Du sollst Dir kein Bildnis machen

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Nun, diese alte, unter anderem auch biblische Aussage, hat - so denke ich - ganz viel mit "loslassen" zu tun. In dem Moment, da ich mir ein "Bild mache", von einer Person, einer Situation, einem Sachverhalt und so weiter, da mache ich eine Fixierung. Problematisch wird es, wenn ich dann daran (zwanghaft ? :schock:) fest halte und sie nicht mehr zu ändern bereit bin! Es kommt zur Bildung einer "vorgefassten Meinung" und dann gegebenenfalls zu einem Vorurteil. Und was Vorurteile anzurichten imstande sind, hat sicher jeder selbst schon mal erfahren. Oder man blickt in die jüngere europäische Geschichte zurück - oder in die Alltagspolitik - und man findet eine Reihe von Beispielen.

Die Kunst, so scheint es mir, mag darin bestehen, aus dem Bild, das wir uns wohl immer wieder machen müssen, schnellstmöglich einen Film mit möglichst vielen wahrscheinlichen Endungen zu drehen ... :D!
Es ist bemerkenswert, dass wir gerade von dem Menschen, den wir lieben am mindesten
aussagen können, wie er sei.
Wir lieben ihn einfach. Eben darin besteht ja die Liebe, das Wunderbare an der Liebe, dass sie
uns in der Schwebe des Lebendigen hält, in der Bereitschaft, einem Menschen zu folgen in
allen seinen möglichen Entfaltungen.
https://www.xtnd-info.de/images/blogpics/ak/frisch_text.pdf

Herzliche Grüße von
Leòn
 
Wenn in einer Beziehung der eine vom anderen eine Vorstellung in sich trägt, die mit der Realität nicht mehr viel zu tun hat, so ist das in meinen Augen fast eine Vergewaltigung des Anderen.
In der rosaroten Zeit einer Beziehung mag das noch gut gehen, und der eine passt sich der Vorstellung des anderen an. Aber mit der Zeit wird das unbequem, die eigene Persönlichkeit und Art meldet sich immer deutlicher, und daraus können dann heftige Konflikte entstehen, wenn nicht beide ihre rosaroten Brillen-Vorstellungen der Wirklichkeit anpassen.

Hier spielt das Thema "Idealisierung" und "Entidealisierung" hinein:
Radio: Psychologische Schlüsselbegriffe: Idealisierung | wissen.hr-online.de | hr

Gruss,
Uta
 
Hallo Uta,

die eigene Persönlichkeit und Art meldet sich immer deutlicher, und daraus können dann heftige Konflikte entstehen, wenn nicht beide ihre rosaroten Brillen-Vorstellungen der Wirklichkeit anpassen.
Ja, genau - das meinte ich mit dem "Bildnis". Es gilt wohl auch hier, wie in allen anderen Situationen auch, bewusst in der Gegenwart zu leben und die Menschen wahrzunehmen, ohne die eigenen Wunschvorstellungen zu projezieren. Was bestimmt nicht immer einfach ist!

Herzliche Grüße von
Leòn
 
hi leon,
das interessante phänomen das du da beschreibst hat ja nicht zuletzt mit der funktionsweise unseres gehirn zu tun.
wir verknüpfen zum einen jede neue erfahrung mit schon gemachten, älteren eindrücken aber auch wünschen hoffnungen.
(verliebtheit ist nochmal ein sonderfall da das hirn dann wie unter drogen funktioniert.)
zum anderen haben wir bei einer wahrnehmung schon 0,3 sek später ein urteil, eine zuordnung.
ab dann ist es für uns schwierig zwischen beidem zu unterscheiden.
die z.b. im zen angestrebte reine wahrnehmung das urteilfreie gewahrsein ist quasie der versuch sich in dieser 0,3 sekündigen "lücke" aufzuhalten. wenn dies gelingt entsteht offenbar ein völlig anderer eindruck von der welt.
weder ablehnung noch begehren herrschen da.
in vielen schriften der verschiedensten kulturen wird dies als erstrebenswert beschrieben.
es bedarf einiger übung und zeigt das wir zwar zum einen auch determiniert sind zum andern dem auch immermal entkommen können.

lg holon
 
Zuletzt bearbeitet:
In "Andorra" beschreibt Max Frisch noch eine andere Art von Bildnis, die letztlich zum Tod des Andri führt:
Die Andorraner bestehen darauf und benehmen sich entsprechend, daß Andri Jude ist (das Stück wurde in den 50iger Jahren geschrieben). Andri wehrt sich zunächst gegen dieses "Bildnis", nimmt es aber letzten Endes an, obwohl er kein Jude ist.

