Welche Menschen haben mich am meisten geprägt?

admin

Administrator
Teammitglied
Themenstarter
Beitritt
01.01.04
Beiträge
15.096
Vor allem unsere Eltern, aber auch unsere Geschwister, anderen Verwandten, aber auch Freunde prägen uns in unserem Leben.

Je jünger wir sind, desto stärker ist wohl vor allem die Familie in der Lage, das eigene Verhalten zu prägen.

Es stellt sich die Frage:
- Welche Personen hatten den meisten Einfluss auf mich?
- Zu jeder dieser Personen: Welchen negativen Einfluss hatten sie?
- Zu jeder dieser Personen: Welchen positiven Einfluss hatten sie?

Unter dem Strich dürfte mit am wichtigsten sein:
- welche der negativen Einflüsse prägen noch immer mein Verhalten, wo ich dies gar nicht möchte?


Beispielhaftes Schema zur Antwort:

Mutter:
- positiv: ............
- negativ: ............

Vater:
- positiv: ............
- negativ: ............

Bruder:
- positiv: ............
- negativ: ............

...
- positiv: ............
- negativ: ............

Stärkste negative, ungewünschte Prägung, die bis zum heutigen Tage wirkt: .........................


Gruss, Marcel
 
Vor allem unsere Eltern, aber auch unsere Geschwister, anderen Verwandten, aber auch Freunde prägen uns in unserem Leben. Je jünger wir sind, desto stärker ist wohl vor allem die Familie in der Lage, das eigene Verhalten zu prägen.

Es stellt sich die Frage:
- Welche Personen hatten den meisten Einfluss auf mich?
- Zu jeder dieser Personen: Welchen negativen Einfluss hatten sie?
- Zu jeder dieser Personen: Welchen positiven Einfluss hatten sie?

Unter dem Strich dürfte mit am wichtigsten sein:
- welche der negativen Einflüsse prägen noch immer mein Verhalten, wo ich dies gar nicht möchte?

Beispielhaftes Schema zur Antwort:

Mutter:
- positiv: ............
- negativ: .sie hat mich einfach abgeschoben.....

Vater: im Krieg gefallen
- positiv: ............
- negativ: ............

Bruder: ich hatte keine Geschwister


Stärkste negative, ungewünschte Prägung, die bis zum heutigen Tage wirkt: ..die Autorität und die Faulheit meines Großvaters.......................

Stärkste positive, erwünschte Prägung, die bis zum heutigen Tag wirkt:
.....die Liebe und die Hingabe meiner Großmutter.....


Hast Du dir das so vorgestellt, lieber Marcel?
Und nach diesen kurzen Feststellungen sollen nun die Ausführungen stehen?
Dann mal los
Könnte interessant werden.

Liebe Grüße
Rota
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Marcel
Hier etwas ähnliches:
ich kam auf dieses Thema vor Jahren, als bei einer Clusterauswertung der Begriff "Mangel an Selbstzucht" auftrat. Bei mir kam es dann zu Verwechslung mit Disziplin (züchtigen), und fand ich sei so diszipliniert-mehr ginge nicht mehr. Die Therapeutin wies mich dann darauf hin, dass Selbstzucht etwas ganz anderes sei als dass ich meine.
Selbstzucht ----die Zucht meines Selbst
wie bei Kaninchenzüchtern, mal schauen, wie sieht die Seite des Vaters und der Mutter aus - auch Grosseltern.
Von beiden Seiten mal die Eigenschaften aufschreiben positive und negative
und dann mal schauen was hat man von den Personen übernommen.
Und weiter wie reagierte ich auf bestimmte Verhaltensweisen, was hat mich geprägt.

LG KARDE
 
Hallo Marcel,

letzten Endes läuft diese Frage doch darauf hinaus: wie bekomme ich diese Prägungen wieder los? Wie finde ich meinen eigenen Weg? Wie integriere ich frühere Einflüsse?

