Es war einmal - vor mehr als 60 Jahren

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1945 war der 2. Weltkrieg zu Ende. Viele der damaligen Kriegsteilnehmer und der Frauen, die zu Hause blieben, leben nicht mehr. Viele der Kriegsheimkehrer haben nie oder kaum über ihre Kriegserlebnisse gesprochen. Das Schweigen war dennoch oft beredt.
Ich bin sicher, daß diese unausgesprochenen Erlebnisse, die ja oft schrecklich waren, als "Familiengeheimnisse" auch auf die Nachfahren, also die Söhne und Töchter, die Enkel und Enkelinnen übergegangen sind.

Hier Nachdenkliches über die Erzählungen und Aufzeichnungen eines Vaters:
Vater-Soldat(Internet-Ausdruck)                                    

Uta
 
Hallo Uta,

das ist sehr interessant. Ich kenne Kriegserzählungen in übergroßer Menge. Mein Vater kam seinerzeit in nahezu jeder Diskussion irgendwann auf den Punkt, wo er auf den Krieg zu sprechen kam. Wir konnten es alle nicht mehr hören. Er hat wohl vieles nicht verarbeitet; war wahrscheinlich für sein Leben traumatisiert und sprach doch nur in Anektotenform davon. Jetzt ist er lange tot, aber ich habe mir oft gedacht, er hat das Entsetzen und alle Verletzungen nie überwunden und die Sensibilität der anderen, der Kinder sowieso, hielt sich in Grenzen. Heute kann ich das einschätzen, als Kind zuzuhören nervte bloß.

Gruß, Horaz
 
hallo,
dies ist ein thema das, wie ich glaube, noch immer tief in unsere gesellschaft hinein wirkt.
gerade die "unmöglichkeit" der bearbeitung macht die erlebten traumatas zu familienthemen welche generationen lang "kettelaufen" können.

so ist auch mein vater als "held" stolz in einen krieg gezogen und ist schwer angeschlagen als verlierer und als einer der für die falsche sache getötet hat zurückgekehrt.
die jenigen die noch kurzvorher zugejubelt haben schämten sich für die taten der heimkehrer. (zurecht!)
es geht nicht darum, das was angerichtet wurde mit dem aufzuwiegen was die täter auszuhalten hetten!.

doch wenn wir an eine verarbeitung gehen wollen, sollte verstanden werden was da passiert ist.
öfter als man vieleicht glaubt, kommen menschen in therapeutische behandlung die von kriegsheimgekehrten väter mißhandelt wurden.
(ich habe sehr viele solcher erlebnisse mit klienten zurückverfolgt)
auch die gefühlsblockaden dieser ehemaligen soldaten sind teil des problems unserer "vaterlosen" gesellschaft.
diese väter sind oft menschen die emotional niemanden mehr an sich herranlassen konnten, auch nicht ihre kinder.
ganz gut dargestellt ist das im film "das wunder von bern".

aus amerikanischen studien* weiß man, dass extreme gewaltbereitschaft, depression und angstzustände um viele hunderte prozent bei kriegsveteranen höher liegen als bei vergleichbaren gruppen.
alldies gilt natürlich auch und bisweilen in höherem maße für die überlebenden opfer ihrer handlungen.
eine aufarbeitung muß auch beinhalten das über die schreckenserlebnisse (auch der der eigenen taten) geredet werden kann.
und dabei geht es nicht um das gebetsmühlenartige wiederholen von anektoten oder helden storys, sondern um das was als fast unaussprechbar empfunden wird.

gute bücher dazu:
"Trauma-Heilung" Das Erwachen des Tigers
*"Das Trauma heilen"

lieber gruß
andreas
 
Wenn wir jetzt über den 2. Weltkrieg reden, klingt das schon ziemlich weit weg.
Aber es gibt ja auch jetzt Kriege, z.B. den Iran-Krieg. Afghanistan gilt zwar nicht mehr als Kriegsland, aber dennoch befinden sich dort Soldaten.
Auch diese "Krieger" werden traumatisiert und tragen ihre Erlebnisse laut oder leise in ihre Familien...

