Alt werden, alt sein

Beim Schlafengehen​
Nun da der Tag mich müd' gemacht,
soll mein sehnliches Verlangen
freundlich die gestirnte Nacht
wie ein müdes Kind empfangen.

Hände, laßt von allem Tun,
Stirn, vergiß du alles Denken,
alle meine Sinne nun
wollen sich in Schlummer senken.

Und die Seele unbewacht
will in freien Flügen schweben,
um im Zauberkreis der Nacht
tief und tausendfach zu leben.
(Text von Hermann Hesse (1877 - 1962). Musik von Richard Strauss (1864 - 1949), 1948. Das dritte der "Vier letzten Lieder", jedoch als letztes komponiert. Beste Einspielung: Gundula Janowitz, Berliner Philharmoniker, Herbert von Karajan, auf youtube).

Ach, wenn ich Euch dies aufschreib, komm ich mir sehr alt vor. Aus einer Welt, die's nicht mehr gibt. Und jung zugleich. Aus einer jüngeren Welt?

Gute Nacht!
Windi
 
GROSSMUTTER UND ENKEL

»Ferne ist dein Sinn, dein Fuß
Nur in meiner Tür!«
Woher weißt du's gleich beim Gruß?
»Kind, weil ich es spür.«

Was? »Wie Sie aus süßer Ruh
Süß durch dich erschrickt.« —
Sonderbar, wie Sie hast du
Vor dich hingenickt.

»Einst ...« Nein: jetzt im Augenblick!
Mich beglückt der Schein –
»Kind, was haucht dein Wort und Blick
Jetzt in mich hinein?

Meine Mädchenzeit voll Glanz
Mit verstohlnem Hauch
Öffnet mir die Seele ganz!«
Ja, ich spür es auch:

Und ich bin bei dir und bin
Wie auf fremdem Stern:
Ihr und dir mit wachem Sinn
Schwankend nah und fern!

»Als ich dem Großvater dein
Mich fürs Leben gab,
Trat ich so verwirrt nicht ein
Wie nun in mein Grab.«

Grab? Was redest du von dem?
Das ist weit von dir!
Sitzest plaudernd und bequem
Mit dem Enkel hier,

Deine Augen frisch und reg
Deine Wangen hell –
»Flog nicht übern kleinen Weg
Etwas schwarz und schnell?«

Etwas ist, das wie ein Traum
Mich Verliebten hält.
Wie der enge, schwüle Raum
Seltsam mich umstellt!

»Fühlst du, was jetzt mich umblitzt
Und mein stockend Herz?
Wenn du bei dem Mädchen sitzt,
Unter Kuß und Scherz,

Fühl es fort und denk an mich,
Aber ohne Graun:
Denk, wie ich im Sterben glich
Jungen, jungen Fraun.«
(Hugo von Hofmannsthal
[1874 - 1926], 1899)​
 
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Hallo Windpferd,

doch, ich hatte den Beitrag #91 auch gelesen, dazu genickt und gedacht: besser kann man das kaum formulieren :fans:.

Und es fielen mir einige Threads ein, in denen genau diese "Definition" von "Definition" sehr hilfreich sein könnte, um einen gelassenen Ton zu ermöglichen.

Danke und Grüsse,
Oregano
 
Guten Morgen Windpferd

#91: Natürlich darfst Du meine Texte verbessern, verlängern, was auch immer . . . Das ehrt und freut mich.

Schön, daß Du es so nimmst. Verbessern wollte ich aber nicht, sie sind nämlich perfekt.

Endlich hab ich eine Lektorin!

:idee: Das könnten wir ja gegenseitig tun, na wie wärs? ;)

In diesem Fall erheitert es mich: Ich hatte extra so komprimiert geschrieben, damit der Beitrag nicht so viel Raum einnehme. Du hast ihn ca. auf das Doppelte gestreckt.

Das habe ich hoffentlich mit meinem einsam stehenden Bussi an Oregano wieder hereingeholt ;)

Aber gelesen hat ihn sowieso niemand außer Dir :traurig: Vielleicht war er zu "maskulin"?] Vielleicht sollte ich lieber auf ein weibliches Pseudonym wechseln?
Bloß nicht, es fehlen, was die Teilnehmerzahl angeht, sowieso Männer.
Könnte es sein, daß Männer nicht alt werde, noch weniger alt sind?
Oder wollen sie nur einfach nicht über sich "nachdenken"?

Ich bin mit der Verarbeitung Deines, (von mir gedehnten) Beitrages immer noch beschäftigt, er ist so reichhaltig an Gedanken die mich beschäftigen

Liebe Grüße
Margot
 
Hallo Ihr Lieben,

ich finde diesen Thread wohltuend. Niemand feindet niemand an. Eher im Gegenteil. Sogar meine chronische Pieksigkeit ist fast verschwunden. Ob das mit dem Thema zu tun hat?

Dazu eine Erinnerung. Eine Freundin pflegte ihre krebskranke Mutter über mehrere Wochen in ihrer Wohnung bis zu ihrem Tod. Eine sehr mürrische, undankbare Frau. Ich war gelegentlich dort, half ein wenig. (Ich war tief erschrocken, als ich die Kranke zum ersten Mal hob: fast nichts mehr übrig von diesem Menschen.)

Sie starb relativ schnell. (Ich war nicht dort.) Die Freundin erzählte mir, danach, weinend vor Glück: allein der letzte Tag mit ihrer Mutter habe die ganze Mühe, alles gelohnt. Sie sei "ganz anders" geworden, so weich, zugänglich, "da", wie sie sich die Mutter seit ihrer Kindheit gewünscht hatte. Und wie sie nie war.

Alles Liebe,
Windpferd
 
Hallo Windpferd,


ich finde diesen Thread wohltuend. Niemand feindet niemand an. Eher im Gegenteil. Sogar meine chronische Pieksigkeit ist fast verschwunden. Ob das mit dem Thema zu tun hat?

