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21.03.10
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:hexe: Für einen jungen Menschen, der von Geburt an blind ist, ist es leichter, sich auf ein Leben ohne Sehvermögen einzustellen. Sie/Er kann sich bei ihrer/seiner Lebensplanung, sportlichen Aktivitäten, Berufswahl, etc. anpassen.

Spät erblindete und ältere Menschen haben es schwieriger. Sie brauchen länger um sich an ihre Situation anzupassen. Sie müssen meistens ihren Beruf aufgeben und werden sehr oft von der Partnerin/vom Partner verlassen. Auch Freunde und Bekannte entfernen sich sehr oft. Andererseits haben sie sehr viele Seheindrücke und Erfahrung ohne Einschränkung der visuellen Wahrnehmung sammeln können, um daraus z.B. Nutzen für die spätere Orientierung zu ziehen.

Sehbehinderte und Blinde möchten als “normal” und nicht als “behindert” angesehen und akzeptiert werden.

Viele Menschen möchten uns helfen, doch sie wissen nicht, wie. Sie haben oft Angst, uns anzusprechen, weil sie uns nicht weh tun oder bemitleiden wollen. Denn wir Sehbehinderte und die Blinden werden darauf trainiert, so schnell wie möglich das alltägliche Leben allein, mit einem Blindenführhund oder einer/m PartnerIn neu zu erlernen und individuell zu gestalten.

Durch die Berührungsängste zwischen Sehbehinderten, Blinden und Sehenden ist es nicht einfach, auf eine große Gruppe Sehender zu zugehen und Kontakt mit ihnen aufzunehmen. Und noch sehr viel schwerer ist das Leben mit einer/m sehenden PartnerIn. Dazu braucht man sehr viel Verständnis, Einfühlungsvermögen, Liebe und Zusammenhalt in guten sowie in schlechten Zeiten, in Gesundheit und Krankheit. Blinde erleben die Welt in Geräusche und Gefühle. Sehbehinderte mit einer Rest-Sehkraft sehen je nach Fortschreiten ihrer Erkrankung Umrisse, Formen, Größen, die Farben schwarz und weiß und eventuell noch leichte Farben.

Ich kann z.B. leichte Farben und die Umrisse noch erkennen. Schwierigkeiten habe ich in der Sonne, bei grellem Licht, im Schnee und am späten Abend.

Das über die Straße gehen…

Wenn ich über die Strasse gehe, benötige ich immer einen Zebrastreifen. Ansonsten bin ich aufgeschmissen, weil ich mich einmal im Kreis drehen muss, um auf die rechte Straßenseite zu schauen und das selbe mit der linken Seite machen muss. Bis ich damit fertig bin, hätte das Aute mich schon längst erfasst.

Mitunter deshalb trage ich zwei gelbe Armbinden, die mir Schutz bieten. Beim Zebrastreifen mit Ampel orientiere ich mich an meinen Mitmenschen, die auch über die Straße gehen möchten. Am schwersten ist es, wenn ich allein über die Straße gehen muss. Auch da verlasse ich mich auf meine gelben Armbinden und hoffe, dass die Autos früh genug anhalten.

Auch die Blinden orientieren sich an den anderen Leuten oder an Autos, die parallel zu ihnen losfahren.

Eine Sehbehinderung zwingt einem, sein Leben völlig neu zu organisiern…
 
Das Dilemma einer Sehbehinderten und dessen Kennzeichnung

:hexe:
Blinde Menschen, die über absolut keinen Sehrest mehr verfügen, kennzeichnen sich durch den weißen Stock oder die gelbe Armschleife mit den drei schwarzen Punkten. Einen Blick, den jeder kennt, seis durch Aufkleber in öffentlichen Verkehrsmitteln oder der Begegnung auf den Straßen. Ist man blind, kann man garnichts sehen, dass ist für alle unmissverständlich klar.

Doch auch Sehbehinderte fallen laut Straßenverkehrsordnung in den Vertrauensgrundsatz, doch wie sollen diese sich kennzeichnen?

Sehbehinderte verfügen noch über einen mehr oder weniger brauchbaren Sehrest, gehören weder zur Sparte der Normalsehenden, noch zu der der Blinden. Sehbehinderte wie ich haben den Wunsch, nicht als Menschen mit Handycap angesehen zu werden. Man gehört sonst zur Randgruppe der Behinderten und möchte deshalb lieber unauffällig in der Masse der Sehenden mitschwimmen.

Meine Pflicht mir aber vor allem der motorischen Umwelt und den Mitmenschen gegenüber wäre es ohne Zweifel, stets mit einem Blindenstock oder zumindestens mit zwei gelben Armschleifen gekennzeichnet das Haus zu verlassen. Doch habe ich damit sehr große Probleme.