Gruss,
Uta
 
60 Jahre danach

Die Generation der „Kriegskinder“ (1933 – 1945)
„Es bricht alles auf, plötzlich ist alles wieder da, was man als Kind erlebt und in sich verkapselt hat. Es bricht auf und es ist da und erfasst einen körperlich. (...) Die Traumaforschung weiß heute, dass man vierzig, fünfzig Jahre braucht, um sich dem Schrecken zu stellen, Worte der Erinnerung zu finden, das Entsetzen zu schildern, das unter dem Vergessen liegt. Es ist doch eine fast körperliche Vernichtung der eigenen Identität. Man ist ja nicht unbeschädigt. Man ist nur zufällig dem Tod entgangen. Das wusste man auch als Kind, dass man nur zufällig überlebt hat. In dem Moment, als wir im Keller von der Pritsche hoch sind, weil wir getroffen wurden und zum Durchbruch rannten, krachte hinter uns die Mauer zusammen und fiel auf die Pritsche, auf der ich mit meiner Mutter und meinem Bruder immer saß, es war unser Platz, es war ja alles zugeteilt, es gab einen Luftschutzwart, es war alles geordnet. Da musste man sitzen. Wir rannten los und da brach die Mauer ein. Wenn wir zwei Sekunden länger gewartet hätten, wären wir tot gewesen. (...) Das vergisst man auch nicht mehr.“Dieter Forte, geboren 1935 in Düsseldorf, in einem Gespräch über Luftkrieg und Literatur mit Volker Hage, Literaturredakteur des „Spiegel“, am 17. Februar 2000 in Basel.


Uta
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Morgen, am 6. Juni (1944) ist der Jahrestag der Landung der Allierten in der Normandie....
Was wäre in Europa, wenn die Engländer und Amerikaner nicht zu Hilfe gekommen wären?....
Dann wären wir Schweizer vermutlich nicht mehr "freie" Schweizer.....
 
Hallo,
ich danke Dir, Uta für dieses Thema! Es hat mich sofort berührt, insbesondere auch das, was Horaz und Holon geschrieben haben. Mein Vater war während des gesamten Krieges Soldat gewesen. Er war zwei Mal verwundet worden und danach jeweils wieder an die Front zurückgekehrt. Von den Umständen um die Verwundungen abgesehen, hat er mir auch überwiegend von "schönen" Erlebnissen berichtet, die - das kann ich heute beurteilen - ja vermutlich nur einen verschwind geringen Teil dessen, was er er erlebt hat, dargestellt haben.

Was er aus dem Krieg mitgebracht hat, war eine Liebe zum Mittelmeerraum, zur griechischen Kultur und zur Mythologie. Er hatte, während der Besetzung Kretas, griechisch gelernt und viele Geschichten mitgebracht, die er mir erzählte, als ich klein war. Das erste Buch, das ich mir wünschte, als ich lesen konnte, war eine Ausgabe der "Griechischen Sagen", nach Gustav Schwab. Das habe ich natürlich heute noch. Irgendwie war er auch stolz darauf, dass er der Erste war, der auf Kreta Kartoffeln angebaut hatte (wenn es stimmt).

Er lehnte später Krieg ab und sah dem Erstarken der "Volksparteien" mit großer Skepsis entgegen. Andererseits befürwortete er die Bundeswehr als Verteidigungsarmee und gewisses nationales Gedankengut hat er auch beibehalten.
Wenn ich zurückdenke, war es eher meine Mutter gewesen, die mir das Fazit vermittelte, dass Krieg furchtbar sei und so etwas nicht wieder vorkommen dürfte. sie hatte die Zerstörung ihrer Heimatstadt in einem Luftschutzkeller er- und überlebt.
Dass ich den Kriegsdienst verweigert habe, hat mein Vater nicht mehr miterlebt und ich glaube, er wäre nicht wirklich begeistert gewesen.

