Wie wenig Beziehung ist noch eine Beziehung?

Es wäre mal interessant, wie sich die Teilnehmer hier, die sich vor Jahren dazu gemeldet haben, entwickelt haben und wie heute ihre Beziehung aussieht. Vielleicht rafft sich eine der Teilnehmerinnen (es waren ja nur Frauen, die berichtet haben!) auf und schreibt uns nochmals, wies weiter gegangen ist. Das wäre doch sehr hilfreich für andere Paare, die in einer ähnlichen Situation sind.

Hallo Werner,

es ist schön, dass ihr viele gemeinsame Interessen habt. Das scheint mir für eine Langzeitbeziehung extrem wichtig zu sein, das macht es viel leichter.

Meine Erfahrung (nach 28 Jahren Zusammensein) ist, dass es eine Beziehung auf Dauer sehr schwer hat, wenn es von Anfang an nur wenig gemeinsame Interessen gab. Sich sehr gern zu haben ist anfangs toll, kann auf Dauer aber zu wenig sein und das Risiko, irgendwann nur noch nebeneinander her zu leben, wird extrem groß. Soll so eine Beziehung trotzdem funktionieren, müssen beide (!) bereit sein, immer wieder sehr an dieser zu arbeiten und neue Impulse zu geben, da sie eben kein Selbstläufer ist.
Es stellt sich für mich inzwischen bei der Definition einer Beziehung weniger die Frage, ob man zusammen ist (zusammen wohnt), sondern wieviel Gemeinsamkeit es tatsächlich gibt.

Gruß Anne
 
Hallo Anne
Da stimme ich dir vollkommen zu. Das zusammen Wohnen ist noch keine Beziehung. Und Sex zu haben auch nicht. Die Gemeinsamkeiten auf vielen Ebenen und auch das Interesse aneinander, das ist es, was auf lange Sicht zählt.
Heute wird allerdings eine sexuelle (also rein sexuelle!) Beziehung auch so genannt. Vielleicht müsste man dann anstelle "Beziehung" bei einer langjährigen Gemeinschaft das nicht nur eine Beziehung nennen, sondern eben das. was sie ist bzw. sein sollte: Eine Lebensgemeinschaft.

Unter diesem Gesichtspunkt ist der Titel dieses Fadens eigentlich gar nicht auf so eine langjährige Lebensgemeinschaft hin gestellt worden, sondern rein nach einer "Beziehung", also meist auf sexuellem Gebiet.

In diesem Fall würde ich sagen: Eine sexuelle Beziehung ist keine mehr, wenn der Sex entweder ganz eingeschlafen ist oder sehr langweilig und untinteressant geworden ist.

Wie man sieht, sind Definitionen oft sehr wichtig, damit man nicht aneinander vorbei redet.

Ich habe schon fast die Vermutung, dass es heute langjährige oder gar lebenslange Partnerschaften und liebende Lebensgemeinschaften kaum mehr gibt. Oder man denkt gar nicht daran, so lange der Sex noch stimmt.
Trotz gutem Sex kann natürlich eine sogenannte "Beziehung" auch langsam in die Brüche gehen, wenn Gemeinsamkeiten fehlen. Sex als einzige Gemeinsamkeit ist meiner Meinung nach nicht auf lange Sicht ausreichend.

Daher kommt es wohl auch, dass heute so viele "Beziehungen" nach wenigen Jahren wieder enden. Weil sie nämlich nur auf Sex aufgebaut waren.

Die Frage nach der Liebe ist ein weiteres sehr umfangreiches Thema. Was ist eigentlich Liebe?

Nach meiner Definition ist Liebe ein tiefes und inniges Gefühl, das man eigentlich gar nicht genauer beschreiben kann. Das Teilen gehört meiner Meinung nach sehr wesentlich dazu. Wie weit und was man alles teilen will oder kann, das ist freilich eine offene Frage und kann nicht für alle Paare beantwortet werden.
Z.B.: Gemeinsames Bankkonto? Bei uns ist das keine Frage, aber ich kenne Paare, die das strikt ablehnen.
Das Teilen von Interessen ist wohl auch so eine kritische Frage. Muss man alles gemeinsam machen? Ich glaube das ist fast unmöglich. Man kann zwar viel gemeinsam machen, aber man hat doch immerhin auch sehr unterschiedliche Interessen (Hobby z.B.). Aber auch wenn man das nicht teilt, so kann man (sollte man !) zumindest Anteil nehmen, sich gegenseitig davon erzählen. Also immer wieder das Teilen, auch wenn es "nur" auf Anteilnahme beschränkt ist. Ich kann mir eine Liebe nicht vorstellen ohne Interesse an dem, was der Partner/in macht und gerne hat. Wir gehen sogar fast grundsätzlich zusammen einkaufen. Weil wir wollen, dass auch unsere Kleidung dem Partner oder der Partnerin gefällt. Ich würde mir niemals etwas kaufen, was meine Frau abscheulich findet und meine Frau ebenso. Manchmal wundere ich mich, wie wenig Interesse sogenannte Partner an dem haben, was der Andere tut, gerne hat, Vorlieben, Hobby etc. In so einem Fall frage ich mich, ob das dann noch Liebe ist. Denn Gleichgültigkeit kann doch keine Liebe sein.Ich kenne Paare, denen es vollkommen gleichgültig ist, wie man sich kleidet, Frisur etc... Das kann ich mir als eine Liebesbeziehung nicht vorstellen. Von Liebe kann dann doch keine Rede mehr sein. Aber viele Menschen sagen in so einem Fall, dass sie in einer "Beziehung" leben.