Ist das nicht so ähnlich wie damals, als wir noch Kinder waren?
Zu Hause waren wir krätzig ohne Ende, aber wenn wir wo zu Besuch waren, glänzten wir vor Anstand und führten uns tadellos auf. ;)
Ich betrachte mich hier, als "zu Besuch" und deshalb bemühe ich mich.
Dich finde ich überaus angenehm als Austauschpartner.


Ist das nicht auch ein Thema:

Der Knigge.

Es gibt nicht vieles das mich mehr bewegt, als wenn mir ein über 90jähriger Freund die Hand küßt.

Meine liebe 95 jährige Nachbarin die wir hin und wieder zum Kaffee einladen macht etwas, das ich anfangs nicht leiden konnte, jetzt amüsiert es mich mehr, weil ich immer denke, irgend wann wird sie sich einmal irren und dann ist sie wirklich alt geworden.

Sie tritt an die gedeckte Kaffeetafel, läßt ihren Blick darüber schweifen und fängt an das Dekor der Teller und Tassen so hinzurichten, daß der Davorsitzende ein perfektes Bild erhält.

Mein Mann nimmt ihr formvollendet den Mantel ab, rückt ihr den Stuhl zurecht und fragt sie anständig ob sie so gut sitzen kann. Das waren noch Zeiten, als das üblich war.

Heute muß ich schauen, wenn mein langgewachsener Enkel hereinkommt, daß ich schnell meinen angestammten Platz einnehme, sonst fletzt er sich drauf und das hasse ich.

Obwohl ich mich redlich bemüht habe, unseren Kindern Benimmt beizubringen, hörte ich immer wieder, Ach Mama, das ist doch total out, nicht mehr angesagt.

Ich schenke der Famile mal ein neu aufgelegtes Benimmbuch. Ich habe gehört, daß in manchen Schulen sogar wieder Wahlfächer gegeben werden, in denen die
"Gute Erziehung" geübt wird. Mal sehen, was daraus wird.

Allein, daß ich mich jetzt über dieses Thema so ausbreite zeigt schon, daß ich selber einige Jahre auf dem Buckel hab.:D :greis:

Liebe Grüße
Margot
 

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Hallo Windpferd,

..... Eine sehr mürrische, undankbare Frau
.

Diese Lebenshaltung zerfrißt nicht nur die Beziehung in Familien, sondern auch die selbst, die andere dauernd kränken.

.....fast nichts mehr übrig von diesem Menschen.

Die innere Weisheit in den Menschen, die man manchmal in der Todesnähe erlebt, beruhigt mich immer wieder, vielleicht habe ich auch das Glück, einmal wirklich loslassen zu können wenn ich sterbe.

Die Freundin erzählte mir, danach, weinend vor Glück: allein der letzte Tag mit ihrer Mutter habe die ganze Mühe, alles gelohnt. Sie sei "ganz anders" geworden, so weich, zugänglich, "da", wie sie sich die Mutter seit ihrer Kindheit gewünscht hatte. Und wie sie nie war.

Die Mutter einer Freundin wollte eines Tages ins Heim, ohne vorher darüber jemals gesprochen zu haben. Sie war dort genau eine Woche. Sie erledigte alle wichtigen formalen Sachen, Testament, Bankangelegenheit, sogar ihre Beerdigung konzipierte sie. Die zwei Kinder waren etwas irritiert, weil sie sonst eigentlich eher keinen so großen Wert auf Ordnung gelegt hatte.
An einem Tag dann hatte sie alle Enkel und Urenkel zu sich eingeladen um sie zu sehen. Dann wollte sie, daß alle vor die Türe gehen, damit die Schwester etwas machen kann, wozu sie keinen Besuch brauchen könne.
10 Minuten später trat die Pflegerin vor das Zimmer und sagte, "Ihre Mutter ist gerade für immer eingeschlafen, sie wollte nicht, daß ich Sie rufe, es täte ihr schrecklich leid, aber sie wolle keine Notfallmaßnahmen.

So eine Kraft in der Stunde der größten Schwäche. Beneidenswert!!

Liebe Grüße
Margot
 
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... JA! - Und was für ein Glück, in einer solchen Stunde eine solche Schwester bei sich zu haben...

Grüsse,
Oregano
 
JA! - Und was für ein Glück, in einer solchen Stunde eine solche Schwester bei sich zu haben...

Ich habe noch einmal nachgefragt, ob es sich dabei um Sterbehilfe, oder Sterbebegleitung gehandelt hat, das war mir noch wichtig zu klären.


Abgesehen davon, daß diese wunderbare Pflegerin die Hand der Frau gehalten hat und danach das Fenster geöffnet, hat sie nichts getan. Es hat sich bis zur letzten Minute um ein eigenverantwortliches Tun gehandelt. Der Weg wurde begangen und bis über die Grenze hinaus vollzogen.


Siehst Du den Mond dort steh'n
er ist nur halb zu seh'n
und ist doch rund und schön.

So sind gar manche Sachen,
die wir getrost belachen,
weil unsere Augen sie nicht sehn'

Math. Claudius

Liebe Grüße
Margot
 
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Liebe Mitdenker, ich meine Menschen, nicht Mann oder Frau ;)

Jetzt sind wir unversehens auf die Schiene gekommen, wie der letzte Weg statt findet. Wir wollten uns aber über "Alt werden, alt sein" austauschen. Ich würde gerne dahin zurückkehren und freue mich auf weitere Beiträge dazu.

Mir sind noch einige Bilder gelungen, die ich anhängen möchte.

Daß ich zunehmend älter werde, auch im Hinblick auf meine ursprünglichen Fähigkeiten, bemerke ich ständig, wenn ich mein Instrument zur Hand nehme. Immer öfter kann ich die Griffe, die zum Stimmen verwendet werden nicht mehr richtig halten. mir fällt der Bogen aus der Hand, wenn ich an einem Tag mit meinen Gelenken zu tun habe, ich quäle mich mit meiner Stimme, wenn ich einen Ton singen will, der genau so klingen soll, wie der, den ich gerade im Kopf habe und spielen möchte. Meine Stimmbänder sind immer öfter verschleimt, da kann ich gurgeln so viel ich will, es verdirbt mir die Freude an den Liedern, die ich früher so gerne gesungen habe.