Zitat Holon:
dies ist ein thema das, wie ich glaube, noch immer tief in unsere gesellschaft hinein wirkt.
gerade die "unmöglichkeit" der bearbeitung macht die erlebten traumatas zu familienthemen welche generationen lang "kettelaufen" können.
Ja, das denke ich auch. Und die gesellschaftliche Dimension ist gewichtig. Ein Freund von mir hat mal von einer "durch Nationalsozialismus und Krieg zutiefst depressiven Gesellschaft" gesprochen. Wobei ich den Aspekt der "Demut", die darin zum Tragen kommen kann, durchaus begrüßenswert finde.

Herzliche Grüße von
Leòn
 
hallo,
ich habe das bedürfniss eines der mir bekannten erlebnisse meines vaters hier zu teilen.
es ging um deutsche soldaten die in den letzten kriegsmonaten "fahnenflucht" begehen wollten und gefasst wurden.
die aufgabe meines vaters (seines ranges wegen) war es, die erschießung seiner ihm untergebenen kameraden anwesend zu bezeugen. damit deren tot sichergestellt war.

ich kann auch jetzt wo ich es schreibe nie daran denken ohne das mir noch ganz eng und traurig wird.
ich habe eigtl. selber keine worte um diesem ereigniss emotional gerecht zu werden.
es gibt nur meine inneren bilder hierzu und es kostet mich viel in diesem senario das gesicht meines vaters mir bildhaft vorzustellen.

gruß
andreas
 
Lieber Holon,

das ist sehr traurig.
Ich kann nur wenig dazu sagen, als dass ein Grund mehr ist, sich gegen Waffenhandlungen und Krieg, wo und wann auch immer, einzusetzen.

Herzliche Grüße von
Leòn
 
Zuletzt bearbeitet:
Der Vater einer Freundin von mir war Aufseher in einem Kz. Die Freundin ist erst nach dem Krieg geboren, und der Vater führte weiter das Leben eines "aufrechten" Deutschen und war sich überhaupt keiner Schuld bewußt, obwohl er auch an Erschießungen teilgenommen hatte.

Meine Freundin hat jahrelang immer damit zu kämpfen gehabt, daß sie sich eigentlich immer schuldig fühlte, wußte aber nie so recht, warum .
In einer Familienaufstellung wurde dann auch der Vater auf der einen Seite und die "Opfer", also die KZler auf der anderen Seite aufgestellt. Die Freundin stand dabei und fühlte eine ganz starke Verbindung zu den Gefangenen und sehr wechselnde Gefühle für ihren Vater.
Sie wurde dann in der Aufstellung von ihrem Vater und den GEfangenen "entkoppelt". Seitdem kann sie ihr "ich bin schuld" wesentlich besser bearbeiten und es sein lassen.

Das Thema "Familienstellen" möchte ich hier aber lieber nicht innerhalb dieses Themas diskutieren. Das hatten wir ja auch schon. Familienstellen steht und fällt mit dem Therapeuten. Da die Verknüpfung mit Hellinger immer noch sehr stark ist, sollte man deshalb besonders kritisch sein, zu wem man sich da begibt.
ZEIT online - Dossier - familie : Da sitzt das kalte Herz!

Gruss,
Uta
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Uta,

was für eine Geschichte... .
Nein, es sollte hier nicht um das Familienstellen gehen, dazu gibt es ja auch schon einige Threads. Dennoch finde ich den Hinweis wertvoll, dass dies eine Möglichkeit sein kann, "ererbte" Traumata zu bearbeiten.

Die von Dir und Holon genannten Schicksale bieten da ja eine Menge Greifbares.

Was meinen Vater betrifft kenne ich eine Menge "netter Geschichten". Es bleiben mir allerdings viele Fragen, die ich kaum beantwortet bekommen kann.


