Zeit des bewussten Abschieds

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Viele Angehörige stehen mittlerweile vor der Situation, dass Familienmitglieder entweder von Alzheimer oder Demenz betroffen sind, oder mehr oder weniger schnell weg sterben.

Es ist aber nicht nur der Verlust eines geliebten Menschen der die Angehörigen betrifft, sondern auch das Mit-Erleben des geistigen Abbaues der betreffenden Person sowie der eigene Umgang mit diesen Situationen.

Die reiche Gefühlsbandbreite die man als Angehöriger durchlebt reicht dabei vermutlich von Ungeduld bis liebevollem Mitgefühl, von Trauer und auch über Erleichterung bis hin zu den eigenen Lernprozessen.

Manche sehen in diesen Lebenssituationen nur eine Zusatzbelastung, andere stellen dabei auch einen sehr wichtigen Lernprozess für sich selber fest.

Unverändert gehen da aber wohl nur wenige heraus.

Mich würde interessieren, wie es euch dabei ergeht und wie ihr damit umgeht.

Liebe Grüße Tarajal :)
 
Das ist ein sehr schwieriges Thema und ich glaube das es da keine Patentlösung für gibt. Jeder muss selbst einen Weg finden mit einer solchen Situation umzugehen. Ich persönlich habe schon ganz viele unterschiedliche Geschichten gehört, wo die Leute auf unterschiedliche Art und Weise gut damit zurecht gekommen sind. Ich glaube hier muss jeder selbst seinen Weg finden. Aber so ein Thread ist vielleicht eine gute Inspirationsquelle.
 
Ich verhalte mich in solchen Fällen immer so, dass ich nach einer Ursache und Lösung des gesundheitlichen Problems suche. Bei Alzheimer würde ich versuchen, folgende Fragen zu beantworten:

1) Nimmt der Patient Medikamente, die als Nebenwirkung demenzartige Symptome haben? Wenn ja, dann könnte ein Absetzen dieser Medikamente zur Besserung und gar Heilung führen.

2) Liegt eine Schwermetall-Belastung und entsprechende Allergien vor, die zu Autommunprozessen und Zerstörung von Zellen im Gehirn führen? Dann könnte eine dem entsprechende Therapie erhebliche Besserung bringen.

3) Liegen andere Belastungen mit Schadstoffen vor (Chemikalien etc.), die das Gehirn schädigen können? Wenn ja, geeignete Therapien überlegen und einsetzen. Mit ein bisschen Glück kann das zur Besserung führen. ;)

4) Liegen Mängel an Vitalstoffen vor? Wenn ja, dann auf geeignete Weise ausgleichen. Und schon hätte man eine Besserung der Demenz! :D

5) Fachliteratur zum Thema lesen und Anregungen, Erkenntnisse und Tipps daraus gewinnen und hilfreich einsetzen. :kraft:

Und so weiter, und so fort.

Liebe Grüße :wave:
 
Wenn man in der Situation ist zu wissen, daß ein Angehöriger oder Bekannter an Alzheimer erkrankt ist, ist es sicher eine große Hilfe, sich gut informiert zu wissen und evtl. in eine Angehörigengruppe zu gehen. Ich habe es erlebt, daß eine pflegende Angehörige immer sehr heiter und gestärkt von solchen Abenden zurück kam und viel mit den dort gehörten Informationen anfangen konnte.

Solche Info-Quellen sind diese hier, und es gibt noch andere:

https://www.alzheimer-forschung.de/alzheimer-krankheit/pflege_alltagsprobleme.htm
Umgang mit dem Patienten - alzheimerinfo.de
Empfehlungen für den verständnisvollen Umgang mit Alzheimer
...

Grüsse,
Oregano
 
@ oregano, danke für Deine tollen Links!

Diese können nicht nur betroffenen Personen wirklich sehr helfen, erstens ihre fast immer vorhandene Scham abzubauen sondern ihnen auch die Möglichkeit eröffnen, sich mit anderen, die gleiches oder ähnliches erleben austauschen zu können.

