Guten Morgen Margot und die anderen,
freut mich, daß der Text von Max Frisch Dich anspricht.
Was ich ich - über die Illusionslosigkeit hinaus - daran bemerkenswert finde: die Entlarvung des Phalluskults, dem die meisten Männer uneingeschränkt anhängen, während es von weiblicher Seite schon lange Einspruch gibt, da und dort. Die Fixierung auf Penetration - als sei das DIE Möglichkeit, zärtlich zu sein und einander zu "erkennen". (Viele Frauen sind davon gar nicht so "entzückt".) Die muß natürlich so jämmerlich zusammenbrechen, wenn die physiologischen Automatismen mal nicht mehr "richtig" funktionieren - mit all den skurrilen Konsequenzen, die Frisch beschreibt.
Dann die kranke Idee, eine Frau-Mann-Begegnung müsse im Bett enden, wo denn sonst. "Männer wollen immer nur das Eine", schlimm genug, diese Unterstellung. Noch schlimmer: wenn Mann "das Eine" gar nicht will - sondern vieles andere, was zwischen Menschen glücklicherweise möglich ist: dann fühlt er sich vielleicht nicht mehr als "Mann" (und gilt u.U. auch nicht mehr als solcher). Es ist ein kulturelles Gefängnis (an dem fast alle mitbasteln). Der einzige Ausweg ist schlichte Wahrhaftigkeit in bezug auf alles,was in mir vorgeht. Möglich ist das; man muß nur damit anfangen.
Ein Aspekt des Phalluskults: die Fixierung auf viel jüngere Frauen. Allein das ist eine Herabwürdigung: es zählt nicht, was Frau geworden ist in einem langen Leben, sondern sehr äußerliche Attribute.
Für den Mann scheint die Frau nur "Gegenstand seines Entzückens". Na schön. Aber in Wirklichkeit ist da eine Person mit so vielen Aspekten, Facetten, Nuancen, Ideen (vielleicht mag sie sogar mal mit jemandem schlafen, o.k.) - die könnte eine Herausforderung für Einfühlung, Spurensuche, Mitgefühl (nicht Mitleid), Phantasie sein. Mann könnte "die Poesie unseres Geschlechts" entdecken (Ingeborg Bachmann). Viele, die kopulieren, sind keineswegs befreudet.
(Es gibt eine wenig bekannte Lösung. Der Dalai Lama interessiert sich sehr für die westliche Kultur; bei einer Tagung von Psychologen hörte er, daß man Impotenz psychotherapeutisch behandle. Er war verblüfft: in Tibet würden diese Männer eben ins Kloster gehen. Da hätten die meisten auch mehr Chancen, Realisierung zu erreichen. - Freilich sind manche, bei denen "erektile Insuffizienz" diagnostiziert wird - sprachlich sind sie schon gut, unsere Docs! - einfach phantasielos, feig und "sexuell faul", wie David Schnarch schrieb.)
Insgesamt, die Misere der Männer, die Frisch beschreibt, meisterlich finde ich (und mittelbar auch die der Frauen), kommt von weit her, ist eine Fortsetzung schwer überwindbarer Fehlhaltungen schon im frühen Mannesalter. Eine lange Lebenszeit kommt Mann damit irgendwie durch (wenn er nicht das Riesenglück hat, Frauen zu finden, die ihm jeweils den Kopf zurecht setzen) - aber irgendwann eben nicht mehr. Auch spät im Leben kann Mann noch ein wenig weiser werden. Nichts ist dabei hilfreicher als hie und da die großen Augen einer Freundin, ihr freundlich-ironisches Lächeln . . .
(Christine Busta fällt mir ein, eine wenig bekannte Dichterin, die sich mit ca. 70 verliebte - richtig verliebte - und ein Bändchen glücklicher Liebesgedichte schrieb. Unter dem Aspekt von Alter und nicht mehr fernem Tod. Oder Walter Helmut Fritz' "Herzschlag": Liebesgedichte für seine Frau, über Jahrzehnte hinweg.)
Eine sehr späte Notiz von Max Frisch, aus den erst kürzlich publizierten "Skizzen zu einem dritten Tagebuch":
Hänge ich am Leben?
Ich hänge an einer Frau.
Ist das genug?
Alles Liebe,
Windpferd