Herzliche Grüße von
Leòn
 
hi leon,
ein weiterer aspekt zum thema:
das mit den ererbten traumatas braucht man evtl. garnicht in "" stellen.
es gibt neuerdings hinweise das das erbgut von traumatisierten verändert sein kann. mit, wie es scheint, ganz spezifischen folgen.
das es so ist scheint sicher, was es genau im einzelnen bedeutet ist noch nicht völlig klar.

gruß
andreas
 
Hallo holon,

das mag ich nicht beurteilen, ich meinte jetzt ein (unbewusst) sozial ererbtes Gut.

Herzliche Grüße von
Leòn
 
hi leon,

ja weiß wie es gemeint war und ich stimme dem nachdrücklich zu.

ich habs nur zum aufhänger genommen diese, wie ich finde, interessante info weiter zu geben.
es könnte ja im endeffekt zu einer erweiterung im darwinschen:greis: ansatz führen.
schaun wir mal.

lieber gruß
andreas
 
Bis jetzt haben nur "ältere SEmester" geschrieben.
Mich würde interessieren, ob es auch Mitglieder aus der Enkel- oder sogar Urenkel-Generation gibt, die von ihren Omas/Opas aus dem Krieg berichten können.
Hier ging es zwar zunächst um die Erlebnisse von Männern im Krieg. Aber die Frauen hatten ja genauso - wenn auch auf andere Weise - ihren "Mann" zu stehen: zunächst, weil die Männer im Krieg waren, dann evtl. bei der Flucht, bei der Besatzung, beim "Hamstern", weil es nichts zu essen gab....

Gruss,
Uta
 
Hallo Uta,

also jünger bin ich nicht geworden :D , aber zur Betroffenheit von Frauen im Krieg kann ich etwas sagen.
Von zweien meiner Tanten und meiner Schwiegermutter weiß ich, dass sie in Munitionsfabriken eingesetzt waren und Granaten bzw. Patronen hergestellt haben. Eine meiner Tanten berichtete von der hohen Explosionsgefahr in ihrer Fabrik und häufigen Selbstentzündungen des Pulvers ... sie ist da in ständiger Angst gewesen... .

Leòn
 
Hallo

Ich habe von meinen Eltern so einiges erzählt bekommen - und sie erzählen immer noch.... beide Elternteile (wie auch ich)wurden in Berlin geboren.
Als der Krieg zu Ende war, da waren meine Eltern 13 Jahre alt.

Als ich als Kind einmal zu meiner Mutter sagte:"Ich habe noch nie einen toten Menschen gesehen" , da lächelte meine Mutter ganz seltsam u. sagte:"Mein Mädchen, ich bin schon über Leichen gelaufen".
Mein Vater erzählt aus dieser Zeit eher wie ein "Abenteurer". Wie man in Horden in den Parks Bäume gestohlen hat, sie in minutenschnelle zerlegt u. abtransportiert hat.
Dass einige hilflose Menschen in ihren Betten erfroren sind.
Einmal habe ich ein Bild gemalt u. als mein Vater es gesehen hat, da sagte er, das erinnert ihn an einen Zug aus dem lauter Hände herausgestreckt wurden.

Immer wieder betonen meine Eltern, wie selbstständig sie zu sein hatten. Beide erzählen von überforderten Müttern, denen man zu helfen hatte.

Mein Vater redet oft über Ehre und Vertrauen. Da lag ein Stück Brot und er war so ausgehungert, dass er immer wieder um dieses Brotstückchen herumgetiegert ist, aber er ließ es liegen, weil es untragbar gewesen wäre, in der eigenen Familie zu stehlen.
Es wird oft über den erlittenen Hunger geredet.
Aber auch über die Waffen, die die Deutschen in der Angst vor den Russen und Amerikanern überall weggeworfen hatten u. die Jungs, die damit spielten.

Ich könnte hier noch viel erzählen....