Wir haben auch noch nicht über die Pflege gesprochen, es wird immer schwerer, einen gewissen Standard aufrecht zu halten, bei dem ich mich wohl fühle. Alles dauert länger und wird von vielen Ungeschicklichkeiten unterbrochen.

Ich wußte schon, daß man sich im Alter ab einem gewissen Punkt helfen lassen muß, aber es gibt einfach Verrichtungen, die man selber machen möchte und die abzugeben einen riesigen Einschnitt in das Selbstwertgefühl bedeuten würden.

Jetzt mache ich aber was lustiges und schau mir ein Video an, auf dem Katzen spielen, dann werde ich wieder froh.

Liebe Grüße
Margot
 

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Das Thema gepflegt werden, Hilfe brauchen berührt mich.

Vor ziemlich genau einem Jahr ist meine Mutter ins Altersheim gekommen. Mittlerweile hat sie ziemlich geistig abgebaut. Sie erkennt mich noch, weiss aber nicht mehr immer, wo sie ist, ruft mich dann auch an. Sie erzählt dann zum Beispiel, dass sie irgendwo ist, dass sie weiss, dass sie schon mal da war. Sie bittet mich zu kommen, denn es sei ihr nicht wohl.

Ich bitte sie dann mal aufs Klo zu gehen, um heraus zu finden, ob sie sich dann wieder auskennt. Plötzlich sagt sie dann: Meinst du es hat eines hier? Klar denke ich das und ermutige sie mal die Tür zu öffnen. - Ganz plötzlich dann ein neuer Gedanke von ihr: Klar, die Pflege muss mir ja noch die Medikamente bringen. - Und es ist ok.

Es gibt viele solche Geschichten, sehr viele. - Und ich spüre, wie schwierig es ist für meine Mutter. Sie spürt grosse Angst, dann geht es ihr auch wieder besser. Ich weiss, es ist die Zeit, bis sie ganz verwirrt ist - und nicht mehr im Hier und Jetzt. Dann geht es den meisten von Demenz betroffenen Menschen besser.

Manchmal macht es mir Angst vor meinem eigenen Älterwerden und auf eine Weise von anderen Menschen abhängig werden, das vielleicht auch diese an die Grenzen bringt. Meine Mutter wird eigentlich nicht aggressiv, vielleicht manchmal etwas anstrengend. Die Pflege im Heim habe ich bis jetzt ausschliesslich liebevoll erlebt. - Aber es ist klar, es gibt in Altersheimen auch Grenzsituationen, Verschiedenes.

Meine Mutter wirkt auf mich auch sehr einsam. Denn Gespräche sind nicht möglich oder fast nicht, weil sie den Faden verliert und den Inhalt des vorigen Satzes vergisst. Wir können miteinander einen schönen Ausflug machen im milden, schönen, bunten Herbst. Gemeinsam bewundern wir dann die warmen Farben der Wiesen und Bäume, auch die letzten Kühe die noch auf der Weise sind, die schönen Stimmungen in Richtung der Berge. - Ist sie wieder 5 min im Heim, ist alles vergessen. - In mir selber habe ich die schönen Bilder und unseren Austausch noch.

Als neue Qualität für mich haben die Begegnungen mit meiner Mutter Ruhe und stille Zeiten gebracht, auch "keine Ansprüche an sie und unsere Beziehung haben" und "ganz im Hier und Jetzt geniessen". Trotzdem macht mir der Gedanke an eine Zeit im Alters- oder Pflegeheim Angst.

Liebe Grüsse, fauna

PS. Was ich schade finde in diesem Heim: Es hat keine Katzen. Die würden bestimmt viel Freude bringen.
 
Liebe Fauna,

Die Konfrontation mit dem Abbau der geistigen Kräfte einer Mutter, macht große Angst. Das habe ich auch feststellen müssen, als meine Mutter mit 85 ins Heim kam. Sie wollte sich um nichts in der Welt von mir helfen lassen,es war sogar so, daß sie, wenn wir sie abgeholt haben, schon geschniegelt und gebügelt auf der Straße stand. Hütchen, Handschuhe, Schal, Schuhe, alles Ton in Ton wie es halt so war in ihren jugnen Jahren.
Monatelang kamen wir nicht in ihre Wohnung, auch ehemalige Freunde nicht, sie stand einfach schon draußen und keiner merkte, wie verwahrlost alles schon war. Bis sie eines Tages zusammenbrach und 3 Tage lang nicht mehr hoch kam vom Boden, auch nicht, um zu telefonieren, das hing nämlich schon immer in stirnhöhe an der Wand. Keiner war in der Lage, ihr nahe zubringen, daß es vielleicht einmal nötig wäre, das Gerät unten bedienen zu müssen.
Ein Notfallsenderchen um den Hals lehnte sie auch ab, das Ansinnen trug mir sogar ein volles Jahr "Funkpause" ein.
So war sie immer schon, eigenverantwortlich und energisch, trotzig und auch oft nicht zu verstehen.

Vor ziemlich genau einem Jahr ist meine Mutter ins Altersheim gekommen. Mittlerweile hat sie ziemlich geistig abgebaut.