Wäre mal interessant, ob Andere hier auch so denken.

Schöne Gruß und noch ein GUTES NEUES JAHR!
Werner
 
Meine Empfehlung: in so eine verfahrenen situation, sich interessant machen, reizwäsche, usw... auf jedenfall initiative ergreifen und etwas dagegen tun damit nicht die ganze beziehung einschläft! und gemeinsam etwas abenteuerliches ("gefährliches") erleben das gibt einer beziehung neuen schwung! z.b. einen bungee sprung
 
Meine Empfehlung: in so eine verfahrenen situation, sich interessant machen, reizwäsche, usw...

...man kann sich auch mit anderen Dingen interessant machen, Sex ist nicht das einzige, was verbindet, man kann den anderen mit gutem Essen oder Komplimenten verwöhnen, mit einer netten Unterhaltung, einem interessanten neuen Hobby, Ausflügen, Interesse am anderen, gemeinsamen Lösen von Problemen, Zuhören, auch Pflegen beim Kranksein ....
 
Also so wie bei dir im Post beschrieben.. das könnte ich nicht. Wir haben zwei Töchter, meine Frau ist Krankenschwester und arbeitet im Schichtdienst und dennoch nehmen wir uns einen Abend mindestens für die ganze Familie. Zweisamkeit.. in dem Sinne ist das momentan eben nicht möglich. Klar, abends geht man zusammen ins Bett, kuscheln, etc. aber so richtig einen Pärchenabend habe wir lange nicht mehr gemacht. Ist aber auch nicht schlimm, da wir gerne Familiensachen machen und dann an freien Tagen draußen viel unternehmen mit den Kindern.

Getrennt Urlaub machen..? Geht gar nicht.

Klammer fängt für mich an, wenn die Partnerin alle halbe Stunde z.B anruft und fragt 'Was machst du so'.
 
Hallo onliner, da stimme ich dir zu. Was "Klammern" ist, das ist wohl nicht für jeden dasselbe. Es gibt Menschen, die werden schon nervös, wenn der Partner/Partnerin nach Tagen mal anruft und fragt: "Was machst du denn gerade?" Und es gibt andere, die ganz nervös werden, wenn sich der Partner/in eine Woche lang nicht meldet.
Was "klammern" ist, das ist wirklich von Fall zu Fall verschieden. Wenn jemand ein Verhalten als "klammern" empfindet, dann ist es klammern!
Schöne Grüße
Werner
 
Hallo,

ich würde behaupten, Liebe sei der ideale Kern, die Mitte von "Beziehung". In letztere mag noch vieles andere eingehen, z.B. emotionale, wirtschaftliche, lebenspraktische, sexuelle Interessen oder Bedürfnisse.

"Liebe" ist keine Gegebenheit der menschlichen Natur. Sondern eine Erfindung. Die erfolgte in Schüben. Etwa bei Sophokles, Platon, in der spätantiken Philosophie, im Hochmittelelter, in der Renaissance, in der Goethezeit, in der Existenzphilosophie.

Diese "Schübe" haben Gestalt angenommen in einigen Mythen oder Erzählungen, die uns ohne größere Abstraktionen unmittelbar ergreifen - wenn wir uns dafür öffnen. Diotima, Antigonae, die Liebenden im Hohen Lied, Dido und Äneas, Amor und Psyche, die klassische vrouwe (Herrin) und ihr ritaere, Heloise und Abälard, Tristan und Isolde, Romeo und Julia, Proeza und Rodrigo, Ingeborg Bachmanns Der Gute Gott von Manhattan usw.

Irgend eine "Beziehung" haben die ja alle. Nur: diese, von Anfang an vielfach minimalistisch, wird - auf der Realitätsebene - immer weniger, verschwindender, nur noch scheiternd. Todgeweiht. Und am Ende stirbt ja mindestens einer der Beiden, meistens Beide.

Nur: der Zusammenhang ist genau entgegengesetzt zu dem, den wir annehmen und bevorzugen: Je näher das Paar dem Scheitern (in der Regel dem Tod) kommt, desto dichter, tiefer, ultimativer, unverbrüchlicher, erschütternderer die Verbindung. Abälard wurde zur Strafe kastriert (real historisch); Rodrigo und Proeza schaffen es nicht, auch nur ein einzige Nacht miteinander zu verbringen aber ihre Begegnung prägt ihre gesamte Existenz. Tristan und Isolde, das Non-plus-Ultra - da gibt es am Ende nur noch Mystik, Einheit von Tod und Liebe, die engste Beziehung im Scheitern der Beziehung (und ein paar ratlose Überlebende).