Wichtig ist vor allem auch zu wissen, dass man nicht alleine da steht und es jeden treffen kann.

@ Karloe, das stimmt, da wird jeder direkt oder auch indirekt Betroffene immer seinen eigenen Weg sowohl im Umgang mit der Erkrankung als auch mit den Betroffenen finden müssen.

Und ja, ich hoffe, dass dieser Thread eine gute und bereichernde Inspirationsquelle sein kann, sowohl in medizinischer als auch in seelischer Hinsicht, denn für die Angehörigen bedeutet diese Situation auch Stress und vor allem entgleitet ihnen der geliebte Mensch immer mehr und sie werden sogar fremd in seiner eigenen Welt.

@ Miglena, das sind schon mal sehr gute Ansätze und wir werden hier selbstverständlich sehr gerne weitere Anregungen zusammentragen. :)

Aber auch nicht bewältigte psychische Konflikte, Traumata oder Unfälle können zu Demenz führen, beziehungsweise die Demenz leichter ermöglichen.

Liebe Grüße Tarajal :)
 
Der Thread-Titel heißt ja "Zeit des bewußten Abschieds". Was es für Betroffene so schwer macht, wenn z.B. ein Angehöriger an Alzheimer erkrankt, ist, daß der immer weniger erreichbar ist. Es gibt also keine gemeinsame AUfarbeitung mehr, wenn die Krankheit fortgeschritten ist. Der Pflegende muß ganz alleine oder mit Hilfe anderer Menschen mit der Situation fertig werden.

Wenn das die Eltern oder ein Elternteil sind, dann muß auch die Situation verarbeitet werden, daß die früher "Besserwissenden" nun gar nichts mehr wissen und daß sich die Rollen verändert und umgekehrt haben.

Grüsse,
Oregano

PS:
Es gibt sogar Gedichte zum Thema Alzheimer:
Gedichte zum Thema - Alzheimer Soest
 
Bei meinem Papa kam das damals quasi "über Nacht", dass er plötzlich dement wurde. Gut, es hat wohl vorab Zeichen gegeben wie eine leichte Paranoia, die wir zwar als schräg angesehen hatten, aber nie mit Demenz in Verbindung gebracht hätten.

Wir haben es als positiv betrachtet, als er ca. sechs Monate nach diesem Ausbruch an einer inneren Blutung verstorben ist. Es ging ihm während der ganzen Zeit nicht gut, und meine Mutter, die ihn gepflegt hatte, war auch an ihrem Limit angekommen. Ihm und ihr ist viel erspart geblieben.
Hätte er ins Heim gemusst wäre das für ihn sehr sehr schwer zu verkraften gewesen. Schon seine beiden Krankenhausaufenthalte waren für ihn kaum zu ertragen und er hatte Panik, wir würden ihn nicht mehr heim holen.

Für mich war das damals ein ziemlicher Schock, aber ich hatte mich recht schnell damit arrangiert. Ich glaube seit meiner Kindheit hatten mein Pa und ich keine so enge, liebevolle Beziehung mehr zueinander gehabt. Ich konnte ihn wieder in den Arm nehmen und fühlte mich ihm sehr nahe, und er hat sich mir gegenüber auch ganz anders verhalten als sonst.
Merkwürdigerweise hatte ich auch eine Engelsgeduld mit ihm und habe ihm die gleiche Frage auch zum fünfzigsten Mal hintereinander noch so beantwortet, als wäre es die erste gewesen. :eek:)
Es war keine einfache, aber eine doch sehr intensive und liebevolle Zeit. Ich kann leider nicht sagen, wie ich das "hinbekommen" habe - es war einfach so.