Auch das habe ich erlebt und gehandelt.
Das Bett, in dem sie lag war umstellt von elektromagnetischen Geräten. Alles, was man sich vorstellen konnte war in Kopfnähe. Wochenlang schob ich ihr Bett immer wieder von der Wand weg, auf dessen anderer Seite das Fernsehgerät der Nachbarin stand. Es war zum Verzweifeln, immer wieder stand das Bett in der Ecke. Es half kein Gespräch mit den Pflegern, weil sie dauern gewechselt haben und die Putzkolonne auch.
Die Gehirnaktivität ließ zusehens nach und die Medikamente, die sie bekam waren von 3 verschiedenen Ärzten, die sich nicht einmal kannten, geschweige denn abgesprochen hatten, ob das was die Mutter bekommt, denn nicht als nicht verträglich gelten müßte. Bis sie einen kleinen Herzinfarkt hatte und ins Krankenhaus kam. Dort spürte ich schnell, daß sie ihrem Ende zuging. Sie erkannte mich nicht mehr und sprach mich mit Sie an und wer ich denn wäre.
Eines Tages kam ich und küßte sie auf die Stirn, da bekam ich einen Blick, der hätte töten können, begleitet von den Worten: "Ach Du schon wieder". Da erkannte ich, daß meine Mutter die Tatsache, daß ich uneingeladen ihr Leben betreten hatte als ich geboren wurde und sie ein Leben lang meine Existenz nicht mehr aus der Welt gebracht hatte, daß sie eigentlich mit mir nie zusammengewachsen war.
Das tut weh, auch heute noch und ich wünsche mir, daß mein Gehirn so lange frisch bleibt, bis ich verstehen kann, wie das alles gekommen ist.
Momentan schreibe ich an meiner Biografie. Mal sehen was da herauskommt dabei. Auch eine Alterserscheinung!


Meine Mutter wirkt auf mich auch sehr einsam.

Sie möchte vielleicht auf einer anderen Region ihres Gehirns abgeholt werden. Eines, das Du noch herausfinden könntest. Musik, Geschichten, Bilder, etwas, das sie vielleicht nie erzählt hat. Ein Geheimnis, das sie sonst mitnimmt, ohne daß sie es Dir erzählen durfte.

Als neue Qualität für mich haben die Begegnungen mit meiner Mutter Ruhe und stille Zeiten gebracht, auch "keine Ansprüche an sie und unsere Beziehung haben" und "ganz im Hier und Jetzt geniessen".

Ja, das ist sicher schön für Dich. Ich wünsche Dir, daß Du das noch länger genießen darfst. Aber gräme Dich nicht zu sehr, wenn es schlechter wird. Das ist der Gang dieser Altersdemenz. Viel zu oft wird von Alzheimer gesprochen, selten ist es wirklich diese gut beschriebene Krankheit, die Dr. Alzheimer geschildert hat. Es wird gute und weniger gute Zeiten geben. Wichtig ist, daß Du es gerne tust, Deine Mutter zu begleiten.

Liebe Grüße
Margot

PS. Was ich schade finde in diesem Heim: Es hat keine Katzen. Die würden bestimmt viel Freude bringen.[/QUOTE]
 
Guten Morgen Fauna,

ich weiß, wovon Du schreibst. Meine Mutter ist vor drei Jahren gestorben, mit 98, die letzten 2 Jahre schwer Alzheimer. Es gibt keinen Trost, so sehr Menschen ihn in derartigen Situationen bräuchten. Meine Mutter wußte ungefähr, was auf sie zukam und hatte Angst: "Moanst i wer a ganz bled?" Telefonieren mochte sie nicht mehr. "Komm lieber her!" Dann die langen Suchaktionen nach Brille und Zahnprothesen. Wenn sie etwas nicht fand, meinte sie, ihre Nachbarin würde sie bestehlen. Die Prothesen fanden sich manchmal unter den Strümpfen; da hatte sie sie versteckt. Anfangs half Musik, die sie geliebt hatte, Brahms, Beethoven; sie dirigierte dann mit. Die "Gespräche" immer mehr wie mit einem Kleinkind, langsam, mit Wiederholungen, leise. Über weit zurückliegende gemeinsame Erinnerungen. Auch über Gegenwärtiges, den Blumenstrauß auf ihrem Nachttisch. Märchenhafte Ausgestaltungen (kleine Engel, die sich in den Blüten versteckten und auf sie aufpaßten usw.) Zeitweise (eher am Anfang) hatte sie religiöse Ängste, sie habe kein gutes Leben geführt, werde vieleicht verdammt. Ich zählte ihr langsam die vielen Gegenbeweise auf, von denen ich wußte; das schien sie zu trösten. Sie war eine fromme Katholikin; ich sprach ganz langsam einfache Gebete. Meistens ihre Hand haltend (Streicheln war manchmal schon zuviel), die Hand auf ihrem Kopf. Sie wurde immer unerreichbarer. Ich stellte mir vor, Ihre Seele, das "Seelenfünkchen", versteckt im verfallenden Körper, höre mich noch. Sie starb dann schnell; Herzversagen.

Jetzt scheinen mir meine letzten Besuche bei ihr - bei denen überhaupt nichts mehr zu geschehen schien - von unschätzbarem Wert. Ich lebte 400 km entfernt - aber trotzdem hätte ich öfter kommen konnen, kommen sollen. Auch, beschämend zu sagen, mein Grauen vor diesem Verfall ließ mich Ausreden finden.

Und meine eigene Angst vor Alzheimer. Schon vor Jahren, als ich mich in die Behandlung des bedeutenden Umweltarztes begab, sagte ich ihm als Erstes, ich wolle M.A. vermeiden. Vor ein paar Tagen erhielt ich den Befund einer (aus anderen Gründen veranlaßten) Liquoruntersuchung, bei der ich aber die M.A.-Marker hatte mitbestimmen lassen: Nein, die Werte seien weit entfernt von den Grenzwerten; nichts zeichne sich ab. Meine Freude kam mir etwas kindlich vor; ich hatte ein Riesengeschenk bekommen.

Zwei lesenswerte Bücher über den berühmten Walter Jens (der, so hörte ich, gegenwärtig, völlig dement aber heiter, von einer Bäuerin gepflegt wird, da die Familie es nicht mehr schafft: Tilman Jens (der Sohn): "Demenz. Abschied von meinem Vater" und Inge Jens (die Ehefrau): "Unvollständige Erinnerung".

Mit tiefer Anteilnahme,
Windpferd
 
Guten Morgen Margot,

"uneingeladen" geboren zu werden, ist eine unvorstellbare Belastung. Die man irgendwie "bewältigen" kann, die man aber kaum mehr los wird. Ich weiß es von einer Freundin. Meine Mutter war sehr ambivalent hinsichtlich meines Eintritts in die "Welt". Es ist schwer, unter solchen Umständen die Welt als Heimat zu empfinden. Es hilft, für andere die Welt heimatlich zu machen. (Jene Freundin hat drei Kinder; es gelingt ihr. Und viele Menschen, für die sie "da" ist.)