Ich bin immer etwas skeptisch, ob die Suche nach den starken Einflüssen in der frühen Kindheit sich positiv auswirkt; denn wahrscheinlich wird eher nach den "schlechten" Einflüssen geschaut als nach den "guten". Die "guten" stören ja nicht sondern die werden gerne als eigene positive Eigenschaften angesehen und akzeptiert. Der Blick in die Vergangenheit kann dazu führen, immer wieder dort stecken zu bleiben statt lösungsorientiert in die Zukunft zu schauen.

Grüsse,
Oregano
 
Ja durchaus. Aber kann der Blick zurück nicht auch dazu führen, dass man einen Rucksack, den man immer mitschleppte, als diese erkennt und so abschnallen kann?

Ein guter Freund von mir hat kürzlich erkannt, dass er all die Jahre mit in das Leid seines Vaters mit eingetaucht ist (als würde dies dem Vater die Last erleichtern) und ihm dies sehr geschadet hat. Die Erkenntnis hat ihm sehr geholfen und ihn regelrecht befreit. Für seinen Vater hat sich dadurch nichts verändert, da er ohnehin nichts davon wusste.

Gruss, Marcel
 
Hallo Marcel

Aber kann der Blick zurück nicht auch dazu führen, dass man einen Rucksack, den man immer mitschleppte, als diesen erkennt und so abschnallen kann ?
Ich probiers jetzt mal mit einer leichteren Übung diesbezüglich

Mein Großvater, der Vaterstatt an mir vertreten hat damals nach dem Krieg hatte ein Problem mit einem Haar in der Suppe. Vielleicht trage ich deshalb schon fast mein ganzes Leben lang Kurzhaarfrisur. ;)

Wenn mir so etwas heute passiert, hebt es mich zwar genau so wie ihn damals, so daß ich gleich erbrechen möchte. :mad: Nehme aber das Haar raus und fertig.

Er aber hat einen großen Fall daraus gemacht und hat die ganze Familie verdächtigt, als würde sie ihm das absichtlich antun. :help::schlag::holzhack:

Da half keine Beteuerung, vonwegen, :keineahnung:

Ich will mal versuchen, ob ich diese Sache ad acta legen kann mit dem Vorsatz: Ein Haar in der Suppe ist kein Gift, sondern ein Versehen der Hausfrau und nichts worüber man sich aufregen braucht.

Mal sehen was daraus wird.

Liebe Grüße
Rota
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Rota

Die Frage, die sich beim Haar in der Suppe vielleicht auch stellt:
Könnte es mein eigenes sein?

Und die zweite Frage:
Wenn ein Obdachloser eine Suppe gereicht kriegt ... oder ein schwer angeschlagener Patient im Krankenhaus, wie schwerwiegend wird das Haar in der Suppe für ihn sein? ;)

Gruss, Marcel
 
Hallo Marcel

Die Frage, die sich beim Haar in der Suppe vielleicht auch stellt:
Könnte es mein eigenes sein?

Es kommt auf die Länge an. ;):D

Und die zweite Frage:
Wenn ein Obdachloser eine Suppe gereicht kriegt ... oder ein schwer angeschlagener Patient im Krankenhaus, wie schwerwiegend wird das Haar in der Suppe für ihn sein? ;)

Beim Obdachlosen kommt es vielleicht auch auf seinen Rucksack an. ;)

Beim schwer angeschlagenen Patienten kann es sein, daß er es gar nicht bemerkt. Einer Schwester die ihn füttert, wird es vielleicht sehr peinlich sein, weil es ja aus der eigenen KH-Küche kommt.

Aber nun mal vom Haar in der Suppe weg auf eine andere gräßliche Gewohnheit meines Großvaters, die mich heute noch ärgert wenn ich daran denke.

Es ist sehr oft passiert, daß ich von ihm wieder hinausgeschickt worden bin um mir nach der Toilette die Hände zu waschen. Ich habe mich aber geekelt vor dem Waschbecken. Er hat nämlich regelmäßig sein Wasser in den gußeisernen Ausguß abgeschlagen, weil er zu faul war auf die Toilette zu gehen. Dieser Guß hatte einen Messingwasserhahn und war unsere einzige Wasserversorgung in der Wohnung und darin wurden z.B. auch Kartoffeln und Salat gewaschen etc. :D Der Ärger meiner Großmutter war immer schon vorprogrammiert nach so einer unhygienischen Entgleisung.