Leider ist es mit meiner Mutter nun anders. Ich bin nach Vaters Tod bei ihr eingezogen, und sie baut inzwischen sehr ab. Richtige Gespräche sind kaum möglich, obwohl sie noch lange nicht in dem Stadium ist, das mein Vater hatte.
Vielleicht war es auch die räumliche Distanz, die mich das bei ihm hat leichter aushalten lassen. Ständig so nah bei meiner Mutter zu sein und ihr ganzes Leben regeln zu müssen macht mich wirklich fertig.
Sie ist auch oft sehr depressiv und erzählt Besuchern, dass sie gerne bei ihrem Mann wäre ... also tot. Ich versuche wirklich alles zu tun womit ich ihr helfen kann, aber sie lehnt auch vieles ab, weigert sich zu Ärzten zu gehen oder Hilfsmittel zu benutzen wie z.B. ihre Hörgeräte, die sie schon ewig nicht mehr trägt.
Sie hat keinen Freundeskreis, schaut kein TV mehr, hört kein Radio, starrt meistens Löcher in die Luft.
Mich zieht das sehr runter und ich hänge selbst sehr oft durch, muss das aber ständig verstecken.

Vor allem kann ich bei ihr diesen geistigen Verfall nur sehr sehr schwer akzeptieren und bin wirklich sehr ungeduldig ihr gegenüber und schimpfe viel. Ich schäme mich dafür weil ich doch weiß, dass sie nichts dafür kann und alles nicht absichtlich macht. Doch ihr Verhalten bringt mich immer wieder auf die Palme, vor allem weil sie enorm stur und uneinsichtig ist. Das war bei meinem Dad anders, der hat alles angenommen was man ihm sagte.

So kommt zu der Sorge um sie auch noch ein permanentes Schuldgefühl und schlechtes Gewissen hinzu. Also arbeite ich da auch viel an mir, denn ich will ja nicht so sein und schäme mich nach jedem Wutanfall ganz schrecklich, ehrlich.

Erschwerend hinzu kommt halt meine eigene Erkrankung, wo mein eigener Alltag schon sämtliche Konzentration und Energie erfordert, wovon ich aber kaum etwas zur Verfügung habe.
Da hauen mich die einfachsten Dinge schon aus den Socken und stressen mich unwahrscheinlich. Ja, und da ist es nicht mehr weit bis zur Ungeduld und Ungerechtigkeit....
Ich hab selbst auch niemanden, mit dem ich darüber reden kann. Meine Geschwister, die alle nur sporadisch vorbei schauen oder wenn ich um etwas bitte, tun meine Äußerungen meistens ab mit "naja, das ist halt so", da bekomme ich auch kein wirkliches Verständnis.
Einen Partner hab ich auch nicht, und auch nur wenig Freunde, denen ich auch nicht dauernd in den Ohren liegen will ....
So mache ich alles mit mir alleine aus und versuche halt, mein bestes zu geben und damit klar zu kommen wie es nunmal ist.

Da meine Mutter wenigstens noch in der Lage ist, auch einige Tage allein zurecht zu kommen, habe ich mir inzwischen eine "Eremitage" besorgt. Ein Wochenendhaus in der Region, wohin ich mich an ein paar Tagen pro Woche verkrümele.
In der Zeit kommt für sie dann Essen auf Rädern, ich rufe täglich an und bin auch 24 h für sie erreichbar. Wenn was wäre bin ich in ca. 30 min. daheim, außerdem sind noch Verwandte bzw. Geschwister erreichbar und in der Nähe.

Für mich ist das existenziell, und seit ich das so praktiziere bin ich auch etwas gelassener geworden und komme mit ihr (und mir) besser parat. ;)
Ich halte das für Angehörige für überlebenswichtig, dass sie sich ihre Flucht-, oder immerhin Rückzugsmöglichkeiten suchen und gönnen.
24/7 immer verfügbar und auch noch voll leistungsfähig und geduldig zu sein ... das ist doch übermenschlich, das kann man von niemandem verlangen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Versatile,

ich bewundere Dich, wie Du Dich um Deine Mutter kümmerst. Ich weiß nicht, ob ich das schaffen würde... Und ich würde an Deiner Stelle schon den Gedanken zulassen, daß evtl. auch ein Pflegeheim in Frage käme, wenn die Situation für Dich zu schwierig würde.