Es ist so, dass ich nun meine Kinder genau zum Gegenteil erzogen habe, was Verantwortung angeht. Das können meine Eltern überhaupt nicht verstehen.
Auch mir wurde im Alter von 16 Jahren mehr zugemutet, als ich in der Lage war, zu tragen. Das hat zu vielen Konflikten geführt.
Als Großeltern können es meine Eltern noch viel weniger verstehen, dass meine Jungs noch so unselbstständig sind - mit 16 u. 17.

Im Rahmen meiner Arbeitsstelle ist mir vor 6 Jahren eine Frau begegnet - zu ihr habe ich heute noch Kontakt.
Sie stammt aus Afghanistan u. als sie noch ein Kind war, da wurde im Krieg gegen die Russen der Vater erschossen. Als viele Familien aus der Region flüchteten, da hatte ihre Mutter nicht genug Geld um mit ihr und ihrem Bruder zu flüchten. Das Haus wurde von einer Granate getroffen und dabei starb ihre Mutter und ihr Bruder. Sie selber wachte im Hospital auf und hatte beide Beine verloren.
Später brachte man sie nach Deutschland und wurde von einem sehr viel älteren Mann geheiratet, misshandelt u.s.w.
Heute lebt sie sehr zurückgezogen mit ihrer kleinen Tochter in einer sehr hübschen Wohnung.
Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie seltsam weh ihr Gesicht leuchtet, wenn sie von ihren verlorenen Beinen redet, die wunderschön gewesen sind...
Sie trägt ihr Schicksal mit Gottes Hilfe.
Die kleine Tochter geht nun in die erste Klasse und oft denke ich so bei mir: Wie ernst das kleine Mädchen schon ist, wie verantwortungsvoll und weitsichtig. Es ist traurig. Sie wirkt schon sehr erwachsen...

Krieg zerstört nicht nur die Häuser, sondern auch die Grundfesten.

Wann werden die Menschen nur begreifen, was sie anrichten?

Kaba
 
Hallo

Ich habe von meinen Eltern so einiges erzählt bekommen - und sie erzählen immer noch.... beide Elternteile (wie auch ich)wurden in Berlin geboren.
Als der Krieg zu Ende war, da waren meine Eltern 13 Jahre alt ...

Krieg zerstört nicht nur die Häuser, sondern auch die Grundfesten.

Wann werden die Menschen nur begreifen, was sie anrichten?

Kaba

Nach meiner Überzeugung nie, da hier die überwältigende Mehrheit der Menschen von Generation zu Generation die Überzeugung weitergibt, der Mensch hätte alles in der Hand, er müßte sich nur anstrengen und sich durchsetzen: hier früher im Krieg, später im "Wirtschaftswunder", heute im Bemühen, der offenbar unaufhaltsam auf uns zukommenden Klimakatastrophe unter Einsatz aller Mittel Einhalt zu gebieten.

Nur wenige wissen darum, daß der Mensch mit seinen Kräften und Möglichkeiten grundsätzlich begrenzt und endlich ist, daß er nur im Augenblick zu handeln vermag und weder an der Vergangenheit noch Zukunft etwas ändern kann. Vielmehr hat er die Verantwortung, mit allem, was ihm in die Hand gegeben ist, klug umzugehen und bei sich ändernden Situationen und Lebensbedingungen rasch und entschlossen zu handeln.

Auch ich habe den Zweiten Weltkrieg überlebt: den Bombenangriff auf Dresden, das Konzentrationslager der Tschechen und die Vertreibung aus der Heimat. Ich weiß, wie verbranntes Menschenfleisch riecht, wie es ist, wenn man außer den Kleidern, die man gerade am Leibe trägt, nichts mitnehmen darf, sondern froh sein kann, wenn man nicht totgeschlagen wird. Ich mußte dabeisein, wie die Tschechen in dem Konzentrationslager einen Deutschen totgeschlagen und anschließend den Leichnam in die Jauchegrube des Gemeinschaftsklos geworfen haben.