Frisch, Max: Andorra Referat - Hausaufgaben / Referate => abi-pur.de
Bücher von Amazon
ISBN: 3518367773


Gruss,
Uta
 
Einst, in einem von der Geschäftsleitung organisierten Verkaufsseminar, hörte ich: "Vorstellungen sind Einbahnstrassen."

Wie oft ist der, der einzig und alleine in seiner Vorstellungswelt lebt noch in der Lage, anderes nicht seinen Vorstellungen entsprechendes wahrzunehmen, aufzunehmen, zu beachten?

Ich meine, das ist auch der tiefere Sinn des Gebotes, sich kein Bild von Gott seinem Herrn zu machen. Denn wie könnte es aufgrund unserer konditionierten und eingeschränkten Vorstellungskraft auch nur im Ansatz ein passendes sein?

Andererseits sind Bilder aber auch ganz gut, beispielsweise als "Interface". Sowenig wie wir "Normalsterblichen" die Maschinensprache des Computers, dessen wir uns bedienen, verstehen können, sowenig können wir das wirkliche energetische Geschehen unserer selbst und unserer Umwelt verstehen. So wie Tastatur mit graphischem Symbol nicht das Geschehen im Rechner ist, so ist es das Bild das wir sehen und das wir uns von etwas machen das Geschehen selber. Es ist aber ein Interface, das wir begreifen und mit dem wir arbeiten können. So hängen die Dinge in einander und zusammen.

Hier liegt auch die tiefere Bedeutung der Wortwahl und des Bildes das wir uns von unseren Ungleichgewichtszuständen machen. Sehe wir das statische Bild der Krankheit, oder das Bild eines Symptomes für ein vorübergehendes jederzeit beeinflussbares Geschehen vor uns? Über unsere Vorstellungskraft beeinflussen wir unser Sein ungemein.
Ich erinnere an die Visualisierungstechniken die durchaus etwas bewegen können.

herzlichst - Phil :)
 
Hallo Holon, Uta und Phil,

Hi, Holon,

:freu: ich freue mich sehr, dass Du mal wieder hier mit machst!

(verliebtheit ist nochmal ein sonderfall da das hirn dann wie unter drogen funktioniert.)
:schock: Es kann keinen schöneren Weg geben, "high" zu sein! :freu::freu::freu:
zum anderen haben wir bei einer wahrnehmung schon 0,3 sek später ein urteil, eine zuordnung.
ab dann ist es für uns schwierig zwischen beidem zu unterscheiden.
die z.b. im zen angestrebte reine wahrnehmung das urteilfreie gewahrsein ist quasie der versuch sich in dieser 0,3 sekündigen "lücke" aufzuhalten. wenn dies gelingt entsteht offenbar ein völlig anderer eindruck von der welt.
weder ablehnung noch begehren herrschen da.
in vielen schriften der verschiedensten kulturen wird dies als erstrebenswert beschrieben.....

Danke für Deinen Hinweis auf den Zen - Buddhismus (https://www.symptome.ch/threads/die-formen-des-buddhismus.11711/ )! - Ich denke, dass es auch noch andere Methoden zur Überprüfung der Bewertungen gibt, wie zum Beispiel das "Rationale Selbstgespräch" im RET/ REVT DIREKT e.V. .

Hallo Uta,

In "Andorra" beschreibt Max Frisch noch eine andere Art von Bildnis, die letztlich zum Tod des Andri führt:
Die Andorraner bestehen darauf und benehmen sich entsprechend, daß Andri Jude ist (das Stück wurde in den 50iger Jahren geschrieben). Andri wehrt sich zunächst gegen dieses "Bildnis", nimmt es aber letzten Endes an, obwohl er kein Jude ist.
Tatsächlich hatte ich beim Schreiben des Eingangspostings an "Andorra" gedacht.

Hallo Phil,

ich denke auch, dass man ohne das anfertigen von "Bildnissen" gar nicht existieren, sich orientieren und kommunizieren kann.

So wie Tastatur mit graphischem Symbol nicht das Geschehen im Rechner ist, so ist es das Bild das wir sehen und das wir uns von etwas machen das Geschehen selber. Es ist aber ein Interface, das wir begreifen und mit dem wir arbeiten können. So hängen die Dinge in einander und zusammen.

Die Kunst besteht meiner Ansicht nach darin, das "Zeichen auf der Tastatur" nicht mit dem Geschehen im Rechner zu verwechseln, oder - mal weg von diesem "Bild" ;): das Bild das ich mir von einem Menschen mache, nicht mit der "Realität", also dem gesamten Sosein des Anderen.