Es tut mir leid, wenn ich hier solche Sachen ausbreite, aber wir wollten ja an alte Gefühle rangehen und eiene Lösung dafür suchen. Diese Erinnerung gehört auch zu meinen negativen Erinnerungen an die Gewohnheiten meines Großvaters. [/

Nachtrag: 22.23 Uhr

Ich habe jetzt einige Stunden über mich und meinen Unmut über Großvaters Verhalten nachgedacht und bin darauf gekommen, warum ich die Tatsache, daß ich durch eine falsche OP zur Hebung des Beckenbodens, bei der mir der Verschluß der Harnröhre zersrtört wurde, warum ich also diese Tatsache der folgenden dauerhaften Harn-Inkontinenz doch relativ gut verkrafte:

Meine Schwäche ist keine Bosheit, seine Charakterschwäche war es schon und bei diesem Vergleich schneide ich eindeutig gut ab.

Ich kann jetzt versöhnt ins Bett gehen.
:)

Gute Nacht allerseits

Rota
 
Zuletzt bearbeitet:
Weiter mit dem großvater:

Ich kann jetzt versöhnt ins Bett gehen.[/COLOR] :)

kaum war ich aufgewacht, ist mir der Vater meiner Mutter wieder im Kopf herumgespukt.

Er hat auch meine Einstellung zur Musik geprägt, was mir einen Geigenunterricht beschert hat, der ab meinem 5. Lebensjahr bis ich 14 war, täglich das Leben zur Qual gemacht hat.

Er hat mich wie ein Zirkuspferd trainiert und mich innerhalb von 4 Jahren bis zum Violinkonzert von Beethoven gedrillt. Daß ich heute in Erinnerung an diese Zeit regelmäßig innere Protestzustände gegen Üben erleide, kann sich sicher jeder vorstellen. Es ist auch der Grund, daß ich die Wünsche unserer Kinder und Enkel nach Musikunterricht nicht unterstützt habe und daß auch angefangene Versuche wieder verebbt sind.

Die Abneigung gilt aber nur fürs Üben. Die Liebe zu den Tönen habe ich schon verinnerlicht und das ist vielleicht doch etwas, was er mir geschenkt hat, jedenfalls kann ich mir ein Leben ohne Musik nicht vorstellen.

Nur mein Geschmack ist meilenweit von seinem entfernt. Er hat mich nie mit Mozart und Bach bekannt gemacht, das nehme ich ihm auch heute noch übel. Mit diesen beiden Komponisten und der Geschichte zu Mozarts Kindheit hätte er mir sicher eine große Freude gemacht. Jetzt mußte ich mir das eben selber schenken- und danach übte ich auch mit Hingabe.



Quäle nie ein Kind zum Instrument
war für mich eine meiner dringlichsten Vorgaben.

Im Bild sieht man mein erstes Geigerl, es war eine 1/4 Geige und das Meisterstück eines fränkischen Geigenbauers. Ich habe es heute noch und schau es manchmal an und spüre die Qual von damals körperlich wieder.

Rota
 

Anhänge

  • Bach 4.jpg
    Bach 4.jpg
    4.2 KB · Aufrufe: 3
  • Mein erstes Geigerl 1945.jpg
    Mein erstes Geigerl 1945.jpg
    494.5 KB · Aufrufe: 6
Fortsetzung zur Prägung

Meine Großmutter hat mich stark geprägt. Sie hat in mir das vorbereitet, was mich bis heute interessiert. Menschen,Tiere, Pflanzen, Kochen,

Die Geduld und Hingabe die sie an den Tag gelegt hat, wenn ich mal krank war, was äußerst selten passiert ist. Eher möchte ich sagen, daß sie gut darauf geachtet hat, daß ich gesund geblieben bin. Das war nicht leicht nach dem Krieg. Die hinreißenden Handarbeiten die sie gefertigt hat, die Stickereien, die Strickereien, Häkeleien, Die Küche und der Garten, die Kleider und Mäntel, sogar Hüte hat sie gezaubert. Das alles hat sie mir beigebracht und es hat mir gefallen, daß sie gut fand, was ich daraus gemacht habe.

