Schizophrenie als gesellschaftliches Phänomen

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Es wird öfter davon gesprochen, dass Schizophrenie ein Lösungsversuch ist. Also ein Versuch, das Erleben von Widersprüchen innerlich auszugleichen und darauf zu reagieren. Und damit reflektiert der/die Betroffene lediglich die wahrgenommenen schizophrenen – gespaltenen, widersprüchlichen Zustände, denen alle permanent ausgesetzt sind, auf eine besondere Weise.

....
Im Grunde scheint jede Gesellschaft notgedrungenerweise schizophrene Strukturen aufzuweisen, wobei ich in diesem Zusammenhang „schizophren“ als eine Realität, welche trotz ihrer Widersprüchlichkeit in ihrer Widersprüchlichkeit nicht wahrgenommen wird, umschreiben würde. Daraus folgt, daß jeder Mensch zumindest in dem Maße schizophren ist, als er genötigt ist, sich mit den gesellschaftlich tabuisierten (=verdrängten) Widersprüchlichkeiten zu arrangieren. ....
www.diplom.de/Dissertation__Doktorarbeit-l10717/Das_gesellschaftliche_Unbewusste.html

Beispiele:
1. Menschen engagieren sich für Tierschutz und holen sich gleichzeitig die preiswerten Hähnchenschnitzel aus Batteriehaltung vom Discounter.
2. "Ich habe nichts gegen Homosexuelle – aber mein Sohn doch nicht!"
3. Eltern schlagen "aus Liebe" ihre Kinder.

Es scheint, daß die Weise, wie ein „Normaler“ sich mit den Widersprüchlichkeiten der Gesellschaft arrangiert, dem Verhaltensmuster eines Schizophrenen nicht unähnlich ist; die Verhaltensmuster der „Normalen“ eigentlich ebenso als schizophren zu werten sind; werden doch gelebte Widersprüchlichkeiten dadurch negiert bzw. nicht wahrgenommen, als jeder Daseinsvollzug als mit seinem Offenheitsbereich unter ein bestimmtes Leitmotiv gestellt (und somit als einseitig oder perspektivisch verfälscht reflektiert) beschrieben werden kann.
www.diplom.de/Dissertation__Doktorarbeit-l10717/Das_gesellschaftliche_Unbewusste.html
Manchmal fallen diese Widersprüchlichkeiten durch die Draufsicht Anderer oder durch Selbstreflexion auf und man ist gezwungen, darauf zu reagieren, zum Beispiel durch Verdrängung, aber auch durch Auseinandersetzung und durch neue Strategien.

Bewusstheit und direkte und lebendige, offene auseinandersetzung mit Widersprüchlichkeiten - so meine These - könnte auf längere Sicht helfen, schizophrenes Potential individuell und in der Gesellschaft aufzulösen.

Herzliche Grüße von
Leòn
 
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Hallo Leon,
was Du da ansprichst, scheint mir in Richtung "Doppelbotschaften" zu gehen, die ja wirklich zum Verrücktwerden sein können.
- Eltern sagen ihren Kindern zwar, daß sie das Beste für sie wollen, schlagen sie aber.
- Kranke leben supergesund und sind bestens informiert, rauchen aber dafür wie Schlote....

Vielleicht haben "normale" Erwachsene es einigermaßen gelernt, solche Doppelbotschaften einfach zu ignorieren und nur den ihnen genehmen Teil der Botschaft zu hören. Aber bei Kindern kann ich mir gut vorstellen, daß das nicht funktioniert und sie dadurch wirklich hin- und hergerissen sind.

Trotzdem muß es doch einen oder mehrere Faktoren geben, die dazu beitragen, daß ein Menschenkind nun so zerrissen wird, daß sich eine Schizophrenie entwickelt. Da scheint mir eine erbliche oder auch umweltbedingte Veranlagung eine Rolle zu spielen. Sicher aber genauso die Unmöglichkeit/Unfähigkeit, mit Doppelbotschaften und ähnlichen Situationen umzugehen.
Denn Doppelbotschaften machen es dem Betroffenen meiner Ansicht nach sehr schwer, auf eigenen Füssen bzw. eigenen Gedanken und eigener Sicherheit zu stehen und sich nicht hin -und her reißen zu lassen.

Gruss,
Uta
 
Hallo Uta,

ja - widersprüchliches Verhalten ist das Eine, Doppelbotschaften auszusenden noch mal das andere.
Hallo Leon,
was Du da ansprichst, scheint mir in Richtung "Doppelbotschaften" zu gehen, die ja wirklich zum Verrücktwerden sein können.
- Eltern sagen ihren Kindern zwar, daß sie das Beste für sie wollen, schlagen sie aber.
Vielleicht haben "normale" Erwachsene es einigermaßen gelernt, solche Doppelbotschaften einfach zu ignorieren und nur den ihnen genehmen Teil der Botschaft zu hören. Aber bei Kindern kann ich mir gut vorstellen, daß das nicht funktioniert und sie dadurch wirklich hin- und hergerissen sind.