Es gibt ein therapeutisches Verfahren, durch das versucht wird, prä- und perinatale Erfahrungen zu vergegenwärtigen und aufzulosen, das sog. "Holotrope Atmen" nach Stanislav Grof. (Er hat viel geschrieben, u.a. "Geburt, Tod, Transzendenz"; eine einleichtende aber nur durch - sehr eindrucksvolle - Fallberichte gestützte Theorie der vier "Perinatalen Matrizen", deren Muster sich u.U. lebenslang wiederholen.) Es handelt sich um eine Kombination des sog. "verbundenen Atmens" (das LSD-ähnliche Zustände erzeugt), heftigen bioenergetischen Interventionen und extrem lauter Musik. Mir hat es, soweit erkennbar, nichts gebracht; ich fand's eine Folge von superintensiven Trips. Aber andere erlebten es anders.

Die Lösung lag, liegt für mich nicht in einem "Glauben" sondern in maximal intensiver Meditationspraxis in Hingabe an einen lebenden (!) Lehrer (der selbst "durch" ist) und gemäß dessen Instruktionen. Freilich, es gibt auch einen Begriff von Glauben, der über das bloße "Für-wahr-Halten" hinausgeht; bei Kierkegaard ist Glaube "durchsichtig Wurzeln in dem, der mich gesetzt hat". (Aus dem Gedichtnis zitiert, nach "Die Krankheit zum Tode". Diese Krankheit ist Verweiflung in zwei Varianten: "Verzweifelt Man-selbst-sein-Wollen" oder "Verzweifelt Nicht-man-selbst-sein-Wollen". Wenn man sie überwindet, spielt das Wollen keine so große Rolle mehr; das Ich ist nur noch die Meditationspraxis, s.o.)

Euch allen einen gesegneten Sonntag.

Liebe Grüße
Windpferd

PS: Liebe Margot, kannst mich gern wieder lektorieren, wenn's Dich freut. (Schreib ich ganz ohne Ironie.) Das Umgekehrte hab ich bei Dir noch nicht notwendig gefunden. Obwohl ich gern schulmeistere.
 
Liebes Windpferd,

"uneingeladen" geboren zu werden, ist eine unvorstellbare Belastung. Die man irgendwie "bewältigen" kann, die man aber kaum mehr los wird.

Es ist bei mir mit vielen Tränen verbunden gewesen, die ich aber einfach in meine Dusche habe laufen lassen. Ich habe mich eingesperrt und wollte über Wochen hinweg keine Leute sehen. Am Ende war der Schmerz fast weg. Bis zum Zeitpunkt des Abschieds meiner Mutter.

Auch mit Hilfe des wunderbaren Viktor Frankl und seiner paradoxen Intervention, alles so lange anzuschauen und zu verstärken, was man los werden will, bis es sich auflöst, hat mir geholfen .

Übrigens auch die Methode von Hildegard in ihrer Psychotherapie. Die Bilder die sie schilderte waren so gestaltet, daß sich einer der an diesem oder jenem Laster leidet, sich erkannte und durch anschauen es auflösen konnte.

Im Anhang findest Du die Maßlosigkeit un die Verstocktheit, gemalt nach Hildegards Texten.


Meine Mutter war sehr ambivalent hinsichtlich meines Eintritts in die "Welt". Es ist schwer, unter solchen Umständen die Welt als Heimat zu empfinden. Es hilft, für andere die Welt heimatlich zu machen.

Zum "Neidwesen" meiner Mutter, womit ich ihr hab wieder Ärger machen müssen, habe ich geheiratet, habe vier Kinder, neun Enkel + ein Urenkelchen.

Meine Arbeiten neben der Familie waren fast ausschließlich sozialer Natur.

das sog. "Holotrope Atmen" heftigen bioenergetischen Interventionen und extrem lauter Musik.

Ich habe eine Hyperakusis, vielleicht aus meiner Kindheit, weil ich zu früh mit Orchestermusik beschallt wurde, da wäre diese Übung bestimmt nichts für mich. Übrigens glaube ich, daß ich wegen dieser Hyperakusis auch niederfrequente Immissionen schlecht vertrage. Stichwort " Elektrosesitivität)

Die Lösung lag, liegt für mich nicht in einem "Glauben" sondern in maximal intensiver Meditationspraxis in Hingabe an einen lebenden (!) Lehrer (der selbst "durch" ist) und gemäß dessen Instruktionen.

Diesen Lehrer fand ich in der Person des angesehenen Priesters, Arztes und Psychoanalytikers Dr. Alfons Berkmüller, den Du hier unter seinem Namen aufrufen kannst. Ich habe, um ihm zu danken, für alles was er für mich getan hat, die Hildegard von Bingen mit seinen Gedanken zusammen hier eingeführt, was er mit großer Freude quittiert hat.

ist mir zu zu schwierig.



PS: Liebe Margot, kannst mich gern wieder lektorieren, wenn's Dich freut. (Schreib ich ganz ohne Ironie.) Das Umgekehrte hab ich bei Dir noch nicht notwendig gefunden. Obwohl ich gern schulmeistere.

Lieb von Dir, noch einmal darauf zurück zu kommen, aber meine "Lektorentätigkeit" hat sich nur darauf beschränkt, daß ich kleine Häppchen brauche die ich verdauen kann. Aber der große Bogen, den eine Weltanschauung braucht, ist dazu nicht geeignet. Nicht mehr :confused:

Ganz liebe Grüße und viel Sonne, (noch) in diesem schönen November.

Margot
 

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Liebe Margot

Eigentlich macht mir der Abbau der geistigen Kräfte meiner Mutter nicht speziell Änste. Ich sehe es als Teil IHRES Lebens, Teil meines Lebens ist die Veränderung unserer Beziehung. Es tut mir leid für sie, dass SIE sich ängstigt, depressiv wird. Doch unterscheide ich sehr bewusst zwischen dem, was es in ihr und dem, was das wiederum in mir auslöst. - Und da heraus entscheide ich, wie oft ich zu ihr gehe, was ich mit ihr unternehme. Es soll ihr und mir gut tun, so sehr wie nur immer möglich.