Der Tag, an dem ich aus dem Großelternhaus weggehen mußte um zu meiner Mutter nach München zu ziehen, war soooo traurig für meine Großmutter und mich. Sie ist sogar krank geworden vor Sehnsucht nach mir. Als sie gestorben ist, war das als ich es erfuhr, als müßte die Welt stehen bleiben. Ich war in einem Schockzustand.

Vor ein paar Jahren, als mein Vetter mir einmal eine Bandaufnahme von einem Gespräch vorspielte das in fränkischer Mundart geführt wurde, wurde ich gefragt, ob ich wüßte wer da spricht. Meinen Großvater erkannte ich sofort, aber wer war die Frau mit der hohen piepsigen Stimme?

Es war meine Großmutter deren Stimme ich nicht mehr erkannte. Ich war schockiert. Ich habe tagelang nachgedacht, warum das so war. Dann erkannte ich, daß ich die Trauer um diesen geliebten Menschen tief in meinem Innern eingeschlossen hatte, damals vor 60 Jahren. So tief eingeschlossen, daß der Klang der Stimme erloschen war.

Vor kurzer Zeit hatte ich einen Traum: Ich traf meine Großmutter in einem Raum der sehr dunkel war, unvorbereitet. Ich wollte ihr gerade um den Hals fallen weil ich mich so gefreut habe ihr meine Tochter vorzustellen.
Sie wich vor mir zurück wie vor einem Geist, was mich sehr verletzte. Da schnappte ich mir mein Mädchen und drückte es ihr in den Arm, was sie ohne Protest geschehen ließ.

Das Gefühl, daß sie vor mir zurückgewichen ist, macht mich gerade wieder so traurig, daß mir die Tränen kommen.

Das genügt für heute.
Meine Großmutter hat sich mir für mein ganzes Leben eingeprägt und das was sie mir beigebracht hat hat mir auf meinem Lebensweg sehr genützt

Liebe Grüße
Rota
 

Anhänge

  • CIMG38071.jpg
    CIMG38071.jpg
    69.4 KB · Aufrufe: 26
Hallo Marcel,

es hat was, wenn man alte threads noch mal aufruft.
Jetzt hab ich Deinen Satz erst richtig verstanden.

[QUOTE Die Frage, die sich beim Haar in der Suppe vielleicht auch stellt:
Könnte es mein eigenes sein? [/QUOTE]

Da war er sicher der alte Mann, denn er hatte eine Glatze. :D

Gruß
Rota
 
Hallo Rota,

etwas scherzhaft: bei Haaren aus der Familie in der Suppe kann man sicher sein, das noch zu Hause gekocht wird. In der Fabrik kommen ganz andere Dinge rein.

LG K.
 
Ja, mein Freund Marcel, die Prägung, genau diese ist mein Spezialgebiet ein Leben lang schon.

Eines kann ich Dir mitteilen:

Der Mensch ist der Prägung unterworfen.

Es sind nur wenige Menschen, welche ihre eigenen Prägungen verstehen können, sich darüber hinaus frei davon machen können, durch harte Arbeit.

Die Frage stellt sich nun:

Was ist ein Mensch, welcher es schafft, seine eigene Prägung zu ergründen und dann, darüber hinaus, wie wird ein solcher Mensch dann sein Leben gestallten?

Selbst in der Befreihung der Prägung sind Einschränkungen vorhanden in der Freiheit, um zu Wirken, Wirken zu können.

Es existiert eine Innere Freiheit und eine Äußere Freiheit.

Ja, beide Freiheiten sind auch in Relation miteinander im Verbund.

Wenn die Prägung der Menschen die Freiheit beinhalten würde, dann würde die Menschheit nicht so in Sinnlosigkeit leiden müssen, durch ihre unfreihe Prägung.