Ja, Uta. Es gibt Erkenntnisse darüber, dass Doublebind-Situationen, denen Kinder in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld ausgesetzt sind, zum Ausbruch von Schizophrenien führen können. Dies ist dann natürlich auch nicht der alleinig auslösende Faktor. Ich denke, dass da dann zumindest eine Disposition https://www.symptome.ch/threads/schizophrenie-genetische-disposition.15101/ und/oder auch andere "begünstigende" Faktoren vorliegen.

Herzliche Grüße von
Leòn
 
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Bewußtheit und direkte und lebendige, offene Auseinandersetztung mit Widersprüchlichkeiten-so meine These-könnte auf längere Sicht helfen, schizophrenes Potenzial individuell und in der Gesellschaft aufzulösen.

Es ist eine wirklich schöne Theorie, die Du Da hast...doch diese Theorie...wie je soll sie sich umsetzten lassen?Was alles müsste geschehen, dass sie sich umsetzten läßt?Zu welchen veränderungen müsste es kommen?
Wie erstmal auflösen, was bereits vorhanden ist an Krankem Potenzial?Wie lange würde es dauern, dass nur noch Reife und Gesunde Eltern da sind, die Nachwuchs bekommen?
Es mutet für mich wirklich Paradiesisch an, dass solch wunderschöne Theorie in die Praxis umgesetzt werden kann...


Schön währe es, wenn Deine Theorie zum tragen kommen könnte...ach es währe schön und wie oft habe ich darüber nachgedacht, was in dieser Gesellschaft geschehen müsste, damit es zu einem Gesünderwerden auf allen Gebieten kommen könnte...zu oft schon und endlos viele schmerzhafte Stunden habe ich damit zugebracht, wie die Gesellschaft besser und die Seele heiler werden kann![/quote] Eine wirkliche Antwort habe ich darauf auch nicht. Ich kann vielleicht beschreiben, welchen Beitrag ich glaube leisten zu können: so bewusst, offen und klar wie möglich mit allen Aufgaben- und Themenstellungen umzugehen. So klar wie möglich in meiner Kommunikation zu sein und vor allem: mich über mich bewusst und klar zu sein.;) Das ist aber nicht so einfach, wie es sich anhört ;)!


Doch leider Gottes musste ich miterleben, wie die Gesellschaft immer mehr zerfällt, von dem was gesund sich nennt...und tuhen konnte ich gar nichts.

Ich kann mir schon vorstellen, dass man zu solch einer Sichtweise kommen kann. Ich würde es eher als einen Wandlungsprozess beschreiben, den ich beobachte und der sich kontinuierlich fortsetzt. Es bleibt nichts wirklich statisches und das ist sowohl beunruhigend als auch hoffnungerweckend, finde ich!

Es giebt so viele Seelische Erkrankungen und unendlich viel Material und Theorien darüber...auch über Heilungswege, das ein einziger Mensch dieses Material in seinem leben nie durchlesen könnte...er bräuchte viele Leben und jeden Tag kommt neues Material hinzu...manch einer schaft es dann auch zu einem Durchbruch zu kommen...wenn die Kräfte es so wollen und dann haben wir einen neuen Renner! Ich denke, Jogi, dass gerade bei diesen Formen der Störungen "Heilung" als besonders relativ betrachtet und individuell definiert werden sollte.
Ich vertraue meinen Gefühlen und wenn ich etwas spüre, was positiv ist und meiner Seele gut tut, dann ist es auch so!
Nun ja, jetzt habe ich genug geschrieben und wünsche Dir noch alles Liebe Jogi

Danke für Deine sehr ausführliche Antwort, Jogi!

Herzliche Grüße von
Leòn
 
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Hier ein bißchen mehr zum Buch:
Märchen von einer Psychiaterin (Vorbild ist die Psychoanalytikerin Frieda Fromm-Reichmann), die sich mit einer ›Schizophrenen‹ einfühlsam auseinandersetzt. Deutsche Originalausgabe 1978
Original-Verlagsinfo

Die Flucht vor der Realität, vor Krankheit und familiärer Isolation endet für die sechzehnjährige Deborah in der geschlossenen Abteilung einer Psychiatrie. Befund: Schizophrenie. Unter dem Pseudonym Hannah Green schildert die Autorin in diesem ermutigenden autobiographischen Roman den mühsamen Kampf des Mädchens um ihre Heilung. Sie gewährt einen Blick in die Alptraumwelt psychotischen Fühlens, in die fragmentarischen Beziehungen, aber auch in die Solidarität unter den Kranken. Sicher wägt sie die Argumente für ein Leben in unserer unvollkommenen Realität ab gegen die Argumente für einen Rückzug in die Sicherheit der Krankheit. Die Heilung schließlich ist überzeugend. Mit ihr wird die Krankheit nicht zu einem Stück abgelehnter Vergangenheit, sondern nachträglich akzeptierter persönlicher Geschichte. Deborah ist gesund, als sie wieder bereit ist, den Herausforderungen der Realität standzuhalten.
Hannah Green: Ich hab dir nie einen Rosengarten versprochen. ISBN 978-3-499-22776-9