Unsere Mütter scheinen sehr verschieden zu sein. Meine Mutter war eine absolute Helferin. Sie fühlt sich wohl, wenn sie jemandem helfen kann oder wenn sie mit jemandem ein Spiel spielen kann. - Es ist für sie deshalb so schwierig nicht mehr allein zu leben.
Ihren Haushalt hat sie eigentlich nie wirklich gepflegt und lebte seit mehr als 15 Jahren eher in einem Messie-Haushalt. Meine Schwester und ich machten Versuche, sie zu unterstützen. Aber das war nicht wirklich möglich, unsere Energie reichte nicht, und wir wollten auch den Willen der Mutter respektieren.

Meine Mutter hat zum Glück eine Freundin gefunden im Heim, mit der sie viel Zeit verbringt bei kleine Spaziergängen und mit einem Tischspiel. Wenn sie bei meiner Schwester in den Ferien ist, hat diese sehr Heimweh nach meiner Mutter. Meine Mutter freut sich sehr, wenn meine Schwestern oder ich sie besuchen. Sie ist ungern allein. Sie ruft jetzt sehr oft nach uns. Doch muss ich da manchmal mit dem Pflegepersonal Kontakt aufnehmen, sonst würde sie mich wegen Bagatellen dauernd auf Trab halten. Im Moment ist sie eine der körperlich rüstigsten Menschen im Heim, nur eben sehr, sehr vergesslich und sie orientiert sich immer mehr in der Vergangenheit. Selber horche ich bewusst in mich, damit ich meine eigenen Grenzen respektiere - und auch meine Bedürfnisse. Wenn ich mich nicht abgrenzen würde, würde ich sicher bald sehr genervt und aggressiv werden oder ausgebrannt.

Wie es mit ihrer körperlichen Gesundheit weitergehen wird... ich werde sehen, wenn es so weit ist.

Es tut mir leid, was du mit deiner Mutter erfahren musstest. Das liest sich für mich doch sehr schwierig.

Dass du an deiner Biographie schreibst, finde ich spannend. Vielleicht mache ich das auch mal. Ich könnte mir vorstellen, dass mir das hilft, mich noch ganz mit meinem Leben zu versöhnen. - Was ist deine Motivation? Magst du das schreiben?

Apropos Geheimnisse.... - Meine Mutter wird mir mit hoher Wahrscheinlichkeit keine mehr anvertrauen können, denn sie ist oft sehr verwirrt, aber wer weiss? ...
Doch sie hat vor ein paar Jahren sehr viel erzählt, Erlebnisse aus ihrer Kindheit, aus der frühen Ehe mit meinem Vater, auch von Erlebnissen, als ich ein kleines Kind war. Viele interessante Details. Dafür bin ich ihr dankbar. - Geschichten, Musik. Ich glaube nicht, dass das eine Basis für uns werden kann. Was aber sicher weiter schön bleiben wird, ist das gemeinsame geniessen der schönen Landschaften. Sie hat ein wunderschönes Zimmer mit Aussicht in die Berge und auf die andere Seite auf den Bodensee.
Wir spazieren oder fahren öfters an schöne Orte, an neue und an solche aus ihrer Kindheit. Das geniesst sie dann sehr - und erzählt auch wirklich -. hmm... vielleicht erfahre ich da tatsächlich noch ein paar Geheimnissse.

Ich weiss nicht, wie ich reagiere, wenn sie weiter abbaut. Das werde ich dann nehmen. Schon jetzt habe ich einiges loslassen können. Im Grossen und Ganzen hat sich eigentlich unsere Beziehung verbessert, denn vieles kann ich jetzt besser akzeptieren, einfach weil sie klar am schleichenden Abbau der geistigen Kräfte leidet.

Wirklich beruhigend ist wirklich, dass wir Schwestern eine gute Zusammenarbeit mit dem Pflegepersonal haben - und dass wir eine gute Atmphäre und einen liebevollen Umgang mit den HeimbewohnerInnen spüren. Das tut gut.

Liebe Grüsse, fauna
 
Hallo liebe Fauna


Im Moment ist sie eine der körperlich rüstigsten Menschen im Heim, nur eben sehr, sehr vergesslich und sie orientiert sich immer mehr in der Vergangenheit.

Das ging bei meiner Mutter auch so.

Den Vogel hat sie einmal abgeschossen, als sie mich gefragt hat, "was ist eigentlich aus dem Hitler geworden"?
Ich mußte mich damals sehr zurückhalten, damit ich ihr nicht den letzten Rest von "Nachfragen" mit einer groben Antwort, nehme.
Damals wäre es allerdings noch möglich gewesen sie zu fragen, warum ich zwei Jahre in diesem Lebensborn-Heim habe bleiben müssen und dann auch noch zu 3 verschiedenen Familien wandern mußte, bis der Bruder meines Großvaters dem Drama ein Ende machte und seinen Bruder zwang mit den Worten: "so was gibt es in unserer Familie nicht, das Kind gehört nach Hause und damit basta."

Ab da war ich zwar zu Hause, aber nie angekommen. Später habe ich die Familie aus der Mittelmäßigkeit herausholen dürfen, indem ich mich von dem selben Großvater zu einem "Wunderkind" habe unterrichten lassen. Ich mußte schon mit 7 Jahren aufs Podium und mit 10 Jahren spielte ich bereits das Beethoven Violinkonzert. Wie sich das angehört hat, weiß ich nicht, ich hatte ja damals noch kein Ohr für die Qualität meines Spiels. Was ich aber nie vergessen werde und das wird mich bis an mein Ende begleiten, die Furcht vor großen Menschenmassen in Oper und Konzert und vor allem der Applaus, der stört mein feines Gehör enorm.
Warum habe ich das jetzt geschrieben? Ja, mein Großvater hat die Qualität seines Lebensabends enorm aufgebessert, indem er mir diese Qual angetan hat.
Meine Kinder haben mich öfter gefragt, ob ich nicht dem einen oder anderen Enkelkind das Geigen beibringen würde, aber ich habe aus meiner Erfahrung heraus nie Ja gesagt.