Alles liebe Dir

Sternenstaub
 
Wie ich zum Angsthasen wurde

Als ich ein halbes Jahr alt war, zog mein Vater in den Krieg. Er kehrte nicht wieder zu uns zurück, weil er sich in eine andere Frau verliebt hatte. Ständig war Fliegeralarm und meine Mutter eilte mit uns Kindern und einigen Habseligkeiten in den Luftschutzbunker.
Als schließlich unser Zuhause in Flammen aufging und bis zu den Grundmauern niederbrannte - da war ich gerade ein Jahr alt. Meine Mutter wurde sehr krank und kam in eine Klinik. Wir Kinder wurden auf die Verwandtschaft verteilt und wohnten nun in einer fremden Stadt.

Ein dreiviertel Jahr später tauchten plötzlich unsere Eltern auf. Meine größere Schwester schrie: "Der böse Papa will uns holen." Die abgemagerte Mutter hatte sie gar nicht erkannt. Ich kroch zitternd unter ein Bett. Die Angst schlug mir auf die Blase. Ein Rinnsal verriet mich und mein Vater zog mich hervor. Ich fürchtete mich vor diesem starken fremden Mann (erzählten mir später meine größeren Geschwister).
Unser Vater kümmerte sich um das Notwendige. Wir hatten dann eine kleine Wohnung. Dann reiste er wieder ab.

In unserer Straße wohnte ein verwirrter Heimkehrer. Er saß den ganzen Tag vor dem Haus und sagte immer den gleichen Satz: "Alles kaputt - armes Deutschland." Manchmal schrie er diesen Satz heraus. Ich machte einen großen Bogen um ihn. Gegenüber wohnte eine arme alte Frau. Sie öffnete regelmäßig das Fenster und rief ihren Mann, der längst tot war. Einige Häuser weiter wohnte ein Mann, der sich in seiner Verzweiflung öfter mit Wodka betrank und immer lautstark sang:

Warte, warte nur ein Weilchen,
bald kommt Harmann auch zu dir,
mit dem kleinen Hackebeilchen
macht er Hackefleisch aus dir.
Aus den Augen macht er Sülze,
dann brüllste...

Ich klammerte mich immer voller Angst an meinen großen Bruder und war sehr erleichtert, als es diese Menschen nicht mehr gab. Da ging ich bereits in die erste Klasse. Ich war lange ein schüchternes Kind.

Die Jahre vergingen. Ab und zu erzählten meine größeren Geschwister etwas vom Vater. Ich konnte mir kein Bild von ihm machen. Fotos gab es nicht. Wir hatten ja alles verloren.
Schwester und Bruder zog es irgendwann wieder zurück in die alte Heimat. Kurz danach gab es die Zonengrenze.

Fortsetzung folgt - wir bekommen gerade Besuch.

LG Rawotina
 
Zuletzt bearbeitet:
Fortsetzung:

An der Zonengrenze wurde viel geschmuggelt. Alle hatten Hunger. Manchmal brachte uns jemand grüne Heringe mit. Die Erwachsenen erzählten sich, dass ein Mann wegen ein paar Lebensmittel erschlagen wurde, dass es einen Katzenschlachter im Ort gab und dass der Mörder Harmann Menschenfleisch in Dosen verkauft hätte. Bei all ihren Sorgen dachten sie wohl nicht darüber nach, was sie unseren kleinen Kinderseelen damit antaten. Ich hatte immer Angst, vor allem bei Dunkelheit. Noch mit 8 Jahren erstarrte ich, wenn mal eine Sirene heulte. Eine Tante bemerkte es und erklärte mir kindgerecht, dass mein Unterbewusstsein wohl schon im Säuglingsalter den Heulton als Gefahr gespeichert hätte und dass der Krieg vorbei sei und ich nichts mehr zu befürchten hätte. So nahm sie mir meine Angst.

Mit 11 Jahren fuhr ich dann ganz allein in Richtung Ruhrgebiet zu meinem Vater. Er hatte mich eingeladen, meine Ferien bei ihm zu verbringen. Damals wurde nicht viel Wind mit uns Kindern gemacht. Mein Onkel setzte mich mit einem "Fahrplan" in den Zug und meine Mutter rief mir nach: "Du hast doch einen Mund zum Fragen." Meine schwarz-weiße Strickjacke war das Erkennungszeichen. Ich kannte ja meinen Vater nicht, bin aber gut angekommen. So entwickelte sich allmählich mein Selbstbewusstsein.