Man hat mir schon zweimal auf der U6 Richtung AKH Wien meine Geldbörsel, sogar aus der Bauchtasche heraus gestohlen. Ich mußte eine Zeit lang jeden Tag in das AKH Wien zur Untersuchung. Jedem Morgen um 6.30 Uhr ist die U6 ab Westbahnhof so überfüllt, dass man sich schon gegenseitig auf den Füssen steht und sich gegenseitig anrempelt, weil man sonst bei einer Bremsung der U Bahn hinfallen würde. Und das haben irgedendwelche Diebe ausgenutzt. Durch den Ruck merkte man nur einen Anstoß und schon war das Geldtascherl fort.

Dann hatte ich noch sehr große Schwierigkeiten die Polizeidienststelle in der Landstraße zu suchen, die für mich zuständig war, weil ich damals noch in Wien-Simmering gewohnt habe.

2 Stunden habe ich die Polizeidienststelle in der Landstraße gesucht. Keiner hat mir geholfen, obwohl ich die zwei gelben Armschleifen getragen habe. Nicht einmal die Polizisten, die bei der U3 Landstraße ihren Dienst gemacht haben und ich sie gefragt habe, wo die nächste Polizeidienststelle ist, damit ich eine Anzeige machen kann, weil man mir mein Geldbörsel gestohlen hat.

Ich hätte mich gefreut, wenn einer der Polizisten gesagt hätte, kommen sie, ich bringe sie kurz zur Polizeidienststelle. Sie sagten nur: ”Sehen sie da hinten das blaue Gebäude, dort müssen sie hingehen. Dort ist die Polizeistation.”

In meiner Angst und totalen Hecktick verlor ich meine Orientierung. Und fand nur durch Zufall und mit Fragen von Passanten die Polizeistation, die verborgen in einem Keller war.

Aus diesem Grund mag ich mich überhaupt nicht kennzeichnen. Aber ich habe dabei ein sehr schlechtes Gewissen, Schuldgefühle und Angst. Denn was ist, wenn durch meine Schuld z.B. ein Auto gegen einen Baum fährt, weil ich durch Sonnenschein und grelles Licht über die Strasse wackle, weil ich Gleichgewichtsstörungen habe.

Im Bahnhof komme ich sehr gut zurecht:
1. Ich halte mich an andere Menschen.
2. Ich merke mir dann noch markante Punkte, wie Geschäfte und Zeitungsständer bzw. im U-Bahn Tunnel hauptsächlich andere Menschen.

Ansonsten mache ich es so:
Wenn ich alleine fort gehe und genau weiß, wo ich hin muß, kennzeichne ich mich nicht und wenn ich mich nicht auskenne, nehme ich notgedrungen die zwei gelben Armschleifen. Und trotzdem gehe ich mit einem schlechten Gefühl aus dem Haus.

Aber was soll man machen, wenn man solche Erfahrungen auch mit der Polizei gemacht hat?

Als ich meine Armschleifen noch nicht hatte, wurde ich viermal von der Polizei aufgehalten.

Obwohl ich keinen Alkohol trinke, hat man mich immer mit zu einer Alkoholuntersuchung auf die Polizeiwache genommen, weil ich den “Alko-Test1” nicht geschafft habe und nur “umeineindergewackelt” und sogar einmal durch die Gleigewichtsstörungen umgefallen bin.


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1 Das Zeigen mit dem Finger auf die Nase und das Gehen mit geschlossenen Augen auf dem Strich.
 
Flirten mit Augenkontakt

:hexe:
Wie die meisten Blinden und Sehbehinderten meide auch ich Orte, in denen man sich nicht gefahrlos bewegen kann – Discotheken, Lokale, Clubbings, aber auch Vereinslokale zählen dazu. Es ist zu laut, was eine verbale Kommunikation verhindert. Es sind zuviele Raucher dort. Der Rauch ätzt in den Augen und sie fangen an zu tränen. Es ist zu dunkel, was vielen Sehbehinderten die Orientierung erschwert. Die Baulichkeiten sind zu unübersichtlich, die Toiletten nur sehr schwer zu finden, überall muss man auf Erhöhungen und Stufen gefasst sein. An Tischen, Stühlen und sonstigen Gegenständen kann man sich stoßen und verletzen. Sehr oft benötigt man eine Begleitung, um überhaupt an dem Ort des Geschehens zu gelangen.

Blinde und Sehbehinderte Menschen sind hier eindeutig benachteiligt. Sie können den anderen nur sehr schwer bis gar nicht eingehend betrachten, das heißt über die Konstitution des anderen erfahren sie erst durch Erzählungen Dritter, oder indem sie den Körper des anderen betasten, was in unserer distanzierten Gesellschaft äußerst unüblich, ja geradezu verpönt ist und erst zu einem sehr fortgeschrittenen Zeitpunkt der PartnerInnenwahl erfolgt.