Dass du an deiner Biographie schreibst, finde ich spannend. Vielleicht mache ich das auch mal. Ich könnte mir vorstellen, dass mir das hilft, mich noch ganz mit meinem Leben zu versöhnen. - Was ist deine Motivation? Magst du das schreiben?

Etwas habe ich ja oben schon geschrieben, aber mein vordringlichstes Motiv ist, unseren Kindern mein Leben zu zeigen als Nachfahrin einer Zeit, die die Weltgeschichte so schrecklich " bereichert" hat.

....... Viele interessante Details. Dafür bin ich ihr dankbar. - Geschichten, Musik. Ich glaube nicht, dass das eine Basis für uns werden kann.

Vielleicht kannst Du dich selber überraschen, indem Du ihr mal verschiedene Stilrichtungen von Musik aus den letzten 50 Jahren vorlegst. Ich hatte vor Jahren im Seniorenheim eine Gruppe Frauen zwischen 70 und 90 die waren total begeistert von meinen "Mitbringseln" einige davon kannten die Musik, andere sperrten die Augen und Ohren auf vor Verwunderung, daß es so was Schönes gibt.

Immer wieder versuchen!!!

Liebe Grüße
Margot
 
Liebe Margot

Damals wäre es allerdings noch möglich gewesen sie zu fragen, warum ich zwei Jahre in diesem Lebensborn-Heim habe bleiben müssen und dann auch noch zu 3 verschiedenen Familien wandern mußte, bis der Bruder meines Großvaters dem Drama ein Ende machte und seinen Bruder zwang mit den Worten: "so was gibt es in unserer Familie nicht, das Kind gehört nach Hause und damit basta."

Das erinnert mich an das Schicksal einer älteren Schwester meiner Mutter, die als Schulkind zu einem Bauern in ein Seitental der Gegend, wo ich jetzt arbeite verdingt wurde. Sie musste arbeiten, durfte halbtags zur Schule, wurde fertig gemacht weil sie "Unmögliches nicht möglich machte" (zum Beispiel ein Feuer im Herd der Küche aus nassem Holz und ohne Rauch...) Sie erhielt kaum zu essen. Die Lehrerin des Schulhauses in diesem kleinen Tal merkte das und schenkte ihr immer in der Pause eine Tasse Milch und ein grosses Stück Brot.
Daran habe ich mich gerade letzten Freitag erinnert, als ich in dieses kleine Seitental einen Schüler nach Hause fuhr...

Ab da war ich zwar zu Hause, aber nie angekommen.
Ist das bindungsmässig gemeint?

Später habe ich die Familie aus der Mittelmäßigkeit herausholen dürfen, indem ich mich von dem selben Großvater zu einem "Wunderkind" habe unterrichten lassen. Ich mußte schon mit 7 Jahren aufs Podium und mit 10 Jahren spielte ich bereits das Beethoven Violinkonzert. Wie sich das angehört hat, weiß ich nicht, ich hatte ja damals noch kein Ohr für die Qualität meines Spiels. Was ich aber nie vergessen werde und das wird mich bis an mein Ende begleiten, die Furcht vor großen Menschenmassen in Oper und Konzert und vor allem der Applaus, der stört mein feines Gehör enorm.
Ja, selber staune ich manchmal, dass ich aus meinen schlimmen Erfahrungen auch Gutes gezogen habe. Das erlebe ich oft als verwirrend. Mittlerweile habe ich gelernt, dass es so ist, wie es ist. Und dass eben genau das mein Leben ist. Das tippt sich leich, ist es aber nicht. Wenn ich von Schicksalen wie deinem lese, werde ich immer sehr still. - Auch meine Mutter hatte ihr Schicksal. Sie wuchs in schwierigsten Verhältnissen auf, viel Gewalt und wenig zu essen. Einen Bleistift und die nötigen Schuhe auf Weihnachten. Das war's dann. Eine Ohrfeige, nur weil sie einmal Spass hatte... - Aber auch ihre Mutter hatte ihr Schicksal. - Und ich hab meins's - und meine Pflegekinder ihr's... - Deshalb ist mir die Versöhnung, mit dem was ist, so wichtig.

Warum habe ich das jetzt geschrieben? Ja, mein Großvater hat die Qualität seines Lebensabends enorm aufgebessert, indem er mir diese Qual angetan hat.
Meine Kinder haben mich öfter gefragt, ob ich nicht dem einen oder anderen Enkelkind das Geigen beibringen würde, aber ich habe aus meiner Erfahrung heraus nie Ja gesagt.
Du warst dir da treu. Aber nicht verstanden zu werden ist auch nicht einfach.... - Schwierig zu schreiben, auf welche Art mich das und auch das, was du oben beschrieben hast, berührt. Vielleicht kriege ich die Worte irgendwann hin.

Etwas habe ich ja oben schon geschrieben, aber mein vordringlichstes Motiv ist, unseren Kindern mein Leben zu zeigen als Nachfahrin einer Zeit, die die Weltgeschichte so schrecklich " bereichert" hat.
Für mich klingt da das Wort "Vergangenheitsbewältigung" an.


Vielleicht kannst Du dich selber überraschen, indem Du ihr mal verschiedene Stilrichtungen von Musik aus den letzten 50 Jahren vorlegst. Ich hatte vor Jahren im Seniorenheim eine Gruppe Frauen zwischen 70 und 90 die waren total begeistert von meinen "Mitbringseln" einige davon kannten die Musik, andere sperrten die Augen und Ohren auf vor Verwunderung, daß es so was Schönes gibt.
Ich werde es wohl nicht versuchen - aus dem heraus, was ich in der Beziehung zu meiner Mutter heraus erlebt habe. Da gab's verschiedenes Schönes, das ich ihr zeigen wollte. Als Kind lag ich hinterm Haus unter dem Lindenbaum, sah in die grauen Äste, das wunderbar in verschiedenen hellen Grüntönen leuchtende Laub und in Kombination mit dem blauen Himmel war ich so schön berührt. Es war so schön. Ich schrieb einen Text darüber und wollte ihn in der Schule vorlesen. Wir mussten Wochentexte schreiben. Samstags gab's dann ein paar, die mussten vor die Klasse stehen und vorlesen. - Weil ich unsicher war, las ich ihn meiner Mutter vor. - Sie fand, das sei ja nichts... - Ähnliche Erfahrungen machte ich mit anderem... Sie reagiert auch heute noch so. Ich werde das bleiben lassen und bei Dingen bleiben, von denen ich weiss, dass sie bessere Gefühle auslösen.