LG Rawotina
 
Fortsetzung

Später wurde ich eine Polizistin und dazu fällt mir etwas Spaßiges ein.
Unsere Kinder - damals 5, 7 und 8 Jahre alt - waren richtig stolz auf mich. "Mutti, nun kannst du uns immer und überall beschützen." Ich nickte und erzählte ihnen kindgerecht, wie sie sich in bestimmten Situationen verhalten sollen und was eine Ordnungswidrigkeit ist. Sie hörten aufmerksam zu.
"Passt also immer schön auf", sagte ich.

Eines Abends lief mir unsere Jüngste entgegen. Sie hatte eine Ordnungswiderlichkeit entdeckt.
"Mutti, bei uns am Straßenschild hängt etwas ... ähm ... sowas hast du auch ... na, son Busenbehälter."

Darüber schmunzeln wir noch heute. Somit hat nicht nur das Elternhaus, sondern auch mein Beruf unsere Kinder geprägt. Sie sind bisher sehr aufmerksam und ordentlich durchs Leben gegangen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo,

"am meisten geprägt, negativ . . ."?

Relativ leicht erzählbar jedenfalls: "Vati". Er war ein Ultra-Nazi. Stolz darauf, daß er mit seinen Kumpanen ca. 1935 illegal über die tschechische Grenze ging und dort Rundfunksender u.dgl. sprengte. Ich erinnere ihn in glänzender Offiziersuniform, hinter ihm funkelnde deutsche Panzer. Den Hitlergruß, wenn er sein Dienstzimmer betrat. Er plante, nach dem "Endsieg" im "Osten" zu "siedeln", alternativ in "Deutsch Südwestafrika". Meine Mutter schlug und vergewaltigte er. (Hellhöriges Haus.) Meinen Bruder und mich prügelte er auch auch, sadistisch. Sexueller Mißbrauch nur noch sehr vag in Erinnerung, aber eindeutig. Von Mutti toleriert. Er war extrem mit "dem Führer" identifiziert. "Wer nicht für mich ist, ist gegen mich!" Ich hatte Alpträume von KZs (von denen später natürlich nie jemand gewußt hatte). Ich fantasierte insgeheim, ich sei ein vertauschtes Kind und eigentlich Jude. Ich fand Männer mit angeblich "jüdischen" Gesichtern, Nasen anziehend. "Vati" sagte, ich sei "koa richtiga Bua" oder "a Zeltn", schwer zu übersetzen; "Weichei" gab es damals noch nicht. Das hätte "Woachoa" g'hoaßn.

Was "Vati" jahrelang "im Osten" gemacht hat, hab ich nicht herausgefunden. Im Suff erzählte er Entsetzliches, ganz cool, aber nicht erkennbar, was davon wahr, was Größenfantasie war. Er hatte die Chuzpe, fast immer in der Etappe zu sein, als Nachrichtentechniker. Bei der "Entnazifizierung" wurde er als "Entlasteter" eingestuft, was garnichts bedeutete, aber er bekam seine Stelle wieder. Ich erinnere die Verkündung der Urteile in den Kriegsverbrecherprozessen im Rundfunk. "Vati": "Generäle hängt man nicht!"

"Vati" zeigte mir nach dem Krieg das Konzentrationslager Flossenbürg, damit ich sehe, wie unverschämt die Propaganda der Alliierten arbeite. Dort wurden die Gefangenen in einer Felswand (Steinbruch) zu Tode geschunden. Allein der Anblick. Wer zusammenbrach, wurde erschossen. Sein Kommentar: "6 Millionen Juden, eine unverschämte Verleumdung. Und wenn's stimmt . . . . . . waren's zu wenig." Sowas "prägt" sich ein.