Wenn ich mir bewusst mache, dass meine Wahrnehmung eines Menschen eben nur meine individuelle Wahrnehmung (und Bewertung) ist, dann bin ich - hoffe ich :schock: - eher in der Lage, die Bildung von Urteilen - und Vorurteilen - zu vermeiden. Oder meine Vorurteile dahingehend zu überprüfen ... . Naja, aber leicht ist's nicht!:schock:

Herzliche Grüße von
Leòn
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
hi phil:

das tastatur beispiel bringt mich noch zu folgendem zitat:
"man sollte nicht die landkarte mit der gegend verwechseln die sie beschreibt".

habe das mal bei allan watts gelesen der es aber auch wieder zitiert. weiß gerade nicht von wem.

unsere inneren bilder, konzepte über die wirklichkeit sind ja sowas wie datenreduzierte mp3 dateien die die fülle an informationen verwaltbar machen, uns so helfen mit der komplexizität der welt zurecht zu kommen.
dabei fällt natürlich einiges unter den tisch.
wer will schon eine große symphonie über eine gute anlage als mp3 hören... schüttel.

um wirklich auch nur einen kl. teil ausschnitt mit der ausreichenden "auflösung" verstehen zu können müssen wir uns lange damit beschäftigen (fachidiotentum?) um genügend hirnmasse zur verfügung zu stellen.

leon:
klar gibts andere wege als zen. fand nur den bezug zum "jetzt" den die dort herstellen interessant weil wissenschaft ja erst seit ein paar jahren um diese 0,3 sek. lücke weiß.
die leere oder der leere innere raum spielen dort eine große rolle für das sog. reine gewahrsein. dass sicher auch als bewußter gegensatz zum denken wie wir es oft als ideal sehen. gestützt auf viel wissen und vorinformation.
es macht sinn beides als möglichkeiten zu sehen und nicht sosehr als entweder oder konflikt.

danke für dein nettes wb.
siehe auch zum thema kundalini

lg holon
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Holon, (hallo Uta und Leòn),

da bin ich mit Dir einer Meinung - die Karte ist nicht die Gegend, die sie beschreibt. Aber nichts desto trotz eignet sie sich vorzüglich als Stellvertreter für die Gegend. Und am Stellvertreter lässt sich so gar manches über die Gegend bspw. mittels radiästhetischer Methoden muten. Damit kann eine Karte (Bild) durchaus als Interface zu energetischen Aspekten einer Gegend verwendet werden.

Dasselbe passiert ja auch bei der Familienstellung, die ja selbst mit Steinen als Akteure funktionieren soll. Ebenso wird bspw. in der Neuen Homöopathie wirksam der Heilungsvorgang des Klienten unterstützt und und und...

Für die einen mögen dies magische Praktiken sein - in Wirklichkeit ist es aber nichts anderes als die Anwendung sogenannter Naturgesetze, also physikalischer Prinzipien. Woher kommt der Glaube der Indianer und anderer in einer magischen Art und Weise mit der Natur und der Schöpfung verbundenen Urvölkern, dass ihnen beim Fotografieren die Seele geraubt wird? Wenn auch nicht geraubt, so doch manipulierbar - übers Foto.

Daher unterschätze man die Möglichkeiten, die sich einem über ein Bild eröffnen nicht. Wie steht das "sich kein Bild von ... machen" in seiner tieferen Bedeutung nun da?

Gruss - Phil
 
hallo phil,
nicke ich ab was du schreibst.
wie gesagt, kein entweder/oder, sondern das "weisere" sowohl als auch.
was anderes vermögen wir vermutlich auch nicht.
aber wie auch gesagt:
das gewahrsein der welt in völlig urteilsfreier, unvoreingenommener weise ist auch ein weg zur erkenntniss. zu einer neuen, andern sichtweise.
lg holon
 
Zuletzt bearbeitet:
leon:

ich denke die probleme fangen ja erst an wenn wir die dinge beginnen zu verwechseln.
also (vor)urteil für wahnemung halten, landkarte (z.b. weltbild) für gegend (welt) ect.
solange die dinge an ihrem rechten platz sind ist alles ok.

mal ne frage (passt auch in etwa zum thema):
kenn jemand das buch "wer bin ich und wenn ja wieviele?" ?

lg andreas
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Holon,
ich habe nur die Besprechung in der Südd. Zeitung gelesen und daraufhin beschlossen, erst einmal abzuwarten, ob im Bekanntenkreis jemand das Buch liest und mir direkt etwas darüber sagen kann.
www.sueddeutsche.de/kultur/artikel/681/180128/