Meine Geschwister, die alle nur sporadisch vorbei schauen oder wenn ich um etwas bitte, tun meine Äußerungen meistens ab mit "naja, das ist halt so", da bekomme ich auch kein wirkliches Verständnis.
Das höre ich immer wieder. Obwohl es 2,3 oder 4 Geschwister gibt, werden die Pflegenden oft allein gelassen. Manchmal wird sogar noch geäußert, daß dafür ja das Pflegegeld da ist. Wenn der Pflegende dann aber nicht mehr kann, wird er trotzdem beschimpft. "Schließlich hast Du das ja so gewollt, Du hast das ja schier an Dich gerissen ...". Da fällt es schwer, die Geschwister weiter zu mögen, was ich sehr verständlich finde.

Grüsse,
Oregano
 
Danke für Dein Verständnis, Oregano. Tut gut mal sowas nettes zu lesen! :)

Ja, ich muss allerdings gestehen, dass es bisher noch eher um Betreuung geht als um Pflege. Das heißt, dass meine Mutter sich noch alleine waschen und anziehen kann usw., sonst könnte ich das wohl auch nicht mehr leisten. :eek:)

Von daher bekommt sie auch kein Pflegegeld, da sie die erforderlichen Kriterien nicht erfüllt (was ja grundsätzlich auch gut so ist, also, dass sie das noch kann). Es gibt zwar für Demente irgendwelche Sonderleistungen, aber so wie ich das verstehe betrifft das wohl nur externe Leistungen, die für meine Mutter eh nicht in Frage kommen.

Zum Putzen und Rasen mähen haben wir Hilfe, das kann ich auch nicht mehr, müssen wir natürlich zahlen.
Und solche Dinge wie einkaufen und kochen, Waschmaschine anstellen oder Haus und Garten in Schuss halten kann sie halt nicht mehr, weshalb es gut ist, dass ich da bin.
Wenn z.B. eine Sicherung raus springt kriegt sie das nicht geregelt die wieder rein zu legen und all sowas.
Viele Kleinigkeiten eben, die zwar für die Pflegekasse nicht relevant sind, mich aber oft ziemlich belasten, denn sie macht aus allem ein Drama und macht sich z.B. damit verrückt, dass am nächsten Tag die Biotonne geleert wird, aber nicht "genug" drin ist. Ich kriege ihr nicht vermittelt, dass das vollkommen egal ist, selbst wenn da nur ein einziger Teebeutel drin läge.
Doch sie muss dann immer in den Garten und beschneidet irgendwelche Sträucher, damit "was in der Tonne ist". Das macht mich echt wahnsinnig. :mad: Nun arbeite ich also dran es mir egal sein zu lassen, dass unsere Sträucher und Stauden alle aussehen wie gerupfte Hühner. :rolleyes:

Ich kann wegen meiner Krankheit nicht mehr arbeiten, wogegen die Geschwister alle berufstätig sind. Und es bleibt ja eh fast immer am Mädchen hängen, das hört man auch immer wieder .... :rolleyes:
Die sehen halt nur, dass ich ja Zeit habe und Zuhause bin - wie es mir geht und dass das Leben an sich für mich auch schwer zu stemmen ist, das will keiner sehen. "Ihr Rentner habt es doch gut!!!" ist der Spruch, den ich mir öfter anhören muss. Vorgeblich ist das "Spaß", doch ich seh es anders. :mad: Wie sehr ich mit meinen Symptomen kämpfe, Tag für Tag, und wie mies es mir oft geht .... nöö, das will keiner wissen. :mad:

Aber trotz allem ist es okay für mich. Ich wollte bis vor zwei Jahren eigentlich aus unserer Region weg ziehen, aber ich konnte es einfach nicht. Mein Gewissen hätte mich gekillt, das ist mir da bewusst geworden.
Also habe ich das akzeptiert und werde das jetzt machen, so lange ich kann. Ins Pflegeheim müsste sie, wenn wirklich nichts mehr geht, also auch nicht mit ambulantem Pflegedienst. Und ich weiß, dass ich aufpassen muss, den richtigen Moment nicht zu verpassen.
Dennoch hoffe ich, dass ich das vermeiden kann und auch sie, wie mein Vater, nicht diesen Weg gehen muss.
 
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