Ich fürchtete, ihm ähnlich zu werden. Betrachtete mein Spiegelbild: die Ähnlichkeit war unübersehbar. Das Thema begleitete mich: wenn ich Jahrzehnte später in meine Heimatstadt kam und mich irgendwo jemand ansprach: "Jo san eppa Sie da Sohn vo der Frau X. Sie schaung ihr aso ähnli." Dann war ich glücklich: jedenfalls nicht Vati ähnlich. Auch wollte ich kein Mann sein, ganz explizit nicht. Andererseits war ich gar nicht schwul - dann hat man schon Probleme, vielerlei. Als wir Kinder hatten, erklärte ich mit voller Überzeugung und (jedenfalls mich) überzeugenden Gründen, Väter seien eine bloß biologische Notwendigkeit, ansonsten überflüssig; ich wolle eine gute Zweitmutter und ein guter Kumpel sein. War ich dann auch - aber nicht ganz das, was Jungen wollen und brauchen. (Sie haben chronische Schwierigkeiten mit Vorgesetzten, mit Ordnungen.)

Mit wahnsinniger Anstrengung bekam ich ein ungewöhnliches Stipendium: Ich konnte unabhängig von "Vati" studieren. Sieben Jahre lang. Ich studierte zunächst katholische Theologie. Er war ja zynischer Anti-Christ. Außerdem wollte ich herausfinden, was der Sinn des Lebens sei. Wollte Priester werden. Meine erste Freundin brachte mich sanft von dieser Idee ab. - Die immerwährende Suche nach einem Vater. Ein weiser Onkel, ein Deutschlehrer (Flötist, ich begleitete ihn auf dem Cembalo; er war schwul, beging Selbstmord, als das aufkam), ein älterer Freund, zwei Psychotherapeuten. Viel später Erich Fried, mit dem sogar Kontakt zustande kam: Dichter, Jude, Rebell (was wollte ich mehr) - und ein sehr lieber Mensch. Später mein Mentor als Psychotherapie-Anfänger; ein Schüler von Graf Dürckheim. Meine Verehrung für, Liebe zu Max Frisch; beinah wäre ich ihm ratsuchend im Tessin ins Haus gefallen. (Zum Glück hab ich's nicht getan.) Recht gut gewählt eigentlich.

Schließlich bekamen mein Bruder und ich meine (katholische) Mutter dazu sich von ihm zu trennen. (Es gab natürlich niemals Gäste bei uns.) Durch einen Trick schmälerte er ihre Rente erheblich. Sie blühte nochmal auf, für lange Jahre.

Nach einem Streit bei einem Besuch zuhause schrie ich ihn an "Du Tyrann!" Er ging mit einem schweren Kerzenleuchter auf mich los, ich fürchtete seine körperliche Überlegenheit und floh. Im Treppenhaus fiel mir ein, daß die Haustür zu diesen Zeit abgeschlossen war; so sprang ich aus dem Fenster, 1. Stock. Mein letzter Besuch dort.

Nach dem "Zusammenbruch" 45 sah er keinen Sinn mehr in seinem Leben. Er rauchte Ketten, fraß sich fett, soff (bevorzugt Cinzano), bewegte sich nicht. Zeitweilig war er psychiatrisch hospitalisiert wegen Depression, was geheimgehalten wurde; ich erfuhr erst nach seinem Tod davon. (Im Rahmen meiner generellen Hypochondrie entwickelte ich heftige Psychosenfurcht.) Er wolle sehr schnell sterben, ohne etwas zu merken. Mit 62 der ersten Herzinfarkt, mit 65 der gewünschte Sekundenherztod.

Für mich war 45 nicht Zusammenbruch sondern Befreiung. Ich war begeistert von den Amerikanern, die leger in ihren Jeeps lümmelten und Kaugummi verteilten. Suchte vergeblich Kontakt mit ihnen. Meine schrankenlose Begeisterung, als ich in der Schule vom Grundgesetz hörte. Dessen Artikel waren wie Musik. Jetzt war "Vati" endgültig entmachtet. Die Würde des Menschen. Die verschiedenen Freiheiten. Die Sensation, Revolution: die Urteile des Bundesverfassungsgerichts "binden alle Verfassungsorgane als unmittelbar geltendes Recht". Linke Gruppen, außerparlamentarische Opposition, Anti-AKW-Bewegung (Brockdorf), gegen "Nachrüstung", Mitbegründer der Grünen, Mitarbeit bei Organisationen gegen sexuelle Gewalt und weibliche Genitalverstümmlung.

