MRSA sorgt für Streit unter Ärzten
Ärzte streiten über Klinik-Hygiene
Welche Oberflächen müssen desinfiziert werden? Da sind sich Ärzte nicht einig
Von Carolin Wellegehausen
Jedes Jahr stecken sich in Deutschland mehr als 800.000 Menschen im Krankenhaus mit multiresistenten Erregern an. Ärzte sind sich nicht einig, wie die Gefahr in der Klinik bekämpft werden sollte.
Ralph A., heute 65 Jahre alt, sägte Steine als es passierte. Die Flex fuhr in seinen Oberschenkel und verletzte ihn schwer. Das vor fast zehn Jahren. Ralph A. kam sofort ins Krankenhaus, allerdings bekam er dort
nicht nur ärztliche Hilfe. Seine Wunde wurde mit Bakterien verseucht - und zwar ausgerechnet mit multiresistenten Staphylococcus aureus- Bakterien (MRSA). Multiresistent bedeutet: Sie lassen sich nicht
mit herkömmlichen Antibiotika behandeln, da sie dagegen immun sind. Das macht diese Krankheitserreger so gefährlich.
Ralph A. ist kein Einzelfall. Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene infizieren sich jedes Jahr 800.000 bis eine Million Menschen in Kliniken mit multiresistenten Erregern. Davon
versterben 20.000 bis 40.000 Patienten. Aber wie kann es überhaupt passieren, dass so viele Menschen in Kliniken krank werden? Ein wichtiger Grund scheint die Hygiene. Seit Jahren tobt unter Fachärzten
für Hygiene der Streit, ob überall im Krankenhaus alle Flächen mit Desinfektionsmittel geputzt werden müssen oder nicht. Seitens des Gesetzgebers gibt es keine einheitlichen Vorschriften für die
Krankenhäuser. Es scheint selbstverständlich, dass in Kliniken überall mit Desinfektionsmitteln geputzt wird, möchte der Laie oder Patient meinen.
Desinfektion aller Flächen ist teuer
Henning Rüden, beratender Facharzt für Hygiene der Helios-Kliniken ist der Meinung, es sei ein Mythos, dass die Desinfektion aller Oberflächen Infektionen mit multiresistenten Erregern verhindere. "Desinfektionsmittel sind teurer als eine normale Reinigung und eine Umweltbelastung", sagt er. Petra Gastmeier, Leiterin des Nationalen Referenzzentrum für Surveillance von nosokomialen Infektionen (Krankenhausinfektionen) sagt dazu: "Der Hygienikerstreit wird gerne aufgebauscht, aber im Endeffekt sind sich alle einig, dass eine Oberflächendesinfektion da notwendig ist, wo die Fläche kontaminiert wurde." Doch auch sie hält eine generelle Flächendesinfektion für unnötig. Wichtiger sei gut geschultes Personal, das alle Aspekte berücksichtigt - also auch den Umweltschutz. Es komme auch auf das Desinfektionsmittel an, inwieweit es die Umwelt belastet und wie viel Rückstand bleibt, schränkt sie ein.Andere, wie zum Beispiel Klaus-Dieter Zastrow, Direktor des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin der Vivantes-Kliniken Berlin, sind deswegen stinksauer. Sie sehen das tägliche Putzen mit Desinfektionsmitteln als Schutz für den Patienten. "Denn Menschen mit einem angegriffenen Immunsystem sind natürlich anfälliger für eine Infektion", sagt Zastrow. Wer im Krankenhaus behandelt werde, habe durch seine Verletzung oder Krankheit automatisch ein geschwächtes Immunsystem. "Also auch der kerngesunde Sportler, der wegen eines Bänderrisses operiert wird", betont Zastrow. "Außerdem ist das Desinfizieren auch nicht teuer, schon gar nicht im Gegensatz zu einem Patienten mit einer verlängerten Liegezeit durch eine Infektion." Er hält eine solche Rechnung für katastrophal.
Mikrobielle Tests
Petra Gastmeier macht in erster Linie die fehlenden MRSA-Abstrichtests bei der Erstuntersuchung von Patienten verantwortlich für die steigende Infektionsrate - und nicht die mangelnde Desinfektion: "Deutschland hat in den letzten Jahren verschlafen, MRSA-Patienten ohne Infektionssymptome rechtzeitig zu erkennen und dementsprechend Präventionsmaßnahmen anzuwenden." Seitdem mikrobiologische Screening-Untersuchungen in den vergangenen Jahren vermehrt umgesetzt würden, habe es keinen weiteren Anstieg gegeben. Zudem meint sie: Um eine Übertragung zu verhindern, sei es viel entscheidender, die Hände zu desinfizieren, und nicht die die Oberflächen.
Henning Rüden sieht das genauso: "Da MRSA fast ausnahmslos über die Hände übertragen wird, ist die mangelnde Händedesinfektion die entscheidende Ursache, nicht die mangelnde Oberflächendesinfektion." Viele Ärzte sind -laut Zastrow - anderer Meinung: "Eine gezielte Oberflächenreinigung bedeutet, die Flächen mit Desinfektionsmittel abzuwischen, auf denen etwas Sichtbares wie Blut und/oder Eiter zu sehen ist." Das allein hält er jedoch nicht für ausreichend, da eine kontaminierte Fläche nicht immer erkennbar ist. "Im Krankenhaus muss desinfiziert werden." Er ist erleichtert, dass es mittlerweile nur noch wenige Ärzte gibt, die die Ansichten von Rüden und Gastmeier für richtig halten. "Und diese Leute bekommen auch in ihren Kliniken Probleme, wenn sie das durchsetzen wollen."
Keine klare Richtlinie
Eine neue Richtlinie des Robert-Koch-Institutes lässt weiterhin Raum für Interpretationen. Sie ist rechtlich zwar nicht bindend, hat aber im Streitfall den Wert eines Gutachtens. Die aktuelle Richtlinie bestätigt, dass nach einer Desinfektion auch noch Stunden später weniger gefährliche Keime vorhanden sind. Zudem verhindern Desinfektionsmittel die Verschmutzung des Putzwassers mit den tödlichen Keimen und damit deren Verbreitung. Rüden hält die Richtlinie von 1999 für ergänzungsbedürftig. "Nach der Devise: weniger ist mehr, aber dann richtig - zum Beispiel Händedesinfektion! Eine gezielte Oberflächendesinfektion ist wichtig!" Zastrow erklärt dagegen: "Die RKI-Richtlinie lässt zwar Spielräume, aber wenn man genau liest, dann kommt man nicht herum, alle Risikobereiche zu desinfizieren."
Lediglich Berlin, Bremen und Sachsen haben seit 15 Jahren eine Vorreiterrolle in Sachen Hygienevorschriften: Jedem Krankenhaus steht ein beratender Hygieniker zur Seite, ab 300 Betten wird eine hygienische Fachkraft, ab 450 Betten ein Facharzt für Hygiene beschäftigt. Zastrow wünscht sich, dass diese Vorgehensweise im Infektionsschutzgesetz verankert wird. In einem Schreiben an Staatssekretär Rolf Schwanitz vom 26. Februar 2008 machte er Vorschläge für eine entsprechende Gesetzesänderung.
Ralph A. musste sich wegen seiner MRSA-Infektion in zehn Jahren siebzig Operationen unterziehen und es geht ihm heute immer noch nicht besser. Viele Kliniken versuchen, ihn wegen seiner Infektion schnell wieder loszuwerden. Zastrows Brief vom Februar wurde bislang nicht beantwortet.
Quelle/Link: stern.de vom 29.April 2008