowas denken. Einfach weil sie so sozialisiert worden sind).
Ich brauche keinen Grabstein - meine Asche verstreuen wäre prima. Oder (wenn das nicht geht) zB Asche unter einem Baum vergraben (das geht in Ö).
Für mich wäre auch ok, wenn mein Körper der Wissenschaft dient. (ich brauche ihn ja dann definitiv nicht mehr).
Als "Spruch", der nirgends stehen muss, scheint mir "WELCH EIN ERLEBNIS!!!" angebracht.
lg togi