Hallo, versammelte OrgasmusexpertInnen,
irgendwie könnt Ihr Euch anscheinend nicht einkriegen.
Mir fiel zu Euerem Diskurs ein Anblick ein, den man an jeder Straßenkreuzung täglich mehrfach haben kann. Frau und Mann (oder wie die Zusammensstellung auch sein mag) verabschieden sich. Wie geht das? Klar, sie umarmen einander. Dabei rubbelt der eine die Schulter- oder Rückenpartie des andern. Und zwar mit einer so maschinenhaften Schnelligkeit und Kraft, daß ein Blinder sofort weiß, daß von den Beiden keiner den anderen als Geliebte, Liebenden, Werbenden, Beglückte usw. spürt. Das ginge viel sanfter, viel langsamer, viel fragender. Wäre ein ganz anderer Korpertext. Hier werden Rubbeleinheiten geliefert. Und, wie zur Bestätigung, Mann hat, in Anbetracht der vorherrschenden Größenverhältnisse, sein Kinn auf des wehrlosen Weibes Schulter (nicht etwa seine Lippen bißchen unterhalb von dessen Ohrläppchen, was ja noch ein wenig Hoffnung machen könnte) und - guckt in der Gegend herum. Abwesender kann man nicht sein. Abwesend von der anderen, abwesend vom eigenen Körper. Der ist gar nicht bewohnt. Bewohnt ist eine kleine Gehirnwindung, die wachfantasiert - über die soundsovielen Os im orgasmischen "WOW" (amerikanisch, ja, cool), über Schreien und Stöhnen und was einem jungen Mädchen so alles bevorstehen kann in diesem poesielosen Leben. Die Abwesenheit vom eigenen Körper ist auch überall zu besichtigen. Etwa an Bahnhöfen, wenn der Zug anfährt. In meiner Kindheit - tja, lang ist's her - winkten die Partner einander zu aus den Schultergelenken mit MWS-Beteiligung. Im Lauf der Zeit waren es zunehmend distalere Gelenke, neuerdings kann man sich auf die beiden Fingerendglieder beschränken. Und in der genannten Gehirnwendung ist die Idee gespeichert, diese unverkörperten Menschen würden dann schon zur rechten Zeit die angesagten Orgasmen bringen, in ausreichender Anzahl, mit genügend (aber bitte nicht allzuvielen Os). Tun sie nicht, zum Glück.
"Laß mich nicht allein und komm mit nicht zu nah".
Übrigens kann man verhaltenstherapeutisch das normgerechte sexuelle Verhalten so ziemlich hinkriegen. Da kann man wunderschön forschen und messen. Kontinuierlich z.B. die vaginale Lubrikation und den Penisumfang ("Penometer" lästerten die Studis). Dann weiß man schließlich alles, klar. Von Wissenschaft kann man ja vieles lernen, unter anderem Unfähigkeit zur Scham. Damit gibt es auch kein Spiel mehr, keinen Zauber, nur noch zweckorientertes distales Rubbeln. Das Beeindruckende, Bewegende daran: sobald Orgasmen verläßlich herstellbar sind, interessieren sich die Paare nicht mehr für diese Synthetics. Das hat die Forschung zur Paartherapie vielfach gezeigt. Nun "leiden" Paare nicht mehr an Anorgasmie sondern - sie haben schlicht keine Lust mehr. Gibt längst ein süßes Kürzel dafür: LSDS (Low Sexual Desire Syndrome). Dieses Syndrom könnte einen tatsächlich befallen, wenn dieser Thread noch länger so weitergeht.
Na, vielleicht suchen wir schwer belehrbare Menschen doch noch ein bißchen anderes als diese merkwürdigen Gipfelerlebnisse, Höhepunkte, was auch immer. Von denen übrigens - die Wissenschaft ist gründlich - ein nennenswerter Teil vorgetäuscht ist. Hab die Zahlen vergessen. Klar: wenn ich den großen Ausbruck des Vesuv spiele, dann zeige ich, was für ein toller Kerl ich bin; und wenn meine "Geliebte" nicht auf ihre "Rechnung" gekommen ist, liegt das offenkundig an ihr. "Sexual Politics" nennt das die Sexualtherapie - faktisch geht es nicht um Liebe sondern um Macht. Uns - wem sonst?
Tja . . .
Auch nach Jahren
sind wir uns unbekannt.
Deshalb erkennen wir uns.
Deshalb Zärtlichkeit und ihr Wortlaut.
Deshalb Hände und
Lippen voller Gedächtnis.
Nichts sonst taugt
gegen Tod und Verderbnis.
Wer es könnte
Wer es könnte
die Welt
hochwerfen
daß der Wind
hindurchfährt
Macht's gut!
Windpferd