Elektrosensibilität ist messbar (Teil 3)

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öp: Wie lange werden Ihre Forschungsarbeiten andauern?

Von Klitzing: Uns liegt inzwischen eine umfangreiche Datensammlung über elektrosensible Menschen vor, die Ende dieses oder Anfang nächsten Jahres publiziert werden soll. Wir wollen zeigen, dass Elektrosensibilität messbar ist. Es heißt immer, das dies nicht möglich sei. Aber es ist möglich.

öp: Konnten bisher schon ganz konkrete Schäden und Krankheitsfälle festgestellt werden?

Von Klitzing: Oh ja. Wir machen zahlreiche Beobachtungen in der schon erwähnten Klinik. In der Umgebung steht kein Mobilfunksender, die ganze Klinik wurde bzgl. der Elektroinstallation saniert - sie ist also feldarm. Elektrosensible Menschen, die hier drei oder vier Tage bleiben, fühlen sich wie neugeboren. Die Ergebnisse sind abenteuerlich - aber es ist so. Das Problem für mich ist: Weil es kein Wirkungsmodell gibt, muss ich diese Information zur Kenntnis nehmen. Es gibt übrigens auch immer mehr Leute, die bewusst ihren Urlaub in feldarmen Gegenden verbringen.

öp: Wie macht sich diese Elektrosensibilität bemerkbar?

VonKlitzing: Schlafstörungen, nächtliche Schweißausbrüche, Konzentrationsstörungen, Tinnitus u.a. reduzieren sich in feldarmen Gebieten schlagartig. Das sind alles Symptome, bei denen man - weil sie nicht messbar sind - mit den Patienten zusammenarbeiten muss. Der Patient muss natürlich glaubwürdig sein, was eine sorgfältige Anamnese voraussetzt.

öp: Am „Freilandversuch Mobilfunk" nehmen inzwischen alle Menschen - zumindest in Deutschland und den Industrieländern - teil. Fast jeder ist mit der Strahlung konfrontiert. Hat sich die allgemeine gesundheitliche Lage in der Konsequenz signifikant verschlechtert?

Von Klitzing: Ärzte, die sich mit der Problematik ernsthaft auseinander setzen, konstatieren eine erhöhte Infektionsrate, eine Abnahme der Stabilität des Immunsystems - gerade bei Kindern - und die Zunahme von Allergien. 30% aller Kinder haben inzwischen Neurodermitis - ein abenteuerlich hoher Wert. Selbstverständlich hat es in den letzten zehn Jahren auch andere Einflüsse gegeben, etwa Umweltverschmutzungen. Man kann diese Zahlen daher natürlich nicht isoliert betrachten.

Da jeder Mensch anders reagiert, ist eine Statistik allerdings kaum zulässig und möglich. Statistik heißt, dass zwei Gruppen miteinander verglichen werden, bei denen ein verbindender Parameter geändert wird. Man kann hier nur über Fallzahlen und Wahrscheinlichkeiten etwas aussagen. In der Nähe von Mobilfunkanlagen treten z.B. bestimmte psychosomatische Krankheitsbilder gehäuft auf: Denn Schlaflosigkeit und Konzentrationsstörungen führen zu Stress - und Dauerstress führt - wenn er nicht kompensiert wird - zu Krankheit. Andere Menschen hingegen fühlen sich in der Nähe von Sendeanlagen pudelwohl.

Die systematische Erfassung der Eingangsvariablen und deren richtige Bewertung sind somit von größter Wichtigkeit. Epidemiologische Studien sind allerdings wiederum sehr teuer. So etwa sagt Prof. Frentzel-Beyme aus Bremen: „Ich hänge am Tropf der Geldgeber".

öp: Der Ausweg wäre die Einrichtung eines Fonds, der von Umweltgruppen und unabhängigen Organisationen gebildet wird...

Von Klitzing: Genau das hat die Interdisziplinäre Gesellschaft für Umweltmedizin (IGUMED) nun vor. Über die Masse ihrer Mitglieder soll ein Fonds gebildet werden, der auch derartige Projekte finanziert.

öp: Die Telekommunikationsindustrie hat sich allein die deutschen UMTS-Lizenzen (UMTS = Universal Mobile Telecommunication System) sage und schreibe rund 100 Mrd. DM kosten lassen. Ist dieser neue Mobilfunk-Standard ungefährlicher?

Von Klitzing: Bei einer Bundestagsanhörung im Jahr 2001 hat die Mobilfunk-Industrie hoch und heilig versprochen, entsprechende Studien vor der Markteinführung von UMTS zu erstellen. Doch bis heute existiert keine einzige. Der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) hat vor einem Jahr laut getönt, es existierten 3.000 Studien. Ich habe darum gebeten, mir zumindest eine einzige zuzusenden, und habe keine erhalten. Es gibt keine! Die Lage ist identisch mit der eingangs beschriebenen: Aus allgemeinen Elektrosmog-Studien wird einfach extrapoliert. Aber das geht so nicht.