Meine grösste Angst ist aber die Angst vor dem eigenen körperlichen und geistigen Zerfall. Angst vor Abhängigkeit, Ausgeliefertsein, Einsamkeit. - Es ist wichtig für mich, mich diesen Ängsten zu stellen.

Liebe Grüsse, fauna
 
Ist das bindungsmässig gemeint?

Ja, ich galt auch noch nach der "Eingliederung" noch als Pflegekind":D

Ja, selber staune ich manchmal, dass ich aus meinen schlimmen Erfahrungen auch Gutes gezogen habe.

Das, was ich aus diesen Ereignissen gezogen habe, kommt heute meiner Familie zugute. Ich habe immer versucht, ihnen eine gerechte und gute Mutter zu sein und wenn ihnen Fehler unterlaufen sind, nicht zu schimpfen, sondern weiter zu helfen, daß keine Selbstzweifel zurückblieben.

Du warst dir da treu. Aber nicht verstanden zu werden ist auch nicht einfach.... - Schwierig zu schreiben, auf welche Art mich das und auch das, was du oben beschrieben hast, berührt. Vielleicht kriege ich die Worte irgendwann hin. Für mich klingt da das Wort "Vergangenheitsbewältigung" an.

Das siehst Du richtig. Ich arbeite immer noch am "verzeihen können". Das gelingt mir immer mehr. Aber verstehen kann ich es bis dato nicht was mir damals zugemutet wurde.
Was Du von dem Mädchen schreibst, das von einer Frau Milch und Brot bekommen hat, erinnert mich daran, was mein Großvater mit mir gemacht hat.

Es war die Zeit um 1945 in der noch "gehamstert" wurde. Ich war 6 Jahre alt und konnte schon ein paar Kinderlieder auf einer 1/4 Geige spielen. Er packte mich auf einen Leiterwagen, fuhr mit mir in die umliegenden Dörfer und stellte mich bei Wind, Regen oder Schnee auf den Bauernhof und ich mußte mit meinen kleinen klammen Fingerchen den Bauern was vorspielen. Dafür bekam ich Kuchen, Eier, etwas zum beißen halt. Das wurde dann sorgsam in den Geigenkasten gepackt und heim gings wieder. Zu Hause wurde alles verteilt. Wir waren nämlich 3 Erwachsene und ich. Ich besitze den Geigenkasten heute noch und wenn ich genug in den Tiefen der Fütterung herumsuche, finde ich bestimmt noch das eine oder andere Bröselchen von damals. :D

Es war aber nicht immer so karg, meine Großmutter war eine gute Frau und was ich heute als meine Passion ansehe, mich der Heilkunde zuzuwenden, das habe ich von ihr. Sie hat mich kuriert wenn ich zwar selten, aber wenn, dann heftig, krank war.

Meine Großmutter war eigentlich meine Mutter :kiss: und meine Mutter war mehr meine Schwester und so blieb es, bis sie starb. :schaukel:


Meine grösste Angst ist aber die Angst vor dem eigenen körperlichen und geistigen Zerfall. Angst vor Abhängigkeit, Ausgeliefertsein, Einsamkeit. - Es ist wichtig für mich, mich diesen Ängsten zu stellen.

Ja, das ist gut, vorsorgen ist wichtig, sich ausdenken, was alles vonnöten sein könnte und den Kindern die Angst nehmen, daß sie persönlich zugreifen müssen, wenn es so weit ist. Wir wollen unseren Kindern ersparen, daß unsere Beziehung durch eine schwere Pflege beeinträchtigt wird. Zum Glück können wir uns leisten, uns von einem Sozialdienst versorgen zu lassen.
Für meinen Mann und mich haben wir bereits einen Plan entworfen den ich demnächst auch vorstellen will.

Jetzt muß ich zum Zahnarzt, zwei meiner Weisheitszähne müssen raus.
Hoffentlich nur die Zähne und nicht mein Fünkchen Weisheit, ohne das ich nicht leben könnte. ;)

Liebe Grüße
Margot
 
Liebe Freunde,

jetzt merke ich gerade, daß ich mich in einem Bereich befinde, wo ich zwar viele Mitleidende finden würde, der mich aber von dem wegführt, was ich eigentlich wollte.

Ich hatte mit der Eröffnung meines threads vor, die Zeit zu beleuchten in der sich ein Mensch befindet, der merkt, daß er langsam alt wird und in der Weiterführung, was es bedeutet, alt zu sein.

Eine neue Wendung könnte sein, was passiert wirklich mit den Menschen die alt sind.

Mein Mann besuchte 4 Jahre lang eine alte Dame die sich wie sich irgendwann herausstellte, völlig in ihn vernarrt hatte. Tags und nachts rief sie an und hatte ein Problem, aus dem sie nur mein Mann erlösen konnte.

Jetzt hat sie einen Betreuer der einer privaten Organisation angehört.
Sie bekommt "Essen auf Rädern", was nur noch einige Monate möglich ist und dann kommt das Altersheim.

Diese Frau hat überhaupt keine Angehörigen die sich angesprochen fühlen könnten für sie zu sorgen, weil sie nie verheiratet war und keine Kinder in die Welt gesetzt hat. Was unterscheidet diese Frau von einer Mutter, der die Kinder weggeschossen wurden im Krieg?

Mir kommen die Tränen, ich muß aufhören.

m
 
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