Na gut, könnte man sagen, diese Dichter sind halt schwerst gestört, beziehungsunfähig mit dieser oder jener Neurose oder Psychose. Aber einmal: es waren meist mehrere Dichter, verteilt auf Jahrhunderte. Der "Stoff" setzte sich durch gegen die Individuen. Und es gab immer ein Publikum. Vor ein paar Jahren war ich in einer legendären Tristan-Aufführung im Aalto-Theater, Essen. Lauter halbwegs g'standene, erwachsene Leute, ersichtlich jenseits der Pubertät - und nach dem ersten und dem dritten Aufzug die Hälfte in Tränen. Ohne die im mindesten zu verbergen. Hunderte. Ich sowieso, klar, aber auch mein Freund und Reisegefährte, ein - so hatte ich gemeint - knochentrockener Mathelehrer.

Wenn wir uns dieser Erfahrungsmöglichkeit verschließen, besteht die Gefahr, daß wir auch in "Liebesdingen" auf die "Austausch-Theorie" hereinfallen, die unsere Unkultur ja fast völlig beherrscht: "Wie du mir, so ich dir." Das heißt, jede Interaktion, jede Beziehung wird konstruiert (vermeintlich begriffen) als Austausch von Gütern mit je bestimmtem Wert - "Sex" gegen Status, Geborgenheit gegen Freiheit, Anerkennung gegen Sicherheit usw. All das übrigens sehr instabil, denn die Wechselkurse können sich ändern, u.U. beim einen anders als beim anderen. Oder manche Güter ändern ihren Wert - z.B. wird "Sex" (jedenfalls der hier verfügbare) langweilig.

Das - falsche - Axiom: es sei meine Leistung, wenn ich jemanden liebe. Und somit stehe mir irgendeine Kompensation zu. Während es in der Tat ein ungeheueres Geschenk ist (von wem auch immer, vielleicht von niemandem), lieben zu können - eines, für das ich im Grund selber Dank schulde (wem auch immer . . .).

Der Titel dieses Thread legt - scheint mir - ein gewisses "Aufrechnen" nahe. Aufrechnen zeigt immer Ungerechtigkeit auf - einfach weil es selbst unangemessen ist, nämlich in Liebesdingen Tauschhandels-Dynamik suggeriert, wo die nicht hingehört. Und im Hintergrund - scheint mir - die Idee eines Kündigungsrechts, wenn's mir zuviel (d.h. zu wenig) wird. O.k. - nur was ich kündigen kann, ist gewiß nicht Liebe.

Tauschhandel kann man schön studieren an Heiratsanzeigen, z.B. in DIE ZEIT. Obwohl die viel magerer geworden sind. Da zählt man seine eigenen assets auf, eine sehr eindrucksvolle Liste - und ganz von selber blickt durch, daß man dafür natürlich eine Menge erwarte. Einer meiner Söhne fällt mir ein, der mir mit 17 einen sehr traurigen Brief schrieb: er müsse sich von seiner Freundin trennen, denn sie habe nur einmal pro Woche für ihn Zeit, aber für ihn gehöre zu einer "Beziehung" mindestens zweimal. Oder Luthers "In der Woche zwier, macht im Jahre hundertvier." Auf so einfache Weise kann man sich und den anderen quälen. (Wie glücklich wäre ich jetzt, wenn die Liebste auch nur einmal pro Woche für mich Zeit hätte.)

Mit diesem Denkstil (genauer: mit dieser nicht hinterfragten Prämisse) kann unser Denken nur lieblos sein. Aber wir ersparen uns die größere Herausforderung: Trotzdem zu lieben. Trotzdem - auch wenn es ungerecht zugeht. Auch wenn die Geliebte ungerecht ist. (Geliebte sind immer ungerecht.) Auch wenn wir nicht kriegen, was wir vermeintlich unbedingt brauchen. Liebe bringt uns unbeirrbar bei, was wir eben nicht brauchen. Daß wir nichts brauchen außer der eigenen Liebe.

"Es schaudert vor der Lieb das Herz,
als wär's der Tod.
Denn durch die Liebe stirbt das Ich,
der mächtige Despot"​
(Rumi)
Es schaudert mit gutem Grund.

Alles Allerliebste
wünscht uns
Windpferd


PS: Eine Empfehlung: Peter von Matt: "Liebesverrat. Die Untreuen in der Literatur". (Der Titel klingt allzu einschränkend. Treffender fände ich "Poetische Anthropologie der Liebe".) Der Autor emeritierter Germanist an der ETH Zürich - mit einer vibrierenden, vergegenwärtigenden, sehr präzisen Sprache. Nachfolger von Adolf Muschg und Emil Staiger.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Ich finde dieses Thema sehr interessant und denke das es da keine faustformel geben kann. Dem einen reicht es aus wenn man nur gelegentlich etwas zusammen unternimmt aber man weiß, dass der andere zu einem steht. Andere Menschen identifizieren eine Beziehung mit ständigen gemeinsamen Interessen. Meine Erafhrungen allerdings zeigen, dass die Partner selbst entscheiden müssen wie ihre Beziehung auszusehen hat.
 
Oben