Ja, Datura,
was Du schreibst, ist eine dankenswerte Illustration dessen, was ich meinte.
"Mein Geist" (das Possessivpronomen - als gehöre der Geist Dir). "Freie Entfaltung" (da könnte es gut sein, genau hinzusehen: "Frei" wovon?). "Genießen, lieben, dankbar sein"? Schöne, runde Wörter, sicher. Aber wissen wir denn, weißt Du denn, was das genau ist? Zu lieben, beispielsweise, habe ich in meinem langen Leben ein paarmal versucht. Jedesmal war "es" anders, war "ich" anders. So sehr anders, daß kein vernünftiger Grund besteht zu der Annahme, "es" oder "ich" sei jeweils dieselbe Gegebenheit, dasselbe Wesen gewesen. Dasselbe für "Genießen". (Ein guter Zeuge für diese Schwierigkeit ist Siegmund Freud: welche Mühe gibt er sich doch, zu klären, was Liebes- und Arbeitsfähigkeit seien, seine Therapieziele.)
Die Veränderlichkeit des Denkens ist seit Jahrtausenden bekannt. (Mit der Veränderbarkeit gibt's schon einfach logische Probleme - und praktische dazu: Das kleine Ego will sich selber verändern - und gerade dadurch plustert es sich noch mehr auf und verhindert gerade dadurch, was es ersehnt. So ähnlich wie ein Mann, der sich "potenzsteigernde" Mittel zuführt, gerade dadurch wahrhaftige Kommunikation mit seiner Geliebten torpediert.) Daß das Ganze jetzt unter "Neuroplastizität des Gehirns" läuft ("um die wir endlich wissen"), ändert daran nichts - es klingt nur eindrucksvoll, ehrfurchtgebietend.
Was dabei untergeht, ist die spontane Wandlung, das Leise, das nicht Programmierte, Programmierbare, das Geheimnis, das Nicht-Gewußte. Lebensmöglichkeiten, die wir in aller Klugheit nicht ausdenken können. Man soll nicht versuchen, andere zu ihrem "Glück" zu zwingen - aber auch sich selber nicht zu dem (vermeintlich) eigenen. Erstens, weil das der Achtung widerspricht, die Menschen verdienen. Zweitens, weil "das Glück" ein Kopf-Ei ist - aus der Vergangenheit stammend, von Vorbildern, von den Eltern usw. (Man könnte das eigene schon erkennen, für einen Augenblick. Es ist immer anders als gedacht. Überraschend. Kein Replay meiner Ideen. Und auch deswegen nicht machbar. Auch nicht durch die Gehirnneuroplastiker.)
Und: daß wir - jeder - bereits haben, was wir brauchen, Herz und Intelligenz. Der es nur gilt, gewahr zu werden. Die man sich nicht von außen - auch in der Autosuggestion gehe ich ja mit mir gleichsam wie von außen um - zuzuführen braucht mit irgendwelche Sätzen - nach Coue, Hellinger, Klinghardt (mit seiner Psycho-Kinesiologie) usw. usw.
Manchmal, finde ich, ist es gut, sich nicht an die publikationsfreudigen Professoren, nicht an die Psycho-Heilbringer zu halten sondern an Dichter:
"Unser Leben, es fähret schnell davon als flögen wir davon,
und in den Abgründen wohnt verborgen das Glück."
(Günter Eich)
Alles Liebe
Windpferd