Dennoch trage ich niemandem etwas nach und verzeihe allen, die mir in meinem Leben Böses angetan habe, und damit komme ich zu Kabas Schlußfrage: Wenn die Menschen wüßten, was sie sich selbst antun, indem sie die Häuser anderer Menschen vernichten, Mitmenschen umbringen, verstümmeln, vertreiben, berauben, ihnen ihre Lebensgrundlage entziehen, würden sie dies im eigenen Interesse unterlassen.

Als ich im Jahre 2000 zusammen mit meiner Frau meine Heimatstadt im heutigen Tschechien besuchte, um auf den Spuren meiner frühen Kindheit zu wandeln, waren wir auch auf den Friedhof. Dort wird das Grab meines Urgroßvaters heute noch von der Stadt gepflegt, nachdem dieser zur Zeit der k. u. k. Monarchie dort jahrelang ehrenamtlicher Bürgermeister gewesen ist und anerkanntermaßen viel für die Stadt getan hat. Als meine Frau und ich am Familiengrab gestanden sind, hörten wir gerade die Sprachfetzen einer Ansprache, die vor der Beisetzung eines keiner kirchlichen Gemeinschaft angehörenden Verstorbenen gehalten worden ist; es war trostlos.

Als ich bei strahlendem Sonnenschein vor der Rückfahrt von einer nahegelegenen Anhöhe nochmals einen Blick auf meine Heimatstadt werfen durfte, ist auch mir klargeworden: Hier ist wohl meine Heimat, aber nicht mehr mein Zuhause. Was haben heute die Leute davon, daß ihre Vorfahren uns damals ausgeplündert und davongejagt haben? - Nichts!

Deshalb gilt es, beizeiten gelassen zu werden.
 
Ich habe nie flüchten müssen und meine Eltern oder Großeltern auch nicht. Ich glaube, so eine Flucht gehört zu den Erlebnissen, die man nie nachvollziehen kann, so realistisch die Erzählungen darüber auch sein mögen.
Deshalb meine große Achtung, wenn es gelingt, Haß und Wut zu bewältigen, die sicher mit einer Flucht auf jeden Fall zunächst verbunden sind.

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Von Romitten bis Lübeck.

Die Flucht aus Romitten im Kreis Pr. Eylau in Ostpreußen vom 26. 1. 1945 bis 29. 3. 1945
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Die ganze Flucht ging über ca. 1000 km vom 26. Januar 1945 bis zur Ankunft in Wulfsdorf bei Lübeck in Schleswig - Holstein am 29. März 1945. Kein Mensch kann sich heute diese Strapazen für Mensch und Tier vorstellen, ging doch die Flucht oft nur wenige Kilometer vor der Front her durch fast ganz Deutschland und immer die Russen im Nacken.
https://freenet-homepage.de/helmut.ramm/hopa14b.html

Es waren 2 Monate, eigentlich keine lange Zeit. Wenn man aber liest, wie diese zwei Monaten im Winter bewältigt werden mussten, dann wird es einem ganz anders.

Es gab ja auch den Film "Die Flucht":
DasErste.de - Die Flucht

Gruss,
Uta
 
Ich möchte niemandem zu nahe treten. Dennoch will ich aussprechen, dass ich denke, dass das Flüchtlingsschicksal ein sehr hartes und schweres war und ist. Man kann dort, wo man flieht, nicht bleiben. Und dort, wo man hinkommt ist man (in der Regel und bei der Mehrheit) nicht willkommen.
Wir hatten im Dorf auch ein paar Flüchtlingsfamilien, aus Schlesien und Ostpreußen. Meine Eltern waren recht aufgeschlossen, andere haben aber viel getuschelt und es den Leuten teilweise nicht leicht gemacht. Irgendwie war so eine latente Erwartung da, dass sie wieder weggehen mögen. Aber wohin?

https://www.symptome.ch/threads/nirgendwo-zuhause-fluechtlinge-im-21-jahrhundert.7346/

Herzliche Grüße von
Leòn
 
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