öp: Was sagen Sie als Experte?

Von Klitzing: UMTS funktioniert völlig anders, aber wir dürfen eines nicht vergessen: Der bisherige GSM-Standard bleibt bestehen - UMTS kommt zusätzlich dazu. Es wird immer behauptet, UMTS sei nicht gepulst. Dies ist falsch. Es gibt zwei Systeme: Das eine ist gepulst, das andere nicht - je nach Datenübertragungsrate. Wir wissen, dass gepulste Felder eine biologische Wirkung haben, die sich von derjenigen nicht-gepulster Felder unterscheidet. Daher ist bei UMTS mit einer Verbesserung nicht zu rechnen. Das ist natürlich eine vage Auskunft - aber derzeit kann man nicht mehr dazu sagen.

öp: Sie selbst waren bis März 2002 Leiter der Klinisch-Experimentellen Forschungseinrichtung an der Medizinischen Universität zu Lübeck (MUL). Wie kam es zur Trennung mit der MUL?

Von Klitzing: Ich hatte 27 Jahre lang die administrative Verantwortlichkeit für diese Forschungseinrichtung inne. Da ich erleben musste, dass die Forschung nicht mehr das ist, was sie früher einmal war, bin ich froh, den Absprung geschafft zu haben. Schließlich gab es in der Endphase auch das Problem, dass ich nicht mehr forschen durfte; wenn ich publizieren wollte, musste ich dies vom Dekan genehmigen lassen - was ich natürlich nicht getan habe. Also wurde ein Disziplinarverfahren gegen mich beantragt, das aber von der nächsten Instanz zurück gewiesen wurde.

öp: Wie wurden Sie zum „Mobilfunk-Kritiker"?

Von Klitzing: Ich bin nicht „der" Mobilfunk-Kritiker, wie es so gerne gesehen wird. Ich befasse mich seit 1983 intensiv mit der Wirkung von Feldern auf Biosysteme und habe mich auch schon die Jahre davor mit Bioregulation intensiv beschäftigt. Und da gibt es logische Verknüpfungen, die eigentlich nur verlangen, mehrere Sachverhalte im Zusammenhang zu sehen. Bioregulation meint die intrazelluläre Kommunikation, wie auch die zwischen Zellen und Zellverbänden: Wenn diese Kommunikationswege gestört sind, kommt es zu Problemen, wenn etwa eine Zellteilung nicht mehr durch die Regulation gehemmt wird - ein Mechanismus, der etwa Krebs verhindert. Aus dieser Beschäftigung mit Einzelsystemen und Regulationsvorgängen - etwa in Zellkulturen - entstand mein Engagement in Sachen Mobilfunk.

Wir haben nach 1983 schließlich mit gepulsten elektromagnetischen Feldern gearbeitet; zu dieser Zeit gab es noch nicht den heutigen GSM-Mobilfunk. Ende der 80-er Jahre habe ich - als zusammen mit Frankreich über das Mobilfunksystems GSM diskutiert wurde - Bundespostminister Wolfgang Bötsch geschrieben, dass aufgrund unserer Erfahrungen hier ein großes Problem auf uns zukommen könnte. Natürlich habe ich keine Antwort erhalten. Erst später, 1993, bescheinigte mir Bötsch bei einer Sitzung in Bonn, dass ich mit meiner Ansicht wohl nicht ganz unrecht gehabt hätte. Da war es allerdings schon zu spät.

Jetzt will die Industrie Geld verdienen. Und in der Politik werden zwischen Kanzler und Mobilfunkindustrie Kamingespräche geführt - mit dem Hauptargument der Arbeitsplatzschaffung. Wie lange diese Arbeitsplätze gesichert sind, ist eine andere Frage. Denn der Rattenschwanz wird nachkommen: Wenn es wirklich zu ernsthaften gesundheitlichen Problemen kommt - wer soll das dann bezahlen? Dieses Prinzip der Schnellschüsse zieht sich inzwischen wie ein roter Faden durch Wirtschaft und Politik. Andere Beispiele sind BSE und Nitrofen. Wir müssen etwas weiterdenken!

Nach der steilen Aufschwungphase der Mobilfunkindustrie, in der auch die UMTS-Lizenzen erworben wurden, kam der Einbruch. Der Markt ist aufgeblasen - dies zeigen u.a. die geplanten Massenentlassungen bei Nokia und Eriksson.

Und man betrachte die Reklame für UMTS: Werbung für Handys, mit denen man Fotos machen kann. Schön und gut - aber wem nützt das denn? Die Menschheit wird für dumm verkauft. Die Industrie muss noch eine schnelle Mark machen, bevor das morgen völlig uninteressant ist.
 
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