Der Augenkontakt ist für Blinde gar nicht möglich und für Sehbehinderte erst aus allernächster Nähe, wenn überhaupt, gegeben. Auch bei mir ist es sehr schwierig, da ich in der Ferne nur noch den Mann / die Frau verschwommen sehe und in der Nähe ist es auch sehr anstrengend. Auch hier muss der/die Blinde und der/die Sehbehinderte erst “ran an den Mann/der Frau”, um zu erkunden, was man voneinander zu halten hat.

Dazu kommt noch, das Nichtbehinderte einen weiten Bogen um Blinde und Sehbehinderte machen, um ihnen möglichst viel Platz zu bieten, was zwar die Bewegungsfreiheit des Blinden und Sehbehinderten erleichtert, die Kommunikation aber erschwert. Die Kennzeichnung mit der gelben Schleife und dem weißen Stock signalisiert zwar die Erblindung bzw. Sehbehinderung, wirft aber viele Blinde und Sehbehinderte sogleich bei der PartnerInnensuche aus dem Rennen, weil die meisten Nichtbehinderten bei der PartnerInnenwahl ohnehin schon unsicher und überfordert sind und mit dem Stigma einer Erblindung bzw. Sehbehinderung erst recht nichts anzufangen wissen.

Bewegungsarmut ist bei Blinden- und Sehbehinderten Menschen weitverbreitet. Die Gefahr, sich bei körperlicher Betätigung zu verletzen, ist viel zu groß. Ich meine, dass man sich dennoch körperlich betätigen sollte und nicht daran denken sollte, dass man sich eventuell auch verletzen könnte. Nur wenn man daran denkt, passiert es auch hin und wieder. Körperliche Betätigung ist gerade für Blinde und Sehbehinderte sehr wichtig. Sie kommen unter Menschen und denken nicht all zuviel über ihre Erkrankung nach. Ein Mann, der sich durch einen dicken Bauch auszeichnet, oder eine Frau, die viel zu dick und zu unförmig ist, wirkt bei der PartnerInnenwahl alles andere als attraktiv.

Ist der erste Kontakt geglückt, beginnt nun die Phase der verbalen Kommunikation. Blinde und Sehbehinderte sind daran gewöhnt, die Dinge beim Namen zu nennen, um diese auch zu bekommen. Dadurch sind Blinde und Sehbehinderte verbal in vielen Fällen überlegen, wodurch die Sehenden sich wiederum überfordert fühlen.

Nichtbehinderte wiederum üben sich oft in kommentarlosen Deuten mit der Hand, zeigen mit dem Finger oder sagen in der Babysprache “Da, da!”. Mit solchen Kommunikationsformen können wir Sehbehinderten und die Blinden wiederum nicht viel anfangen. Wir benötigen klare und deutliche Anweisungen.

Am Ende eines Abends stellt sich dann die Frage, ob man die Nacht miteinander verbringen soll… Besonders behinderte Frauen glauben, sie dürfen sich kein Nein erlauben, weil ansonsten die so mühsam zustande gekommene Bekanntschaft sofort wieder zu zerbrechen droht. Viele glauben und es wird ihnen auch so von den nächsten Angehörigen vermittelt, das sie froh sein mussten, wenn ein Nichtbehinderter sich überhaupt für sie interessiert. Denn bei der heutigen Scheidungsrate haben Blinde und Sehbehinderte nur wenig bis überhaupt keine Chance mehr einen nichtbehinderten Partner zu bekommen. Aus diesem Grund lassen sich Blinde und Sehbehinderte Frauen zu schnell auf intimen Kontakt ein. Scheitert dann die Beziehung aus irgendwelchen Grüden, verstärken sich die Minderwertigkeitsgefühle der blinden und sehbehinderten Frauen, weil sie glaubt, nur ausgenutzt worden zu sein.

Bei diesen ganzen Schwierigkeiten entschließen sich die meisten Blinden und Sehbehinderten Frauen oder auch Männer für ein Single-Leben oder suchen sich einEn gleichwertigEn PartnerIn. Oder einEn PartnerIn, die/der auch dasselbe Schicksal erlitten hat. Aber auch damit werden die Probleme nicht keiner, sondern sie verlagern sich auf eine andere Ebene.
 
Hallo helfendeengel,

schön, dass Du zu uns gefunden hast und von Deinen Erfahrungen als Sehbehinderte berichtest. Ich denke dass es noch mehr Menschen mit ähnlichen Problemen in unserem Forum gibt. Eventuell wäre es ja möglich hier einen Gedankenaustausch mit weiteren sehbehinderten und natürlich auch nichtbehinderten Usern ins Leben zu rufen. Deine 3 Berichte habe ich zu einem Thread zusammengelegt und zugleich mit der oben festgepinnten "Infothek" zum besseren Auffinden verlinkt. Ich hoffe, dass das auch in Deinem Sinne ist.
 
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