Gruss,
Uta
 
hi uta
thx for the hinweis ;-)

hatte gehört das buch sei auch eine sammlung aktueller ergebnisse der hirnforschung auch in bezug auf die alte frage: was ist das ich.

werde auch nochwas warten.
lg holon
 
Was mir gerade zum Bildnis-Machen einfiel:

Bei Magersüchtigen ist es wohl so, daß sie sich nicht so sehen (können), wie sie wirklich sind, nämlich mager. Sie schauen sich an und finden sich immer noch zu dick.
Angeblich sehen sie ihre wahre Figur erst, wenn sie sich in einem Film oder auch auf Fotos anschauen.
Da scheint das innere Bild auch lange das wirkliche äußere Bild zu verdecken.

Gruss,
Uta
 
Das ist bei ehemals Dicken Menschen auch so. Hab mal eine Sendung im Nachtcafe gesehen, in der eine ehemals schwergewichtige Frau genau das gesagt hat.
Als sie sich das erste Mal bewusst vor den Spiegel gestellt hatte, musste sie sich übergeben, als sie zu sich selbst gesagt hat, sie liebe sich mit diesem schlanken Körper.
Sie sagte sie wäre eine schlanke Frau gewesen, mit einem Selbstbild, das immer noch dick war. Letztendlich hat sie es aber geschafft sich anzunehmen. :)

Grüsse von Juliette
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Holon,

leon:

ich denke die probleme fangen ja erst an wenn wir die dinge beginnen zu verwechseln.
also (vor)urteil für wahnemung halten, landkarte (z.b. weltbild) für gegend (welt) ect.
solange die dinge an ihrem rechten platz sind ist alles ok.

ja, da gebe ich Dir Recht. Wie sieht dies nun in der Praxis aus - sagen wir mal im Umgang mit Mitmenschen?
Also die Erkenntnis, dass ein Bild nicht ausreicht, ist denke ich ganz hilfreich. Bzw. die Annahme, dass ein Bild eben nur ein "Bild" ist und nur eine momentane Sichtweise - also eine "Momentaufnahme" :D darstellt.
Im Grunde sind wir hier bereits wieder bei Kommunikation. Weil es meiner Ansicht nach dann wichtig wird, dieser Bilder zu hinterfragen, bzw. die betreffende, "abgebildete" Person einzubeziehen.

Herzliche Grüße von
Leòn
 
leon,
für mich, schon wegen der arbeit die ich tue, ist der möglichst stets "neue blick" auf menschen sehr wichtig.
ich "höre" da stark auf meine innere resonaz, also auf das mitfühlen im hier und jetzt.
versuche sowenig wie mir möglich konzeptionell zu arbeiten.
merke das dieses einfühlen in einem aktuellen kontakt für mich sowas wie ne zentrale kontaktmöglichkeit ist die mir orientierung gibt.
die eindrücke daraus stelle ich dann den "vorstellungen" meiner kognitivenseite (vorwissen ect.) gegenüber. mache einen abgleich.
dabei hilft mir aktuell sehr der austausch mit meiner cotherapeutin die sehr ähnlich tickt.
ganz bewußt beginnen wir bei der nachbesprechung mit, "was fühlst du" und dann kommen wir zur einordnung.
weiß grade nicht ob das jetzt ne nachvollziehbare darstellung ist.
lg andreas
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Holon,

na, ich finde Dein therapeutisches Vorgehen schon verständlich geschildert:

merke das dieses einfühlen in einem aktuellen kontakt für mich sowas wie ne zentrale kontaktmöglichkeit ist die mir orientierung gibt.
die eindrücke daraus stelle ich dann den "vorstellungen" meiner kognitivenseite (vorwissen ect.) gegenüber. mache einen abgleich.
dabei hilft mir aktuell sehr der austausch mit meiner cotherapeutin die sehr ähnlich tickt.
ganz bewußt beginnen wir bei der nachbesprechung mit, was fühlst du und dann kommen wir zur einordnung.
weiß grade nicht ob das jetzt ne nachvollziehbare darstellung ist.

Wenn ich es richtig verstehe, kommt Ihr von der "gefühlsmäßigen" Wahrnehmung hin zur kognitiven Interpretation.

Herzliche Grüße von
Leòn
 
leon,
ja genau.
wobei die wahrnehmung die ebene des hier und jetzt (o,3 sek lücke)ist.
die zuordnung dann das up-daten des "bildes".

so weit zu meinem versuch des umgangs mit dem thema bild/wirklichkeit.
es ist ja alles immer nur ein versuchen, ein streben in richtung wie es vieleicht sein sollte.
lg andreas
 
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