Später: sehr viel "platonische" Liebe. Vielleicht etwas zu viel. Ich nahm "als Hobby" Schauspielunterricht, übte bevorzugt Frauenrollen. (Ophelia, die Glanzrolle; als ich sie zum ersten Mal wählte, meinte der Lehrer, das habe er sich gedacht.) Ich nannte mich einen "Feministen", unternahm Einiges in diesem Zusammenhang. (Mann wurde in diesen Gruppen eher mißtrauisch beäugt.) Etliche Univeranstaltungen mit überwiegend weiblichem Akzent (Sexuelle Gewalt, berufliche Diskriminierung, Androgynie etc.)

Sorry: nicht ordentlich in chronologischer Reihenfolge erzählt. Das Gedächtnis funktioniert nicht ganz linear; es hat anscheinend Knoten.

Also, im Grund das meiste negativ. Aber manches mit positiven "Nebenwirkungen". Dennoch bleiben ein Ungenügen, eine Trauer.

Mitgefühl mit meinem Vater konnte ich erst lang nach seinem Tod entwickeln. Nach langem buddhistischen Training. Er hat nie gelernt, was Lieben, was Zärtlichkeit sein könnten. Er hatte in dieser harten Männerwelt keine Möglichkeit, dies zu lernen. (Seine Stiefmutter völlig unterwürfig, wie abwesend; sein Vater vertrocknet, mit einer Stimme ähnlich der des Raben, der stets auf seiner Schulter saß.) "Es sind Menschen, für die es einen richtigen Weg nicht gibt" (Thomas Mann). Wenn ich an ihn denke, liegt mir die Idee von Reinkarnation nahe: Er sollte noch eine Chance haben. (Bei Max Frisch gibt es eine längere "Liste der Dankbarkeiten", darunter lapidar "Der frühe Tod des Vaters". nein, das wär für mich nicht alles.)

Was noch schwieriger (zu schwierig für mich) zu erzählen wäre: die zwei Menschen die ebenso (oder noch stärker) "prägend" waren: meine Mutter (eine ganz andere Welt). Und mein buddhistischer Lehrer, Meister, Guru (von jenseits der "Welt", deshalb in ihrer Mitte.) Genauer: letzterer hat die früheren "Prägungen" respektiert und verwandelt. Er war ein Liebender.

"Thank you for your attention", würde man in Amiland sagen.

Schönen Abend
wünscht
Windpferd
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Schlimmer Vater - kein Wunder, dass Du ein Feminist sein wolltest.

Danke für diesen Bericht, liebes Windpferd.

LG Rawotina
 
Liebes Windpferd:)

Es erschüttert mich,wie schlimm ihr unter euren Vater gelitten habt und umso mehr freut es mich zu lesen,dass deine Mutti noch einige frohe Jahre hatte und auch du deinen Weg gefunden hast.
An deinen Beiträgen erkennt man das Spezielle und,dass du auf keinen Fall ein Weichei bist.

Ich wünsche dir von Herzen alles Gute.

Mich prägte auch meine Kindheit.
Mein Vati muss schlimmes im Krieg und in der Gefangenschaft erlebt haben,denn er war in den ersten Jahren danach sehr verschlosen und gefühlskalt.
Für meine Mutti,meinem älteren Bruder und später auch für uns,waren es harte Jahre.
Wir waren sehr arm und ich kenne Hunger ,aber auch den Zusammenhalt unter den Geschwistern.
Meine Mutti war in meinen Augen immer stark und doch oft verzweifelt.
Als meine Schwester geboren wurde veränderte sich mein Vati sehr,er wurde weicher und es kam etwas Ruhe und Harmonie in unsere Familie.
Mich prägte diese Zeit nachhaltig und ich vergesse nicht die Not in der wir uns oft befanden und ,dass uns oft die Sicherheit,Geborgenheit und das Vertrauen in uns fehlte.
Immer wollte ich mit Kindern arbeiten,um mit ihnen zu lachen und ihnen zu helfen glücklich groß zu werden und das ist mir gelungen ,auch bei meinen Kindern.

Liebe Grüße von Wildaster
 
Zuletzt bearbeitet:
Oben