Gruss,
Uta
 
Liebe Uta, vielen Dank, dass Du das Buch hier hereingestellt hast!Ich habe es 3 mal gelesen...Dieses Buch ist auch verfilmt worden.
Leider bin ich nur auf 3 oder 4 Prozent meiner Leistung durch meine Krankheit bedingt, es ist nicht leicht...manchmal giebt mir mein Gehirn keine Informationen doch mein Bewußsein ist voll da, dann ist es schlimm...außerdem habe ich auch Störungen, so das ich manchmal nicht weiß, wie das einfachste Wort geschrieben wird...dies gehört alles nicht hier her, doch wollte ich es mal mitteilen, nicht das ich noch für minderbemittelt gehalten werde...denke, dass dies sowohl mit dem Candida Albikans als auch mit der Borreliose und dem Amalgam im Zusammenhang steht...
Körper+Seele+Geist sind doch meine allergrößten Interessensgebiete!
Übrigens fand ich die Verfilmung von:"Ich habe Dir nie einen Rosengarten versprochen" nicht als wirklich gelungen!
Danke und alles liebe Uta...wünscht Dir lieb Jogi
 
Hallo Jogi,


Zitat:
Bewußtheit und direkte und lebendige, offene Auseinandersetztung mit Widersprüchlichkeiten-so meine These-könnte auf längere Sicht helfen, schizophrenes Potenzial individuell und in der Gesellschaft aufzulösen.

Es ist eine wirklich schöne Theorie, die Du Da hast...doch diese Theorie...wie je soll sie sich umsetzten lassen?Was alles müsste geschehen, dass sie sich umsetzten läßt?Zu welchen veränderungen müsste es kommen?
Wie erstmal auflösen, was bereits vorhanden ist an Krankem Potenzial?Wie lange würde es dauern, dass nur noch Reife und Gesunde Eltern da sind, die Nachwuchs bekommen?
Es mutet für mich wirklich Paradiesisch an, dass solch wunderschöne Theorie in die Praxis umgesetzt werden kann...
Ich weiß gar nicht, ob ich das "schizophrene Verhalten in der Gesellschaft" als krank bezeichnen würde. Es ist ja auch eine Form von Reaktion um problematische Situationen zu lösen. Eine Art von Realitätsbewältigung.
Zitat:
Schön währe es, wenn Deine Theorie zum tragen kommen könnte...ach es währe schön und wie oft habe ich darüber nachgedacht, was in dieser Gesellschaft geschehen müsste, damit es zu einem Gesünderwerden auf allen Gebieten kommen könnte...zu oft schon und endlos viele schmerzhafte Stunden habe ich damit zugebracht, wie die Gesellschaft besser und die Seele heiler werden kann!
Eine wirkliche Antwort habe ich darauf auch nicht. Ich kann vielleicht beschreiben, welchen Beitrag ich glaube leisten zu können: so bewusst, offen und klar wie möglich mit allen Aufgaben- und Themenstellungen umzugehen. So klar wie möglich in meiner Kommunikation zu sein und vor allem: mich über mich bewusst und klar zu sein. Das ist aber nicht so einfach, wie es sich anhört !
Zitat:
Doch leider Gottes musste ich miterleben, wie die Gesellschaft immer mehr zerfällt, von dem was gesund sich nennt...und tuhen konnte ich gar nichts.
Ich kann mir schon vorstellen, dass man zu solch einer Sichtweise kommen kann. Ich würde es eher als einen Wandlungsprozess beschreiben, den ich beobachte und der sich kontinuierlich fortsetzt. Es bleibt nichts wirklich statisches und das ist sowohl beunruhigend als auch hoffnungerweckend, finde ich!
Zitat:
Es giebt so viele Seelische Erkrankungen und unendlich viel Material und Theorien darüber...auch über Heilungswege, das ein einziger Mensch dieses Material in seinem leben nie durchlesen könnte...er bräuchte viele Leben und jeden Tag kommt neues Material hinzu...manch einer schaft es dann auch zu einem Durchbruch zu kommen...wenn die Kräfte es so wollen und dann haben wir einen neuen Renner!
Ich denke, Jogi, dass gerade bei diesen Formen der Störungen "Heilung" als besonders relativ betrachtet und individuell definiert werden sollte.
Zitat:
Ich vertraue meinen Gefühlen und wenn ich etwas spüre, was positiv ist und meiner Seele gut tut, dann ist es auch so!
Nun ja, jetzt habe ich genug geschrieben und wünsche Dir noch alles Liebe Jogi
Danke für Deine sehr ausführliche Antwort, Jogi!

Herzliche Grüße von
Leòn
 
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